Spanische Rache

Während des französisch-spanischen Krieges zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde ein Bataillon französischer Soldaten nach dem Dorfe Argano in der Provinz Borgus gesandt. Das Dorf liegt weit ab von der Heerstraße mitten in einer wilden Gebirgsgegend. Es war von seinen Bewohnern verlassen und die einmarschierenden Soldaten fanden auf einem freien Platze verbrannte Garben, verkohlte Brote, zerstörte Weinschläuche. Man durchsuchte nun die Häuser nach Lebensmitteln und traf endlich auf eine junge Frau mit ihrem Kinde auf dem Arme, neben dem Krankenbette der gelähmten sprachlosen Großmutter.

»Warum bist Du hier allein zurück geblieben?« fuhr der Führer der Franzosen, ein noch ziemlich junger Offizier, die Frau an.

Stolz und grollend erwiderte die junge Frau: »Um diese Kranke zu pflegen, da sie den unsrigen nicht folgen konnte.«

»Warum aber verließen diese das Dorf?«

»Weil sie gewiss waren, von Euch erschlagen zu werden.«

»Und weshalb verbrannte und zerstörte man jene Lebensmittel?«

»Um Euch zu entziehen, was nicht fortgeschafft werden konnte.«

Ein Jubelschrei der Soldaten, die inzwischen das Haus durchsucht hatten, unterbrach das ferne Zwiegespräch. Sie brachten laut lärmend Schinken, Brot und volle, in den Keller gefundene Weinschläuche herbei. Entsetzt über das Geschrei fuhr die sterbende Großmutter auf, aber nur, um sofort entseelt zurückzufinden. Wortlos starrte die junge Frau auf die Leiche.

»Ist Dein Mann auch bei den Entflohenen?!« examinierte sie der französische Offizier, ohne ihren Schmerz zu beachten, weiter.

»Der ist tot; er starb, von Euren Kugeln durchbohrt, für sein Vaterland.«

»Hast du noch Brüder?«

»Nein! Nur mein armes Kind!«

Mit diesen Worten drückte sie das bleiche, weinende Kind an die Brust. »Hoffentlich,« sagte der Offizier, von den hungernden und dürstenden Soldaten gedrängt, die Verteilung der gefundenen Lebensmittel vorzunehmen, »sind diese Sachen noch unverdorben?«

Die Spanierin senkte stumm das Haupt.

»So magst Du uns zutrinken!« Damit reicht er ihr einen mit Wein gefüllten Becher. Die Spanierin trank ihn schweigend aus. »Aber Dein Kind ist so bleich, der Wein wird es stärken!« sagte der Offizier, noch immer misstrauisch. Da zitterte die Hand der Mutter, als sie das Gefäß´an des kleinen Kindes Lippen hielt. Das kleine trank. Die Soldaten aber leerten nun unbedenklich die Schläuche und verzehrten Brote samt dem Fleisch. Bald darauf aber starb das Kind unter wilden Zuckungen im Arme der stumm und starr dasitzenden Mutter, und der französische Offizier schrie entsetzt: »Verruchtes Weib, Du hast uns vergiftet!«.

»Das ist geschehen!« sprach die Spanierin dumpf.

»Ich ahnte, das ihr selbst der Sterbenden nicht schonen würdet. So fahrt nun selbst zur Hölle!» Von zahllosen Säbelhieben zerfleischt, doch ohne Klageton sank die Spanierin zu Boden. Sie hatte sich jedoch furchtbar gerächt, denn bald machte sich das Gift geltend, und 42 Franzosen wurden das Opfer spanischer Rache.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03