Brief Heinrich Dietrich von Grolmans an seinen Sohn Karl Wilhelm

vom 09.10.1807.

Lieber Sohn! Deine Schwestern haben Dir mit einem Kurier und nachher mit einem Herrn von Keudell, welcher in Gesellschaft von Sklinicki abgereist ist, einiges Leinenzeug übersandt. Ich hoffe, dass Du dasselbe richtig erhalten hast, und erwarte darüber baldige Nachricht. Überhaupt empfehle ich Dir, etwas fleißiger zu schreiben. Du kannst ja leicht denken, dass wir nach der Abwesenheit eines ganzen Jahres begierig sind, zu wissen, wie es Dir geht. Uns geht es hier schlecht; wir leben noch immer in den Zeiten des Krieges. Kontribution, Requisition, Einquartierung, alles dauert fort. Gehalt ist seit neun Monaten nicht ausgezahlt. Ich muss froh sein, wenn ich mich von einem Tage zum andern durchhelfe. Wie bald dies ein Ende nehmen werde, ist nicht abzusehen, da das unmoralische Volk Treue und Glauben nicht kennt, und Forderungen auf Forderungen häuft. Wendet Russland keine kräftige Intervention an, so werden wir von den Franzosen nicht befreit. 

Deiner Tochter sind die Schutzblattern inokuliert, sie hat das ganze Geschäft, denn Krankheit kann man es nicht nennen, glücklich überstanden und befindet sich ganz wohl. Die Großmutter weint noch immer, sie sagt, es sei ihr unmöglich, Dir zu schreiben. Du wirst doch wohl einmal an sie schreiben müssen, um ihr zu versichern, dass der harte Verlust keine Änderung in Deiner Achtung und Liebe erwecken soll.

Der Vetter aus Gießen hat mir die einliegende Vorstellung an den König übersandt, worin ein Abschied für seinen Sohn, der als Leutnant in dem Regiment von Quitzow steht, und bei Anklam gefangen genommen ist, um den Charakter als Rittmeister und um die Erlaubnis, die Armee-Uniform tragen zu dürfen, gebeten wird. Unterstütze sein Gesuch so viel Du kannst, und gib mir vom Erfolge gute Nachricht. Es ist mir unangenehm, dass man nach allen Nachrichten so kleinmütig in Memel ist. Gerade im Unglück muss man den Mut nicht sinken lassen, sondern alle möglichen Hilfsmittel aufsuchen. Wer ernstlich suchet, der findet. Ich schmeichle mir stets mit der Hoffnung, dass der preußische Staat aus der Asche wieder aufstehe und herrlicher blühen werde, als zuvor. Wende Deine Kräfte, so oft sich Gelegenheit zeiget, dazu an, alsdann werde ich nicht aufhören zu sein

Dein dich liebender Vater
von Grolman.

Berlin d. 9 Oktober. 1807

Quelle:
Schweinitz, Anna-Fanziska von: "Briefe aus den Befrieungskriegen - Heinrich Dietrich von Grolman an seinen Sohn Karl vom 10.07.1807 bis 06.06.1816", o.J., o.O. (Privatdruck)


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