Eleonore Prochaska an den Bruder
vom 09.08.1813.
Lieber Bruder!
Uns ist gesagt, dass wir schon in drei Tagen an den Feind kommen; es ist also vielleicht das letztemal, dass ich mit Dir, geliebter Bruder, noch eine Unterhaltung habe; ich bin zwar sehr müde, wir haben in fünf Tagen wohl an die dreißig Meilen zurückgelegt, und morgen um zwei Uhr marschieren wir schon weiter; aber trotz aller Müdigkeit will ich mich diesen Abend nur mit dem meinigen beschäftigen.
Es ist mir noch immer geglückt, ganz unerkannt zu bleiben. Kann ich nicht ein Quartier für mich allein bekommen, so ist gewöhnlich der kleine Arnold von fünfzehn Jahren mein Kamerad. Wegen meiner Stimme necken sie mich; da habe ich mich für einen Schneider ausgegeben, die können auch eine feine Stimme haben. Zu tun gibt es im Biwak auch genug, denn außer mir ist nur noch ein einziger Schneider bei der ganzen Kompanie, ein bucklicht altes Männchen, den sie nirgends als Soldat haben annehmen wollen; aber unser Hauptmann sagte: "Im Kriege sieht Gott nicht den Buckel, sondern das Herz an; wenn das nur auf dem rechten Fleck sitzt." Mit dem halte ich zusammen und nähe und wasche auch fleissig und weil ich mich auf die Küche verstehe, mögen sie mich alle gern.
Lieber guter Bruder, Du sagtest mir einmal, ich müsste Dein Herz nicht zu dem eines Weibes herabstimmen, sondern in Dir allen Mut zu erwecken suchen. Sieh, Lieber, so denke ich jetzt von Dir und habe die feste Überzeugung, dass Du, der Vater und Karoline mir nicht böse seit, und so gehe ich, durch diesen Gedanken gestärkt, voll Mut und Entschlossenheit in den Kampf. Komme ich einst glücklich wieder, dann, guter Bruder, wird meine Freude überschwenglich sein; komme ich nicht wieder zurück, dann sage ich Dir in diesem Briefe das letzte Lebewohl, dann teuerster, guter Bruder, lebe ewig, ewig wohl! Ich kann vor Tränen nichts weiter sagen, als das ich euch - noch im Tode treu und ewig mit Liebe sein werde.
Deine Dich ewig liebende Schwester
Leonore gen. August Renz
Quelle:
Privatarchiv EPOCHE NAPOLEON