Walpurgisnacht

Der Versucher

Ich hörte nahe vor mir Pferde wiehern. Ich erschrak. Die Liebe des Lebens erwachte von neuem. Ich gedachte in die Wildnis zurück zu flüchten. Du hast zwar gefehlt; du bist zwar Verbrecher der entsetzlichsten Art, aber du kannst wohl noch glücklich werden, wenn du dich diesmal rettest. Denn ein vollendeter Bösewicht warst du nie, wenn gleich der leichtsinnigste. So dachte ich, aller Vorsätze vergessend, und mit meinen Gedanken schon in einer fernern Einsamkeit, wo ich, unbekannt der Welt, mit Weib und Kindern unter fremden Namen leben könnte. Aber bei dem Allem war ich doch vorwärts gegangen.
Da erblickte ich, als sich die Straße bog, dicht vor mir Pferde, einen umgestürzten Wagen mit einem zerbrochenen Rade, und zu meinem Entsetzen oder Entzücken daneben stehend ? den wohlbekannten Rotrock.
Als er mich erblickte, grinste er mich nach seiner Gewohnheit an, und sagte: »Willkommen hier! Habe ich nicht gesagt, dass wir uns wieder finden würden? ? Ich warte schon die ganze Nacht. Mein Postillon ist in das Städtchen zurück, Hilfe zu holen, und kommt nicht wieder.«
»Er hat dort mehr zu helfen, als hier«, sagte ich, »denn die Stadt ist in vollem Feuer.«
»Dachte ich's doch«, erwiderte er, »denn ich sah es an der Röte des Himmels. Aber was wollen denn Sie im Walde? Was suchen Sie hier? Warum helfen Sie nicht löschen?«
»Ich habe wohl andere Dinge zu löschen, als Holzbrand.«
»Dachte ich's doch. Sagte ich es Ihnen nicht vorher?«
»Retten Sie mich. Ich bin ein heilloser Verbrecher geworden ? ich ward leichtsinniger Gatte, Mörder, Mordbrenner, Straßenräuber, Brudermörder, Alles seit dem Augenblick, da Sie mich verlassen hatten; Alles binnen drei Stunden. Und doch, ich schwöre es Ihnen, bin ich kein schlechter Mensch.«
Der Rotrock stampfte mit dem Klumpfuß auf den Boden, da ich dies sagte, als wäre er voll Unwillens. Aber seine Gebärden blieben hart und eisern. Auch gab er keine Antwort. Da erzählte ich ihm das beispiellose Unglück dieser Nacht. Er blieb ganz gelassen.
»Kennen Sie mich nun, und was ich von Ihnen will?« sagte er endlich.
»Meine Seele! meine Seele!« schrie ich: »denn nun fange ich an zu glauben, dass Sie in der Tat der sind, für den ich Sie in Prag, bei mir selbst scherzend, hielt.«
»Und der wäre?«
»Der Satan.«
»So falle vor mir nieder und bete mich an!« brüllte er mit grässlicher Stimme.
Ich fiel auf die Knie, wie ein Wahnsinniger, vor ihm, und hob die gefalteten Hände, und rief. »Rette mich! ? rette mein Weib und meine Kinder vor dem Verderben! Sie sind unschuldig. Bringe uns in eine Wüste, wo wir Brot und Wasser haben und eine Höhle. Wir wollen uns selig machen, wie in einem Paradiese. Aber wische die Erinnerung an die Walpurgisnacht aus meinem Gedächtnis, sonst ist auch im Paradiese die Hölle. Kannst du das nicht, so ist mir's besser, ich sterbe büßend auf dem Hochgericht.«
Wie ich dies sagte, hob er den Klumpfuß und stieß damit verächtlich gegen mich, dass ich rücklings zu Boden taumelte. Ich wollte meine Bitten wiederholen, aber er unterbrach mich und sagte: »Da seht mir den frommen, gefühlvollen Mann! da seht mir den stolzen Sterblichen in der Herrlichkeit seiner Vernunft! da seht mir den Philosophen, der den Teufel wegleugnet und die Ewigkeit in gelehrte Zweifel bringt! Er krönt seine Schandtaten mit der Anbetung des Satans!«
»Daran, Satan, erkenne ich dich«, schrie ich wütend: »daran, dass das sanfte Mitleid in deiner eisernen Brust fehlt, welches doch sonst das warme Menschenherz bewohnt. Ich will auch kein Mitleid von dir, der nur schadenfrohen Hohn kennt. Ich wollte deine Gunst kaufen, mit meiner Seele kaufen. Sie könnte sich ja noch bessern; sie kann ja den Weg zur Reue finden und zur Gnade. Sie könnte dir ja noch entschlüpfen, wenn du sie am sichersten zu haben glaubst.«
Düster entgegnete er mir: »Nein, mein Herr, ich bin der Teufel nicht, wie Sie glauben. Ich bin ein Mensch, wie Sie. Sie waren ein Verbrecher. Jetzt sind Sie ein Wahnsinniger geworden. Aber wer mit seinem bessern Glauben einmal gebrochen hat, der ist auch mit seiner Vernunft bald fertig. ? Ich verachte Sie. Und wenn ich Ihnen helfen könnte, wahrhaftig, ich möchte Ihnen nicht helfen. Ihre Seele fordere ich nicht. Sie ist zur Hölle reif, ohne dass der Satan dafür einen roten Heller bietet.«


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03