Anonymer Augenzeugenbericht über die Sprengung der Augustusbrücke in Dresden

vom 19.03.1813.

Es war der 07. März 1813, als an Dresdens Horizont die militärischen Ungewitter  aufstiegen, welche sich nachher so vielfach wie fürchterlich entladen haben. Der französische General Reynier traf nämlich an jenem Tage mit seinem Generalstab daselbst ein, trat im Brühlschen Palast ab und erhielt von den Bürgern eine Ehrenwache. Den folgenden Tag schon langte ein Teil seines, nämlich des siebenten Armeekorps, nebst Artillerie-Train an und wurde teils in die Neustadt, teils auf die Dörfer des rechten Elbufers verlegt. Dazu stießen in der Residenz zwei neu eingerichtete sächsische Bataillons, bestimmt zur Ergänzung des Regiments Prinz Clemens, welches bei Kalisch ungemein tapfer sich gehalten und also viel verloren hatte.

Den 10. rückten die Truppen von den Dörfern des rechten Elbufers vollends in die Neustadt. Die Franzosen wurden auf die rechte, die Sachsen auf die linke Seite verlegt - denn die gegenseitige Stimmung war schon damals nicht die beste. - Auch die Altstadt  erhielt Franzosen und Bayern.

Durch das bisherige Demolieren der Festungswerke hatten die guten Dresdener den festen Glauben sich angeeignet, dass sie nie Belagerungsszenen erleben könnten. Wie erschraken sie deshalb,  als aus dem festen Glauben ein düsteres Schauern des Gegenteils zu werden schien, denn - die Neustadt, bisher fast aller Befestigungen entkleidet, wurde wieder verschanzt und verpalisadiert, der Zwingerwall und der Brühlsche Garten welche beide die Elbe und Brücke dominieren, mit Kanonen besetzt.

Indes lebte man dabei immer noch der frohen Hoffnung, Reynier werde, bei Annäherung eines starken russischen Korps, die schöne Residenz nicht den harten Maßregeln der Verteidigung aussetzen. Fürchterlich aber erwachte man aus dem holden Traum, als am Abend des 13. März französische Ingenieure die Elbbrücken ausmaßen.

Verschanzen oder sprengen - das drang wie ein Blitzstrahl in aller Herzen. - Kein Wunder, denn die Brücke war von jeher gleichsam das Schoßkind der Dresdner, das sie am häufigsten und liebsten besuchten, das sie mit Begeisterung jedem Fremden zeigten, denn auch gewiss kein Fremder, und wenn er alle Brücken Europas gesehen hätte, Bewunderung und Lob versagte.

Das Biblische: Unbegreiflich sind deine Gerichte, und niemand darf fragen: was machst Du? findet seine Anwendung fast immer bei militärischen Maßregeln. Diesmal wollte es nicht  verfangen in dem Herzen des Volkes, das für seinen Liebling, die Brücke, das Schlimmste befürchtete. Alles drängte sich nach dieser, zu sehen, was das Vermessen derselben bedeute - und wo nur zwei oder drei auf der Straße versammelt waren, da waren sie es im Namen der Brücke und Kummer und Verdruss mitten unter ihnen.

Der Morgen des 14. März verging ruhig. Als aber mittags um 3 Uhr ein französischer Ingenieur-Offizier im dritten Pfeiler von der Altstadt her anfangen ließ, ein Loch zu graben, da kannte die Wut des Volkes keine Grenzen mehr. Man misshandelte den Offizier, schleuderte sein Tschako und seiner Leute Schaufeln und hacken in die Elbe, unter dröhnenden Jubelgeschrei, und würde, den Offizier selbst übers Eisengeländer geworfen haben, hätte ein patrouillierendes Kürassier-Kommando es nicht verhindert.

Der Nachmittag war und blieb unruhig, denn das Volk bedrohte jeden, der die Hand an seinen Liebling, die Brücke, legen würde. - Stürmisch wurde der Abend.

Alles drängte sich nach dem stark mit Wache besetzten Brühlschen Palast, wo Reynier wohnte. Bürger-Detachements durchzogen die Straße - auf der Brücke biwakierten Franzosen - bei der katholischen Kirche hielt sächsische Kavallerie, und doch ließ das empörte Volk sich nicht abhalten, die Augustusstraße mit seinem Geschrei zu erfüllen und Steine zu werfen in die erleuchteten Fenster des Brühlschen Palastes. Erst gegen 10 Uhr, nachdem man einige der heftigsten Brückenverteidiger beim Kopf genommen hatte, schwieg der Sturm.

Den folgenden Tag wandte sich eine Deputation des Rates zuerst an die vom König während seiner Abwesenheit niedergesetzte Immediat-Kommission und durch diese an Reynier selbst mit Bitten um Schonung der Brücke, welche Letzterer nur im äußersten Notfall sprengen zu lassen versrpach.

Inzwischen wurde aber das Minieren der Brücke ernstlicher denn vorher betrieben; ja man requirierte sogar Bergleute dazu, welche bald in fünf Löchern ein- und ausfuhren, wie in Schächten des Erzgebirges. Dies geschah auf Befehl des Prinzen von Eckmühl, welcher mit seinem Korps in Dresden eintraf und Reynier im Kommando der Stadt ablöste. Die Truppen wurden nun, weil täglich Kosaken auf dem rechten Elbufer bis nahe an die Tore sich sehen ließen, meist in die Neustadt verlegt, wo manches Haus 80 bis 100 Mann erhielt. Die nahrungsmittel stiegen deshalb zu enormen Preisen. Brot war oft für kein Geld zu haben, und die Brotwagen, welche vom Land hereinkamen, wurden bestürmt von Käufern, die neben den Rädern herliefen, bittend ihr Geld emporhielten und so den Wagen schon leerten, ehe er auf dem Marktplatze anlangte.

 Die Brücke war in diesen Tagen lebhafter als je, und man konnte sie, wegen Menschendrang, nur Schritt vor Schritt passieren; denn jeder betrachtete sie als einen alten Freund, von dem man sich vielleicht bald trennen muss, welchen man deshalb noch bis auf den letzten Augenblick genießen oder benutzen will. Und doch gab es noch immer Ungläubige genug, welche alle Anstalten zum Sprengen der Brücke nur für Maske hielt. Vorzüglich schöpfte man Hoffnung, als man den Prinzen von Eckmühl mit dem Geheimrat von Manteuffel über die Brücke gehen und Letzteren im lebhaften Gespräch nach dem Turm der katholischen Kirche zeigen sah. Dies deutete man auf Vorstellungen, die gewiss fruchten würden, und so lebte man von einer Stunde zur anderen in Hoffnung.

Die Hoffnung verschwand wie ein guter Geist, als man am 18. März abends im Dunkeln noch alle Blessierten und Kranken aus Neustadt ins Zeughaus v on Altstadt schaffte, alle Lohnkutscher zum Transport der kranken Offiziere in Requisition setzte und - bekümmerte vorzüglich alle Herzen tief - die heilige Zierde der Brücke, das Kruzifix, noch im Halbdunkel, mit Lebensgefahr der Arbeiter, abnehmen und in einen Schuppen vor dem Pirmaischen Tor schaffen ließ.

Bisher waren schon eine Menge Familien den Streichvögeln gleich in friedlichere Zonen gewandert. Nun aber machte vollends in Eile zur Abreise Anstalten jeder, dem es an Geld, Freiheit und Zeit nicht gebrach, den Gräueln der Zerstörung zu entfliehen. Zu allen Toren rollten, noch spät in der Nacht, hoch aufgepackte Wagen hinaus, und wohl nur wenige konnten sie sehen oder, ängstlich in ihre Zimmer verschlossen, vorbeirollen hören, ohne den Inhabern derselben im Stillen nachzuseufzen: Ihr Glücklichen!

Die Nacht war höchst unruhig, das Militär in steter Bewegung. Alles Fuhrwesen derselben blieb angespannt auf den Straßen stehen. Bürgerpatrouillen wachten für die öffentliche Sicherheit. Der Mond schien hell. Am Saum des Waldes, jenseits der Neustadt, loderten die Wachfeuer der Russen. Einzelne Flintenschüsse in der Ferne durchhalten zuweilen die nächtliche Stille.

So brach der 19. März an - der Sterbetag der herrlichen Brücke. Rein stieg die Sonne auf über der Dresdner Heide, welche die russischen Legionen verhüllte - heiter war´s in der ganzen Natur - düster im Herzen ihrer Kinder am Gestade der Elbe.

Dem Sorgenlager - denn das war damals wohl das Bett jedes Patrioten - kaum entsprungen, sah man auch schon Ratswächter von Haus zu Haus eilen mit Zetteln des Inhalts, dass jeder auf den dritten Signalschuss zum Sprengen der Brücke in seine Behausung sich verfügen und dieselbe unter 3 Stunden nicht verlassen solle. Mündlich wurde aber in den nächsten Umgebungen der Brücke, im Schloss, Finanzhaus etc. angesagt, auf den ersten Kanonenschuss die Fenster zu öffnen und das Feuer in den Öfen auszugießen.

Die Bestürzung war war nun ebenso groß wie allgemein. Im Geist sah man schon mit der zusammenkrachenden Brücke auch den Turm der katholischen Kathedrale herabstürzen, die Heiligenbilder ihrer Doppelgalerien mit zerbrochenen Armen und Beinen im Staub der Zerstörung liegen - das Finanzhaus mit seinen Aktenbergen gespalten  - ja selbst der alten Kurfürsten uralt Residenz in Trümmern. - Indes ging alles besser, als man gefürchtet hatte.

Auf den ersten Kanonenschuss zog sich alles Militär, bis auf eine kleine Besatzung, aus der Neustadt in die Residenz und zum Teil auf die Dörfer des linken Elbufers. Beim zweiten Signalschuss wichen auch die Soldaten von der Mine - kein lebendes Wesen zeigte sich mehr auf der sonst so lebendigen Brücke - einsam wie das Grab schien sie, wie in einem Feenland, zum Prunk nur gebaut zu sein, nicht zum Gebrauch. Die Sonne spiegelte sich in den Brückenlaternen und Elbfluten; in den gesamten, sonst so geräuschvollen Umgebungen kein Mensch, kein Laut, kein Hufschlag, kein Wagengerassel. Da donnerte die dritte Kanone, und mit dumpfen Donner krachten zwei Bogen und ein Pfeiler zusammen.

Die Explosion war übrigens bei weiten nicht so heftig, wie man gefürchtet hatte. Am schrecklichsten klang das Prasseln der gegeneinander stürzenden, sich reibenden und zermalmenden Steine, welches so ganz den Kleingewehrfeuer eines kompletten Bataillons glich, dass viele meinten, die die Brücke werde nicht gesprengt, sondern von russischer Infanterie aus der Neustadt beschossen. Die Dampf - und Feuersäule, welche bei der der Explosion zum Himmel stieg, hatte eine echt vulkanische Physiognomie und gewann an schrecklicher Schönheit nicht wenig durch die einfallende Morgensonne.

Quelle:
Morgenblatt für gebildete Stände


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03