Leben mit dem Krieg. Süddeutschland im Krieg mit und gegen Napoleon.

von Prof. Dr. Ute Planert

Einführung

»Der Krieg«, schrieb Clausewitz im zweiten Band seiner einschlägigen Überlegungen, "gehört nicht (nur) in das Gebiet der Künste und der Wissenschaften, sondern in das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens". In der Tat läßt der moderne Krieg weder Wirtschaft noch Gesellschaft, weder den Bereich des sogenannten Privaten noch die Geschlechterbeziehungen unverändert. Das konnte der wohl berühmteste deutsche Theoretiker des Krieges als Zeitgenosse der vielfältigen Umbrüche an der Wende zum 19. Jahrhundert beobachten, als unter dem Eindruck der militärischen Erfolge Napoleons in Preußen eine bürgerlich-adelige Elite die Erneuerung des Staates betrieb. Nach französischem Vorbild sollten Krieg und Politik zu einer Einheit verschmelzen, sollte sich das stehende Heer des Spätabsolutismus in ein Volksheer  verwandeln und der Kabinettskrieg des Ancien Regimes in ein Bündnis von Militär und mobilisierter Nation überführt werden. Die moderne Vergesellschaftung des Krieges nahm hier ihren Anfang. Das Vehikel dazu war ein von Intellektuellen propagierter Patriotismus, der an verbreitete Erfahrungen von Fremdbestimmung anknüpfte und als Lohn der Vaterlandsliebe politische Partizipation versprach. Von dieser Neudefinition des (bürgerlichen) Mannes als Soldaten und prospektiven Staatsbürgers blieb selbst die Vorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit  nicht unberührt.

Die historische Forschung über die Ära der Reformen und der sogenannten 'Befreiungskriege' leidet freilich an einer mehrfachen Generalisierung, die  erst in jüngster Zeit zu korrigieren begonnen wurde. Preußen war nicht Deutschland, und die patriotischen Elegien einer gelehrten Minderheit entsprachen weder der Lebenswirklichkeit noch der Begriffswelt der breiten Bevölkerung. Bernd von Münchow-Pohl hat gezeigt, daß selbst in Preußen noch unmittelbar vor Ausbruch der antinapoleonischen Kriege die allgemeine »Bewußtseinslage« keineswegs dem Bild entsprach, das eine den borussischen Geistesheroen folgende Historie von der nationalen Aufbruchstimmung  zeichnete. Umgekehrt hat es außerhalb des preußisch-nationalen Bezugsrahmens patriotische Hoffnungen gegeben, die an das Alte Reich anknüpften oder sich auf den Rheinbund richteten.

Ohnehin lagen die Verhältnisse im deutschen Süden und Südwesten grundlegend anders. Seit dem Ersten Koalititionskrieg Auf- und Durchmarschgebiet französischer und alliierter Truppen, wurden die entscheidenden gesellschaftlichen Reformen hier nicht in Opposition zu, sondern im Rahmen des napoleonischen Herrschaftssystems vorgenommen. Die Einbindung in den Rheinbund beschleunigte den Zerfall des ständischen Korporatismus im Alten Reich, schuf die rechtlichen Voraussetzungen für die Entstehung der bürgerlichen Klassengesellschaft und legte die Grundlagen für die Ausbildung des kapitalistisch-industriellen Wirtschaftssystems. Vor diesem Hintergrund hat sich die Forschung unter dem Stichwort »Modernisierung« mit den staatlichen, bürokratischen und wirtschaftlichen Aspekten dieses Transformationsprozesses beschäftigt. War die ältere, borussisch-national orientierte Forschung noch von der überlegenen Gestaltungskraft der preußischen Reformpolitik überzeugt, hat sich inzwischen die Auffassung durchgesetzt, daß die Reformen im rheinbündischen Deutschland einen eigenständigen Weg der Modernisierung einleiteten, der den preußischen Entwicklungen ebenbürtig war.


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