Maria Müller
von Charlotte von Ahlefeld.
Viertes Kapitel
Der Abend dämmerte heran, – mit lautem Herzensschlag begrüßte Marie die sinkende Dunkelheit. Bleibe doch noch, mein Kind! sagte der Vater, als sie nach dem Abendessen ihm gute Nacht wünschte. Mir ist nicht wohl und ich bin müde, lieber Vater, antwortete sie und wurde roth. Es war ihre erste Lüge: – die erste Liebe ist gemeiniglich mit der ersten Lüge verbunden.
Als sie die Treppe zum Garten herab ging, zitterte sie in süßer Erwartung. Sie hielt sich an das Geländer, das der blühende Jelängerjelieber umduftete, und gab sich wonnevollen Ahnungen hin, in die ein leiser Schmerz sich mischte. Da trat die blinkende Scheibe des Mondes hinter den Bergen hervor, und erhellte mit magischem Zauber die dämmernde Gegend. O Marie! es war nicht allein die Nähe des Wiedersehns, die mit einem ängstlichen Schauer Deine Seele erfüllte, als Du bebend da standst, bestrahlt von seinem Golde; es war Dein Schutzgeist, der dich warnte. Ach, an die selige Stunde, der Du entgegen sahst, knüpfte sich das Glück Deines einsamen Lebens, und floh mit ihr auf leichtem Fittig vorüber. Noch wäre es Zeit gewesen, eine Leidenschaft zu ersticken, die Dich so unglücklich machte; aber umsonst! Der Wurf war gefallen, im Buche des Schicksals stand Dein Elend, und eine unwiderstehliche Allmacht riß Dich hin ins Verderben.
Sie schloß die Thür auf, und sah die lange, einsame Straße hinab. Alles war leer und öde, nur in den dunkeln Büschen ihres Gartens klagte eine liebeflötende Nachtigall; endlich schwebte eine weiße Gestalt herauf – er war's, er flog in die Thür, warf den Mantel ab, und lag in den Armen des harrenden Mädchens, die ihn mit schweigender Inbrunst, mit stummen Entzücken empfing.
Ihr Glück und ihre Seligkeit war unbeschreiblich. Umschlossen von des Geliebten Armen, alle ihre Sorgen und Schmerzen eingewiegt durch die Schwüre ewiger Liebe, durch die Betheuerungen unwandelbarer Treue, sah sie den Himmel offen, den Liebe nur auf Erden gewährt. Die Hälfte der Nacht war vorüber. Die feierliche Stille um sie her, nur dann und wann von Philomelens zärtlicher Klage süß unterbrochen, Mariens Nähe, ihre Schönheit, die der Mondschein bis zur Verklärung erhob, ihre glühende Liebe, ihre Unschuld, – alles dies bestürmte des Grafen pochendes Herz, von wilden Wünschen, von brennenden Begierden durchschauert. Er drückte sie heftiger an sich, Marie ahnete nichts. Sorglos überließ sie sich seinen Liebkosungen, und erwiederte sie mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit. Diese Stunde hatte ihr Herz auf ewig an das seine geknüpft.
Marie! rief Wodmar mit allem Zauber seiner schmelzenden Stimme, liebste, theuerste Marie! Du wirst mein, und nur der Tod soll mich von Dir trennen. Marie, freudig überrascht, in ihren Hoffnungen und Wünschen, die bis jetzt schwiegen, übertroffen, schmiegte sich unter süßen Thränen fester an des Geliebten stürmende Brust. Karl, stammelte sie leise, im Uebermaß der Liebe und Wonne, ich Dein, Dein auf ewig! und ihre süßen Umarmungen umstrickten ihn enger.
Wodmar kam zu sich, und erröthete. So verdachtlos traut sie Deinem Worte, sagt' er zu sich selbst, und du wolltest sie betrügen? – Ein edler Unwille flammte in seinen Augen. Ein Blick auf Marien rief schnell die unheiligen Bilder zurück, mit denen seine entweihte, gereizte Fantasie ihn umgab, aber er erstickte sie, indem er reinern Gedanken Raum in seiner Seele gab. Nein, ich will ihr Zutrauen nicht mißbrauchen, war endlich das Resultat seines Kampfes mit sich selbst, ich will nicht das schöne, frohe Auge zu bittern Thränen verdammen. Sie soll mein werden, aber freiwillig, durch einen Bund, den, wenn auch kein Priester seinen Segen darüber sprach, dennoch unsre Seelen ehren werden, – nicht jetzt durch die Gewalt, die mir ihre unbefangne Unschuld, ihr wallendes Gefühl über sie giebt. Lebe wohl, Marie! rief er, indem er aufsprang, um seinem Entschluß treu zu bleiben, lebe wohl, ich muß fort!
Schon fort? seufzte Marie, und er unterbrach ihre Klage mit dem süßen Versprechen, ihr morgen zu schreiben. Der Gedanke ergriff sie mit Feuer, auch in der Abwesenheit von ihm, und durch ihn zu hören. Lebe wohl, rief sie ihm nach, lebe wohl, flüsterte sie noch in die Winde, als er schon fort war, und eilte auf ihr Lager, um von ihm zu träumen.
Am andern Morgen begrüßte ein Brief von Wodmar sie bei ihrem Erwachen. Mit Entzücken betrachtete Marie die Züge der geliebten Hand, mit stillen Seufzern sein großes, gräfliches Wappen. Ihr Siegel war ein bescheidner Vergißmeinnichtkranz mit ihrem Namen; das seinige bekrönt, und mit allem Prunk seines Standes geschmückt. Es erinnerte sie an den Unterschied zwischen ihnen, den sie so gern vergaß, und verminderte die Freude, mit der sie es erbrach. Aber als sie ihn gelesen hatte, – mit bleichem Erstarren sank sie auf einen Stuhl, das Blatt flog auf die Erde, und ihr Blick hob sich mit allem Schmerz vernichteter Hoffnung zum Himmel. Kann wahre Liebe dies wollen? rief sie heftig, und verlor sich in die Qualen ihrer betrognen Erwartung.
»Noch fühl' ich die Glut Deiner Küsse, schrieb er, auf meiner brennenden Wange. Noch bin ich berauscht von dem süßen Nektar Deiner holden Umarmungen, und meine Liebe zu Dir ist bis zu der Ueberzeugung gestiegen, daß ich ohne Dich nicht leben kann. Marie! holder, liebevoller Engel! ich muß, ich will Dich besitzen!
»Mein Verhängniß bestimmte mich für Glanz und Geräusch, ich muß der Konvenienz folgen. Meinem Herzen aber gnügt nicht der laute Schall betäubender Freuden, nur Deine Liebe und Dein stiller Besitz können es befriedigen. Opfre mir die Vorurtheile, die man Tugend nennt; entschließe Dich, ganz für mich zu leben, so wie auch ich, selbst als der Gemahl einer andern, nur für Dich und Dein Glück die ganze Fülle meines Daseyns anwenden will. Was ist jene Tugend, der wir in scheuer Demuth huldigen, weil man die Unwissenheit unsrer früheren Jugend benutzte, uns eine unverdiente Ehrfurcht für sie einzuprägen? – Wie ein Gespenst der Mitternacht tritt sie zwischen uns und das winkende Vergnügen, und vergiftet die Schale des seligsten Genusses, ehe sie noch die durstende Lippe berührt. Nein, die wahre Tugend, Marie, ist jene Gefälligkeit, die Glück und Freude verbreitet, jene Treue, jene Liebe, die einem Einzigen alles aufopfert was ihr heilig war, jenes Hingeben, nicht aus Pflicht, sondern aus Zärtlichkeit. Man heirathet, wie die konventionellen Verhältnisse, von denen man abhängt, es wollen: – Stolz und Eigennutz knüpfen das Band der Ehe in der großen Welt. Man liebt, um seinem Herzen genug zu thun, um im Stillen Ersatz für die Aufopferungen zu finden, die man gezwungen ist, dem unumstößlichen Schicksal zu bringen. Die Verborgenheit ist der schöne, zauberische Schleyer, der die Liebe umweht und verschönert, wie das Rosengewölk des Morgens die aufgehende Sonne. Die Freiheit belebt ihre Wangen mit himmlischem Lächeln, und setzt ihr den Kranz auf, den Zwang und Pflicht nur mürrisch zerpflücken. Ich bete die Liebe an, aber ich hasse die Ehe, die ihr Grab ist. Nie wird das Weib, das einst meinen Namen führt, zu gleicher Zeit mein Herz besitzen. Es wird ewig für Dich allein und mit festerer Treue schlagen, als wenn die nichtige Ceremonie vor dem Altar sie Dir verpflichtete.
»Laß mich aufrichtig mit Dir reden, Mädchen meines Herzens! Ich kann Dich nicht heirathen. Dein Stand, über den Dich zwar Deine Seele, aber leider nicht das Vorurtheil erhebt, und tausenderlei Rücksichten trennen mich von Dir für die Welt; aber im Stillen will ich Dein seyn. Entschließe Dich, mir die Bedenklichkeiten aufzuopfern, die Deine schüchterne Unschuld vielleicht meinen Wünschen entgegenstemmt. Einsam liegt in einer ruhigen, vom Geräusch abgesonderten Gegend eins meiner Güter, welches Dein seyn soll. Fern von Neid und Schmähsucht, die unsre Freuden tadeln würden, will ich, wenn ich mich heraus stehlen kann aus dem abgeschmackten Lärm meines lästigen Lebens, an Deinem Busen mein Paradies, in Deinen Armen meinen Himmel finden, und kurze, Augenblicke, die mir bei Dir entfliehen, werden mich für ganze Monate des Zwangs und der Langenweile entschädigen.
»Dein Vater kann Dich begleiten, oder wenn er nicht einwilligt, so bringe der Liebe auch dies Opfer, und fliehe mit mir, mit Deinem Karl, dem Dein Vertrauen heilig ist, der Dir schwört, es mit der treuesten Zärtlichkeit zu vergelten. Rede mit Deinem Vater, Marie! und verlaß Dich auf das feierliche Versprechen, das ich Dir gebe, Dich glücklich zu machen, so wahr ich Dich liebe. Mit Sehnsucht erwarte ich eine Zeile von Deiner Hand, die mein Glück bestätigt.«
Als Marie noch einmal diesen Brief gelesen hatte, der ihr Herz und ihren Stolz zerriß, war ihr Entschluß gefaßt. Sie war der Feder ungewohnt, und hatte deshalb Ludwig ihren Briefwechsel abgeschlagen, aber ihr gemißhandeltes Gefühl half ihr jede Schwierigkeit überwinden, und sie antwortete:
»Herr Graf! der entehrende Antrag, den Sie mir thun, heilt mich schnell von der hohen Meinung, die ich von Ihnen hatte. Ich habe Sie sehr geliebt, und schäme mich nicht, es Ihnen zum letzten Mal zu bekennen. Aber die Grundsätze, die mir mein Vater früh einflößte, sind stärker, als meine Leidenschaft, und werden mir Kraft geben, Ihren Verlust zu ertragen. Ich hatte, als ich Sie kennen lernte, ein leichtes, frohes Herz, und einen unbefleckten Ruf. Wenn auch das erste dahin ist, so will ich mir doch die Reinheit meines Bewußtseyns, und die gute Meinung der Welt erhalten, gegen die ich nicht gleichgültig bin. Wären Sie ein Mann meines Standes, – auf den Knieen hätte ich mir Sie, nur Sie vom Himmel erbeten. Aber der Unterschied, den das Glück zwischen uns gemacht hat, an den Sie mich so grausam erinnern, erlaubt mir keinen andern Gedanken, als den: daß Sie nicht für mich geboren waren. Lassen Sie uns einander niemals wieder sehn! – In dem engen Kreis meines häuslichen Lebens eingeschränkt, wird es mir zwar schwer werden, Ihr Bild, das meine ganze Seele beherrschte, zu verbannen, aber mein Selbstgefühl, das mich nicht sinken ließ, wird mich unterstützen und mir Muth geben, fest in meinem Entschluß zu seyn. Hoffen Sie nicht, ihn jemals wankend zu machen, und leben Sie glücklich, ob Sie gleich die Ruhe meines heitern Gemüths vielleicht auf ewig unterbrachen. Ich will für Sie beten, daß Gott Ihre falschen Begriffe von Tugend reinigen, und Sie so glücklich machen möge, als man nur seyn kann. Mich sehn Sie niemals wieder.«