Das Abenteuer der Neujahrsnacht

13.

»Nun ja, den suchen wir eben! Halt, Bursche!« riefen mehrere Stimmen, und Philipp, Röschen und der Prinz sahen sich plötzlich von sechs handfesten Dienern der löblichen Polizei umringt. Röschen tat einen lauten Schrei. Philipp ergriff des erschrockenen Mädchens Hand und sagte: »Fürchte dich nicht!« – Der Prinz klopfte dem Philipp auf die Achsel und sagte: »Es ist ein dummer Streich. Ich sagte dir nicht vergebens, du solltest dich zur rechten Zeit davonmachen. Aber fürchte dich nicht; es soll dir nichts widerfahren.«

»Das wird sich hintennach ergeben!« versetzte einer der Handfesten. »Einstweilen wird er mit uns kommen.«

»Wohin?« fragte Philipp. »Ich bin in meinem Dienst; ich bin der Nachtwächter.«

»Das haben wir schon gehört, und eben deswegen kommt Ihr mit uns.«

»Laßt ihn gehen, ihr Leute!« sagte Julian und suchte in den Taschen nach Geld. Da er nichts fand, flüsterte er Philipp heimlich zu, ihnen aus der Börse zu geben. Die Handfesten aber rissen beide auseinander und riefen: »Fort! Hier werden keine Abreden mehr genommen. Auch die Maske ist verdächtig und muß mit uns!«

»Die nicht!« sagte Philipp. »Ihr wollt den Nachtwächter; der bin ich. Könnt ihr verantworten, mich aus meinen Berufsgeschäften zu nehmen, so führt mich, wohin es euch beliebt. Diesen Herrn aber laßt gehen.«

»Das ist nicht Eure Sache, uns zu lehren, wen wir für verdächtig halten sollen!« versetzte einer der Polizeidiener: »Marsch, alles mit uns!«

»Auch das Frauenzimmer?« fragte Philipp. »Ich will nicht hoffen.«

»Nun, das Jüngferchen mag gehen. Für sie haben wir keinen Befehl. Aber Namen und Gesichtchen müssen wir für den Notfall kennen und den Aufenthalt.«

»Es ist die Tochter der Witwe Bittner im Milchgäßchen!« sagte Philipp und ärgerte sich nicht wenig, als die Kerls alle das Gesicht des weinenden Röschens gegen den Schein der fernen Straßenlaterne drehten und begafften.

»Geh heim, Röschen!« sagte Philipp: »Geh heim; fürchte nichts für mich. Ich habe ein gutes Gewissen.«

Röschen aber schluchzte laut, daß es selbst den Polizeidienern Mitleid einflößte. Der Prinz wollte diesen Umstand benutzen, um durch einen Sprung zu entkommen. Aber von den Handfesten einer war noch ein besserer Springer, stand mit einem Satz vor ihm und sagte: »Holla! Der hat ein schlechtes Gewissen; er muß mit uns. Vorwärts, marsch!«

»Wohin?« fragte der Prinz.

»Direkt und schnurgeraden Wegs zu Seiner Exzellenz dem Herrn Polizeiminister.«

»Hört, Leute«, sagte der Prinz sehr ernst, doch leutselig – denn ihm war in dieser Geschichte gar nicht wohl zumut, weil er eben sein Nachtwächterstückchen nicht verraten wissen wollte. »Hört, Leute, ich bin diesen Augenblick nur sehr zufällig zu diesem Nachtwächter gekommen; ihr habt mit mir nichts zu schaffen. Ich bin vom Hofe. Untersteht ihr euch, mich zu zwingen, mit euch zu gehen, werdet ihr euern Irrtum bereuen und morgen bei Wasser und Brot im Turm sitzen.«

»Laßt den Herrn um Gottes willen gehen, Leute!« rief Philipp, »verlaßt euch auf mein Wort, es ist ein großer Herr, der euch euren Dienst garstig versalzen kann. Es ist ...«

»Schweig!« rief Julian: »Es soll niemand aus deinem Munde erfahren, wer ich bin, wenn du allenfalls erraten hättest, wer ich sei. Hörst du, niemand! Niemand, sage ich dir, es komme, wie es wolle. Hörst du?«

»Wir tun unsere Schuldigkeit!« entgegnete ein Polizeidiener, »und dafür setzt uns keiner in den Turm. Das könnte aber am Ende wohl dem Herrn in der Maske selbst widerfahren. Wir kennen dergleichen Sprachen schon und fürchten solche Drohungen nicht. Vorwärts, marsch!«

»Leute, nehmt Vernunft an!« rief Philipp. »Es ist ein sehr angesehener Herr am Hofe.«

»Und wenn's der König selber wäre, müßte er mit uns; das ist unsere Pflicht; er ist verdächtig!« gab einer zur Antwort.

»Ei ja«, rief ein anderer, »große Herren am Hofe haben wohl mit Nachtwächtern und euresgleichen heimliche Dinge abzutun und wie vorhin einander in die Ohren zu zischeln.«

Während man noch des Prinzen wegen hin und her stritt, kam ein Wagen, achtspännig, mit brennenden Fackeln voran, dahergefahren an der Kirche vorbei. »Halt!« rief eine Stimme im Wagen, als dieser eben an dem Haufen der Polizeidiener war, welche den Prinzen umringt hielten.

Der Wagen stand. Der Kutschenschlag öffnete sich. Ein Herr sprang heraus im Überrock mit einem glänzenden Stern darauf und ging zu der Menschengruppe. Er stieß die Polizeidiener zurück, betrachtete den Prinzen von oben bis unten und sagte: »Richtig! Erkannte ich doch gleich den Vogel an seinen Federn von weitem. Maske, wer sind Sie?«

Julian wußte nicht, wohin sich in seiner Verlegenheit drehen und wenden, denn er erkannte den Herzog Hermann.

»Antworten Sie mir!« rief der Herzog mit donnernder Stimme. Julian schüttelte den Kopf und winkte dem Herzog, sich fortzubegeben. Dieser aber ward noch erpichter, zu wissen, mit wem er es auf dem Ball zu tun gehabt habe. Er fragte die Polizeibeamten. Diese standen mit entblößten Häuptern um den Herzog und sagten: sie hätten Befehl, den Nachtwächter unmittelbar zum Polizeiminister zu führen; der Wächter habe gottlose Verse gesungen, wie sie mit ihren eigenen Ohren gehört, sei ihnen aber durch Kreuz- und Quergassen entsprungen; hier nun bei der Kirche hätten sie ihn in vertraulichem Gespräch mit der Maske ertappt, die ihnen beinahe verdächtiger schiene als der Nachtwächter. Die Maske habe sich für einen Herrn vom Hofe ausgeben wollen, allein das sei offenbar Windbeutelei. Sie hätten daher für Schuldigkeit gehalten, die Maske zu arretieren.

»Der Mensch ist nicht vom Hofe!« erwiderte der Herzog, »darauf könnt ihr sicher gehen; ich gebe euch mein Wort.« Er hat sich unerlaubterweise auf dem Ball eingeschlichen und jeden glauben gemacht, er sei Prinz Julian. Er hat sich mir endlich entlarven müssen, da er auch mich betrogen und mir entwischte. Es ist ein unbekannter Mensch, ein Abenteurer. Ich habe es dem Oberhofmeister gemeldet. Ihr Leute, führt ihn fort zum königlichen Palast, ihr habt einen guten Fang getan.

Mit diesen Worten drehte sich der Herzog um, stieg in den Wagen, rief noch einmal zurück: »Laßt ihn nicht entkommen!« und fuhr davon.

Der Prinz sah sich verloren. Den Polizeidienern sein Gesicht zu zeigen, hielt er für unschicklich; durch diese wären seine Geniestreiche allzu stadtkundig geworden. Minder Gefahr lief er, wenn er vor dem Oberhofmeister oder dem Polizeiminister die Larve abzog. Also rief er entschlossen: »Meinethalben! Kommt!«

Sie gingen. Röschen sah ihnen weinend nach.


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