Die Beerdigung des Mainzer Jakobiners Felix Anton Blau

von Hellmut G. Haasis

II.

Die Mainzer Zeitung »Der Beobachter vom Donnersberg« fasste den Ablauf der Feier zusammen:

Der B. Mulot, Regierungskommissär in Abwesenheit des B. Rudler, hielt nun nach einer Trauersymphonie eine rührende Rede, worin er die Verdienste des Verstorbenen um die Menschheit pries. Nach ihm trat B. Professor Neeb auf und entwarf ein schönes Gemälde seiner Tugenden. B. Professor Wedekind gab Nachricht von den Umständen seiner Krankheit, und B. Cosson las ein Gedicht zu seinem Lobe ab. Den Schluß machte B. Rebmann mit einer herzlichen Rede, die mit tiefer Rührung angehört wurde. Unter einer Trauersymphonie wurde der Sarg verschlossen und in die Mitte des Hofes gebracht, wo unter den Bäumen eine Grube zu seinem Empfange bereit war.

B. Lehne hielt eine Standrede am Rande des Grabes, und Blaus Freunde nahmen mit Tränen Abschied von der teuern Leiche des Edlen. Die Trauermusik stimmte mit gedämpftem Ton die Melodie des Marseillerlieds an, als B. Cosson sie mit Erde bedeckte. »Nicht in geweihte Erde«, sagte B. Lehne »senken wir ihn, aber Er weihet die Erde, in die wir ihn senken; nicht mit kaltem, gesegnetem Wasser besprengen wir seinen Sarg, aber das Gefühl einer Tugend heiligt die heißen Tränen seiner Freunde«. [1]

Nachzutragen ist: einen französischen Totengesang[2] hatte der gebürtige Mannheimer Jude Abraham Lembert (1766-1832) gedichtet.

Den traditionellen Umzug, wie er schon immer bei Prozessionen oder Beerdigungen zu sehen war, schmückten dieses Mal charakteristische Zusätze, Merkmale des revolutionären Zeitalters: drei Schrifttafeln, die Trikolore, acht Frauen mit Zypressenzweigen, ein Eichenkranz und die Aufstellung von Blaus Hauptwerk.

Zum Vergleich sei eine Beerdigungsfeier von Montpellier zur Zeit der Terreur herangezogen, wie sie im »Argos«, der Straßburger Zeitschrift von Eulogius Schneider (1756-94) beschrieben worden war.

Nachricht von der Todesfeier des Volksrepräsentanten Beauvais zu Montpellier am 8. Germinal[3]

Kaum hatte man den Tod des würdigen Beauvais vernommen, als sich die Mitglieder der Volksgesellschaft und der Verwaltungskorps mit einigen berühmten Künstlern vereinigten, um sich mit den Ehrenbezeugungen zu beschäftigen, welche man der Asche dieses großen Mannes erweisen könnte.

Der Tag der Totenfeier ward für den folgenden Morgen bestimmt.

Die Volksgesellschaft, die bürgerlichen und Militärgewalten, und ein Detachemant der Nationalgarde versammelten sich nachmittags um vier Uhr im Gemeindehause.

Der Zug ging von da nach dem Orte, wo der Körper des Repräsentanten lag. Er ward von Mitgliedern der Volksgesellschaft ernst und feierlich auf das Marsfeld getragen, wo man ihn auf einen Scheiterhaufen legte, unter dem Donner der Kanonen und in Gegenwart eines unermesslichen Volks, dessen Herz die patriotische Hymne Sterben für sein Vaterland usw. sang, während eine kriegerische Musik alles erschütterte.

Der Scheiterhaufen ward von den Magistratspersonen angezündet, das Feuer war stark und wohlunterhalten. Kommissarien der Volksgesellschaft und der bürgerlichen und Militärgewalten wachten die ganze Nacht hindurch an demselben und sammelten die kostbare Asche dieses Märtyrers der Freiheit in eine Urne.

Heute Dekadi[4] bei Sonnenaufgang donnerten die Kanonen. Um neun Uhr begaben sich die Volksgesellschaft und die konstituierten Gewalten auf das Marsfeld, wo das Volk sie schon erwartete.

Nun begann der Zug mit einem Detachement der Nationalgarde, ihm folge eine große Anzahl weiß gekleideter Bürgerinnen, welche Lorbeern und Zypressen trugen. Dann kamen die Mitglieder der Volksgesellschaft, in ihrer Mitte der Präsident, welcher die Urne trug, bedeckt mit Blumen und einer Bürgerkrone und umflattert von vier dreifarbigen Bändern, gehalten von vier Präsidenten der Konstituierten Gewalten.

Junge Bürgerinnen, weiß gekleidet, mit Blumenkörbchen am Arme umgaben die Urne. Es folgten die bürgerlichen und militärischen Obrigkeiten, die Nationalgarde schloss den Zug und eine kriegerische Musik feierte die Unsterblichkeit des großen Volksrepräsentanten.

In den Gruppen waren mehrere zweckmäßige Inschriften angebracht.

Nachdem der Zug verschiedene Quartiere der Stadt besucht hatte, ging er in den Tempel der Vernunft. Hier ward die Urne niedergesetzt, junge Bürgerinnen deckten sie mit Blumen. Drei Reden wurden mit dem tiefsten Stillschweigen angehört.

Darauf erklang eine bezaubernde Musik, und die Totenfeier endigte sich mit den wiederholten Ausruf: Es lebe die Republik! Es lebe die Freiheit! Es lebe der Berg![5] Und mit dem feierlichsten Schwur, den Tod des edlen Beauvais zu rächen.

Als das Volk sich verloren hatte, drückte der Magistrat sein Siegel auf die Urne, ließ sie in ei versiegeltes Kästchen einpacken und von den Bürgern Michel und Franc an die Nationalkonvention überbringen.[6]

Die Unterschiede beider Trauerfeiern lassen den Wandel der Zeit nachempfinden. Bei Blaus Feier fehlen eine Volksgesellschaft[7], das Militär, eine Volksmasse und der Tempel der Vernunft. Die Trauerfeier während der Terreur gedachte mehr einer Kollektivgestalt auf dem Höhepunkt der Revolution. Das Subjekt der Revolution selbst – die Versammlung der politisierten Stadtbewohner – demonstrierte seine Macht, gerade als sein Abgeordneter ermordet war. Blaus Gedenkfeier war dagegen vom individuellen gezeichnet. Der Koblenzer revolutionäre Demokrat Görres verstand sie als »Totenopfer«, nicht als Aufruf zur Rache, wie die Demokraten von Montpellier.

Im Hof des Mainzer Universitätsgebäudes ist das Grab ausgehoben. Die erste Rede hält ein Vertreter der französischen Republik, als Stellvertreter des Regierungskommissars sein Privatsekretär Françios Valentin Mulot (1749-1804), Professor der Ästhetik: ein Pariser Revolutionär. Er war einst Ordensgeistlicher gewesen (Augustinerdomherr), Prior der Abtei St. Victor in Paris und Theologieprofessor; 1789 schloß er sich der Revolution an; als Vorsitzender der Nationalversammlung unterstützte er am 28. Januar 1790 das Gesuch der Pariser Juden um bürgerliche Gleichstellung[8]. Längere Zeit leitete er als Präsident die Kommune von Paris, ein entscheidendes Machtzentrum der Revolutionsbewegung In den Jahren 1798/99 beeinflusste er die Stellenbesetzung im Departement Donnersberg, danach prägte er das Bildungswesen der vier neuen linksrheinischen, deutschen Departements, wurde dann Generalsekretär bei der Präfektur des Saardepartements in Trier[9]. Von einer Tribüne herunter sagt nun Mulot:

Wir sind ihm schuldig, uns zu trösten, über sein Dahinwandern auf immer, durch die Betrachtung seiner Werke, die ihm die Unsterblichkeit errangen in dem Andenken der Welt; wir sind ihm schuldig, sein Dasein zu verewigen, indem wir seinem Beispielen folgen, indem wir sie sammeln, um sie der Jugend als Muster der Nachahmung aufzustellen und indem wir ihm solche Ehre erzeigen, die zur Ausübung seiner Tugenden entflammt und zum Streben nach gleichhoher Belohnung. […]

O, dass ich alle Arbeiten, die Blau unternahm, um seine Zeitgenossen zu aufgeklärtern und bessern Menschen zu bilden, alle Leiden, die er duldete dieser Arbeiten wegen, und weil er so kräftig zum Triumphe der Freiheit in diesen Gegenden mitwirkte, in ein kraftvolles, erschütterndes Gemälde zusammenfassen könnte, dass seine Verfolger sich schämen müssten der Schandtaten, die sie auf sein Haupt häuften; dass seine Freunde sich trösten könnten durch den Ruhm, der ihn ins Grab begleitet, durch die Ruhe, die der Tod ihm nun gewährt vor den schmählichen Behandlungen und den Leiden ohne Zahl, die Neid, Tyrannei und Fanatismus wechselweise über ihn hergegossen; dass alle Bewohner dieser Gegenden gezwungen würden, ihre Augen der Wahrheit zu öffnen und ihr Herz der Dankbarkeit und dass dies mächtige Gefühl in die unzweideutigsten Beweise, die Befolgung seiner Lehren und die Nachahmung seiner Tugenden ihn ihnen überginge. [10]

Blau kann als einer der interessantesten, aufrechtesten Vertreter der katholischen Aufklärung gelten, die ihren Beitrag zur Demokratisierung Deutschlands geleistet hat. Erst wenn wir sein schweres Leben an uns vorüberziehen lassen, können wir ermessen, wie mühevoll, lang und verschlungen der Weg zur Emanzipation verlaufen war.


[1] Wiederabgedruckt bei Görres, S. 373
[2] Beerdigung, S. 72
[3] 23.03.1794
[4] Der 10, 20 und 30. Tag im Monat nach dem Revolutionskalender; Ruhetag
[5] Die Jakobiner im Konvent.
[6] Agros, 4. Halbjahrgang Nr. 47. 2. Floréal II (21.04.1794), S. 381-383
[7] Klub
[8] Graetz, II Bd., S. 212-214
[9] Schnitt, S. 106
[10] Beerdigung, S. 8-10


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