Des Knaben Wunderhorn

Eine Liedersammlung von Joachim von Armin und Clemens von Brentano

Frühlingsbeklemmung

Spee Trutz Nachtigal, Cölln 1660. S. 34.


        Der trübe Winter ist vorbey,
        Die Kranich wiederkehren,
        Nun reget sich der Vogelschrey,
        Die Nester sich vermehren;
        Laub allgemach
        Nun schleicht an Tag,
        Die Blümlein sich nun melden,
        Wie Schlänglein krumm,
        Gehn lächelnd um
        Die Bächlein kühl in Wälden.

        Der Brünnlein klar, und Quellen rein,
        Viel hie, viel dort erscheinen,
        All silberweiße Töchterlein
        Der hohen Berg und Steinen;
        In großer Meng
        Sie mit Gedräng,
        Wie Pfeil von Felsen zielen,
        Bald rauschens her,
        Nicht ohn Geplerr,
        Und mit den Steinlein spielen.

        Die Jägerin, Diana stolz,
        Auch Wald- und Wasser-Nymphen,
        Nun wieder frisch im grünen Holz
        Gehn spielen, scherzend schimpfen;
        Die reine Sonn
        Schmückt ihre Kron,
        Den Köcher füllt mit Pfeilen;
        Ihr beste Roß
        Läßt laufen los
        Auf marmorglatten Meilen.

        Mit ihr die kühlen Sommerwind,
        All Jüngling still von Sitten,
        In Luft zu spielen seyn gesinnt,
        Auf Wolken leicht beritten;
        Die Bäum und Aest
        Auch thun das best,
        Bereichen sich mit Schatten,
        Wo sich verhalt
        Das Wild im Wald,
        Wenns will von Hitz ermatten.

        Die Meng der Vöglein hören laßt
        Ihr Schir von Tire Lire,
        Da sauset auch so mancher Ast,
        Als ob er musicire;
        Die Zweiglein schwank,
        Zum Vogelsang,
        Sich auf- und nieder neigen,
        Auch höret man
        Auf grünem Plan,
        Spazieren Laut und Geigen.

        Wo man nur schaut, fast alle Welt
        Zu Freuden sich thut rüsten,
        Zum Scherzen alles ist gestellt,
        Schwebt alles fast in Lüsten;
        Nur ich allein
        Leid süße Pein,
        Unendlich werd gequälet,
        Seit ich mit dir,
        Und du mit mir,
        O Jesu, dich vermählet.


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