Flugschrift »Leipziger Drangsale«
vom November 1813.
Von einem Bewohner unserer Stadt beschrieben der Nachwelt zum Andenken herausgegeben.
Ihr, die Ihr das furchtbare Getöse einer blutigen Schlacht noch nicht in Eurer Nähe hörtet; die Ihr Euren Wohnort noch nie von krachenden Feuerschlünden umringt saht, welche Tod und Verderben um Euch her verbreiteten, Euch und Allem, was Euch wert und teuer ist, in jedem Augenblicke dem Untergang drohten: vernehmt, was Leipzigs Bewohner in 6 verhängnisvollen Tagen bluteten, vergleichet Euer Schicksal mit den ihrigen und lernet auch in der Not zufrieden sein. Mit schlichter Wahrheitsliebe sprich zu Euch ein Augenzeuge der schrecklichsten Ereignisse, ein Teilnehmer an den Euch unbekannten Drangsalen, und er hat keinen andren Zweck, als den: Euch zur Geduld beim Drucke schwerer Bürden, zur Willigkeit bei schmerzlichen Opfern und zum lauten Preise des Allgütigen zu ermuntern, der Euch vor den größten Schrecknissen und Gefahren des Kriegs bisher bewahret hat!
Leipzig, Sachsens zweite Stadt, sonst blühend durch seinen Handel, reizend durch seine Umgebungen, geehrt du ausgezeichnet durch die Dienste, welche es seit vier Jahrhunderten den Künsten und Wissenschaften leistete – dieses herrliche Leipzig hatte zwar in den neuesten Zeiten durch Beschränkungen des Handels und Gewerb- Fleißes, durch große Aufopferungen, durch die Last zahlreicher Einquartierung und namentlich durch die Zerstörung mehrerer Messen ungemein viel gelitten; aber wir Bürger ertrugen geduldig, was nicht zu ändern war, entbehrten willig, was wir nicht genießen konnten und hofften nach geendigten Kriege eine günstigere Verfassung. Doch unsere ruhigen Wünsche wurden bald durch den umverhältnismäßigen Preis der gewöhnlichen Lebensbedürfnisse, erzeugt durch den wachsenden Mangel derselben, bis zur stürmischen Sehnsucht nach Besserung gesteigert. Ihr werdet Euch eine Vorstellung von unserer damaligen traurigen Lage machen können, wenn Ihr erwägt, dass (wie man sagt) die Dresdner Kanne Butter mit 2 Thlrn ein Schock Bier mit 4 Thlrn. Und eine Kanne einfacher Branntwein mit 1 Thlr. 16 Gr. Bezahlt wurde und selbst für diesen Preis kaum zu haben war. Um unsere Not vollständig zu machen, gesellten sich zu Mangel und Teurung auch noch Besorgnisse anderer Art! Der blutige Kampf um Deutschlands Freiheit und Selbstständigkeit zog sich in unsere Nähe und ließ uns für Habe und Güter, Gesundheit und Leben Alles befürchten.
Am 3. Okt. traf der Herzog von Ragusa, Marmont, mit seinem Corps in Leipzig ein, und ihm folgten nach und nach mehrere Marschälle und Generale; endlich erschien sogar ganz unerwartet der König von Neapel. Die ganze Stadt war von französischen Truppen angefüllt und dieser Umstand weckte schon in uns die dunkle Ahnung, dass unsere Gegend zum Schauplatz wichtiger Beobachtungen erkoren sei. In den darauf folgenden Tagen ließ der Herzog von Padua in der Allee Bäume fällen und Sonntags den 10. Palisaden und Spanische Reiter an den Thoren aufrichten. Diese Anstalten deuteten so wenig auf etwas Gutes hin, dass die Furcht jedem Gemüte sich mitteilte und allgemeine Bestürzung in der Stadt verbreitete. Sie wurde vermehrt, als man sahe, dass hie und da Brücken abgebrochen und Schanzen angelegt wurden, um unser friedliches Leipzig schnell in eine Festung zu verwandeln. Dabei nahm der Mangel an Lebensmitteln in dem Grade überhand, dass die Franzosen gewaltsame Maßregeln ergriffen, um sich dieselben zu verschaffen, und alles Vieh, dessen sie nur habhaft werden konnten, aus den nächsten Dörfern zusammen trieben. Die unglücklichen Landleute, welche ihr Eigentum in der größten Gefahr erblickten, flüchteten mit Ochsen und Kühen in das Rosenthal; aber die Drohung der Franzosen, dasselbe zu beschießen, nötigte die Armen, diesen Zufluchtsort bald wieder zu verlassen und ihr Vieh preis zu geben. Die Bäcker wurden durch die vor ihren Häusern aufgestellten Wachen gezwungen, zunächst die Bedürfnisse der Bewaffneten zu befriedigen und ihren wehrlosen, hungernden Mitbürgern das nötige Brod zu versagen. Es fehlte auch an Holz und man verbrannte Zäune, Türen, Tische, Stühle, Bänke und alle brennbare Mobilien ohne Unterschied. O wie mancher Arme verlor in diesen Tagen, in wenig Stunden sein Hausgerät, sein Zuchtvieh und seine ganz kleine Habe, die er durch Jahreslangen Fleiß und entbehrende Sparsamkeit sich erworben hatte! Wenn wird die Zeit erscheinen, die ihnen den erlittenen Verlust ersetzt?
Bis zum 13. vermehrte sich täglich die Zahl der Krieger durch die Ankunft der Rheinbundtruppen; die Einquartierung wurde lastender, der Mangel und die Teuerung drückender! Thore und Schläge wurden vom Militär besetzt und Kanonen rings um die Stadt aufgepflanzt! Man sahe überall Vorbereitungen zur Schlacht und kein Bürger durfte sich auf die Straße wagen, ohne sich der Gefahr bloß zu stellen, von hin und her sprengenden Reitern verletzt und von hungernden Bettlern stürmisch angefallen zu werden.
Mit banger Erwartung sahen wir den 14. Okt. Entgegen – einem Tage, an den sich bei den Franzosen glorreiche Erinnerungen an die Siege von Jena und Austerlitz knüpften; einem Tage an welchen die Preußen, Russen und Österreicher nicht weichen durften, wenn sie die vormals empfangenen Wunden heilen wollten! Er erschien – und mit ihm begann die große, in der Geschichte ewig berühmte Schlecht bei Leipzig und unsre sechstägige Angst! Früh um 9 Uhr erhob sich ein fürchterlicher Kanonendonner in der Gegen von Wachau, Stötreritz und Liebertwolkwitz, der unaufhörlich bis um 8 Uhr Abends fortbrüllte. Während derselben kam mittags Kaiser Napoleon und Sachsen König mit seiner Familie nach Leipzig. Mit trefflicher Musik empfingen sie die Bürger und ihre süßen Harmonien wetteiferten mit den herrlichen Tönen, welche aus den Instrumenten der Königl. Garden hervorquollen! Welch ein Kontrast! Eine Stunde von uns das Geschrei der Kämpfenden, Verwundeten, Sterbenden; und hier die sanftesten Melodien, die schönste Eintracht! Dort der grauenvolle Tod, hier fröhliches Leben! Dort die Hölle, hier der Himmel! Ach, dieser Widerspruch konnte unsere bangen Ahnungen nicht in freudige Hoffnung auflösen, es schärfte vielmehr unsre unangenehmen Gefühle: denn wir wussten nur allzu gut, dass der Schmerz Wirklichkeit, die Lust Täuschung ist.
Napoleon reist sogleich zum Grimmischen Thore hinaus und man sahe ihn bald darauf vor einem Tischen, auf welchem Karten und andere Schriften lagen, stehen. Neben ihm stand der Herzog von Bassano und mehrere Generale, Adjutanten gingen ab und zu. Mit einer kalten Ruhe, die den an Schlachten gewohnten Feldherrn bezeichnete, betrachtete der Kaiser die vor ihm liegenden Karten und gab die nötigen Befehle. Um sechs Uhr verließ er diesen Platz. Mehrere Tausende seiner Garden folgten ihm mit einigen in dem Treffen bei Dresden erbeuteten Fahnen. Die Kanonade entfernte sich nicht und rückte auch nicht näher, bis sie auf einmal ganz aufhörte. Wie schlossen daraus, dass der Widerstand von beiden Seiten gleich hartnäckig gewesen und dass durch diesen blutigen Tag nichts entschieden worden sei.
Jedermann vermutete also, dass der folgende 15. Okt. Zum erneuerten, heftigen Kampfe bestimmt sein und Entscheidung bringen würde. In dieser Vermutung bestärkten uns auch einige Kanonen-Schüsse, welche in der Nacht gegen Sonnewitz hin gehört wurden und wir erwarteten mit erhöhter Bangigkeit den grauenden Morgen. Unsre Erwartung traf aber nicht ein! Der ganze Tag verging ruhig und kein Mensch blutete an demselben für Vaterland und Ehre. Man hatte ihn, wie wir nachher erfuhren, zu Unternehmungen angewendet, welche leider! One erfolg geblieben waren.
Davon überzeugte uns der 16. Okt., der schrecklicher war, als seine Vorgänger. Früh um 8 Uhr begann in der Gegend von Wachau bis Connewitz die fürchterlichste Kanonade, welche sich einige Stunden nachher rings um die Stadt verbreitete und am lebhaftesten gegen 12 Uhr bei Lindenau war. Die Preußen drangen bis an die Ziegelscheune vor; Gohlis wurde genommen und eine preuss. Batterie von 40 bis 50 Kanonen, so wie eine schwächere französische schleuderte tödliche Kugeln weit umher. Acht Stunden lang behaupteten beide Parteien ihre Standpunkte. Fünf Dörfer brannten auf einmal. Nachmittags um 3 Uhr kam ein französischer Courier in die Stadt gesprengt und rief: „Vicroire Vive l`Empereur! (Sieg! es lebe der Kaiser!) Um 4 Uhr ertönten feierlich die Glocken aller Kirchen und verkündigten mit ernsten, schallenden Tönen das „Vivroire!“ des französischen Couriers der ganzen Stadt. Wir sollen an den Sieg der Franzosen glauben; aber vor vermochte das? Bei Lindenau donnerte das schwere Geschütz ununterbrochen fort und schien sogar bisweilen näher zu rücken; eine Menge flüchtiger Franzosen, nicht einzelne Versprengte, eilten in die Stadt! Waren das Merkmale eines glücklich geendeten Kampfs? Am Abende wurden so viele Verwundete in die Stadt gebracht, dass die Lazarette sie nicht alle aufnehmen konnten und Hunderte von diesen Bedauernswürdigen hilflos auf den Straßen und Gassen liegen bleiben mussten. Sie boten einen Anblick dar, vor dem die Menschheit sich entsetzte und der jedem, nicht ganz gefühllosen, Augenzeugen stets unvergesslich sein wird. Hier wälzten sich Verstümmelte blutend auf den harten Gestein, und flehten mit herzzerschneidender Stimme um Verbindung ihrer Wunden, um Ablösung ihrer zerschmetterten Glieder, um einige Tropfen Wasser zu Labung in ihrem Schmerz; dort fluchten Andere ihrem Schicksale und stießen laute Verwünschungen gegen diejenigen aus, welche sie im blühenden Alter zur Schlachtbank geführt hatten! Hier sahe man rüstige Jünglinge und Männer, die ihre durchlöcherten Arme und Beine nicht regen konnten und denen in roten Strömen die Lebenskraft entfloh; dort hörte man das Stöhnen und Röcheln der Sterbenden, die ihren letzten Kampf kämpften! O Ihr, denen Mitleid und Teilnahme nicht fremd sind, stelle Euch lebhaft diese Szenen vor; bedenkt, es waren Menschen, Christen, Brüder, welche hier ohne die geringste Erquickung bluteten, ohne liebevolle Pflege mit tödlichen Schmerzen rangen, ohne den Trost der Freundschaft und Religion ihre Seelen aushauchten; und Ihr werdet die Empfindungen einigermaßen beurteilen können, welche uns im Kreise dieser Unglücklichen gewaltsam ergriffen! Frankreichs Kaiser soll, nach der Behauptung eines polnischen Offiziers, in dieser Nacht auf dem chlachtfelde und mitten unter seinen Kriegern vollkommen ruhig geschlafen haben.
Um uns, den durch Angst und Besorgnisse Erschöpften, einige Erholung zu gestatten, ordnete die gütige Vorsehung so, dass der 17. Okt. Weniger schrecklich wurde. Zwar vernahmen wir schon am Morgen dieses Sonntags den Donner der Kanonen aus der Gegend von Stötteritz her, aber er verstummte bald wieder. Gegen 9 Uhr begann ein neuer Kampf bei Sutriesch, der durch mehrere in die Stadt fallende Kugeln uns seine zerstörende Wirksamkeit bewies; aber er war ebenfalls von kurzer Dauer. Der Kronprinz von Schweden und General Blücher näherten sich mit unaufhaltsamen Schritten. Um 12 Uhr Mittags traf eine uns Allen sehr willkommene Stille ein, deren Ursache, wie wir nachher erfuhren, in neu angeknüpften Unterhandlungen zu suchen war. Noch an diesem Tage verbreitete sich eine Nachricht, die uns Niedergeschlagene nicht wenig aufrichtete und uns Trauernde sehr erheiterte. Man sagte nämlich: es sei eine Kapitulation abgeschlossen und dadurch festgelegt worden, dass Leipzig binnen 24 Stunden von den Franzosen geräumt und von den Alliierten verschont werden solle! Wie froh würden wir gewesen sein, hätte diese Sage nicht allzu sehr das Gepräge der Unwahrscheinlichkeit an sich getragen!
Schon der Morgen des 18. Okt. Überzeugte uns von der Nichtigkeit des süßen Traums und welche stürmisch die Ahnung, dass die ausgestandenen Leiden nur das Vorspiel größerer Drangsale gewesen sein würden. Früh halb 9 Uhr fing sich das Treffen bei Probstheide mit der größten Heftigkeit an und zog sich bald in die Nähe der Stadt. Besonders donnerte bei Susrisch und Pfaffendorf fürchterlich das schwere Geschütz. In Löhrs Garten und an Gerdertore hatten die Franzosen Batterien errichtet und feuerten entsetzlich. Susrisch behaupteten die Preußen; Schönfeld wurde dreimal stürmend weggenommen, bis endlich das ganze Dorf in Feuer aufging! Auch Pfaffendorf wurde ein Raub der Flamen- Hier war ein französisches Lazarett, mit 1500 Kranken und Blessierten gefüllt. Niemand konnte die Unglücklichen retten; sie fanden in den Flammen den Tod. In alle Teile der Stadt flogen die Kugeln und von einer derselben wurde ein franz. General auf der Katherinnenstraße getroffen. Viele Häuser wurden beschädigt, die Fenster klirrten unaufhörlich oder zersprangen; die Erde bebte rings umher! So brach die Nacht herein, die schrecklichste, welche mir jemals durchwacht hatten! Leipzig war von einem Flammen-Meere umgeben – am Himmel glänzte strahlend der furchtbare Widerschein von brennenden Dörfern und von tausend Wachfeuern! Überall hörte man lautes Geschrei der Menschen und dumpfes Kindergebrüll. Der letzte Tag unsrer Stadt und unsres Lebens schien vorhanden zu sein, und wir sahen im Geiste schon die Drohung des Herzogs von Padua erfüllt: dass er Leipzig so lange verteidigen wolle, bis er über dessen Asche dahin schreiten könne! Dass dies auch wirklich sein ernster Entschluss gewesen sei, gedenkt die Menge von Pech, welche schon zum Abbrennen der Vorstädte bereit lag. Ein Mangel an Nahrungsmitteln, der in diesen Tagen fast bis zur Hungersnot stieg, vollendete das unaussprechliche Elend der ärmern Volksklasse und des französischen Krieges. Man sahe – o des schrecklichen Anblicks! – dass Arme auf den Straßen jede Erdapfel-Schale mühsam aufsuchten und gierig verschlangen; dass Soldaten von den zahlreich umher liegenden toten Pferden ganze Stücke abschnitten und roh oder gebraten verzehrten. Um die Lazarette kümmerte sich bei der allgemeinen Verwirrung kein Mensch und die Kranken und Verwundeten mussten mehrere Tage hungern und dursten. Den Donnerstag, als den 21. Okt., sind wie behauptet wird, allein aus dem Gewandhause 400 Tote geschafft worden. In der bangen Erwartung, dass das Schrecklichste und doch noch am folgenden Tage bevorsteht, erlebten wir betend die grauenvolle Nacht!
Der 19. Okt. erschien und mit ihm die Todesangst, aber auch die Erlösung! – Nahe um unsre Stadt brüllten laufend Feuerschlünde und übersäten mit zahllosen Kugeln die hart Bedrängte. Die Dächer wurden durchschlagen, die Mauern zum Teil zerschmettert. Granaten fielen in die Zimmer und zertrümmerten knallend Alles, was zerbrechlich war: Spiegel, Gemälde, Tische, Stühle etc. Brandraketen entzündeten ein Haus auf dem Brühl, die Eule genannt, und kein Mensch vermochte zu löschen. Überall furchtbarer Tumult, augenscheinliche Gefahr. Um sich derselben zu entziehen und das kümmerliche Leben, wo möglich, noch einige Tage zu fristen, verkroch sich ein Teil der Einwohner im Keller und Gewölbe. Die mehresten Bürger waren bis zur Gefühllosigkeit abgestumpft und wandelten, gleichgültig gegen Verletzung und Tod, mit brennenden Tabakspfeifen im Zimmer umher, traten auch wohl an die Fenster, keine Kugel mehr fürchtend. Sogar manche Frauen verloren die natürliche Furchtsamkeit und erhoben sich zu einem Mute, welcher aus der Verachtung alles Irdischen hervorging. Sachsens König erschien während dieser Schreckenszeit oft am Fenster, wahrscheinlich um die Einwohner zu beruhigen. Um 10 Uhr ritt Napoleon mit dem Könige von Neapel und seiner Suite durch das Grimmische Thor und stieg vor dem Thomä´schen Haus, welches unser König bewohnte, gelassen ab. Beide Monarchen unterredeten sich hier in einem Erkerfenster eine Stunde lang und der entferntere Beobachter bemerkte an Napoleon eine Ruhe, welche sich sogar zuweilen durch ein vorübergehendes Lächeln ausdrückte. Um 11 Uhr verließ derselbe unsren König, ritt dann auf den Rossplatz, hielt hier eine Zeitlang unter dem Kugel-Regen und ging dann durch den Hermannschen (ehemals Richterschen) Garten über die Elster, wo man eine hölzerne Brücke geschlagen hatte. Die steinerne Brücke, welche sonst bei der kleinen Funkenburg über diesen Fluss führte, hatte man gesprengt, wodurch fast alle benachbarten Häuser beschädigt und zerstört worden waren. Unser König begab sich nach Napoleons Weggang in das Nörnersche Gewölbe.
Die fürchterlichste Stunde dieses Tages verlebten wir von ½ 12 bis ½ 1 Uhr. Schrecklicher als jemals krachten die Kanonen; in allen Richtungen durchkreuzten sich die Kugeln und nur durch die Menschlichkeit der anrückenden Krieger, welche auf Veranlassung des edlen Kronprinzen von Schweden und des menschenfreundlichen General Blücher, nur wenig Brandraketen warfen, wurde Leipzig dem schrecklichen Schicksale der Einäscherung entrissen. Die Königl. Sächs. Garde war auf dem Markte aufgestellt. Die Franzosen leisteten nur noch hie und da Widerstand, indem der größere Teil derselben sich schon auf der Flucht befand. Um 12 Uhr wurden die äußeren Thore gesprengt, die Palisaden weggerissen und fechtend zogen sich die Franzosen durch die Vorstädte zurück, wobei die Häuser nicht wenig litten. Nicht lange darauf wurde auch das innere Grimmische Thor forciert und die Sieggekrönten Preuß. Jäger traten zuerst ein. Nach einem kurzen Kampfe waren die noch anwesenden Franzosen teils getötet, teils gefangen, die Sachsen, Badener, Bayern, Württenberger schlossen sich freundlich an die Alliierten an- und wir waren gerettet!
So wenig ich Euch, vaterländische Brüder und Schwestern, die schmerzlichen Empfindungen welche während der angstvollen Tage unsre Gemüter durchströmten, ganz nach der Natur darstellen konnte; eben so wenig vermach ich´s auch, die frohen Gefühle anschaulich zu beschreiben mit denen wir unsre Retter begrüßten! Jede Klage verstummte, die reumütige Erinnerung an unsre ausgestandenen Leiden, selbst das Andenken an verödete Dörfer und verwüstete Fluren verschwand in dem Augenblicke, wo wir den freundlich - grüßenden General Thielemann, den ernsten Kronprinzen von Schweden, die menschenfreundlichen Fürsten Alexander, Friedrich-Wilhelm mit seinem Kronprinzen, umgeben von ihrem Generalstabe und an der Spitze ihrer wackren Krieger majestätisch daher ziehen sahen. Ein lauter Jubel tönte durch de Stadt. Vivat! Hurrah! Schallte auf jeder Straße, aus jedem Fenster! Weiße Tücher, die Fahnen des Friedens, flatterten in den Händen unsrer Schönen und nie war wohl ein jauchzendes „Willkommen!“ herzlicher gemeint, als dass, welches jetzt Leipzigs Bürger und Bürgerinnen den einrückenden Siegern zuriefen! Wir alle fühlten es, wie viel wir ihnen zu verdanken hatten! Wir Alle wussten es, dass es nur von ihnen abgehangen hatte, uns und die Königl. Familie unter Leipzigs Trümmern zu begraben! Wir Alle sahen es, dass nicht Mordlust und Raubsucht, sondern Teilnahme an unsrem Schicksale und Schonung gegen den Wehrlosen in ihren Herzen wohnte! Wir kehrten Alle gleichsam in ein neues Leben zurück! Ein Freund, ein Verwandter eile zu dem Andern, um sich zu erkundigen, wie er die Not überstanden hätte, wie er die gegenwärtige Freude äußerte! Alles umarmte einander, die Feindschaft war verschwunden, die Liebe herrschte.
Möchte doch diese Liebe, die Mutter und Tochter wahrer Heiterkeit, auch ferner unter uns walten und ihr beglückendes Reich immer fester gründen! Möchte sie sich insbesondere derer erbarmen, die in den Tagen der Angst, bis auf das Leben, Alles verloren haben! Denn ach! Wo seid Ihr jetzt, Ihr unglücklichen Einwohner der abgebrannten Dörfer, die Ihr uns Städter sonst so freundlich in Euren stillen Wohnungen aufnahmt, wenn die heitre Frühlingsluft, der milde Sonnenstrahl uns in Eure blühenden Auen lockte? Wo sind Eure zahlreichen Herden, deren erfrischende Milch uns am schwülen Sommer-Abende erquickte, deren schmackhafte Butter uns die herrlichste Rast unter grünen Lauben bereitete? Wo ist das reinliche Hausgerät, dessen wir uns so oft beim fröhlichen Mahle bedienten? Ihr Armen! Das Alles hat Euch der furchtbare Krieg entrissen! Sehet ihr dort die öden, schwarzen Mauern, welche auf die Gräber Eurer Väter zu stürzen drohn? Es sind die traurigen Ruinen Eurer Kirchen, wo ihr noch vor Kurzem in heiliger Andacht die Belehrungen und den Trost des Evangeliums vernahmt! Seht Ihr, wie dort der Sturm ein kleines Häuflein Asche erhebt und wirbelnd umherstreut= es sind die Überreste der friedlichen Hütte, in der Eure Vorfahren bei Fleiß und Frömmigkeit so glücklich lebten, die sie Euch als ein wertes Erbteil hinterließen, die bisher der stille Schauplatz Eurer Freuden und Leiden war und die in Staub zerfallen ist! Nun nahet der raue Winter; schon bestreuet der Kalte Nordwind das Haupt unsrer Gebirge mit Schnee; bald wird die bleichende Flur unter eisigem Gewande erstarren: ach! Wer wird Euch ein schützendes Obdach bieten, mit wärmenden Kleidern, Euch decken, mit kräftiger Speise Euch nähren – Die Liebe, welche der schuldlosen Dürftigen sich gern erbarmt! –
Und Du, Friedrich August! König! Vater! Du musst so Dein Land verlassen? Solche Unfälle waren Dir beschieden, der Du Ernst und Milde, Gerechtigkeit und Güte, so schön zu sparen musstest? Wirst Du, Greis, sie tragen können? Voll leiser Wehmut blicken wir Dir nach! Du hast uns 43 Jahre wohl regiert, hast Ordnung und Gesetzlichkeit aufrecht erhalten, hast Künste und Wissenschaften nach Kräften befördert und zu mehrern Malen die öffentlichen Not gesteuert! Keine Zeit, kein Unfall kann die heil´gen Banden lösen, womit die Dankbarkeit uns an Dich kettet! Wir schätzen Deine Gewissenhaftigkeit, die Dich auch dann geschlossene Verträge halten, und übernommene Pflichten erfüllen ließ, als diese Rechtlichkeit Dir selbst gefährlich ward! Wir ehren Deine Frömmigkeit, die für uns Alle ein musterhaftes Vorbild war! Mögen die, die Dich nicht kennen, ein hartes Urteil über Dich fällen, wir achten Dich, wenn schon Deine Ansicht der Dinge nicht immer mit der unsrigen übereinstimmte! Ach wir sind besorgt um Dich! – Doch nein! Wir fürchten nichts! Du bist in der Gewalt gerechter, edler Fürsten und in Gottes Hand.
Quelle:
Privatarchiv EPOCHE NAPOLEON