Die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin
vom September 1791.
Mann, bist du fähig, gerecht zu sein? Eine Frau stellt dir diese Frage. Dieses Recht wirst du ihr zumindest nicht nehmen können. Sag mir, wer hat dir die selbstherrliche Macht verliehen, mein Geschlecht zu unterdrücken? Deine Kraft? Deine Talente? Betrachte den Schöpfer in seiner Weisheit. Durchlaufe die Natur in all ihrer Majestät, die Natur, der du dich nähern zu wollen scheinst, und leite daraus, wenn du es wagst, ein Beispiel für diese tyrannische Herrschaft ab. Geh zu den Tieren, befrage die Elemente, studiere die Pflanzen, ja wirf einen Blick auf den Kreislauf der Natur und füge dich dem Beweis, wenn ich dir die Mittel dazu in die Hand gebe. Suche, untersuche und unterscheide, wenn du es kannst, die Geschlechter in der Ordnung der Natur. Überall findest du sie ohne Unterschied zusammen, überall arbeiten sie in einer harmonischen Gemeinschaft an diesem unsterblichen Meisterwerk. Nur der Mann hat sich aus der Ausnahme ein Prinzip zurechtgeschneidert. Extravagant, blind, von den Wissenschaften aufgeblasen und degeneriert, will er in diesem Jahrhundert der Aufklärung und des Scharfsinns, doch in krassester Unwissenheit, despotisch über ein Geschlecht befehlen, das alle intellektuellen Fähigkeiten besitzt. Er behauptet, von der Revolution zu profitieren, er verlangt sein Anrecht auf Gleichheit, um nicht noch mehr zu sagen.
Von der Nationalversammlung am Ende dieser oder bei der nächsten Legislaturperiode zu verabschieden.
Präambel
Wir, Mütter, Töchter, Schwestern, Vertreterinnen der Nation, verlangen, in die Nationalversammlung aufgenommen zu werden. In Anbetracht dessen, dass Unkenntnis, Vergessen oder Missachtung der Rechte der Frauen die alleinigen Ursachen öffentlichen Elends und der Korruptheit der Regierungen sind, haben wir uns entschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürliche, unveräußerlichen und heiligen Rechte der Frau darzulegen, damit diese Erklärung allen Mitgliedern der Gesellschaft ständig vor Augen ist und sie unablässig an ihre Rechte und Pflichten erinnert: damit die Machtausübung von Frauen ebenso wie jene von Männern jederzeit am Zweck der politischen Einrichtung gemessen und somit auch mehr geachtet werden kann; damit die Beschwerden von Bürgerinnen, nunmehr gestützt auf einfache und unangreifbare Grundsätze, sich immer zur Erhaltung der Verfassung, der guten Sitten und zum Wohl aller auswirken mögen.
Das an Schönheit wie Mut im Ertragen der Mutterschaft überlegene Geschlecht anerkennt und erklärt somit, in Gegenwart und mit dem Beistand des Allmächtigen, die folgenden Rechte der Frau und Bürgerin.
Artikel I
Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten. Die sozialen Unterschiede können nur im allgemeinen Nutzen begründet sein.
Artikel II
Ziel und Zweck jedes politischen Zusammenschlusses ist der Schutz der natürlichen und unveräußerlichen Rechte sowohl der Frau als auch des Mannes. Diese Rechte sind: Freiheit, Sicherheit, das Recht auf Eigentum und besonders das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung.
Artikel III
Das Prinzip jeder Herrschaft ruht wesentlich in der Nation, die nichts anderes darstellt als eine Vereinigung von Frauen und Männern. Keine Körperschaft und keine einzelne Person kann Macht ausüben, die nicht ausdrücklich daraus hervorgeht.
Artikel IV
Freiheit und Gerechtigkeit besteht darin, den anderen zurückzugeben, was ihnen zusteht. So wird die Frau in der Ausübung ihrer natürlichen Rechte nur durch die fortdauernde Tyrannei, die der Mann ihr entgegensetzt, gehindert. Diese Schranken müssen durch Gesetze der Natur und Vernunft revidiert werden.
Artikel V
Die Gesetze der Natur und Vernunft wehren alle Handlungen von der Gesellschaft ab, die ihr schaden könnten. Alles, was durch diese weisen und göttlichen Gesetze nicht verboten ist, darf nicht behindert werden, und niemand darf gezwungen werden, etwas zu tun, was diese Gesetze nicht ausdrücklich vorschreiben.
Artikel VI
Das Gesetz sollte Ausdruck des allgemeinen Willens sein. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen persönlich oder durch ihre Vertreter in seiner Gestaltung einwirken. Es muss für alle das gleiche sein. Alle Bürgerinnen und Bürger, die gleich sind vor den Augen des Gesetzes, müssen gleichermaßen nach ihren Fähigkeiten, ohne andere Unterschiede als die ihrer Tugenden und Talente, zu allen Würden, Ämtern und Stellungen im öffentlichen Leben zugelassen werden.
Artikel VII
Für Frauen gibt es keine Sonderrechte, sie werden verklagt, in Haft genommen und gefangen gehalten, in den durch das Gesetz bestimmten Fällen. Frauen unterstehen wie Männer den gleichen Strafgesetzen.
Artikel VIII
Das Gesetz soll nur Strafe verhängen, die unumgänglich und offensichtlich notwendig sind, und niemand darf bestraft werden, es sei denn kraft eines rechtsgültigen Gesetzes, das bereits vor der Tat in Kraft war, und das legal auf Frauen angewandt wird.
Artikel IX
Gegenüber jeder Frau, die für schuldig befunden wurde, muss das Gesetz mit großer Strenge angewendet werden.
Artikel X
Niemand darf wegen seiner Meinung, auch wenn sie grundsätzlicher Art ist, verfolgt werden. Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen. Sie muß gleichermaßen das Recht haben, die Tribüne zu besteigen, vorausgesetzt, dass ihre Handlungen und Äußerungen die vom Gesetz gewahrte öffentlich Ordnung nicht stören.
Artikel XI
Die freie Gedanken- und Meinungsäußerung ist eines der kostbarsten Rechte der Frau, denn diese Freiheit garantiert die Vaterschaft der Väter an ihren Kindern. Jede Bürgerin kann folglich in aller Freiheit sagen: "Ich bin die Mutter eines Kindes, das du gezeugt hast", ohne dass ein barbarisches Vorurteil sie zwingt, die Wahrheit zu verschleiern. Dadurch soll ihr nicht die Verantwortung für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch Gesetz bestimmten Fällen abgenommen werden.
Artikel XII
Ein höherer Nutzen erfordert die Garantie der Rechte der Frau und Bürgerin. Diese Garantie soll zum Vorteil aller und nicht zum persönlichen Vorteil derjenigen dienen, denen diese Rechte anvertraut sind.
Artikel XIII
Für den Unterhalt der Polizei und für die Verwaltungskosten werden von der Frau wie vom Manne gleiche Beträge gefordert. Hat die Frau teil an allen Pflichten und Lasten, dann muss sie ebenso teilhaben an der Verteilung der Posten und Arbeiten, in niederen und hohen Ämtern, und im Gewerbe.
Artikel XIV
Die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, selbst oder durch ihre Repräsentanten über die jeweilige Notwendigkeit der öffentlichen Beiträge zu befinden. Die Bürgerinnen können dem Prinzip, Steuern in gleicher Höhe aus ihrem Vermögen zu zahlen, nur dann beipflichten, wenn sie an der öffentlichen Verwaltung teilhaben und die Steuern, ihre Verwendung, Einbeziehung und Zeitdauer mit festsetzen.
Artikel XV
Die weibliche Bevölkerung, die gleich der männlichen Beiträge leistet, hat das Recht, von jeder öffentlichen Instanz einen Rechenschaftsbericht zu verlangen.
Artikel XVI
Eine Gesellschaft, in der die Garantie der Rechte nicht versichert und die Trennung der Gewalten nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung. Die Verfassung ist null und nichtig, wenn die Mehrheit der Individuen, die die Nation darstellen, an ihrem Zustandekommen nicht mitgewirkt hat.
Artikel XVII
Das Eigentum gehört beiden Geschlechtern vereint oder einzeln. Jede Person hat darauf ein unverletzliches und heiliges Anrecht. Niemandem darf es als wahres Erbteil der Nation vorenthalten werden, es sei denn, eine öffentliche Notwendigkeit, die gesetzlich festgelegt ist, machte es augenscheinlich erforderlich, jedoch unter der Voraussetzung einer gerechten und vorher festgesetzten Entschädigung.
Postambel
Frauen wacht auf! Die Stimme der Vernuft lässtsich auf der ganzen Welt vernehmen! Erkennt Eure Rechte! Das gewaltige Reich der Natur ist nicht mehr umstellt von Vorurteilen Fanatismus, Aberglauben und Lügen. Die Fackel der Wahrheit hat alle Wolken der Dummheit und Gewalttätigkeit vertrieben. Der versklavte Mann hat seine Kräfte verdoppel. Er hat eurer Kräfte bedurft, um seine Ketten zu zerbrechen. In Freiheit versetzt, ist er nun selbst ungerecht geworden gegen seine Gefährtin. O Frauen! Frauen wann hört ihr auf, blind zu sein? Welches sind die Vorteile, die ihr aus der Revolution gezogen habt? Ihr werdet noch mehr verachtet, noch schärfer verhöhnt. In den Jahrhunderten der Korruption habt ihr nur über die Schwächen der Männer geherrscht. Euer Reich ist zerstört! Was bleibt euch denn? Die Überzeugung von der Ungerechtigkeit des Mannes, die Forderung nach eurem Erbe, die ihr aus den weisen Gesetzen der Natur ableitet. Was habt ihr zu befürchten bei einem so hoffnungsvollen Unternehmen? Den Verweis des Herrn bei der Hochzeit von Kanaan? Habt ihr Angst, daß unsere französischen Gesetzgeber - Verfechter jener Moral, die sich lange Zeit in allen Zweigen der Politik eingenistet hatte, heute aber darin keinen Platz mehr hat - euch ebenfalls sagen könnten: »Frauen, was gibt es Gemeinsames zwischen euch und uns?« - »Alles!« würdet ihr darauf antworten. Wenn sie beharrlich fortfahren, durch diese Unvernunft, aus einem Gefühl der Schwäche heraus, mit ihren eigenen Prinzipien in Widerstreit zu geraten, dann stellt tapfer die Macht die Macht der Vernunft den eitlen Überlegenheitsansprüchen entgegen. Vereinigt euch unter dem Banner der Philosophie, entfaltet alle eure charakterlichen Kräfte, und ihr werdet bald diese stolzen, nicht untertänigen Verehrer zu euren Füßen haben, jetzt jedoch stolz darüber, mit euch die Schätze des Allmächtigen teilen. Was auch immer die Hörden sein werden, die man euch entgegenstellt, es liegt in eurer Macht, sie zu überwinden. Ihr müsst es nur wollen.
Kommen wir nun zu dem schrecklichen Bild des Zustandes, in den euch die Gesellschaft gehalten hat. Und da im Augenblick von einem öffentlichen Bildungswesen die rede ist, wollen wir sehen, ob unsere weisen Gesetzgeber in vernünftiger Weise an die Bildung der Frauen denken werden.
Die Frauen haben mehr Schaden angerichtet als Gutes getan. Auferlegte Zwänge und Heimlichkeiten waren ihnen eigen. Was ihnen durch Gewalt entrissen worden ist, haben sie durch Hinterlistigkeit zurückgewonnen. Sie haben alle Möglichkeiten ihres Charmes ausgeschöpft, und der ehrenhafteste Mann konnte ihnen nicht widerstehen. Das Gift, die Waffe, alles stand ihnen zu Diensten. Das Verbrechen wie die Tugend waren in ihrer Gewalt. Jahrhundertelang stand besonders die französische Regierung in der Abhängigkeit von Frauen, die nachts Politik betrieben. Das Kabinett war vor ihren Indiskretionen nicht sicher. Ebensowenig die Botschaft, die Heerführung, das Ministerium, die Präsidentschaft, das Bischofs- und Kardinalsamt. Ja alles, was die Dummheit der Männer ausmacht, ob in säkularen oder im religiösen Bereich, alles war der Habgier und der Anbition dieses Geschlechts unterwofen, ein Geschlecht, das früher verachtenswert war, doch geehrt wurde, und seit der Revolution ehrenwert ist, doch verachtet wird.
Wieviele Bemerkungen wollte ich doch zu dieser Art von Antihese machen! Mir reicht nur zu wenigen die Zeit, doch dieses Wenige wird die Aufmerksamkeit der Nachwelt bis in die weiteste Ferne auf sich ziehen. Unter den Ancien Régime war alles lasterhaft, alles schuldig. Doch konnte man denn nicht eine Verbesserung der Dinge im Kern des Lasters selbst erkennen? Eine Frau brauchte nur schön oder lieblich zu sein. Besaß sie diese beiden Vorteile, dann sah sie hundert Reichtümer zu ihren Füßen liegen. Wenn sie davon nicht profitierte, dann hatte sie einen eigenartigen Charakter oder eine selten philosophische Haltung, die sie Schätze verachten ließ. Sie wurde dann nur noch für verrückt gehalten. Die Scharmloseste verschaffte sich ihr Ansehen mit Gold. Der Frauenhandel war eine Art Unternehmen, das in die oberste Schicht EIngang fand; doch wird er fortan keinen Kredit mehr genießen. Wenn dem nicht so wäre, dann hätte die Revolution für uns ihren Sinn verloren, und wir würden unter neuen Vorzeichen weiterhin der Verderbtheit ausgeliefert sein. Doch müssen wir nicht zugeben, daß in einer Gesellschaft, wo der Mann die Frau gleich einem Sklaven von der afrikanischen Küste kauft, ihr jeder andere Weg, Wohlstand zu erwerben, verwehrt ist? Natürlich ist der Unterschied groß. Die Frau als Sklavin befiehlt dem Herrn. Doch wenn der Herr sie ohne Abfindung freilässt, in einem Alter, wo die »Sklavin« alle ihre Reize verloren hat, was wird dann aus dieser Unglücklichen? Ein Gegenstand der Verachtung. Selbst die Türen karitativer Fürsorge sind ihr verschlossen. Sie ist arm und alt, wird man sagen, warum hat sie nicht vorgesorgt Ich kann noch trauriger Beispiele anführen,. Ein unerfahrenes Mädchen wird von einem Mann, den sie liebt, verführt, verlässt sie nach einigen Jahren. Seine Treulosigkeit wird um so unmenschlicher, je mehr Jahre sie bei ihm verbracht hat. Hat sie Kinder, verläßt er sie trotzdem. Ist er reich, sieht er sich nicht genötigt,sein Vermögen mit seinen edlen Opfern zu teilen. Hat er durch ein Versprechen seine Verpflichtungen besiegelt, dann wird er sein Wort brechen und sich auf die Gesetze verlassen. Ist er verheiratet, dann verliert jedes eingegangene Versprechen an Rechtskraft. Welche Gesetze müssen gemacht werden, unm das Laster an seiner Wurzel zu packen? Solche, die der Aufteilung des Vermögens zwischen Männern und Frauen und ihrer öffentlichen Handhabung dienen. Es ist leicht zu erkennen, dass sich für diejenige, die einer reichen Familie entstammt, eine gleich e Aufteilung des Vermögens vorteilhaft auswirken wird. Doch welches Los trifft die verdienst- und tugendreiche Tochter einer armen Familie? Armut und Schmach. Denn hat sie sich nicht in der Musik und Malerei ausgezeichnet, dann wird ihr jede öffentliche Betätigung verweigert, auch wenn sie dazu alle nötigen Fähigkeiten besitzt. Ich will hier nur einen kurzen Überblick über die Lage der Dinge geben. In der neuen Auflage meiner gesamten politischen Schriften, die ich mit Anmerkungen versehen, dem Publikum in wenigen Tagen darzubieten hoffe, werde ich die Situation eingehender beschreiben.
Konnten wir auf die Problematik der Sitten zurück. DIe Ehe ist das Grab des Vertrauens und der Liebe. Eine verheiratete Frau kann ungestraft ihren Gatten Kinder gebären, die von einem andern Mann gezeugt wurden, und ihnen dadurch ein Vermögen sichern, dass ihnen nicht zusteht. Die unverheiratete Frau ist rechtlich in einer schwachen Position: Die alten und unmenschlichen Gesetze verweigern ihr für ihre Kinder an Anspruch auf den Namen und das Gut ihres leiblichen Vaters, und man hat in dieser Sache keine neuen Gesetze erlassen. Wenn geglaubt wird, daß mein Versuch, meinem Geschlecht eine ehrenhafte und gerechte Lebensgrundlage zu geben, zur Zeit ein Ding der Unmöglichkeit versuche, dann lasse ich den Männern der kommenden Generation die Ehre, diese Sache zu behandeln. Doch mittlerweile kann man sie durch die staatliche Erziehung, die Erneuerung der Sitten und durch Regelung des ehelichen Verhältnisses veorbereiten.
Quelle:
Schröder, Hannelore: Die Frau ist frei geboren. Texte zur Frauenemanzipation, München 1979