Wielands oberschwäbische Jahre

Oberschwaben in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts stand zwischen Wien, als Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen und Paris als tonangebendes Zentrum alles Neuen. In der bildenden Kunst empfing es Impulse seiner östlichen Nachbarn Bayern und Österreichs.

Die Städte, Klöster und der Adel konnten sich gegenüber dem Reich großer Freiheiten rühmen, wenn auch das soziale System festgefügt war, verschloss man sich jedoch nicht den neuens Strömungen aus Paris. Das aufstrebenden Bürgertum fühlt sich in dieser Zeit als Kosmopolit, strebt über die Landesgrenzen und so wird Französisch zur Sprache des guten Geschmacks.

»Nichts wesentliches ist in Wielands künftigen Leben und Wirken, was nicht in seiner Biberacher Zeit sich angesetzt hätte. In den neun Jahren hat er sich selbst gefunden.« urteilte Professor Burkhard Steuffert, einer der bedeutensten Wieland-Forscher. Gemeint sind nicht die Jahre der Kindheit, sondern die 9 Jahre, die er nach seinem Schweizaufenthalt von 1760-1769 in Biberach lebte und arbeitete.

So fasste man 1760 in Biberach den Entschluss den berühmten Sohn der Stadt das Amt eines Senators zu übertragen. Bei diesem Amt handelte es sich um ein Ehrenamt von dem er jedoch nicht leben konnte. Wieland war gezwungen einen Posten als Kanzleiverwalter anzunehmen.

Am 22.05.1760 verließ Christoph Martin Wieland heimlich die Schweiz, ohne sich von seinen Freunden zu verabschieden, da der Abschied von seinen Freunden für den jungen Mann sonst zu schmerzlich gewesen wäre. Das Leben in seiner Heimat erfüllte ihn jedoch nicht mit Freude und er vermisste seiner Schweizer Freunde. Seine Amtspflichten erfüllte er gewissenhaft aber es blieb noch genügend Zeit übrig.

Einsam in einem Hause, dessen weite Gemächer von niemanden bewohnt sind, als von mir selbst, einer dummen Magd, ettlichen mageren Ratten und einem Gespenst, das - der uralten Observanz gemäß - alle Nacht um zwölf Uhr unsichtbar auf einer geheimen Treppe von Rathaus in die Kanzlei herabsteigt und sich eine Stunde lang amüsiert, die alten Protokolle zu durchblättern

In der Amtswohnung blieb Wieland bis zum Jahre 1768 wohnen. Erst zu diesem Zeitpunkt mietete er ein Gartenhaus nahe der Riss an. In dieser Zeit traf der angehende Literat mit dem Grafen Friedrich von Stadion, österreichischer Diplomat in Kurmainz und vcllendeter Weltmann, zusammen. Im Alter von 70 Jahren zog sich der Graf auf sein Schloss Warthausen zurück, wo er einen kleinen Hofstaat unterhielt. Zu seiner zahlreichen Familie gehörten neben der Gräfin zwei Söhne und drei Töchter. Georg Michael Frank von La Roche, der Sophie von Grutemann - ehemals Wielands Verlobte - heiratete, gehörte ebenfalls zum Hofstaat des Grafen. Laroche gilt heute als illegitimer Sohn des Grafen Stadion mit einer Französin.

Sein Weg nach Warthausen konnte nur über eine Aussöhnung mit seiner ehemaligen Verlobten Sophie von Grutemann erfolgen. Er söhnte sich mit Sophie, die er für treulos hielt, aus und dies war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft zwischen beiden.

Vom Grafen Stadion wurde Wieland mit offenen Armen empfangen. Über das Leben in Warthausen berichtete der Wieland-Biograf Ofterdinger:

Die Hausordnung war ganz nach Wielands Geschmack, denn der Graf und La Roche brachten den Vormittag mit Arbeiten im Kabinett zu, während Wieland in der Bibliothek seinen Studien oblag. Vor dem Essen begrüßten sich die Bewohner des Schlosses in den schattigen Gängen des Parks. Dann ging es zur Tafel, wo es immer heiter zuging, wo es niemals an Witz und Geist fehlte, ebenso wenig als an feinen Speisen und echtem Tokaierwein. Der übrige Teil des Tages wurde zwischen Gesprächen und, Lustwandeln und Lesen zugebracht, wobei Wieland manchmal seine neuesten Produkte zum Besten gab. Manche seiner Gedichte, wie Nadine, die komischen Geschichten usw. waren für den Grafen gedichtet. In der Regel wurde der Abend mit einem Konzert beschlossen, wo Stücke von Jomelli, Graun usw. vorgetragen wurden.

Eine der Gründe, weshalb sich Wieland in Biberach nicht so glücklich fühlte, war der Mangel an Büchern. In der Bibliothek in Warthausen fand er davon genug, so zum Beispiel die alten Klassiker aber auch die Enzyklopedisten wie Voltaire, Montesquieu aber auch die lang ersehnte Gesamtausgabe Shakespeare, den er als erster ins Deutsche übersetzte. In seiner Biberacher Zeit zwischen 1761 und 1766 übersetzte er 22 Dramen und Lustspiele des englischen Poeten. Er brachte auch das erste Mal Shakespeare auf die deutschen Bühnen. Im Jahre 1761 leitete er die Inszinierung des  »Sturm« unter dem Titel »Der erstaunliche Schiffbruch oder die bezauberte Insel«. Das Stück wurde ein großer Erfolg. Durch diesen Erfolg beflügelt entschied er sich in den kommenden Jahren weitere Stücke Shakespeares aufzuführen.

Obwohl die »Kömidiantengesellschaft« von Biberach, bereits im Jahre 1686 gegründet, unter der Direktion Wielands trotz großer Erfolge immer noch in finanziellen Nöten war, zog er sich als Direktor zurück. Er begleitete die Aufführungen der Gesellschaft als eine Art »Künstlerischer Direktor« indem er sich um die Programmauswahl oder die Schauspielerauswahl kümmerte.

Ein großer Erfolg für Wieland war in dieser Zeit sicherlich auch, dass er seinem Patron, den Grafen Stadion von der Deutschen Dichtung begeisterte. »... wunderte sich gar zu sehr, daß man das alles in deutscher Sprache sagen konnte, denn bisher kannte er die deutsche Sprache nur aus Akten, Urkunden und Ministerialschreiben«.

Wieland pflegte eine wahre Verehrung für seinen Patron. So waren in seinen Werken oft Huldigungen für den alten Grafen und seine Töchter versteckt. Insbesondere galt seiner Tochter Maximiliane, der letzten Abtissin von Buchauer Damenstift. So schrieb er 1786 an einen Freund:

Haben Sie die Gütigkeit, mir von Musarion einige Exemplare zu schicken, sobald sie aus der Presse kommt. Ich habe unter meinen Nachbarn ein paar hochgeborene Damen, welche ungeachtet sie Stiftsdamen sind, in meine Erzählungen verliebt sind, und mit Sehnsucht auf Musarion warten. Ein gewisses bezaubertes Schloss, wohin der Mainzerische Hofgroßmeister von Stadion seit 8 Jahren seine Retraite genommen hat, und welches dazu verwünscht erscheint, die außerordentlichsten Personen beherbergen und die seltsamsten Abenteuer hervorzubringen, ist einige Jahre lang mein ständiger Aufenthalt gewesen. Ich habe dadurch Gelegenheit gehabt, Kenntnisse zu sammeln und Beobachtungen zu machen, ohne welche weder Agathon noch andere Ausgeburten meines Humors das wären, was sie sind.

Im Alter äußerte sich Wieland nochmals über seine Verbundenheit mit dem Schlosse Warthausen und insbesondere dem Grafen Stadion und Frank von Laroche:

Sehr viel trug auch zu der Revolution in meiner Seele meine mit dem Jahre 1761 angefangene Konnexion mit den Bewohnern des gräflich Stadionschen Schlosse Warthausen besonders mit Herrn Laroche und mit dem Grafen selbst bei, welcher einer der vorzüglichsten Weltmänner unserer Zeit war und unendlich viel zur Erweiterung und Berichtigung meiner Welt und Menschenkenntnis beitrug.

Für Christoph Martin Wieland war die Zeit in Oberschwaben eine Zeit der Entscheidung. Schwankte er noch in seiner Schweizer Zeit zwischen Lebensbejahung und Lebensflucht entwickelte er - beeinflusst durch Graf Stadions heiteres Lebensbekenntnis - eine positive Einstellung. Will er doch von nun an die Wahrheit mit Lachen verkünden. So geschah es zum Beispiel im »Abenteuer des Don Silvio von Rosalva oder der Sieg der Natur über die Schwärmerei«. So dienten seine Warthausener Erinnerungen immer wieder für eine neue Verarbeitung in seinen künstlerischen Werken.

Zur Erheiterung - speziell für den Warthausener Kreis - schrieb Wieland den »Neuen Amadis, ein komisches Gedicht in 18 Gesängen«. So haben sich die sechs Töchter des Königs Bambo durch allerei verwickelte, burleske und heikle Szenen durchzufinden ehe sie alle verheiratet werden. In Warthausen wurde das Stück mit großer Heiterkeit aufgenommen, ebenso die »Komischen Gedichte«, die extra für Graf Friedrich von Stadion gedichtet wurden.

Aber auch in Herzenssachen machte Wieland neue Erfahrungen. So verliebte er sich in die Stimme von Christine Hagel, die er am Festtage von Cäcilla kennen lernte. Zunächst wurde es seine Haushälterin und dann seine Geliebte. Seine Absicht, die junge Frau zu heiraten traf jedoch bei beiden Elternteilen nicht auf Gegenliebe. Wurde die aus einfachen Verhältnissen stammende katholische Frau unter seinem Stande betrachtet. Diese Beziehung endete nach 3 Jahren 1764. Im folgenden Jahr heiratete er Anna Dorothea von Hillenbrand. Diese Vermittlung wurde durch seine ehemalige Verlobte Sophie von La Roche geknüpft.

Während eines Konfliktes zwischen der Stadt Biberach und dem gräflichen Schloss Warthausen musste Wieland den Verkehr mit dem Schloss meiden. In den Streit mit der Stadt wurde er als städtischer Kanzleischrieber und der gräfliche Sekretär persönlich hineingezogen. Der Streit wurde gerade noch rechtzeitig vor dem Ableben des Grafen im Jahre 1768 beigelegt. Noch über den Tod hinaus förderte Graf Friedrich von Stadion den jungen Dichter Wieland. So vermittelte er Christoh Martin Wieland über den Mainzer Minister Baron Groschlag eine Anstellung an der Universität Erfurt. Er wurde trotz des fehlenden Doktorhuts wurde er zum Regierungsrat und ersten Professor für Philosophie ernannt.

Mit dieser neuen Lebensstation in Erfurt verließ Wieland seine oberschwäbische Heimat. Er sollte sie nie wieder besuchen. Seiner Heimatstadt Biberach fiel der Abschied ihres großen Sohnes schwer.


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