Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staaten

vom 11.03.1812

Wir Friedrich Wilhelm von Gottes Gnaden König von Preußen etc. etc. etc.

Haben beschlossen, den jüdischen Glaubensgenossen in Unserer Monarchie eine neue, die allgemeinen Wohlfahrt angemessene Verfassung zu ertheilen, erklären alle bisherige, durch das gegenwärtige Edikt nicht bestätigte Gesetze und Vorschriften für die Juden für aufgehoben, und verordnen wie folgt:

§ 1. Die in Unsern Staaten jetzt wohnhaften, mit Generalprivilegien, Naturalisationspatenten, Schutzbriefen und Koncessionen versehenen Juden und deren Familien sind für Einländer und preußische Staatsbürger zu achten.

§ 2 Die Fortdauer dieser ihnen beigelegten Eigenschaft als Einländer und Staatsbürger wird aber nur unter der Verpflichtung gestattet: dass sie selbstbestimmte Familiennamen führen, und dass sie nicht nur bei Führung ihrer Handelsbücher, sondern auch bei Abfassung ihrer Verträge und rechtlichen Willenserklärungen der deutschen oder einer andern lebenden Sprache, und bei ihren Namensunterschriften keiner andern, als deutscher oder lateinischer Schriftzüge sich bedienen sollen.

§ 3. Binnen 6 Monaten, von dem tage der Publication dieses Edikts an gerechnet, muß ein jeder geschützte oder koncessionirte Jude vor der Obrigkeit seines Wohnorts sich erklären, welchen Familiennamen er beständig führen will. Mit diesem Namen ist er, sowohl in öffentlichen Verhandlungen und Ausfertigungen, als im gemeinen Leben, gleich einem jeden andern Staatsbürger, zu benennen.

§ 4. Nach erfolgter Erklärung und Bestimmung seines Familiennamens erhält ein jeder von der Regierung der Provinz, in welcher er seinen Wohnsitz hat, ein Zeugniß, daß er ein Einländer und Staatsbürger sey, welches Zeugniß für ihn und seine Nachkommen künftig statt des Schutzbriefes dient.

§ 5. Nähere Anweisungen zu den Verfahren der Polizeibehörden und Regierungen wegen Bestimmung der Familiennamen, der öffentlichen Bekanntmachung derselben durch die Amtsblätter und der Aufnahme und Fortführung der Hauptverzeichnisse aller in der Provinz vorhandenen jüdischen Familien bleiben einer besondern Instruktion vorbehalten.

§ 6. Diejenigen Juden, welche den Vorschriften § 2 und 3 zuwider handeln, sollen als fremde Juden angesehen und behandelt werden.

§ 7. Die für Einländer zu achtenden Juden hingegen sollen, insofern diese Verordnung nichts Abweichendes enthält, gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen genießen.

§ 8. Sie können daher akademische Lehr- und Schule auch Gemeinde-Aemter, zu welchen sie sich geschickt gemacht haben, verwalten.

§ 9. In wiefern die Juden zu andern öffentlichen Bedienungen und Staatsämtern zugelassen werden können, behalten wir uns vor, in der Folge der Zeit, gesetzlich zu bestimmen.

§ 10. Es stehet ihnen frei, in Städten sowohl, als auf dem platten Lande sich niederzulassen.

§ 11. Sie können Grundstücke, jeder Art, gleich den christlichen Einwohnern erwerben; auch alle erlaubte Gewerbe mit Beobachtung der allgemeinen gesetzlichen Vorschriften treiben.

§ 12. Zu der aus dem Staatsbürgerrechte fließenden Gewerbefreiheit gehört auch der Handel.

§ 13. Den auf dem platten Lande wohnenden Juden und ihren Angehörigen steht nur frei denjenigen Handel zu treiben, der den übrigen Bewohnern desselben gestattet ist.

§ 14. Mit besondern Abgaben dürfen die einländischen Juden, als solche, nicht beschwert werden.

§ 15. Sie sind aber gehalten, alle den Christen gegen den Staat und die Gemeinde ihres Wohnorts obliegende bürgerliche Pflichten zu erfüllen und mit Ausnahme der Stollgebühren gleiche Lasten, wie andere Staatsbürger zu tragen.

§ 16. Der Militärkonscription oder Kantonspflichtigkeit, und den damit in Verbindung stehenden besondern gesetzlichen Vorschriften sind die einländischen Juden gleichfalls unterworfen. Die Art und Weise der Anwendung dieser Verpflichtung auf sie wird durch die Verordnung wegen der Militärkonscription näher bestimmt werden.

§ 17. Ehebündnisse können einländische Juden unter sich schließen, ohne hierzu einer besondern Genehmigung oder der Lösung eines Trauscheins zu bedürfen, insofern nicht nach allgemeinen Vorschriften die von Andern abhängige Einwilligung oder Erlaubniß zur Ehe überhaupt erforderlich ist.

§ 18. Eben dieses findet statt, wenn ein einländischer Jude eine ausländische Jüdin heiratet.

§ 19. Durch die Heirath mit einer einländischen Jüdin erlangt aber kein fremder Jude das Recht, in hiesigen Staaten sich niederzulassen.

§ 20. Die privatrechtlichen Verhältnisse der Juden sind nach eben denselben Gesetzen zu behandeln, welche andern preußischen Staatsbürgern zur Richtschnur dienen.

§ 21. Ausnahmen finden bei solchen Handlungen und Geschäften statt, welche wegen Verscheidenheit der Religionsbegriffe und des Kultus an besondere gesetzliche Bestimmungen und Formen notwendig gebunden sind.

§ 22. Bei den Eidesleistungen der Juden sind daher die Vorschriften der Allgemeinen Gerichtsordnung Th. I. Tit. 10. § 317-351. noch ferner zu beachten.

§ 23. Auch muß es bei der Festsetzung der All. Ger. Ord. Th. I. Tit. 10 § 352 und der Krim. Ord. § 335 Nro. 7. und § 357. Nro. 8, dass kein Jude in den benannten Kriminalfällen zur Ablegung eines eidlichen Zwanges gezwungen werden darf, so wie bei den daselbst bestimmten Wirkungen eines freiwillig geleisteten Zeugeneides, künftig verbleiben.

§ 24. In Ansehung der Präsentation der Wechsel an Sabbath, oder an jüdischen Festtagen behalten die §§ 989. 999 des Allg. Landrechts Th. 2. Tit. 8. ihre fortdauernde Gültigkeit.

§ 25. An die Stelle der, nach dem Allg. Landrechte Th. 2. Tit. 1 § 136. zu einer vollgültigen Ehe erforderlichen Trauung, tritt bei den Ehen der Juden die Zusammenkunft unter dem Trauhimmel und das feyerliche Anstecken des Ringes, und dem in § 138. verordneten Aufgebote, ist die Bekanntmachung in der Synagoge gleich zu achten.

§ 26. Auf der Trennung einer vollzogenen gültigen Ehe kann jeder Theil aus den in dem Allg. Landrechte Th. 2. Tit. I § 699-718 festgesetzten Ursachen antragen.

§ 27. Zur Begründung der bürgerlichen Wirkungen einer gänzlichen Ehescheidung unter den Juden, ist das Erkenntnis des gehörigen Richters hinreichend, und die Ausfertigung eines Scheidebriefes nicht nothwendig.

§ 28. Da, nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, neue Gesetzte auf vergangene Fälle nicht gezogen werden können, so sind die Streitigkeiten über Handlungen, Begebenheiten und Gegenstände, welche das bürgerliche Privatrecht der Juden betreffen, und sich vor der Publikation der gegenwärtigen Verordnung ereignet haben, nach den Gesetzen zu beurtheilen, die bis zur Publikation dieses Edikts verbindend waren, wenn nicht etwa die bei jenen Handlungen, Begebenheiten und Gegenständen Interessirte, insofern sie dazu rechtlich befugt sind, sich durch eine rechtsgültige Willenserklärung den Bestimmungen der gegenwärtigen Verordnung, nach deren Publikation, unterworfen haben sollten.

§ 29. In Absicht des Gerichtsstandes und der damit verbundenen vormundschaftlichen Verwaltung findet ebenfalls zwischen Christen und Unterschied statt. Nur in Berlin bleibt es vorerst bei dem den Juden angewiesenen besonderen Gerichtsstande.

§ 30. In keinem Fall dürfen sich Rabbiner und Juden-Aeltesten ueber eine Gerichtsbarkeit noch eine vormundschaftliche Einleitung und Direktion anmaßen.

§ 31. Fremden Juden ist es nicht erlaubt, in den hiesigen Staaten sich niederzulassen, so lange sie nicht das preußische Staatsbürgerrecht erworben haben.

§ 32. Zur Erwerbung dieses Bürgerrechts können sie nur auf den Antrag der Regierung der Provinz, in welcher die Niederlassung erfolgen soll, mit Genehmigung Unsers Ministerii des Innern, gelangen.

§ 33. Es genießen alsdann mit den Einländern gleiche Rechte und Freiheiten.

§ 34. Fremde Juden,als solche dürfen weder als Rabbiner und Kirchendiente, noch als Lehrburschen noch zu Gewerbs- oder Hausdiensten angenommen werden. Es erstrecket sich jedoch dieses nicht auf diejenigen in Diensten stehenden Juden, welche zur Zeit der Publikation des gegenwärtigen Edikts bereits in Unsern Staaten befinden.

§ 35. Diejenigen einländischen Juden, welche gegen diese Vorschrift (§ 34.) handeln, verfallen in 300 Thaler Strafe, oder im Fall des Unvermögens, diese zu erlegen, in eine, den wegen der Verwandlung der Strafen vorhandenen allgemeinen Vorschriften angemessene Gefängnißstrafe, und der fremde Jude muß über die Gränze geschafft werden.

§ 36. Ausländischen Juden ist der Eintritt in das Land zur Durchreise oder zum Betrieb erlaubter Handelsgeschäfte gestattet. Ueber das von denselben und gegen dieselben zu beobachtende Verfahren sollen die Polizeibehörden mit einer besondern Instruktion versehen werden.

§ 37. Wegen des Verbots wider das Hausiren überhaupt hat es bei den Polizeigesetzen auch in Absicht der Juden sein Bewenden.

§ 38. In Königsberg in Preußen, in Breslau und Frankfurt an der Oder dürfen fremde Juden, so lange die Meßzeit dauert, mit Genehmigung der Obrigkeit, sich aufhalten.

§ 39. Die näheren Bestimmungen wegen des Unterrichts der Juden werden vorbehalten, und es sollen bei der Erwägung derselben, Männer des jüdischen Glaubensbekenntnisses, die wegen ihrer Kenntnisse und Rechtschaffenheit das öffentliche Vertrauen genießen, zugezogen werden und mit ihrem Gutachten vernommen werden.

Hiernach haben sich unsere sämmtliche Staatsbehörden und Unterthanen zu achten.

Gegeben Berlin, den 11. März 1812.

Friedrich Wilhelm
Hardenberg
Kircheisen

Quelle:
Sulamith eine Zeitschrift zur Beförderung der Kultur und Humanität unter den Israeliten, Band I, Heft I, 1812


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