Proklamation Wittgensteins »Deutsche Freunde!«

vom 16.03.1813.

An die Einwohner des Kurfürstentums Hannover, des Fürstentums Lauenburg, der freien Reichsstädte Hamburg, Lübeck und Bremen, des Gebietes von Münster. An die Einwohner der Herzogtümer Westfalen und Berg, des Fürstentums Ostfriesland, der Grafschaft Mark und der Herrschaften Lingen und Tecklenburg u.s.w.

Deutsche Freunde!

Ihr wisst, was Ihr waret, und was aus Euch geworden ist. Ihr waret Deutsche; man hat Euch gezwungen, Franzosen zu werden. Oder, Ihr waret glückliche freie Bürger, und Ihr tragt jetzt die Fesseln, unter welchen das Mitgefühl der ganzen Welt eines der gebildetesten Völker Europas herabgewürdigt sieht. Aber - fasset Muth! schwer ist an den Ufern des Dnjepers, der Düna und der Berezina, das Rachschwert der göttlichen Gerechtigkeit auf das Haupt Eures Feindes, des allgemeinen Feindes der Freiheit, der Rechte der Nationen, der Unabhängigkeit Ihrer Fürsten, des Feindes jeder Bürgertugend gefallen.

Schwer gekränkte deutsche Freunde! Die Stunde Eurer Erlösung ist nahe. Schon bringt die Eure Gebiete betretende Avantgarde meines Corps Euch meinen Gruß aus Berlin. Im engsten Bündnisse mit Preußen, England und seiner übrigen mächtigen Alliierten sendet mich Alexander der Befreier, mein siegreicher Kaiser und Herr, zu Euch, um Eure Ketten zu brechen, Euch Eure Sprache, Euch Eure teuren vorigen Verfassungen, um Euch Euch selbst wiederzugeben.

Unwillig, sich rächend, hat das von Eurem Unterdrücker gemissbrauchte Glück, ihm plötzlich den Rücken zugewendet. Er hat eine Armee von einer halben Million geübter Krieger verloren. Er kann noch einige Haufen unglücklicher Schlachtopfer seines Ehrgeizes zusammentreiben; aber er wird keine furchtbare Armee mehr bilden. Mit mächtiger Hand hat Russland die Binde von den Augen der Völker gerissen. Der Zauber, welcher Ihre Sinne lähmte, ist zerstört. Sie haben wieder angefangen, sich und ihre Kräfte zu würdigen; und selbst die eben so uns glückliche als geistvolle Nation beginnt errötend es zu fühlen: dass sie jetzt als willenloses Werkzeug des ungezähmten nicht zu sättigenden Ehrgeizes eines Fremden, ihre eigne Fesseln in Länder trägt, die von ihr einst Künste und Wissenschaften erhielten.

Brave deutsche Männer! lernt begreifen dass Ihr es selbst seid, durch die Ihr in Euren Ketten erhalten werdet; dass Ihr um frei zu sein nicht einmal unseres Beistandes, nur Eures eigenen energischen Willens bedürftet. Nehmt die tapfern Russen als Eure Freunde, als Eure Bundesgenossen auf. Vereinigt Euch mit ihnen und den mit ihnen zu Euch kommenden Preußen, Euren Brüdern, Euren Verwandten, zu dem edelsten heiligen Zwecke, über den noch je Verträge geschlossen worden sind. Ihr aber, ihr wenigen undeutschen verächtlichen Handlanger der ihren Geist ausatmenden Tyrannei, zittert vor der Euch erwartenden göttlichen und menschlichen Rache. Wenn ich jeden in meine Hände fallenden französischen Krieger nach den liberalen Gesetzen der Kriegsgefangenschaft behandeln werde; so soll doch jeder mit den Waffen gegen sein deutsches Vaterland ergriffener Deutscher es in den entferntesten Provinzen Russlands beweinen, gegen die Freiheit seiner Mitbürger das Schwert gezogen zu haben.

Im Hauptquartier zu Berlin, den 4./16. März 1813

Graf von Wittgenstein

Quelle:
Lange, Fritz (Hg): Das neue Deutschland 1813/14, Berlin 1953


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