Die Beerdigung des Mainzer Jakobiners Felix Anton Blau

von Hellmut G. Haasis

IV.

Wie als beabsichtigtes Gegenstück dazu erschien in einer Straßburger Zeitung eine sympathische Notiz, die bei den guten Verbindungen der Mainzer Jakobiner auch aus dem Gefängnis heraus nach Frankreich und besonders ins Elasss sicher mehr als eine Anekdote darstellen möchte:

Nachrichten aus dem Gefängisse von Königstein.

[…] Vom 2. Jun. […] Gestern hatten wir eine sehr rührende Szene: ein alter Bauer kam mit vieler Schwierigkeit auf die Festung und bat flehentlich, den Blau einmal zu sehen. Der Korporal ließ sich bewegen, ihn vor sein jetzt verschlossenes Zimmer zu führen, und öffnete die kleine Klappe, durch welche ihm das Essen hineingeschoben wird. Der Bauer kniete davor nieder und bat ihn, nur seine Hand berühren zu lassen. Er hat hierauf Blau gefragt, ob er ihn nicht mehr kenne; er sei der Vater des jungen Menschen, den er [Blau] von der gewaltsamen Anwerbung zur Schanzgrabenarbeit gerettet habe. Der Mann war weither gekommen und bot Blau sein weniges bei sich habendes Geld an. Dieser Zug väterlicher Dankbarkeit gegen den unglücklichen, verachteten Wohltäter ist so edel, dass er aufbewahrt zu werden verdient; solcher Waffen muss man sich bedienen, um die Sache zu empfehlen, für die man streitet.[1]

Warum gerade der Theologe Blau so sehr gewalttätigen Hass auf sich zog, ist nicht ersichtlich. Zum Teil mag Blaus exponierte Stellung in der ersten Reihe des Häftlingszuges einiges verschärft haben. Blau musste vermutlich deshalb die bestialische Behandlung aushalten, weil er Geistlicher gewesen war. Die Trennung von der herrschenden Orthodoxie brachte die Untertanenseele zum Kochen. Immerhin durften die Frömmler glauben, das Quälen eines für ketzerisch gehaltenen Theologen sei eine Gott wohlgefällige Handlung.

In Königstein schrieb Blau in Anlehung an Kant ein weiteres religionskritisches Werk. Seine Haftbriefe sind bis heute verstreut und nicht veröffentlicht. Nur Mulot wies in seiner Trauerrede auf diesen Schatz hin, der zum größten Teil unwiederbringlich verloren sein dürfte. Einer der Briefe aus der Königsteiner Haft wurde aufgefangen und blieb deshalb erhalten. Er trug die Adresse: „Dem fränkischen Bürger und Geisel Heimberger zu Erfurt“:

Ich bin lieber Freund, von Ihrer ganzen Geschichte[2] unterrichtet und habe vielleicht etwas zu der Beruhigung der Ihrigen beizutragen. Nun wird Ihr H Vater es wohl auch auf sich nehmen, dieselbigen Trostgründe meiner Mutter beizubringen. Das, Freund, war meine vorzüglichste Bedenklichkeit, über die ich zuvor mit mir selbst einig werden musste, ehe ich mich für Frankreich erklären konnte. Da ich aber sonst ihren Mut kenne und hoffen konnte, dass sie soviel Zutrauen auf mich noch setzen würde, dass ich mit meinem Vaterlande nicht auch Religion (dies ist eigentlich der Punkt, weswegen sie mich oft vorher bitten ließ, nicht nach Frankreich zu gehen) verlassen würde, so nahm ich weiter keine Rücksichten mehr auf mich; und ich gestehe Ihnen, dass ich mich sehr leicht von Menschen trennen kann, die ich vorher durchaus verkannte und die ich mir auf meiner Stube immer besser dachte, als ich es späterhin erfuhr. Den wenigen bessern Menschen, denen unser Schritt darum anstößig scheinen könnte, weil er aus dem Arreste geschieht und einer strafähnlichen Selbstverbannung gleichsieht, wird es schon Mittel geben, die wahre Lage der Sachen zu entdecken. Sie waren in Ihrer Gefangenschaft doch immer noch, wie ich höre, besser daran als wir Geistlichen hier. Man ließ von Seite des Kabinetts einen Jurisdiktionskonflikt zwischen Regierung und Vikariat[3] eintreten, der uns bisher alle Gerechtigkeitspflege unmöglich machte und uns der willkürlichen Behandlung preisgab. Dem vikariat blieb die Gewalt bloß über unsere Gewissen, deren es sich auch in vollem Maße bediente, indem es den von den geistlichen abgelegten Eid als ein grobes Verbrechen wider Kirche und Staat erklärte und zugleich einen feierlichen Widerruf dieser groben Sünde, der von der Kanzel abgelesen werden sollte, zur Bedingung der Absolution machte. So sehr konnte ich meinen Charakter bisher nicht verderben, dass ich mir wider mein Gewissen ein Verbrechen wider Kirche oder Staat aufgebürdet hätte – doch hiervon mehr mündlich. Übrigens hat das Übel in der Welt doch manches Gute zur Folge, da ich sonst innerliche und äußerliche Ruhe genoss, so konnte ich meine Gesundheit befestigen. Ich hatte Musse und, wenn ich die Anzahl der Arrestanten in meinem Zimmer nicht so groß war, auch Gelegenheit zu lesen. Ich verschaffte mir mehrere gute philosophische Bücher, studierte Kants Religionslehre und schrieb und dachte mir manches, was ich für das Publikum nützlich halte.

Man hat uns oft schon vorgespiegelt, als würden wir nach Erfurt gebracht werden. Es war uns allen recht. Doch jetzt mag die Reihe zuerst an Sie kommen, zu uns zu reisen. Ich habe Ihre Grüße den hiesigen Mitbürgern ausgerichtet, sie erwidern sie alle brüderlich.[4]

Dieser Brief beleuchtet die seelische Verfassung des Gefangenen. Soll Blau sich für die Emigration nach Frankreich entscheiden? Auch dort will er sich seine Religiosität bewahren, also sich nicht der Entchristianisierung anschließen, wie sie in Frankreich 1793/94 von den Sansculotten vorangetrieben wurde, die sich nicht zu Robespierre bekannten.

Nach Mulot war Blau »mit sieben Unglücksgefährten noch in ein Zimmer von 16 Schuh Länge und 12 Schuhe Breite eingesperrt« [5]. Das entsprach rund 4,80 m auf 3,60 m, also rund 17,3 m2. Pro Person knapp 2,5 m2.

Endlich am 12. Februar 1795, schlug die Stunde der Befreiung. Neeb sagte dazu vor dem offenen Sarg, an Blaus Selbstlosigkeit und Herzensgüte im Gefängnis anknüpfend:

So eine Festigkeit, so eine Ruhe, so einen hellen Himmel in der Seele bei dem Wüten des Sturmes mögen wenige kosten. Er [Blau] stand da, unbewegt beim Ungewitter, wie die Berge Gottes. Sie zogen endlich vorbei, die Donnerwolken. Blau wurde aus seinem Kerker erlöst, lebte einige Jahre in Paris als Beamter des Staates und als Schriftsteller.[6]

Die Königsteiner Gefangenen wurden nach Mombach bei Mainz gebracht und gegen französische Geiseln ausgetauscht. Ohne eine Geiselnahme durch die Franzosen hätten die Mainzer Demokraten noch lange in Haft bleiben müssen, sicherlich ohne jeden Prozeß, wie bisher. In Paris fand Blau, dank seiner guten Verbindungen zu führenden französischen Republikanern seit der Mainzer Revolution, verschiedene Arbeiten, um sich recht und schlecht durchzubringen. Mal war er angestellt als Sekretär im Justizministerium; mal in einem Depot, in dem die Bibliotheken und Kunstgegenstände aus den eroberten Gebieten gesammelt wurden; ein halbes Jahr lang in einer Commission de l’imstruction publique, einem Regierungsorgan für die bildungspolitik. Zeitweise redigierte er zusammen mit drei anderen »réfugiés mayencais«[7], mit Georg Wilhelm Böhmer (1761-1819), Anton Joseph Dorsch (1758-1819) und Johann Georg Nimis, die erste deutsche Zeitung im Paris der Revolutionszeit, den »Pariser Zuschauer«. Gut ging es Blau dennoch nicht. Davon zeugen seine Unterstützungsgesuche an das Direktorium[8].

Aus Blaus Pariser Zeit besitzen wir einen der seltenen Emigrationsbriefe deutscher Jakobiner, gerichtet an den dänischen Kirchenhistoriker Münter. In den vom 28. Mai 1796 datierten Schreiben gibt Blau ausführlich Rechenschaft über sein Leben in und seit der Mainzer Revolution:

Die Zeit meiner bürgerlichen Nichtigkeit war nicht alleine eine Zeit der Prüfung für mich, sondern auch der Schätzung meiner Freunde. Sie teurer Mann, verloren das Zutrauen auf mich nicht, obschon man in Deutschland meinen guten Namen so sehr misshandelte. Ich bin Ihnen dafür Dank schuldig, und mein Herz sagt mir, dass ich sie dafür lieben muss.

Ich glaube aber, dass ich Ihnen auch Rechenschaft über mein Schicksal, über die Gründe und Folgen desselben geben müsse, damit Sie wissen, wessen Freund Sie sind.

Bei der Einnahme von Mainz durch die Franzosen erhielt ich durch die Empfehlung meines alten Freundes  Dorsch, welcher ein Jahr vorher nach Frankreich ausgewandert war, eine Stelle bei der Administration, welche sie zu Mainz errichteten. Ich suchte meine Schuldigkeit zu tun, kam aber notwendig mit den Privilegien und Jurisdiktionen der katholischen Geistlichkeit in manche Kollision, wodurch ich denn den Hass derselben auf mich laden musste. Genug nach dem sich Mainz wieder an die Deutschen ergeben hat, war es das größte Verbrechen, in fränkischen Diensten gewesen zu sein; man behandelte uns von Seiten der Mainzer Regierung als Landesverräter, als Leute, welche die Revolution in Mainz gemacht, die Stadt übergeben und den Kurfürsten mit seinem Anhang verjagt hätten, statt dass dieser uns und unsre Stadt den Franken und ihren Gesetzen durch eine feierliche Kapitulation übergeben hatte. Ich schmachtete hierauf 22 Monate lang im Gefängnisse; die Regierung welche uns bisher willkürlich und ohne alle Rücksicht auf Gesetze behandelt hatte, sah wohl ein, dass sie sich am besten aus der Sache ziehen könnte, wenn sie unser ohne Urteil loswürde; sie machte uns daher den Vorschlag, ob wir nicht, da wir gegen die Mainzer Geiseln, welche die Franken losließen, von letztern reklamiert wurden, nach Frankreich auswandern wollten? Wir ergriffen dies Mittel um frei zu werden.

Ich bin nun 14 Monate hier; war sechs Monate lang bei der Commission de l’instruction publique angestellt; und gebe mich jetzt, seitdem diese Commission aufgehoben worden ist, mit noch einigen andern Mainzern mit der Herausgabe einer deutschen Zeitung, worauf sich das Gouvernement zu einigen 1000 Exemplaren abonniert hat, ab und erwarte den Ausgang der Dinge und das Los meines Vaterlandes, um einen Entschluss für die Zukunft zu ergreifen. Es ist immer unangenehm, in einem Interimistischen Zustande zu leben.

Ich verwendete meine Zeit im Kerker dazu, um etwas über Kants Religionsbuch, welches mir eine große Revolution in der positiven Religion bewirken zu müssen scheint, zu schreiben. Es wurde, aber um ein Jahr später, zu Frankfurt gedruckt unter dem Titel: Über moralische Bildung. Auch hier setzte ich meine Gedanken über Frankreichs Religionsgesetze seit der Revolution nieder und schickte sie zum Drucke nach Straßburg, wo man aber, ob sie schon acht Monate lang in den Händen des Verlegers sind, noch nicht zu drucken angefangen hat. Ich entwickelte zuerst die allgemeine Theorie der Staatsbefugnisse in kirchlichen Sachen und machte danndie Anwendung auf die in den Epochen der drei bisher erschienenen Konstitutionen herrschenden Grundsätze.

In welchem Zustande sich jetzt das Religionswesen in Frankreich befinde, verlangen Sie zu wissen, mein Freund. In den allerelendesten.

Der Regierung ist jetzt alles daran gelegen, die inneren Unruhen zu dämpfen. Da nun fanatische Priester wirklich in allen Departementern viel Unheil und Hass gegen eine Verfassung, wodurch sie ihrer Güter, Privilegien und Einkünfte beraubt wurden und in eine gänzliche bürgerliche Unbedeutenheit herabsinken, zu stiften suchen, so bekümmert sich die Regierung nicht allein um positive Religion nicht, sondern begünstigt die Meinung, dass sie gänzlich auszurotten sei. Was das schlimmste bei der Sache ist, ist dieses, dass man nicht unter positiver und natürlicher Religion unterscheidet, sondern eine mit der andern vermischt und alle verabscheut.

Es ist zwar wahr, dass man freie Ausübung der Religion gestattet. Es wird in allen Arrondissements der Stadt Gottesdienst gehalten. Aber kein Priester von Kopf und Aufklärung stehet demselben vor. Die Versammlung bestehet größtenteils aus bejahrten Frauenzimmern. Und wie lange kann dies dauern, wenn die jetzige schon ziemlich veraltete Generation der Anhänger an positive Religion einmal ausgestorben ist? Ich sehe nicht vor, wie die künftige entstehen könnte, da kein Samen zum Unterricht ausgestreuet, keine Anstalten zur Bildung künftiger Religionslehrer getroffen sind und da alle gottesdienstliche Auslagen durch freiwillige Beiträge gemacht werden müssen. Die wenige Aufgeklärten des französischen Klerus haben sich dem geistlichen Stande entzogen. Und der größte Teil war erzdumm und bloß zu einem mechanischen Kirchenritus abgerichtet. Gregoire und einige andre tun, was sie können, um die katholische Religion mit der jetzigen bürgerlichen Verfassung zu vereinbaren; sie finden aber teils von Seiten der Regierung, welche sie hindert, eine Synode zu halten, die sie aber auch, ohne die Anzeige gemacht zu haben, halten wollten, teils und vorzüglich von den Ungeschwornen, welche sich für die ecclesia selecta[9] halten, große Hindernisse. Gregoire kenne ich persönlich, er it der beste, liebenswürdigste Mann, und so sehr er Katholik ist, so duldsam ist er doch. Er ist ein Mann von viler Erudition[10], aber immer ein guter Katholik., der fest an die Unfehlbarkeit der Kirche glaubt und an dem Zeremoniell seiner Kirche hängt, wie sein zweiter Hirtenbrief beweist. Ich meine, nur derjenige, der selbst nicht an die Unfehlbarkeit der Kirche glaubt, könne ein guter Reformator der katholischen Religion sein; vielleicht ist dies ein Widerspruch. Aber dann will ich lieber sagen, dass sich die katholische Religion, wenn sie nicht von Priestern, die alle recht moralisch gut und aufgeklärt sind, auf eine Republik, wie die jetzige von Frankreich ist, gar nicht wenigstens nicht als beherrschende, passe. Solange der römische Despotismus noch auf die Anhänger der römisch-katholischen Religion drückt, scheint mir die Ausübung derselben in einem so großen Staate, wie Frankreich ist, äußerst gefährlich. Die Römer mit ihren abscheulichen Grundsätzen und ihren Kirchenstolze sind selbst schuld daran, dass man ihre Religion verabscheuen muss. Ich kann es der fränkischen Regierung nicht verübeln, wenn sie keine papistische Religion begünstigt.

Aber auf der anderen Seite bin ich überzeugt, dass der Staat doch für den Unterricht und die Ausübung der moralischen Religion (ich meine die auf Moral gegründete Vernunftreligion) zu sorgen habe; wie dieses bewerkstelligt werden könnte, darüber habe ich meine Gedanken in der Schrift, die zu Straßburg gedruckt werden soll, weitläufiger geäußert.

Ich hoffe, dass man in Frankreich darauf zurückkommen wird, wenn einmal die Ruhe hergestellt sein wird und die Aufmerksamkeit der Gesetzgeber sich auf innre Staatsverbesserung mit mehr Muse lenken kann. Man wird einsehen, dass ohne Religion keine Sittlichkeit unter Menschen bestehen könne und dass der Staat das Recht und die Pflicht habe, Anstalten zur Fortpflanzung der moralischen Religion zu treffen.

Seit meiner Einkerkerung und meines Hierseins ist mir die deutsche Literatur ganz fremde geworden. Ich kenn Ihr Statutenbuch der Tempelherren nicht. Das tat mir so leid, dass ich von meinen Studien getrennt wurde. Hier fand ich bei mmeinem Freunde Dorsch, der Sie herzlich grüßt, deutsche Bücher. Cramer ist mir bekannt, er ist aber jetzt in Deutschland. Thaddaeus war in Frankreich missvergnügt, er ist nicht dazu gemacht, so viele Stöße auszuhalten, und an ein ruhiges Mönchsleben gewöhnt, kehrte er in sein Kloster zurück und ist Professor in Bamberg. Ich habe ihn hier einige Male gesprochen. Er hat immer sich den Weg mit seinen Ordensbrüdern in Deutschland, die ihn schützten, offengehalten.

Ich, Freund, muss auf die Vergnügen, zu denen ich Ihnen herzlich glückwünsche, Verzicht tun. Glücksumstände, schwache Gesundheit, ein schon vorgerücktes Alter machen es mir unmöglich, ein Weib glücklich zu machen; und ohne den Gedanken, dass ein Weib auch durch mich glücklich sei, kann ich mir diesen Stand nicht beseligend denken.

Das Zeitungsschreiben, das ich jetzt treibe, ist nur ein Mittel, mein Brot zu gewinnen, ich wünschte, meinen Anhang zu solideren Studien mit dem letzten Zwecke vereinbaren zu können. Unsere Zeitung findet auswärts wegen der Zerrüttung der Posten an den Grenzen der Republik fast gar keinen Absatz.

Ich kenne den dänischen Legationsprediger, durch welchen Sie diesen Brief erhalten. Vielleicht könnte auf denselben Wege unser Briefwechsel erleichtert werden und ganz sicher gehen.[11]

Am Ende des Jahres 1797 gelang das linksrheinische deutsche Territorium, darunter das Gebiet um Mainz, wieder an die französische Republik. Blau kehrte todkrank zurück. Er verzichtet auf jegliche Maßnahme gegen diejenigen, die durch ihre Quälereien seiner Gesundheit den letzten Stoß gegeben hatten[12]. Am 19. Februar 1798 wurde Blau zum Richter in Mainz ernannt – eine Verlegenheitslösung – am 1. November zum Bibliothekar an der neuen Zentralschule. Machtlos mussten seine Freunde zusehen, wie sein Leben zu verlöschen begann. Schon zur Eröffnungsfeier der Hochschule drei Wochen nach der Ernennung, konnte Blau nur in eine Sänfte gelangen.

Neeb, bald danach bis zu seinen Tod (1843) volle vier Jahrzehnte lang, Landwirt bei Mainz, geachtet als »der Weise von Niedersaulheim« empfand in seiner Trauerrede Blaus geduldige Erwartung des Todes als Offenbarung, bemerkenswerterweise als Offenbarung einer Frau:

Meine Brüder, es ist etwas sehr zweideutiges um die menschliche Tugend, solange sie auf dem Wege des Glückes wandelt, aber wann sie verlassen von allen Lieben und Werten sich an sich hält, mit der Bosheit kämpft und siegend durch Selbsttätigkeit sich zu jeder Höhe schwingt, wo ihr alles außer ihr klein und verächtlich erscheint, wann sie, sich immer gleich, beim Wechsel des Sturmes und des Sonnenscheins unaufhaltbar das höchste Interesse der Menschheit verfolgt, nur dann dürfen wir glauben, die Tochter des Himmels habe sich in Fleisch und Blut geoffenbaret. Unser moralisches Gefühl nimmt eine religiöse Stimmung an; ein heiliger Schauer verkündet uns die Nähe der Gottheit, und die Ahnung göttlicher Ankunft ermuntert uns zu göttlichen Taten. Die Laufbahn unseres Freundes war kurz, sein Lauf schnell und der Krone wert.[13]

Neeb ließ den Vernunftkult der Revolutionszeit anklingen. Die Trauernden hielten sich an einen Unsterblichkeitsglauben, allerdings an einen rationalen. So sprach der junge Dichter Friedrich Lehne (1771-1836) stellvertretend für die Studentengeneration, die sich vom Hörsaal weg in die Revolution gestürzt hatte, den Toten an:

Der erhabene Geist, dessen Dasein wir ahnden, nahm deine reine Seele zurück; die Mutter Erde fordert ihre verwelkte Hülle, und auch diesen heiligen Rest können wir nicht vorenthalten. Bald bist du ganz für uns verloren.

Aber nein! Du bleibst unter uns, du lebst, denn der Tugendhafte stirbt ja nicht, lebst in der Brust deiner Freunde, in dem Andenken aller guten Menschen, in dem Danke der Nachwelt.

Wir trauern nicht um dich; um uns trauern wir, um die Menschheit trauern wir, um das Vaterland trauern wir; denn uns war dein sanftes Herz, ihr waren alle Kräfte deines Geistes, ihm deine Standhaftigkeit in Gefahren und Verfolgung, deine weisen Lehren, dein Beispiel gewidmet. Wie ein lenkender Genius soll künftig dieses sokratische Beispiel vor uns herwandeln; wenn der Sturm der Leidenschaften unsre Vernunft betäubt, soll er uns zuflüstern: wie würde Blau gehandelt haben? Und sie wird erwachen.[14]

Prosaischer, aber keineswegs weniger eindringlich, endete die Rede des Arztes Georg Wedekind. Blau litt schon lange an Lungentuberkulose. Im Sommer 1792, kurz vor der Mainzer Revolution, kam eine Lungenentzündung hinzu. Die Misshandlungen beim Gefangenentransport und die Haft brachten die Tuberkulose zum Ausbruch, was Wedekind gleich nach Blaus Freilassung in Straßburg 1795 diagnostizieren musste. Einen Monat vor dem Tod befiel erneut eine Lungenentzündung den Geschwächten. Wedekind schloss mit dem Befund der Obduktion:

Bei der Eröffnung des toten Körpers fand man alles was in der Brust beweglicher Knorpel sein soll, in feste Knochensubstanz verändert, die Lungen waren genau mit dem Brustfell verwachsen, der Herzbeutel und die inneren Brusthöhlungen waren voll Wasser, die Lungenbläschen aber teils mit einer dicken (käsigen) Substanz ausgestopft, welche mehreren Lungenentzündungen zugeschrieben werden kann und vielleicht zu seiner Engbrüstigkeit noch mehr beitrug als die verknöcherten Rippenknorpel.[15]

Der 22jährige Joseph Görres (1776-1848), damals noch auf der Seite der revolutionären Demokratie, schrieb im »Rübezahl« einen schönen Nachruf. Am nächsten Fest der Erkenntlichkeit, am 10. Prairial VII (29. Mai 1799), fand im Mainzer Dekadentempel eine Feier statt. Dabei wurde Blaus Büste aufgestellt, mit einem Lorbeerkranz geschmückt und Blau als ein republikanisches Vorbild ausgerufen.

Um diese Zeit trug Lehne für die Freunde der gestorbenen Mainzer Demokraten Adam Lux (1765-93), Georg Forster (1754-94) und Blau die Idee vor, ein Denkmal für diese Toten der Revolutionszeit zu schaffen. Ein schüchterner Ansatz eines revolutionären bürgerlichen Denkmalkultes, der den Nachgeborenen die Zäsur eines neuen Zeitalters veranschaulichen sollte.

Es ist nicht so gleichgültig, als vielleicht manche wähnen, ob ein Stein uns das Grab eines Edlen zeigt und dem Wanderer seine Verdienste ins Gedächnis ruft, nein! Jedes Denkmal eines verdienstvollen Mannes ist ein Altar der Tugend, an dem der Jüngling sich zu schönen Taten begeistert und bei dem der ehrwürdige Greis mit frohen Bewusstsein von der mühsam erstiegenen Höhe hinabsieht und die wohltätige Leitung segnet, der er gefolgt ist. Ich stand an den Grabmälern von Tyrannen und konnte mich des Lachens nicht enthalten über den bronzenen Genius der vergoldete Tränen weinte, aber mit heiligem Schauer trat ich auf die Schwelle der armseligen Hütte, über deren Eingang ich las: „Hier wurde Rousseau geboren.“

Woher diese widersprechende Empfindung, wenn nicht ein unwiderstehlicher Zauber so mächtig uns zur Verehrung echten Verdienstes hinzieht, dass selbst der leblose Gegenstand uns heilig wird, der uns an es erinnert? […]

Welche Belohnungen hätten ihrer [Lux, Forster und Blau] gewartet, wenn sie diesen Mut, diese Tätigkeit, diese Talente den Feinden der Menschheit hätten widmen wollen! Überfluss- und jene schnöden Huldigungen niederer Seelen, die zu benennen, diese dass erhabene Wort Ehre entweihen, würden sie in den wollüstigen Taumel eingewiegt haben, in dem so viele, denen die Natur nicht weniger Fähigkeit zum Guten und Edlen verlieh, ihrer Würde und ihrer heiligsten Pflichten vergessen. Aber ferne war von ihnen der Gedanke dieser Erniedrigung, Statt der vorteilhaften Gunst, statt dem Golde der Könige, wählten sie Kerker, Verbannung und Tod; statt der Anbetungen ihrer Knechte die Teilnahme und Achtung der Freunde der Wahrheit und Freiheit.[16]

Der Ort für dieses Denkmal sollte Blaus Grab sein. Der Plan scheint nie durchgeführt worden zu sein. In Mainz kann es dann so, wie es Lehne als Ausfluss einer zuerst noch abgewehrten reaktionären Politik befürchtet hatte:

Der Fremdling, der ihr Grab oder den Stein sucht, den ihr Name heiligt, soll vergebens in dem Lande umherblicken, für das sie so viel gelitten haben, keine Spur ihres Andenkens entdecken und mit Unwillen ausrufen: »Ist auch hier Vergessenheit der Lohn des Verdienstes, befleckt auch hier eigennütziger Undank selbst die Freunde solcher Männer?« [17]

Im Januar 1799 erfolgte die Versteigerung von Blaus Bibliothek – immerhin 600 Bände -, die niemand zusammenhalten wollte. Den größten Teil der Aufklärungsliteratur erwarb Neeb. Heimberger erhielt den Zuschlag für Blaus Schreibtisch und Schreibpult.

Die verblassende Erinnerung an den sympathischen revolutionären Theologen und Philosophen Blau suchte der katholische Historiker und spätere Mainzer Bischof Heinrich Brück (1831-1903) mit Gehässigkeit und Geschichtsklitterung ins Gegenteil zu wenden. 1865 verunglimpfte er Blau als einen auch in sittlichen Wandel verkommenen Menschen[18]. Natürlich ohne die geringste Spur einer Beweisführung.

Der Mainzer Revolutionär Blau ist seit langem vergessen, wie fast die gesamte deutsche Demokratenbewegung des letzten Jahrzehnts vor 1800. Was Neeb für seine Rede beanspruchte, mag auch für unsere Vergegenwärtigung gelten: „ein einfacher, schmuckloser Blumenkranz auf Blaus Totenhügel.[19]


[1] »Straßburger Kurier«, 138. Stück, 10. Juni 1793, S. 551
[2] Gemeint sein dürfte wohl die Verhaftung in Mainz und der Transport nach Erfurt
[3] Geistliche Oberbehörde
[4] Würzburg, Staatsarchiv, MRA V 242 Bl. 4-5, abgedruckt bei Mathy S. 17f
[5] Beerdigung, S. 21
[6] Beerdigung, S. 42
[7] Mainzer Flüchtlingen
[8] Paris, Archives Nationales F 15 3507
[9] Auserwählte Kirche
[10] Gelehrsamkeit
[11] Münter, S. 47-50
[12] Siehe die Augenzeugenschilderung von Rebman S. 9
[13] Beerdigung, S. 44f
[14] Beerdigung, S. 68f
[15] Beerdigung, S. 60
[16] Lehne, S. 1-3
[17] Lehne, S. 3
[18] Mathy, S. 28
[19] Beerdigung, S. 30

 


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