Das Abenteuer der Neujahrsnacht

12.

Wie es gewöhnlich in solchen Rechtshändeln geht, wo ein liebendes Pärchen miteinander streitet, ging es auch hier. Sobald Röschen das weiße Schnupftuch hervornahm und ihre Augen trocknete und das Köpfchen wegwandte, und ein Seufzer um den andern aus der Tiefe der Brust hervorzitterte, hatte sie offenbares Recht, und er offenbares Unrecht. Und er gestand sein Unrecht, indem er sie tröstete und bekannte: er sei auf einem Maskenball gewesen, und was er unter dem Arm trage, sei kein weibliches Gewand, sondern ein Seidenmantel nebst Larve und Federhut.

Nach diesem reumütigen Eingeständnis aber begann erst das strengste Verhör über ihn. Ein Maskenball, das weiß jedes Mädchen in einer großen Stadt, ist für unverwahrte Herzen ein gefährlicher Irrgarten und Kampfplatz. Man stürzt sich in ein Meer anmutiger Gefahren und geht manchmal darin unter, wenn man kein guter Schwimmer ist. Röschen hielt ihren Freund Philipp aber gerade nicht für den besten Schwimmer; es ist schwer zu sagen, warum? Also mußte er zuerst erklären, ob er getanzt habe? Auf das Verneinen hin fragte sie, ob er keine Abenteuer und Händel mit weiblichen Masken gehabt habe? Das ließ sich nicht verneinen. Er bekannte allerlei; doch setzte er jedesmal hinzu, die Frauenzimmer wären insgesamt von vornehmer Abkunft gewesen und hätten ihn für einen anderen gehalten. Röschen wollte zwar ein wenig zweifeln; doch unterdrückte sie den Argwohn. Als er aber auf ihre Frage: für wen man ihn gehalten habe, und von wem er seine Maske geliehen? immer den Prinzen Julian nannte, schüttelte sie doch das ungläubige Köpfchen; und noch unwahrscheinlicher war ihr sein Geschichtchen, daß der Prinz Nachtwächterdienste getan, während Philipp auf dem Balle gewesen. Er aber vernichtete alle ihre Zweifel mit der Versicherung, der Prinz – denn dafür halte er seinen Substituten – werde laut Abrede in wenigen Augenblicken bei der Gregorienkirche erscheinen und die schöne Maske für den Nachtwächtermantel eintauschen.

Nun ging dem erschrockenen Röschen über ihr Abenteuer im dunkeln Hausgang ein Licht auf. War es ihr doch damals schon aufgefallen, daß der vermeinte Philipp so etwas Fremdartiges in seinem Wesen gehabt hatte. Da nun die Reihe an sie kam, alles haarklein zu beichten, wie sie zu dem Gelde für das Lotterielos gelangt wäre, stotterte sie lange und suchte nach Worten herum, daß dem Philipp ganz bange ward.

Sie erzählte endlich alles, was vorgefallen war; aber wie es zum Kuß und Gegenkuß kam, stockte sie wieder mit der Sprache. Doch mußte es heraus.

»Es ist nicht wahr!« rief Philipp. »Ich habe dir keinen Kuß gegeben und von dir keinen empfangen.«

»So hat er dir doch gegolten«, sagte Röschen leise und schmeichelnd. Philipp rieb sich die blonden Haare auf dem Wirbel herum, damit sie nicht zu Berge stehen sollten.

»Höre, Philipp, bist du es nicht gewesen«, sagte Röschen ängstlich, »so glaube ich dir alles Unglaubliche, das du mir gesagt hast – so ist es Prinz Julian in deinen Kleidern gewesen.«

Das hatte Philipp schon lange geahnt, und er rief: »Der Spitzbube! Er hat mich um deine Küsse bestohlen. Nun begreif' ich! Nur darum gab er mir seine Maske, nur darum wollte er auf eine halbe Stunde Ich sein!« – Und nun fiel ihm die Maske ein, die ihm von der Operntänzerin Rollina, dann von Röschen erzählt hatte, und er erneuerte sein Verhör strenger als vorher: ob und wie sie den Prinzen vorher gesehen? Ob ihr nicht ein Mann aufgefallen sei, ein vornehmer Herr, der ihr beim Kirchengehen nachgeschlichen sei, oder der sich im Milchgäßchen Geschäfte gemacht habe? Oder ob nie ein Herr oder sonst jemand zu ihrer Mutter gekommen sei, um sie mit Geld und Wohltaten in ihrer Verlassenheit zu unterstützen?

Röschens Antworten fielen sämtlich so beruhigend aus und trugen so sehr das Gepräge der unbefangensten Unschuld, daß Philipps Herz wieder leicht ward. Er warnte sie vor den Schleichern und vor der Barmherzigkeit der Vornehmen, und Röschen hinwieder warnte vor den Gefahren der Maskenbälle und allen Abenteuern mit Frauenzimmern hohen Standes, durch welche mancher junge Mensch schon recht unglücklich geworden sei. Man vergab sich alle in der Unwissenheit begangenen Sünden, und Philipp stand im Begriff, den Kuß einzufordern, der ihm bestimmt gewesen und den er nicht empfangen hatte – als das Pärchen im besten Augenblick durch eine fremde Erscheinung unterbrochen wurde.

Es kam im vollen Lauf und Sprung ein Mensch gegen sie gerannt, der atemlos bei ihnen stehenblieb. An Mantel, Stange, Hut und Horn erkannte Philipp auf der Stelle seinen Mann. Dieser hingegen suchte den Maskenträger. Philipp reichte ihm den Hut und Seidenmantel und sagte: »Gnädigster Herr, hier Ihre Sachen. In dieser Welt tauschen wir die Rollen nicht wieder miteinander; ich käme zu kurz dabei!«

Der Prinz rief: »Nur geschwind, nur geschwind!«, warf die nachtwächterliche Amtstracht von sich in den Schnee, band die Larve und den Mantel um und setzte den Hut auf. Röschen sprang erschrocken zurück. Philipp bedeckte sich mit seinem alten Filz und Mantel und nahm Stange und Horn.

»Ich habe dir ein Trinkgeld versprochen, Kamerad«, sagte der Prinz, »aber so wahr ich lebe, ich habe meinen Geldbeutel nicht bei mir.«

»Den habe ich!« antwortete Philipp und hielt ihm die Börse hin. »Sie gaben ihn meiner Braut da – aber, gnädigster Herr, wir verbitten uns Geschenke der Art.«

»Kamerad, behalte, was du hast, und mache dich geschwind aus dem Staube; es ist für dich hier nicht geheuer!« rief der Prinz eilig und wollte davon. Philipp hielt ihn am Mantel fest. »Gnädiger Herr, wir haben noch eins abzutun!«

»Flieh', sag' ich dir, Nachtwächter! Flieh', man stellt dir nach.«

»Ich habe keine Ursache, zu fliehen, gnädigster Herr. Aber ich habe Ihnen hier Ihre Börse –«

»Die behalte. Lauf, was du kannst!«

»Und einen Wechsel des Marschalls Blankenschwerd von fünftausend Gulden zuzustellen.«

»Der Hagel, wie kommst du mit dem Marschall Blankenschwerd zusammen, Nachtwächter?«

»Er sagte, es sei eine Spielschuld, die er Ihnen zu zahlen habe. Er will diese Nacht noch mit seiner Gemahlin auf seine polnischen Güter.«

»Bist du toll? Woher weißt du das? Wo gab er dir die Verrichtungen an mich?«

»Gnädigster Herr, und der Finanzminister Bodenlos will bei Abraham Levi alle Ihre Schulden zahlen, wenn Sie sich für ihn beim König verwenden wollen, daß er im Ministerium bleibe.«

»Nachtwächter, du bist vom hellen Teufel besessen!«

»Ich habe ihn aber in Hochdero Namen abgewiesen!«

»Du den Minister?«

»Ja, gnädigster Herr; hingegen habe ich die Gräfin Bonau mit dem Kammerherrn Pilzow wieder vollkommen versöhnt.«

»Wer von uns beiden ist ein Narr?«

»Noch eins. Die Sängerin Rollina ist eine gemeine Metze, gnädigster Herr. Ich kenne deren Liebesgeschichten. Sie sind der Betrogene. Darum hielt ich es für Ihre Königliche Hoheit unwürdig, sich mit ihr einzulassen, und habe für diese Nacht das Abendmahl bei ihr abbestellt.«

»Die Rollina? Wie kamst du zu der?«

»Noch eins. Der Herzog Hermann ist fürchterlich gegen Sie aufgebracht wegen der Kellergeschichte. Er wollte Sie beim König verklagen.«

»Der Herzog? Wer hat dir denn das alles erzählt?«

»Er selbst. Sie sind noch nicht sicher. Zum König aber geht er nicht mehr, denn ich drohte ihm mit dem Zettel, den er dem Bäckermädchen gab. Hingegen wollte er sich mit Ihnen auf Tod und Leben schlagen. Nehmen Sie sich in acht vor ihm.«

»Eins sage mir: weißt du, woher der Herzog weiß, daß ich –«

»Er weiß alles von der Marschallin Blankenschwerd; die hat es ihm ausgeplaudert, und daß sie als Hexe bei dem Gaukelspiel gesessen.«

Der Prinz nahm den Philipp beim Arm und sagte: »Spaßvogel, du bist kein Nachtwächter!« Er drehte ihm das Gesicht gegen eine aus der Ferne herschimmernde Laterne, und erschrak, da er einen ihm vollkommen fremden Menschen sah.

»Bist du vom Satan besessen, oder ... Wer bist du denn?« fragte Julian, der vor Schrecken ganz nüchtern geworden war.

»Ich bin der Gärtner Philipp Stark, Sohn des Nachtwächters Gottlieb Stark!« antwortete Philipp ruhig.


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