Manifest »Der Krieg der Reichen gegen die Armen«
vom 06.11.1795.
Verhehlen wir uns nicht die genaue Wahrheit. Was ist eine politische Revolution, allgemein gesprochen? Was ist, im besonderen, Französische Revolution?
Ein erklärter Krieg zwischen Patriziern und Plebejern, zwischen Reichen und Annen.
Damit wäre also die große Frage angeschnitten. Verfolgen wir einige ihrer Entfaltungen. Wenn die schlechten und missbräuchlichen Einrichtungen einer Nation zur Folge gehabt haben, dass ihre Masse zugrunde gerichtet, herabgewürdigt ist, mit unerträglichen Ketten beladen; wenn das Dasein der Mehrheit so beschwerlich geworden ist, dass sie es nicht mehr aushalten kann, dann für gewöhnlich bricht der Aufstand der Bedrückten gegen die Bedrücker los. Aus dem Zwang, den man in solcher Lage empfindet, wird die Ursache, aus der man in Bewegung gerät, sich aufmachen, nach besseren Bedingungen zu suchen. Auf ganz natürliche Weise kommt man dazu, über die Urrechte der Menschen nachzudenken. Man erörtert sie, man untersucht, welcher Art sie im Naturzustand sind welcher Art sie sein müssen beim Übergang zu gesellschaftlichen Zuständen. Man erkennt leicht, dass die Natur jeden Menschen gleich an Rechten und Bedürfnissen mit allen seinen Brüdern geschaffen hat; dass diese Gleichheit unverjährbar und unantastbar bleiben muss; dass eines jeden einzelnen keine Veränderung zu seinem Nachteil erfahren darf, sobald der Übergang in den Gesellschaftszustand vollzogen wird; dass die bürgerlichen Einrichtungen, weit entfernt, das gemeine Glück zu schmälern, welches nur dem Festhalten an jener Gleichheit entspringen kann, ausschließlich deren Unverletzlichkeit zu verbürgen haben.
Hat man derart untersucht, was sein soll, so prüft man, was ist.
Man entdeckt, dass die übergroße Mehrheit der Glieder der Gesellschaft ihrer Rechte beraubt ist und am Nötigsten Mangel leidet. Man braucht nicht lange zu suchen, um festzustellen, dass, was dem gesündesten, dem arbeitsamsten, dem zahlreichsten Teil des Volkes an Notwendigem fehlt, ihm keineswegs von der Natur verweigert wurde. Sie kennt keinen Undank, sie ist nie im Verzug, wenn es gilt, für den vollen Unterhalt all ihrer Kinder zu sorgen... Nicht ihre Schuld ist es, wenn sie unter sich eine schlechte Verteilung ihrer Gaben vornehmen; nicht ihre Schuld ist es, wenn die einen frevelhaft genug, verwegen genug sind, zu berauben, die anderen schwach genug und dumm genug, sich berauben zu lassen. So erkennt man denn klar, dass, was der großen Zahl fehlt, in dem Zuviel . steckt, im Überfluss der kleinen Zahl.
Diese Minderzahl bildet also im Staat eine Kaste von Raffgierigen, von Rechtsbrechern. Zwar behaupten die Angehörigen dieser Kaste, auf Rechtswegen seien sie dazu gelangt, die Mehrheit ihrer Brüder auszurauben. Bald aber hat man erforscht, das es lediglich mit Hilfe abscheulicher, von den Staatsgewalten bestätigter Einrichtungen geschah. Dann eben wird es auch zum Prozess gegen die Staatsgewalten kommen. Man erkennt in ihnen und den raffgierigen Patriziern nur noch Mitverschworene. Ganz offenbar ist bald ersichtlich, dass die Beraubung der Massen nur erfolgen konnte dank dem Zusammenwirken der grundlegenden Gesetze; sie sind es, die eine Handvoll Leute aus der Gesamtgesellschaft in die Lage versetzten, alles an sich zu reißen: so aber bilden sie nichts als eine abscheuliche Raubsatzung, sie rechtfertigen in keiner Weise den Besitz der gemeinsamen Reichtümer in den Händen einer Teilhabergesellschaft von Raubgesellen, die allein darüber verfügen. Man braucht gar nicht den Ursachen nachzugehen, es genügt, die Wirkungen ins Auge zu fassen. Soviel ist immer gewiss, dass, wenn der nützlichste Teil einer Nation sich enteignet findet, es zu einem solchen Stand der Dinge nur kommen konnte durch eine Folge von Schwindeln, durchführbar dank Gesetzen, die der Habsucht und dem Ehrgeiz Vorschub leisten. Nun sind solche Gesetze aber mörderisch: sie sind dazu angetan, den ursprünglichen Gesellschaftsvertrag zu zerstören, der notwendigerweise auf immer und unantastbar die Befriedigung der Bedürfnisse aller und jedes einzelnen Gesellschaftsgliedes gewährleistet hat. So heißt es denn, jene Gewähr des ersten Vertrags in Anspruch zu nehmen. Zwei Dinge sind es, gegen die man sich erheben muss: gegen die Gesetze, die einer Verletzung des ursprünglichen Paktes Gültigkeit gaben, und gegen die Wirkungen eben dieser Verletzung. Wiederherzustellen sind jene heiligen Ordnungen, die einen jeden Glied der großen Familie auf immer die Gesamtheit seiner Rechte, seiner Bedürfnisse sicherstellen.
Dies also ist, zweifeln wir nicht daran, die genaue Analyse des Kriegsmanifestes, das bereits 1789 in Frankreich verkündet wurde. Dies die feierliche Kundgebung der Plebejer an die Patrizier, und der ernste Prolog zum Aufstand und zur Revolution.
Dieser Krieg der Plebejer und der Patrizier, oder der Armen und der Reichen, findet nicht erst statt seit dem Augenblick, da er erklärt wird. Er ist immerwährend, er beginnt, sobald die staatlichen Einrichtungen dahin neigen, dass die einen alles nehmen und für die anderen nichts übrig bleibt; und solange das Manifest nicht verkündigt wird, scheint das Patriziat sich kaum gegen die plebejische Erhebung zu wappnen. Es erscheint den Reichen, als sei Sicherheit vorzutäuschen, als sei das Bemühen, den Armen glaubhaft zu machen, ihre Lage sei unausweichlich in der Natur begründet, die beste Schranke gegen deren Unternehmungen. Ist aber einmal der Aufstand ausgerufen, dann entbrennt der Kampf aufs bitterste, und jede der beiden Parteien setzt alle Mittel ein, ihn zu ihren Gunsten zu wenden.
Das gemeine Volk bietet alle Tugenden auf: Gerechtigkeit, Menschenliebe, Opfermut.
Das Patriziat holt sich Hilfe bei allen verbrecherischen Lastern: Bei Arglist, Doppelzüngigkeit, Verräterei, Habsucht, Hochmut, Streberei.
In einem großen Volk kann der gewaltige Prozess, der da zwischen Bedrückern und Bedrückten anhebt, nur durch Anwälte geführt werden. Da man beiderseits weiß, dass von ihrer Sinnesart abhängen kann, welcher der Parteien sich der Sieg zuneigt, machen beide, sobald es darauf ankommt, sie auszuwählen, Anstrengungen, auf ihre Seite die größte Anzahl von Verteidigern zu ziehen, die fähig wären, ihrer Sache zu nützen.
In der Tat, überwiegt bei diesen Treuhändern die Summe der Tugenden jene der Verderbtheit, so muss das Recht siegen. Das Gegenteil wenn die Kraft des Verbrechens stärker ist als die der Redlichkeit.
Wende ich diese Überlegungen auf die französische Revolution an, so stoße ich auf eine vollendete geschichtliche Analogie. In allen Erklärungen von Rechten, ausgenommen jene des Jahres 1795, begann man mit der Festlegung dieses ersten, dieses wichtigsten Grundsatzes ewiger Gerechtigkeit: Ziel der Gesellschaft ist das gemeine Glück. An tausend Stellen hielt man dann weiter, als notwendige Folge, jenes weitere Axiom fest: Ziel der Revolution ist: zurückzuführen zum Ziel der Gesellschaft, von dem man sich entfernt hat, d. h. zum gemeinen Glück. Mit großen Schritten und unter bedeutenden und raschen Erfolgen hat sich diesem Ziel genähert, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt; seitdem bewegte man sich in umgekehrter Richtung, wider das Ziel der Gesellschaft, wider das Ziel der Revolution, zum gemeinen Unglück und zum Glück nur der geringen Zahl. Bezeichnen wir diesen Zeitpunkt genauer. Sagen wir ruhig, dass die Revolution, allen Hindernissen und allen Widerständen zum Trotz, im Vordringen war bis zum 9. Thermidor, und, dass sie seitdem zurückwich.
Quelle:
Le Tribun du Peuple, Nr. 34 vom 06.11.1795