Fragment zur Geschichte der deutschen Publizität

vom 27.03.1786.

Fragment zur Geschichte der deutschen Publizität[1]

 

Herr Winkopp, Herausgeber des deutschen Zuschauers, musste sich aus Zürich flüchten[2], weil er nicht mehr sicher war, aufgehoben zu werden.

Zween Hofräte von der Mainzischen Regierung stellten ihm nach. Sie waren mit einem offenen Brief versehen, worin alle Obrigkeiten aufgerufen waren, ihnen Hand zu leisten und Herrn W. auszuliefern[3] als einen Verbrecher der sich an der Person Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht vergriffen hätte.[4]

Schon seit sechs Wochen und über 150 Meilen waren diese erlauchten Jäger[5] ihrem Opfer nachgeschlichen als sie am 6. März zu Freiburg in Breisgau[6] ankamen und in einer Bierschenke[7] abstiegen.

Herr Winkopp logierte im Gasthof[8]. Bei seiner Ankunft gab er der Polizei seinen wahren Namen ab. Seine Gegner aber ließen sich für Florhändler unter den Namen Frank und Schmidt einschreiben.

Bei ihnen war ein Sergeant von der Regierung zu Karlsruhe, der das Felleisen mit den Schließen und Daumstöcken führte. Er quartierte sich zum Römischen Kaiser ein, um Herrn W. näher im Auge zu haben. Dieser Mensch spähte die Wege des Herrn W.s aus und beobachtete seine Bewegungen emsig.

Herr W. ging nicht aus, weil ihm seine Garderobe noch nicht nachgekommen war. Er hatte sie an einen Professor zu Freiburg adressiert. Dieser Biedermann ist´s durch den man weiß, dass Herr W. zwar Beunruhigen von bayer´scher Seite befürchtete, aber von Mainz nichts ahndete.[9]

Wie es kam, dass sich der unglückliche Mann entschloss, am 9. März nach Krozingen zu fahren ist unbekannt. Ob er durch List dazu bestimmt worden, mag die Folge entwickeln.[10] Er sollte mit eines Wirts Equipage hingehen. Einige Minuten vor der Abfahrt ließ sich der Kutscher (des Wirts Sohn), man weiß nicht warum, von einer Kolik überfallen. Herr Winkopp nahm also einen Fiaker. Ein junger Praktikant, der im Gasthofe ab- und zuging, Herr Plank, trug sich ihm zur Gesellschaft an. Wieviel er Anteil an dem erfolgten Zufall hat, das bleibt dahingestellt. [11]

Beim Aufsitzen sagte einer von den Zuschauern: der kommt auch nicht mehr wieder! Man weiß, dass W. auf dem Wege wieder umkehren wollte. Nur die Invasion [Überredung] Herrn Planks war's, warum er die Tour fortsetzte. Dem Cariol [Wagen] des Herrn W. folgte Hanauer, sein Beobachter, auf dem Fuße Und noch einige hundert Schritte hinter diesem einer von den Florhändlern. Nämlichen Tags waren auch zween gewisse Badensche Beamte von Emmenlungen zu Freiburg angekommen und im Römischen Kaiser abgestiegen, da sie doch sonsten beim Mohren zu logieren pflegen. Sie weilten im Gasthofe, bis die Nachricht von der Gefangennehmung Herrn W.'s eingetroffen war. Nun ließen sie sich eine frische Bouteille [Flasche] Champagner geben. »Es soll ihm übel bekommen«, sagte einer von ihnen, »als Untertan eines der Hauptinteressenten auf den Fürstenverein gestichelt zu haben!«

Herr W. - oder vielmehr sein Kutscher - hielt zu Wolfenweiler, einem Mark- gräflich Badenschen Dorfe auf dem Wege nach Krozingen, vor dem Wirtshause. Hier entfernt sich der Kutscher unter irgendeinem lausigen Vorwand von den Pferden. In diesem Augenblick überrascht die Reisende der Sergeant, hält sie an und erklärt Herrn Winkopp für seinen Gefangenen. Zu gleicher Zeit trifft auch der Florhändler ein, demaskiert sich und befiehlt, mit dem Gefangenen Emmendingen zuzufahren.[12]

Hiezu ist der Kutscher, ein Bürger von Freiburg, seines Handwerks ein Sattler, der fiakert (nie aber selber kutschierte als diesmal), bereit. Allein der Vogt zu Wolfenweiler widersetzte sich. Da der Ort ins Oberamt Müllheim gehört, so bestund er darauf, dass der Arrestant dahin gebracht werden müsse. Sergeant Hanauer übernahm als die Besogne [franz.: Arbeit]. Herr Plank, der Gefährte und Zeuge des Spiels aber, fuhr an der Seite des Florhändlers wieder nach Freiburg zurück. Von ihm haben wir, dass der Fiaker des Herrn Winkopp über seinen Lohn noch einen Louisdor zum Trankgeld erhalten.

itzt entkleiden sich die beiden Florhändler. Sie erklären sich für kurmainzische Hofräte und eilen nach dem Römischen Kaiser, um sich der Brieftasche Herrn Winkopps zu versichern. Hier versiegeln sie die Effekten desselben. Zu deren Entführung aber geht ihnen die Erlaubnis der kaiserlich königlichen Regierung zu Freiburg ab. Sie warten also dem Landeschef, Freiherrn von Bosch, auf, bei dem sie sich unter ihren wahren Namen[13] melden lassen. Sie wurden zur Tafel geladen. Beim Coffee wollten sie von ihren Geschäften sprechen, der Landespräsident aber lehnt es ab: er will privatim keine Erkenntnis davon nehmen; er weist sie an die Regierung.


[1] Kurfürstlich Mainzische und Markgräflich Badensche Gelehrtenjagd (Lesart des Originals)
[2] Wo er bisher ruhig saß und von der einheimischen Polizei nichts zu fürchten hatte. (Das U.)Wo er bisher ruhig saß und von der einheimischen Polizei nichts zu fürchten hatte. (Das U.)
[3] Wie ihr Spürhund, der famose B -, dessen sich bei ihrem geheimen Aufenthalt zu Zürich bedient haben sollen, aussagt, so war ihr Plan, den Journalisten lebendig oder tot nach Mainz zu liefern. (Das U.)
[4] Dieser Angriff soll, wie man aus den Briefen des Gefangenen sieht, spezifice im 33. Artikel des 9. Hefts bestehen (Deutscher Zuschauer, 3. Bd., S. 393 usw.) (Das U.)
[5] Häscher (Lesart des Originals)
[6] Wohin er sich, wie man sagt, auf den Rat des Kaiserlichen Ministers zu Basel, in dessen Schutz er sich warf, zween Tage zuvor retiriert hatte. (Das U.)
[7] Zum Kamel (Das U.)
[8] Zum Römischen Kaiser (Das U.)
[9] Er verschwieg es. Denn nichts ist gewisser, als das Herr W. von der Gegenwart der Herren von Forstner und von Bellmont und der Natur ihrer Reise nur allzuwohl unterrichtet war. (Das U.)
[10] Krozingen ist die erste Poststation gegen Basel, von wo sein Koffer herkommen sollte. (Das U.)
[11] Hier ist seine Erklärung.
Dem Publikum ist bekannt, dass Herr Winkopp, der Verfasser des deutschen Zuschauers, der sich einige Tage dahier aufgehalten, der Gelegenheit einer Spazierfahrt nach Krozingen zu Wolfenweiler unvermutet arretiert worden ist. Da ich ihn begleitete und bei der Verhaftnehmung gegenwärtig war, könnte leicht der Verdacht einen Verräterei auf mich fallen. Ich sehe mich hier zu Rettung meiner Ehre veranlasst, öffentlich zu erklären, dass ich mich zu dergleichen Streichen gar nicht aufgelegt finde. Ich zweifle auch nicht, die ganze Geschichte werde nächstens in ein helles Licht gesetzt und meine Unschuld aufs deutlichste an Tag gelegt werden.

Freiburg, d. 16. März 1786

                Benedikt Plank,
                jur. cand. Und städtischer Praktikant.
[12] Wo Schlosser, der Weltweise, amtiert? (Das U.)
[13] Herr von Bellmont, Präsident von Erfurt, und Baron Forstner, Regierungsrat, sagt die Visitenkarte. Baron Greifenegg, Regierungsrat zu Freiburg, führte sie auf. (Das U.)

Quelle:
Wekhrlin, Wilhelm Ludwig (Hg.): Das Graue Ungeheuer, o. 0. (Nürnberg) 1786


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