Camille Desmoulins an seine Frau

vom 05.04.1794.

Am 2ten Germinal um 5 Uhr des Morgens.

 

Der wohltätige Schlaf hat mein Elend unterbrochen; wenn man schläft ist man frei; man empfindet seine Gefangenschaft nicht. Der Himmel hatte Mitleiden mit mir! Erst vor einem Augenblick sahe ich Dich im Traume; wechselseitig umarme ich euch, Dich, Horaz und Diroupe der zu Hause war; aber unser Kleiner hatte durch ein Geschwür ein Auge verloren und der Schmerz dieses Unglücks weckte mich auf. Ich befand mich nun wieder in meinen Kerker und es begann zu tagen. Da ich Dich aber nicht mehr sehen, noch Deine Antwort hören konnte - denn du und deine Mutter sprechen mit mir - stand ich wenigstens auf, um schriftlich mit dir zu sprechen. Aber als ich meine Fenster öffnete, ward, durch den Gedanken am meine Einsamkeit, durch den Anblick der abscheulichen Gitter und Riegel, die mich von dir trennen, meine ganze Stärke des Geistes überwältigt. Ich zerfloß in Tränen, oder vielmehr ich schluchzte in meinem Grabe, indem ich immer rief: Lucile, Lucile! P meine liebe Lucile! Wo bist du ?

Gestern Abend hatte ich einen ähnlichen Augenblick, der mein Herz auf gleiche Weise brach. Ich sah deine Mutter im Garten; eine unwillkürliche Bewegung warf mich am Gitter auf meinen Knieen wieder; ich ob die Hände empor, als wollte ich sie zum Mitleiden bewegen; sie, die gewiß an deiner Brust seufzt. Gestern sah ich ihren Schmerz an ihrem Schnupftuche und Schleier, den sie herabließ, als sie dies Schauspiel nicht aushalten konnte. Ich wünschte wohl, wenn ihr wieder kommt, daß sie sich ein wenig näher mit dir setzen möchte, damit ich euch besser sehen kann; es scheint mir keine Gefahr dabei zu sein. Meine Brille ist nicht sehr gut; ich wollte daher wohl, daß Du mir eine, von der Art wie ich vor sechs Monaten hatte, kaufest, und zwar nicht in Silber, sondern in Stahl gefasst mit zwei Henkeln, um sie am Kopfe fest zu machen; frage nur bei dem Kaufmann, No. 15, er weiß wohl was das sagen will. Aber vor allem beschwöre ich dich Lotte! bei meiner ewigen Liebe! Schicke mir dein Portrait. Möchte doch Dein Maler Mitleid mit mir haben! und mir, der ich nur deswegen leide, weil ich mit andern zuviel Mitleid hatte; laß er dir täglich zwei Sitzungen geben. In meinem gräßlichen Kerker wird der Tag an dem ich Dein Portrait erhalte, ein Festtag, ein Tag der Wollust und des Entzückens für mich sein. Bis dahin schicke mir einige Deiner Haare, um sie an mein Herz zu legen.

Meine teure Lucile! Nun siehst Du mich wieder zu den Zeiten unsrer ersten Liebe zurückgekommen, in welchen mich jemand schon deswegen als allein interessieren konnte, wenn er nur aus Deinem Hause kam. Gestern, als der Bürger der Dir  meinen Brief brachte zurückkam, fragte ich ihn gleich, wie ich ehmals den Abbe Laudreville fragte: Nun, Sie haben sie also gesehen? Ich starrte ihn an, gleichsam als wenn auf seine Kleider und auf seine ganze Person etwas von Dir zurückgeblieben wäre. Er ist eine gutherzige Seele, weil er Dir ohne Verzug meinen Brief brachte. Ich hoffe ihn täglich zweimal zu sehen, Morgens und Abends. Dieser Bote unserer Leiden wird mir ebenso wert, als es ehemals der Bote unserer Vergnügungen ward.

In meinem Zimmer entdeckte ich einen Spalt, woran ich meine Ohren hielt, und seufzen hörte; ich wagte einige Worte auszuspreche, worauf ich die Stimme eines leidenden Kranken vernahm, er fragte mich nach meinem Namen und ich nannte mich. O mein Gott! schrie er bei diesem Namen, indem er wieder zurück auf das Bett sank, von welchem er sich ein wenig erhoben hatte. -

Aus der Stimme erkannte ich deutlich Fabre d´Eglantine. Ja, ich bin Fabre sagte er zu mir. Aber du hier? Die Gegenrevolution ist also wirklich geschehen? Wir unterstanden uns indessen, daß der Hass und Neid uns diesen schwachen Trost zaubern möchten und daß, wenn man uns belauschste, man uns trennen und enger einschließen würde; denn er hat ein Zimmer das geheizt werden kann und das meinige würde ziemlich schön sein, wenn ein Kerker es sein könnte.

Aber liebe Freundin! Du kannst Dir nicht vorstellen was das ist: ohne alle Gemeinschaft eingesperrt zu sein, ohne zu wissen warum, ohne verhört zu werden und ohne ein einziges Tageblatt zu bekommen! Das heißt: lebendig und tot zu gleicher Zeit sein! Bloß zu existieren, um zu fühlen, daß man in einem Sarge ist! Man sagt: die Unschuld ist ruhig und mutvoll aber ach, meine teure Lucile! Meine Vielgeliebte! Sehr oft ist meine Unschuld so schwach, wie die eines Gatten, eines Vaters und eines Sohnes! Wäre es noch Pitt oder Coburg, die mich so hart behandeln! Aber nein, es sind meine Kollegen; Robespierre ist es, der meinen Verhafts-Befehl unterzeichnete und die Republik, nach allen was ich für sie getan habe! - Das ist also die Belohnung für so viele Tugenden und Aufopferungen! Beim Hereingehen in dies Gefängnis, sah ich Herault-Sschwelles, Simond, Jerroux, Chaurmetre und Antonelle sie sind nicht so unglücklich als ich; denn sie sind nicht enge eingesperrt. Ich bin es, der ich mich seit fast fünf Jahren so vielen Hass und so vielen Gefahren für diese Republik aussetzte; ich bin es, der während der Revolution seine Unschuld behielt; ich, der niemanden auf Erden um Verzeihung zu bitten hat, als nur Dich allein meine teure Lolotte, und dem Du sie auch gewährt hast, weil Du weißt, dass mein Herz, seltene Schwachheiten ungeachtet, Deiner nicht unwürdig ist. Ich bin es, der von Männern, die sich meine Freunde nannten und sich noch Republikaner nennen, ins Gefängnis, in den Kerker wie ein Verräter geworfen wurde. Sokrates trank Gift, er durfte aber doch wenigstens seine Freunde und seine Gattin sprechen. Und wie viel härter ist es noch von Dir getrennt zu sein! Der größte Verbrecher würde, schon durch das Losreißen von einr Lucile bestraft sein. Diese Strafe ist weit schlimmer als der tod, der den Schmerz eine solcher Trennung höchstens nur einen Augenblick fühlbar macht. Ein Verbrecher aber würde nicht Dein Ehemann gewesen sein; und Du hast mich nur deswegen geliebt, weil ich bloß für das Glück meiner Mitbürger athmete..... Man ruft mich ..... In diesen Augenblick kommen die Commissarien des Revolutions-Tribunals mich zu verhören. Man fragte mich weiter nichts, als ob ich mich gegen die Republik verschworen habe? Welcher Spott! Kann mna den reinsten Republikanismus wohl mehr beleidigen? Ich sehe das Los das meiner wartet. Lebe wohl meine Lucile, meine teure Lolotte! Sage meinem Vater das letzte Lebewohl! Du siehst in mir ein Beispiel von der Barbarei und Undankbarkeit der Menschen. Meine letzten Augenblicke sollen Dich nicht entehren. Du siehste dass meine Furcht gegründet war, und dass unsere  Ahnungen immer wahr wurden! Ich habe eine Frau gewonnen, erhaben durch ihre Tugenden; ich war ein guter Gatte, ein guter Sohn und würde auch ein guter Vater geworden sein; ich nehme mit mir ins Grab die Achtung und das Bedauern aller wahren Republikaner, und aller übrigen Menschen; ich nehme mir die Tugend und die Freiheit! Ich sterbe, vier und dreißig Jahr alt. Dass ich seit fünf Jahren über so viele Abgründe der Revolution gegangen bin, ohne hinein zu stürzen und das ich überhaupt noch existiere, ist ein Phänomen. Noch jetzt sitze ich ruhig mein Haupt auf das Kopfkissen meiner vielleicht zu zahlreichen Schriften, die aber alle dieselbe Menschenliebe, dieselbe Begierde, meine Mitbürger glücklich und frei zu machen, atmen und die von dem Beile der Tyrannen nicht getroffen werden können. Ich sehe wohl, daß die Gewalt fast ale Menschen berauscht, dass alle so wie Dionys von Syrakus sagen: Die Tyrannei ist eine schöne Grabschrift. Aber betrübte Witwe! Tröste Dich, die Grabschrift Deines armen Camille ist weit rühmlicher, sie ist die des Brutus, des Cato und der Tyrannenmörder.

Oh meine teure Lucile, ich war geboren um Verse zu machen, um Unglückliche zu verteidigen, um Dich glücklich zu machen, um mit Deiner Mutter und meinem Vater und noch einigen andern nach unserem Herzen ein Draheite zu bilden! Ich hatte einen Augenblick geträumt, die die ganze Welt verehrt haben würde. Ich konnte nicht glauben, dass die Menschen so wid- und ungerecht wären. Wie konnte es mir einfallen, dass einige Scherze in meinen Schriften gegen meine Kollegen gerichtet, die mich dazu reitzten, vermögend sein sollten das Andenken meiner Dienste zu verlöschen ! Ich verhehle es mir nicht, dass ich als Opfer meiner Scherze und meiner Freundschaft für Danton sterbe. Ich danke meinen Meuchelmörder, da sie mich mit ihm und Philippeaux zu gleicher Zeit sterben lassen und da unsere Kollegen feig genug sind, und zu verlassen und Verleumdungen Gehör zu geben, die ich nicht kenne, die aber ganz gewiss die größten sind; so sehe ich, daß wir, als Opfer unseres Mutes Verräter zu dennunzieren und für unsere Liebe zur Wahrheit sterben. Wir können wohl auch das Zeugnis mit uns nehmen: dass wir als die letzten Republikaner umkommen. Verzeihe liebste Freundin! Du mein wahres Leben! Welches ich von dem Augenblick unserer Trennung an verlor, dass ich mich mit meinen eigenen Andenken beschäftige. Ich sollte vielmehr arbeiten, es Dir vergessen zu machen. Meine Lucile! meine Beste! mein Liebchen! ich beschwöre Dich, gräme Dich nicht zu viel! Rufe mich nicht mit Deinen Klagengeschrei! In der Tiefe des Grabes würde es mich noch zerfleischen. Lebe für meinen Horaz, rede mit ihm von mir! Sage ihm was er nicht von mir selbst hören kann: dass ich ihn sehr geliebt habe! - Ungeachtet meiner Hinrichtung, glaube ich dennoch, daß ein Gott ist! Mein Blut wird meine Fehler und menschliche Schwäche tilgen und das Gute was ich an mir hatte, meine Tugenden und meine Liebe zur Feiheit, wird Gott belohnen!

O Lucile ! O Anette ch werde Euch einst wieder sehen, so empfindsam wie ich war ! Ist denn der Tod, der mich von dem Anblick so vieler Verbrechen befreiet, ein so großes Unglück? Lebe wohl meine Teuerste! Lebe wohl mein Alles, meine Seele, meine irdische Gottheit! Ich hinterlasse Dir gute Freunde, dies werden alle tugendhaften und empfindungsvollen Menschen sein, Lebe wohl Lucile! meine teure Lucile! Lebe wohl Horaz, lebe wohl Annette, Adieu mein Vater! Ich sehe die Ufer des Lebens vor mir vorüber fliehn! Noch sehe ich Lucile! ja, ich sehe sie! Meine ausgestreckten Arme umschließen Dich! Meine gefesselten Hände umarmen Dich! Und mein getrenntes Haupt ruhet auf Dir! Nun gehe ich zum Tode! -

Quelle:
Minerva. 1792-1815. Ausgabe 1795, 3. Bd


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