Aufklärung und Revolutionsbegeisterung
von Dr. Jörg Schweigard
Einträge nach 1789
Mit Ausbruch der Revolution forderten die Studenten vehementer die politische Freiheit.
Neben den Freiheitsbezeugungen gab es nun noch eindeutigere politische Einträge. So datierten etwa die Studenten nach dem Revolutionskalender. Der Student Kauschinger beispielsweise bekannte sich durch die Datierung „Mainz 10. August im 2ten Jahr der F[ranzösischen] Freiheit 1791“ deutlich zu revolutionären Prinzipien: In Frankreich wurde seit dem 14. Juli 1790 nach Jahren der Freiheit gezählt.
Natürlich wurde auch die Religion thematisiert. Kritik an politischer Gewalt und religiösem Zwang übte der Student Hans Peter Wolf im April 1791, indem er das Beispiel der von Karl dem Großen gewaltvoll missionierten Sachsen bemühte: »Kaiser Domitian schlug Fliegen tot, darüber lacht die ganze Welt. Aber dass Kaiser Carl Menschen tot schlug wie Fliegen, weil sie nicht beten wollten, darüber lacht niemand, und es ist doch [–] bei Gott! [–] sehr lächerlich.«
Der Theologiestudent Johann Daum trug sich am 18. April 1791 mit einem Zitat aus Kants »Kritik der praktischen Vernunft« (1788) in ein Stammbuch ein: »Vor einem Vornehmen bücke ich mich, aber mein Geist bückt sich nicht.« Als ein Anhänger der Revolution nahm Daum seinen Eintrag offenbar sehr ernst, denn acht Monate später verließ er Mainz in Richtung Straßburg.
Im politisch brisanten Jahr 1792 häuften sich die politischen Einträge der Studenten.
Der Eintrag des späteren Jakobiners Franz Falciola datiert vom 12. Februar 1792, rund acht Monate, bevor die Franzosen in Mainz einzogen. Darin deutete er unter Berufung auf die Menschenrechte an, was sich kurze Zeit später im Jakobinerklub manifestierte, nämlich der Zusammenschluss Gleichgesinnter mit dem Ziel, eine Massenbewegung für die französischen Ideale zu gewinnen:
„Freiheit besteht im Bewusstsein und Genuss seiner Vorrechte. Freund! Wie vieles ließe sich tun.– Wenn einer will und nur zwei von der Möglichkeit seiner Absichten überzeugt, wenn jeder sich verdoppelt und so von Zahl zu Zahl den Kreis seiner Freunde mehrt, so lässt sich berechnen, zu welcher Summe von Einverstandenen sich fortschreiten, zu welcher Ausführung sich Kräfte sammeln lassen.“
Der Student und spätere Jakobiner Carl Anton Zumbach trug sich am 20. März 1792 mit einem Montesquieu-Zitat in ein Stammbuch ein: »Es gibt irgendwo ein[en] Zauberer, der macht die Leute glauben, dass 3 nur 2 ist, und dass das Brot, welches man isst, kein Brot sei etc.« Wies der Eintrag schon auf eine kritische Haltung hin, so war die ergänzende damals geläufige Revolutionsparole »Freedom or Death!«, »Freiheit oder Tod!«, eindeutig.
Mit Beginn der Mainzer Republik wurden die Einträge nicht wesentlich politischer, wie man dies unter dem Vorzeichen der neuen Freiheiten hätte meinen können. Allerdings konnten sich politisch Ambitionierte nun auch öffentlich, in Reden oder Zeitungsartikeln artikulieren. So datierten die Studenten nun in den Stammbüchern nach dem republikanischen Kalender oder nannten sich »Neufranken« oder »Patrioten« und fühlten sich schon ganz zur französischen Nation gehörig.