Brief Heinrich Dietrich von Grolmans an seinen Sohn Karl Wilhelm
vom 12.06.1813.
12 Juni 1813
Lieber Sohn! Deinen Brief vom 1sten haben wir am 8ten erhalten; wir freuen uns, das Du und die beiden Gerlach?s aus den verschieden[en] Gefechten ohne Schaden gekommen seid. Du schreibst, die Berliner möchten den Mut nicht verlieren. Seitdem die furchtsamen Leute sich von hier entfernt haben, ist hier alles voller Mut gewesen. Aber wie sieht es in Schlesien aus. Obgleich die Zeitungen immer von dem großen Mut und der Lust zu neuen Schlachten der Armee schreiben, so stimmen doch die Handlungen damit nicht überein. Eine Armee, welche sich dreißig bis vierzig Meilen zurückzieht, welche sich in einen Winkel von Schlesien einsperren lässt, welche einen so unzeitigen Waffenstillstand schließt, wird wohl niemand für mutvoll halten. Hingegen hier hatten die Bülowschen und Czernitscherschen Korps vorteilhafte Geschäfte im Rücken der Franzosen. Sie drangen immer weiter in Sachsen vor; nächstens würden sie bei Dresden erschienen sein. Sie hätten dem Napoleon alle Zufuhren abgeschnitten und würden ihn genötigt haben, sich aus Schlesien zurückzuziehen. Dazu kommen die aus Schlesien verbreiteten Nachrichten, dass die Österreicher im Begriff wären, in Sachsen, Bayern u. Italien einzubrechen. Trotz diesen schönen Aussichten erschien unvermutet die Nachricht vom Waffenstillstand. Du kannst Dir leicht denken, was für Wirkung solche auf die hiesigen Gemüter gehabt habe. Allgemeine Bestürzung, Missvergnügen und Unwillen war die Folge davon. Schwerlich wird die Nation wieder zu der guten Stimmung gebracht werden, wie sie sich befand. Das Zutraun zu den höheren Behörden muss immer mehr verloren gehen. Das Schlimmste ist, dass man uns die Bedingungen des Waffenstillstands nicht einmal bekannt macht. Wir wissen weiter nichts, als dass unsre Truppen Sachsen räumen müssen, und dass die Festungen während des Waffenstillstandes von fünf zu fünf Tagen mit Proviant versehen werden sollen. Wie es in Schlesien steht, ist ein Geheimnis. Aus diesem Geheimnis entstehen hier allerhand nachteilige Gerüchte. Man vermutet, dass der Waffenstillstand nicht auf gleichseitige, billige Bedingungen geschlossen, sondern von Napoleon vorgeschrieben sei. Auf alle Fälle ist der Waffenstillstand nur allein für ihn vorteilhaft. Er wickelt sich aus der misslichen Lage, worin er sich abermals, unbedachtsamer Weise gestürzt hat, heraus. Er wird seine Armee verstärken, mit allen nötigen Bedürfnissen wieder versehen, Wittenberg und Hamburg, welche sich Bernadotte unverantwortlicher Weise hat wegnehmen lassen, und dadurch die Einwohner höchst unglücklich gemacht hat, immer mehr befestigen, u. dadurch den künftigen Krieg viel beschwerlicher machen. Was werden wir dagegen tun? Bei der gewohnten Langsamkeit wenig oder gar nichts.
Den Tod des Präsidenten Gerlach?s wirst Du schon erfahren haben. Ludwigs Wunden heilen langsam. Braunschweigs sind noch in Stargard; ob sie jetzt zurück kommen werden, wissen wir nicht. Sonst ist hier alles beim alten. Einige Flüchtlinge sind schon zurückgekommen. Unterlasse doch nicht, jedesmal zu bemerken, ob Du meine Briefe bekommen hast, ihr Inhalt ist zwar unwichtig, doch möchte ich bei dem unrichtigen Lauf der Posten von ihrer Ankunft gern Nachricht haben. Ich unterlasse niemals Deine Briefe am nächsten Posttag zu beantworten. Lebe wohl.
Berlin 12 Juni 1813
von Grolman.
Quelle:
Schweinitz, Anna-Fanziska von: "Briefe aus den Befrieungskriegen - Heinrich Dietrich von Grolman an seinen Sohn Karl vom 10.07.1807 bis 06.06.1816", o.J., o.O. (Privatdruck)