Bericht des Hauptmanns Wilhelm von Wangenheim an den Herzog von Sachsen-Coburg

vom 13.03.1813.

Wima, den 13. März 1813.

Über die Art unserer am 10. Dezember vorigen Jahres erfolgten Gefangennahme werden die Berichte des Oberst von Egloffstein Auskunft gegeben haben. Warum man übrigens unser kaum 250 Mann starkes Bataillon entfernt von der Kolonne aufstellte und erst, als die russischen Dragoner auf uns ansprengten, im Flankenmarsch zu der Kolonne zu kommen suchte, das sind Fehler, welche diejenigen verantworten mögen, die uns dadurch in Unglück und Jammer stürzten.

Seit jener Zeit fristen wir wir unser Leben auf die dürftigste Weise, bis wir endlich gestern durch die gesandten 1455 Rubel in einen besseren Zustand versetzt wurden.

Ganz besonders traurig war die Lage unserer armen Soldaten, die alle mit Wunden oder erfrorenen Gliedern in Gefangenschaft gerieten. Zu ihrer Pflege konnte man in der ersten Zeit gar nichts tun, weil die große Zahl der täglich eingebrachten Gefangenen es ganz unmöglich machte, jedem einzelnen beizustehen. Wie viele meiner braven Burschen bereits ein Opfer des Todes wurden, kann man aus beiliegender Liste ersehen. Dieselbe habe ich so vollständig angefertigt, als es mir die Soldaten in den weitläufigen Spitälern mit sich brachten. Die erforderlichen Totenscheine kann ich nicht anfügen, weil die russischen Lazarette keine geben. Wir Offiziere haben seit den drei Monaten unserer Gefangenschaft nur sehr wenig gesunde Augenblicke gehabt. Der Leutnant von Alvensleben erhielt bei dem Reiterangriff zwei dicht nebeneinander liegende Säbelhiebe über den Kopf. Der Leutnant von Kurnatowsky, welcher leider am 27. Februar an Nervenfieber verstorben ist, empfing zwei ähnliche noch bedeutendere Hiebe. Ich selbst erhielt eine starke Quetschung welche mir die Hirnschale der linken Seite des Kopfes beschädigte. Diese machte mich unfähig, eine Zeitlang zusammenhängend zu denken. Außerdem litt ich die ganze Zeit an einem erfrorenen Fuß und seit neun Wochen an den Folgen eines hitzigen Nervenfiebers. Dieses brachte mich an die Pforten des Todes und hatte mich so geschwächt, daß ich bis jetzt noch nicht imstande bin, ohne Hilfe durchs Zimmer zu gehen. Der Leutnant von Alvensleben war ebenfalls dem Tode nahe. Unfehlbar wären wir beide ein Opfer des Todes geworden, wenn ich nicht das Glück gehabt hätte,bei Anwesenheit des russischen Hauptquartiers den Herzog Alexander von Württemberg aufzufinden, der jeden von uns ein Geschenk von 100 Rubeln überreichte. Dadurch waren wir in der Lage, die erforderlichen Arzneien zu kaufen. Diesem folgte einige Wochen später ein gleiches Geschenk das wohl aus derselben Quelle kam.

Die zuletzt erhaltenen 1455 Rubel kann ich für den Augenblick nicht ganz nach Befehl verwenden, weil mir eine Verbindung mit den noch lebenden Mannschaften in Ostrowa verschlossen ist. Hier ist von dem Coburger Kontingent nur ich und Leutnant von Alvensleben. Fürs erste habe ich uns beide notdürftig bekleidet. Die Kosaken hatten uns in den ersten drei Tagen unserer Gefangenschaft aller brauchbaren Kleider und Wäsche beraubt. Deshalb mussten wir seither in höchst elendem Aufzuge einher gehen. Zu unserer monatlichen Löhnung von 3 Silberrubeln habe ich jedem von uns beiden einen täglichen Zuschuß von 8 Groschen und 36 Kreuzern verwilligt. Wir brauchten als Genesende noch mancher Pflege, umsomehrals das russische Klima sehr nachteilig für uns ist. 100 Papierrubel gelten in Wilna nur 24 Silberrubel. Die übersandten 1455 Rubel entsprechen also einem Werte von 698 Gulden.

Noch wage ich zum Schluß die dringende Bitte, beim Kaiser von Russland um unsere Entlassung aus der Gefangenschaft zu bitten. Die guten Beziehungen zwischen dem Russischen und dem Coburgischen Fürstenhofe lassen mich hoffen, recht bald meine Kameraden im deutschen Vaterlande wiederzusehen.

Wilhelm von Wangenheim
Hauptmann

Quelle:
Wangenhein, Wilhelm von: In russischer Gefangenschaft


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