Die Belagerung von Cosel 1807
von Dr. Frank Bauer
Die zweite Belagerung Cosels vom 09.04. bis zum Tode Obest von Neumanns am 18.04.
Der Feind verzichtete nun auf eine förmliche Belagerung und versuchte es mit einer Einschließung, um durch Hunger die Übergabe zu erzwingen. Cosels Lage erwies sich für eine Einschließung als sehr günstig, denn es brauchten nur wenige Wege stark besetzt zu werden, da das sumpfige Terrain vor der Stadt, dessen Zustand durch das aufgestaute Wasser während der Belagerung sich verschlimmert hatte, jede Verbindung mit der Stadt außerhalb der Wege unmöglich machte. Der Feind besetzte Klodnitz, Kobelwitz, Reinschdorf, Wiegschütz und Rogau und hatte damit jeden Zugang zur Festung in der Hand. An den Eingängen der Dörfer wurden Schanzen und Barrikaden errichtet, alle Brücken über die Bäche und Wasserläufe abgebrochen und die Verbindung zwischen den beiden Oderufern durch Fähren bei Krappitz und Deschowitz hergestellt. Am 8. April trafen weitere Verstärkungen ein, deren Kommando am rechten Oderufer Oberstleutnant Graf Taxis übernahm.
Inzwischen hatte sich der nach Gleiwitz entsandte Reitertrupp Leutnant Witowskis wieder der Festung genähert. Man hatte am 6. April bei Nicolai polnische Insurgenten in die Flucht geschlagen. Um wieder nach Cosel zu gelangen, sprach man mit dem Kommandanten eine Aktion ab. Am 10. April unternahmen zwei jeweils 250 Mann starke preußische Abteilungen
einen Ausfall, bei dem man den Feind solange ablenken konnte, daß die Reiterabteilung wieder in die Festung gelangte. Der Erfolg war allerdings mit 8 Toten, 26 Verwundeten und 8 Deserteuren teuer erkauft.
Noch am gleichen Tag schnitten die Feinde noch den Mühlgraben, der die Kuckelsmühle antrieb, ab, so daß die Stadt nur noch über 3 Handmühlen verfügte, die nicht ausreichten.
Am 14. April schlich sich Hauptmann v. Wostrowski mit einigen Mann durch die feindlichen Linien und trieb aus Kobelwitz und Dembowa eine Anzahl Vieh in die Stadt. Ein in der Nacht zum 15.4. herrschendes Schneegestöber begünstigte diese Aktion.
Der Tod Oberst von Neumanns am 18.04.1807
Der 16. April brachte Cosel einen schweren Verlust. Um 18.00 Uhr verstarb Oberst David von Neumann.
Bereits im Februar hatte er einen Schlaganfall erlitten, von dem er sich nicht mehr erholte. Häufig war er stundenlang ohne Bewußtsein. Wenn er aber wieder erwachte, dann entfaltete er eine fieberhafte Tätigkeit. Am 3. März verschlimmerte sich sein Zustand und er lag drei Tage ohne Bewußtsein. Am 8. März übertrug er Oberst v. Puttkammer die Geschäfte des Kommandanten. Als es ihm wieder besser ging, übersiedelte er am 16. März von der Reinschdorfer Kasematte in die Kommandantur, wo noch einige Zimmer benutzbar waren. Er war aber sehr schwach und fast blind. Auf dem Weg dorthin verletzte er sich noch am Fuß und mußte getragen werden und war nun völlig ans Bett gefesselt. Er bekam Reißen, der verletzte Fuß wurde brandig. Schließlich kam noch ein Nervenfieber hinzu. Seine letzten Worte waren: „Gott, warum läßt Du mich nicht so lange leben, bis ich meinen guten König noch einmal sehen kann!“
Entsprechend seinem Willen wurde Oberst v. Neumann am 18. April in der Reinschdorfer Bastion beigesetzt. Prinz Biron von Kurland, sämtliche Offiziere, die königlichen und städtischen Beamten und ein großer Teil der Bürgerschaft folgten dem Sarg, der mit militärischen Ehren ins Grab gesenkt wurde. König Friedrich Wilhelm III. ließ ihm, den er noch vor seinem Tode zum Generalmajor befördert hatte – die Nachricht gelangte jedoch erst später nach Cosel -, im Januar 1810 in der Oderbastion ein Denkmal errichten. Es war ein schlichter, gußeiserner Obelisk, der die ehrende Inschrift trug:
Friedrich Wilhelm III. dem heldenmütigen Verteidiger Cosels.
Auf der Rückseite standen die Worte:
David von Neumann, Königl. Preuß. Generalmajor und Kommandant dieser Veste.
Geboren den XXVIII August MDCCXXXV bei Wehlau in Preußen.
Gestorben den XVI April MDCCCVII zu Cosel.
Nach dem Tode Neumanns bis zur Ablehung der Kapitualtion vom 03.06.1807
Da der vorgesehene Stellvertreter Hauptmann Keibel selbst am Typhus erkrankt war, hatte Oberst v. Neumann am 15. April den Oberst v. Puttkammer an sein Krankenbett rufen lassen und ihm das Kommando über die Festung Cosel übergeben. Puttkammer war bereits 71 Jahre alt und stand seit 1761 in preußischen Diensten. 1793 hatte er sich bei Mainz den pour le merite verdient. 1795 wurde er Obersleutnant und Chef des 3. Artillerieregiments in Berlin. Als Oberst und Chef der Fußartillerie war er seit 1800 in Cosel. Trotz seines Alters war geistig und körperlich noch frisch und setzte die Verteidigung energisch fort.
In den nächsten Tagen gab es nur kleinere Streifzüge in die nahe gelegenen Dörfern, um Vieh in die Festung zu bringen. Die Artillerie beschoß immer wieder die Blockadetruppen. Versuche, am 24. April und 1. Mai, zur Öffnung des abgesperrten Mühlgrabens scheiterten jedoch.
Am 1. Mai 1807 bestand die Garnison nur noch aus 1.932 Mann Infanterie, unberittenen Kavalleristen und Mineurs, sowie aus 139 Husaren und Kürassieren und 685 Artilleristen und Handlangern, zusammen 2.756 Mann. Dazu kamen 18 dienstfähige Offiziere. 781 Mann lagen krank im Lazarett. Aber auch von den Gesunden war mehr als die Hälfte nur eingeschränkt dienstfähig, die übrigen durch überstandene Krankheiten heruntergekommen und geschwächt. Die Kleidung der Leute wurde immer schlechter. Viele hatten weder Schuhe noch Strümpfe und kaum die nötigste Wäsche. Ein Teil der Soldaten besaß überhaupt keine Uniform. Die artilleristische Ausrüstung war aber noch komplett. Zwar waren 5 Geschütze zerstört worden und bei weiteren 27 war die Lafettierung unbrauchbar, aber 198 befanden sich noch in gutem Zustand. Pulver war noch genügend vorhanden, nur die Geschosse wurden langsam knapp. Auch die Proviantvorräte waren schon wieder stark verringert. Am 1. Mai gab es noch Hafer für ein Jahr, Mehl für 4,5 Monate, Bier, Branntwein, Tabak und Heu noch für höchstens 6 Wochen, andere Lebensmittel nur noch für 14 Tage.
Im April konnten dank scharfer Überwachungsmaßregeln nur 16 Mann desertierten.
Schlimm war die Situation für die Kranken. Man erbaute auf der Oderinsel hölzerne Baracken, um bei zunehmender Wärme die Kranken luftiger und gesünder unterzubringen zu können. Medikamente gab es zwar noch ausreichend, aber es fehlte an Ärzten und Krankenwärtern. Auf 50 Kranke kam 1 Arzt. Auch unter den Bürgern wütete der Typhus, 67 starben daran bis zum Mai.
Der Mai verlief insgesamt ohne größere Unternehmungen. Die von der Festungsbesatzung unternommenen kleinen Streifzüge zum Erbeuten von Vieh schlugen häufig fehl, da sie dem Feind durch Signale verraten wurden. Dieser Verräter wurde nie gefaßt. Zwei Offiziere wurden bei derartigen Streifzügen schwer verwundet.
Mitte Mai schien sich für Cosel neue Hoffnung zu zeigen. Durch eine Flaschenpost über die Oder hatte Graf Götzen den Kommandanten informieren lassen, daß Major v. Losthin mit Truppen auf dem Weg über Breslau sei, um Cosel und Neiße zu entsetzen. Aber diese preußische Truppenabteilung wurde bei Adelsbach geschlagen.
Die Lage der Festung verschlimmerte sich, denn der Feind schloß den Belagerungsring immer dichter. Kobelwitz wurde stärker besetzt, vor Wiegschütz und Rogau waren neue Schanzen entstanden. Zudem hielt sich der Feind meist außerhalb der Schußweite der Festungsartillerie auf, so daß auch diese fast nicht mehr schoß. Der Kommandant erkannte die Gefahr, die durch das tatenlose Warten bei den ohnehin unzuverlässigen Truppen entstand. Er beschäftigte sie mit dem Ausbessern der Wälle und dem vollständigen Einebnen der vom Feind verlassenen Batterien und Laufgräben.
Im Monat Mai verstarben 225 Mann der Garnison. Ende des Monats lagen noch 600 Kranke im Lazarett. Außerdem waren weitere 83 Mann trotz aller Vorsichtsmaßnahmen desertiert.
Ende Mai machte sich der Mangel an Schlachtvieh bemerkbar. Viele Bürger hatten nicht an eine erneute Einschließung geglaubt und kaum Vorräte angelegt. Nun wurde am 25. Mai auf Veranlassung des Magistrats der Viehbestand aufgenommen und das Schlachten mit strengen Auflagen geregelt. In den Fleischerläden wurde das Fleisch unter Aufsicht gegen Barzahlung entsprechend der Familienstärke verkauft.
Am 31. Mai 18.00 Uhr hörte man auf allen Seiten der Stadt Gewehrfeuer. Die Feinde feierten damit die Einnahme von Danzig. Am 1. Juni überbrachte ein bayerischer Trompeter ein Schreiben an den Kommandanten, in dem General Raglowich um eine Zusammenkunft ersuchte. Nach einem Kriegsrat wurde dem zugestimmt. Raglowich erschien am nächsten Tag mit dem Major v. Wreden und zahlreichem Gefolge vor der Rogauer Redoute. Sie wurden von den Hauptleuten Brünnow und Keibel empfangen. Nur der General Raglowich und Wreden wurden mit verbundenen Augen eingelassen. In der Wohnung des Kommandanten übergab Raglowich ein Schreiben mit der Mitteilung von der Kapitulation der Festung Neiße und der Besetzung Danzigs. Dann schlug er die Kapitulation Cosels vor, das von außen völlig abgeschnitten sei und nicht auf Entsatz rechnen könne. Der Kommandant selber solle bestimmen, nach wie viel Tagen die Übergabe zu erfolgen habe. Er könne außerdem einen Offizier nach Neiße schicken, der sich von der Kapitulation dieser Festung überzeugen könne. Eine Antwort verlangte er erst in 6 Tagen. Er warnte aber vor zu langem Zögern, da nur eine Kapitulation diejenigen Offiziere schützen könne, die trotz ihres gegebenen Ehrenwortes in der Festung Dienst leisteten.
Der Kriegsrat beriet nicht lange. Er erklärte, daß man Pulver, Blei, Lebensmittel und Soldaten genug besitze, um Cosel weiter zu verteidigen. Der Kommandant ließ Raglowich mitteilen, daß man die Festung bis zum Äußersten verteidigen werde, ohne sich um die Vorgänge außerhalb zu kümmern. Diese Antwort wurde am 3. Juni 10.00 Uhr nach Comorno gebracht.
Die Bürger erfuhren von den Verhandlungen wenig. Es gab nur Gerüchte über einen Abschlag des Kapitulationsangebotes.