Eulogius Schneider's ehemaligen Professors in Bonn etc. Schicksale in Frankreich.

von Christoph Friedrich Cotta

47.

Tassin erschoß sich noch vor Schneiders Tode im sogenannten Hanauischen Hofe, wo er zu Strasburg gefangen saß. Wolf  ward im September zu Paris in Freiheit gesetzt, Clavel kurz nach ihm auch. Allein beide wurden in diesem Jahre aufs Neue gefangen genommen, und was ihr endliches Schicksal seyn mag, werden wir vielleicht noch erfahren. Sie sitzen beide zu Strasburg gefangen.

Bald nach Schneiders Abreise von Strasburg nach Paris warf man auch seine unglückliche Schwester als eine Fremde ins Gefängnis, woraus nicht eher bis nach dem neunten Thermidor Erlösung für sie zu erwarten war. Ihr Zustand im Elsasse ist sehr bedaurungswürdig, da man ihr sogar ihr eigenes weniges Eigenthum an Kleidern nicht einmal mehr zurückgab, und sie sich ohnehin schon in sehr großer Dürftigkeit und mitten unter einem Haufen ihr fremder und um ihres Bruders willen sie bessender Menschen befindet.

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Ich führe zum Schlusse die Erzählung der Geschichte der Gefangennehmung aus der Feder eines andern noch an, nämlich aus dem Argos, wo der Verfasser desselben über den ganzen Vorfall so schreibt:

Geständniß eines ruhigen, reinen Herzens, das nicht fürchtet und nichts hofft.

Am 23sten Frimaire, Mittags um 1 Uhr, kam Bürger Schneider von Barr zurück, wo er in Revolutionsgeschäften gewesen war. Er hatte seine Pflicht als öffentlicher Beamter gethan, und die Feinde des Vaterlands nach dem Gesetze bestraft. Seine Pflicht als Bürger war ihm eben so heilig; er verband sich mit einem braven rechtschaffenen Mädchen. Wohin er kam, ward die Nachricht mit Freude angehört. Jedermann sah die sanften unschuldigen Gesichtszüge des Mädchens mit Entzücken, jeder Patriot freute sich über die Wahl. Schneider hätten sansculottisch genug gedacht, um zu Fuße nach Strasburg zu gehen; allein das schlechte Wetter und seine Gesellschaft, welche theils aus Bürgern, die zum Revolutionsgericht gehörten, theils aus seiner Braut und ihren Verwandten bestanden, vermochten ihn, einen Wagen zu nehmen, wozu er ohnehin das Recht als öffentlicher Beamter und als Bürger hatte. Acht Personen in einem Postwagen, bei schlechten Wegen, erfordern nach dem Postreglement nie weniger als sechs Pferde. Unterwegs schlossen sich Nationalreuter freiwillig an seinen Wagen, nicht um ihn zu schützen, nein, sondern um ihn als einen Hochzeiter nach Landesgebrauch zu ehren. Sie waren nicht requirirt; ihr Herz wollte dem Manne eine Freude machen, den es lieben und schätzen gelernt hatte. Man fuhr in Strasburg ein; die Wache trat ins Gewehr, als sie das Detachement Reuter erblickte, diese zogen ihre Säbel, um, wie sichs gebührte, die Wache zu salutiren. Ob sie die Säbel schon vorher gezogen hatten, weiß ich nicht; daß sie solche, nachdem sie die Wache vorbei waren nicht wieder einsteckten, war höchst wahrscheinlich eine Ctourderie. Hat Schneider ihnen befohlen, ihn mit solchem Pomp zu umgeben; so ist er ein Verbrecher und muß gestraft werden.

Schneider trat mit dem heitern Gesichte eines Mannes, der seine Pflicht gethan zu haben glaubt, in sein Wohnzimmer, und fieng seine häuslichen Geschäfte damit an, seine gute, rechtschaffene, sittsame Schwester zu überzeugen, daß er sie um nichts desto weniger liebe und schätze, obgleich er ihr seine Verbindung mit der Bürgerin Stamm erst gemeldet habe, nachdem sie schon geschehen war. Einfachdenkende sansculottische Seelen sind bald ausgesöhnt, wenn Mißverständnisse sie getrennt zu haben scheinen. Man setzte sich zu Tische: lauter heitere Gesichter, lauter reine Herzen; denn habe ich mich hier betrogen, so habe ich ein gegründetes Recht, ein Verächter, ein unversöhnlicher Feind alles dessen zu seyn, was Mensch heißt und Menschen ähnlich sieht. Das Wohl der Republik war, wie gewöhnlich, der Gegenstand des Tischgespräches; es ward aufgeheitert durch Scherze, die nur in dem Munde der Rechtschaffenen gefallen, die nur in dem Herzen der Guten geboren werden können. Habe ich mich hier betrogen, so will ich inskünftige alles, was Mensch heißt, und Mensch heißt, und Menschen ähnlich sieht, verabscheuen und verfluchen.

- Meine Geschäfte riefen mich endlich an meinen Posten[1]; heiter und froh verließ ich ein Haus, wo ich sanfte, liebenswürdiges Menschengefühl, neben der kraftvollen Anhänglichkeit an das Wohl der Frankenrepublik, gefunden hatte. Noch auf der Treppe sprach ich mit innigster Rührung die erhaben Strophe der Marseiller Hymne:

Amour facré de la patrie &c. &c.

Wer hierüber lachen will, thue es nach herzenslust. Ich bin ein armer, ehrlicher, einfältiger Sansculotte, der stolz darauf ist, gegen sich selbst nicht weniger gerecht zu seyn, als gegen alle seine Mitbrüder.

- Mit Thränen in den Augen schreibe ich:

Habe mich heute an der Menschheit betrogen, so habe ich mich immer daran betragen, so will ich mich immer daran betriegen; so will ch Barbar und Antropophag werden, und mein Stolz soll seyn, alles, was Mensch heißt, und Menschen ähnlich sieht,, als das niederträchtigste und heuchlerischeste, schändlichste Gewürme zu hassen, zu verabscheuen, zu verfluchen.

Meine Geschäfte auf dem Gemeindehause waren geendigt; ich gieng in die Volksgesellschaft. Was hier vorfiel, zeigt der Verbalprozeß der Sitzung: ich sah persönlichen Haß und Bitterkeit, wo ich nichts als brennende Liebe für die Republik, für die Menschheit erwartete, und so oft schon gefunden hatte. Doch brüder können sich irren; aber Brüder söhnen sich auch wieder aus, und ihre große Vermittlerin ist das Vaterland.

Abend und Nacht giengen hin; am Morgen um neun Uhr erschien ich im Corps Municipal, um meine Pflicht zu thun. Man sagte mir: Schneider ist arretirt; mein Puls schlug nicht höher und heftiger; denn ich war unerschütterlich überzeugt, daß Millionen Arrestionen einen wirklich rechtschaffenene Manne nicht das geringste von seinem innern Werthe rauben können. Gold bleibt Gold, ihr mögt es n Perlen oder Auskehrigt begraben. Ich folgte dem Gange der Geschäfte, als ich folgendes Billet erhielt:

Bruder; komme doch auf der Stelle zu der Schwester von Schneider, sie ist in einem betrübten Zustande.

Weiß.

Es war gegen ein Uhr; ich verließ das Gemeindehaus, und wollte zu der E. chneider gehen. Unterwegs traf ich ein paar wackere Männer mit starrem Blick und Thränen in den Augen. Sie sagten mir, Schneider steht an der Guillotine! – ich reiße mich los, und eile hin zum Paradeplatz entschlossen, mich durch das volk zu drängen und neben ihn zu stellen; denn mein Herz sagte mir: Ist Schneider ein Verbrecher, so ist dir die ganze Menschheit verächtlich, so stirb, stirb! – Man hielt mich zurück, ich besann mich, daß ein solcher Schritt vielleicht mehr Böses als Gutes stiften könne, und eilte hin zur Wohnung meines unglücklicen Freundes. Hier fand ich seine Schwester in fürchterlichen Convulsionen an der Erde liegend, und einige Schritte weiter die arme unschuldige Braut meines Freundes in Ohnmacht auf einem Bette.

Mein erstes Gefühl bei dieser erschütternden Scene war männliches Mitleid, eine Thräne, die im Auge erstarb; das nächstliegende der Ruf meines Herzens: Es lebe die Republik. – Ich fragte nach dem Ursachen der Verurtheilung meines Freundes; niemand kannte sie. Man gab mir einen Brief, den er aus dem Gefängniße geschrieben hatte; hier ist er, ein Abdruck einer reinen rechtschaffenen Seele:

Den 24sten Frimäre aus dem Gefängnisse.

Liebe Schwester und liebe Freundinnen.

Fasset euch! Die Unschuld muß siegen. Ich bin ganz ruhig und habe gut geschlafen. Sei so gut, mit Daum mich diesen Morgen noch zu besuchen; ich brauche verschiedene Sachen zu meiner Bequemlichkeit, als Kamm, Weiszeug etc. etc. etc. – Laß kein Papier verrücken[2]:denn ein rechtschaffener Mann muß alles aufweisen. Wenn du zu mir kommen willst, so mußt du nicht so verzagt thun. – Mein Weibchen, ach! das unglückliche Geschöpf, soll eingesperrt seyn? Das kann aber nicht lange dauern. Laß es ihm wissen, wie es mir geht, so bald die Wache weg ist, und ersuche es in meinem Namen, mich zu besuchen.

Dein treuer Bruder
Eulogius Schneider"

Eine Menge Anekdoten drängten sich jetzt von dem Betragen Schneider, als er aus dem Gefängnisse gerufen auf das Blutgerüste stieg. Ich will es nicht glauben, aber mehrere Augenzeugen haben mir gesagt, daß man mit teuflicher Barbarei, ja mit teuflicher Wuth, den Sack der Guillotine zurecht gelegt, und alle Anstalten getroffen habe, als solle der Gefangene hingerichtet werden.

Und doch trat dieser auf das Blutgerüste, ohne zu wissen, was mit ihm vorgehen würde. Ha! mit erschütternder Beredsamkeit sprach er: Es lebe die Republik! Ich bin noch nicht gerichtet! Wo ist mein Urtheil? – Und wie frei und heiter er um sich blickte! Ha! so blickt kein Schurke, kein Verräther, so blickt ein Mann, der stolz auf sein Gewissen ist ! –

Und habe ich mich hier geirrt, so will ich in Wüsten ziehen, und der Tag, an welchem ich ein menschliches Anlitz erblicke, soll in meiner selle wie höllisches Feuer brennen.

Endlich erhalten wir die Nachricht von dem Urtheil und nun Respect dem Gesezte! Respect dem Volksrepresentanen, die in seinem Namen reden! Hier ist das Urtheil; der Republikaner liest es, und denkt darüber nach, wie ein Mann, arum ist er Republikaner. Lebas und Saint-Just sind Montaguards(!) wenn sie jetzt neben mir ständen, so würde ich sagen: Brüder, ich denke nach über euer Urtheil, und ich bin überzeugt, sie würden antworten: Sage deine Zweifel, Bruder, wir wollen sie auflösen! denn St. Just und Lebas sind Sansculottes und Freunde der Sansculottes. Es lebe die Republik![3]

Schluß, der an die Rhein- und Moselarmee ausserordentlich abgeordneten Stellvertreter des Volks.

Die zur Rhein- und Moselarmee ausserordentlich abgesandten Representanten des Volkes, unterrichtet, daß Schneider, Ankläger bei dem Revolutionsgericht, vormals Priester und geborner Unterthan des Kaisers[4], heute in Strasburg, mit einer übermäßigen Pracht eingefahren, von sechs Pferden gezogen, von Gardisten mit blosen Säbeln umgeben.

Beschliessen: das gedachter Schneider Morgen, von zehn Uhr des Morgens bis zwei Uhr Nachmittags, auf dem Schaffot, der Guillotine dem Volk zur Schau ausgestellt werden soll, um die den Sitten der entstehenden Republik angethane Schmach abzubüssen, und soll alsdann von Brigade zu Brigade, zu dem Comitee des öffentlichen Wohls der Nationalconvention geführt werden.

Dem Kommandanten der Festung ist die Vollziehung dieses Schlusses aufgetragen und Morgen um drei Uhr Nachmittags soll er davon Bericht ablegen. –

Strasburg den 24sten Frimaire,
im 2ten Jahr der fränkische Republik.

Unterschrieben:

Lebas und St Just

 

Dem Original gleichlautend:

Der Divisionsgeneral,
Kommandant der Stasburger Division
Unterschrieben:
Diech, Anotoine Claude"

Brief von der Schwester des Eulogius Schneider an die beiden Representanten.

Strasburg, den 28sten Frim. II.

Bürger Representant! die tiefbetrübte Schwester des unglücklichen Schneiders steht vor Dir; Du bist Representant eines gerechten edlen Volkes. Ist mein Bruder unschuldig, so vertheidige ihn, es ist Deine Pflicht; ist er in Irrthümer gefallen, so unterstütze ihn, laß in nicht sinken, denn Du mußt wissen, daß seine Absichten immer gut und redlich waren; ist er ein Verbrecher, o ! so erlaube, daß ich weine, ich habe meine Pflicht als Schwester gethan, thue Du die Deinige als Republikaner; ich kann nichts als weinen, du kannst handeln. Es lebe die Republik! Es lebe die Convention!.

Marianne Schneider«



[1] Der Verfasser Namnes F.B. war damals Municipalbeamter zu Strasburg.

Der Herausg.

[2] Wer konnte das hindern, wer den Frevlern gegen das Gesetz im Betreffe dieses Punktes Einhalt thun? – Sie waren ja jetzt seine Richter! - -

Der Herausg.

[3] Nachher urtheilte der gute F.B. freilich ganz anders über diese beiden Ungeheuer Saint-Just und Lebas.

Der Herausg.

[4] Dies ist eines von den unzähligen Beispielen der französischen Unwissenheit in der Länder- und Völkerkunde Europens. l’empire heißt bei ihnen das Land, das dem Kaiser unterworfen ist. – Saint-Just und Lebas würden sichs zur Schande angerechnet haben, über ein Land, das sie ihrer Begriffe nach verächtlich und elend fanden, besser unterrichtet zu seyn.

Der Herausg.

 


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