Das Abenteuer der Neujahrsnacht

4.

Hier stieß ihn ein Mameluck an und sagte hastig: »Gut, Domino, daß ich Sie finde. Ist das Rosenmädchen hier im Kabinett?« – Der Mameluck trat hinein und kam den Augenblick wieder zurück. »Auf ein Wort allein, Domino!« und führte Philipp in einen entlegenen Teil des Saals ans Fenster.

»Was steht zu Befehl?« fragte Philipp.

»Ich beschwöre Sie«, sagte der Mameluck mit gedämpfter, aber fürchterlicher Stimme, »wo ist das Rosenmädchen?«

»Was geht mich das Rosenmädchen an?«

»Aber mich desto mehr!« entgegnete der Mameluck, dessen gepreßte Stimme, dessen unruhige Bewegungen eine schreckliche Gärung seines ganzen Innern verrieten. »Mich desto mehr! Es ist mein Weib. Sie wollen mich unglücklich machen. Prinz, ich beschwöre Sie, treiben Sie mich nicht zum Wahnsinn. Lassen Sie von meinem Weibe.«

»Von Herzen gern!« antwortete Philipp trocken. »Was habe ich mit Ihrer Gemahlin zu schaffen?«

»Oh! Prinz! Prinz!« rief der Mameluck. »Ich bin zum Äußersten entschlossen, und sollte es mir das Leben kosten. Verstellen Sie sich keinen Augenblick länger vor mir. Ich habe alles entdeckt. Hier, da – sehen Sie – hier ist das Billett, das Ihnen das falsche Weib in die Hand drückte und Sie, ohne es gelesen zu haben, im Gedränge verloren.«

Philipp nahm den Zettel. Mit Bleistift war von einer weiblichen Hand darauf geschrieben: »Ändern Sie die Maske. Alles kennt Sie. Mein Mann beobachtet Sie. Mich kennt er nicht. Wenn Sie artig sind, lohn' ich's Ihnen.«

»Hm!« brummte Philipp. »Das ist, so wahr ich lebe, nicht an mich geschrieben. Ich bekümmere mich um Ihre Gemahlin wenig.«

»Himmel und Hölle, Prinz, machen Sie mich nicht rasend. Wissen Sie, wen Sie vor sich haben? Ich bin der Marschal Blankenschwerd. Daß Sie meinem Weibe nachstellen, ist mir seit der letzten Redoute am Hofe nicht mehr unbekannt.«

»Herr Marschall«, versetzte Philipp, »nehmen Sie mir's nicht übel, die Eifersucht blendet Sie. Wenn Sie mich recht kennten, Sie würden von mir so tolles Zeug gar nicht denken. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Ihre Gemahlin soll Ruhe vor mir haben.«

»Ist es Ihr Ernst, Prinz?«

»Vollkommen.«

»Geben Sie mir den Beweis.«

»Wie verlangen Sie ihn?«

»Sie haben sie bisher abgehalten, ich weiß es, zu ihren Verwandten nach Polen mit mir zu reisen. Bere den Sie sie jetzt dazu.«

»Von Herzen gern, wenn Ihnen damit gedient ist.«

»Alles, Königliche Hoheit! Alles! Sie verhüten entsetzliches, unvermeidliches Unglück.«

Der Mameluck plauderte noch ein langes und breites, bald weinerlich, bald flehend, bald drohend, daß dem guten Philipp bange ward, der Mensch könne in seiner Tollheit mit ihm vor aller Welt Händel beginnen. Und das war ihm eben nicht gelegen. Er war froh, als er von ihm abkam.

Kaum hatte er sich in der Masse der übrigen verloren, kniff ihn eine weibliche Maske, die schwarz beflort in tiefen Trauerkleidern einherging, freundlich in den Arm und flüsterte: »Schmetterling, wohin? – Flößt Ihnen die verlassene Witwe kein Mitleiden ein?«

Philipp erwiderte gar höflich: »Schöne Witwen finden nur der Tröster zuviel; darf ich mich zur Zahl Ihrer Tröster zählen?«

»Warum sind Sie so ungehorsam und änderten die Maske nicht?« sagte die Witwe, indem sie mit ihm seitwärts ging, wo sie freier mit ihm ins Gespräch treten konnte. »Glauben Sie denn, Prinz, daß Sie nicht von jedem hier erkannt sind?«

»Die Leute«, versetzte Philipp, »sind doch ungewiß und irren sich in mir.«

»Wahrhaftig nicht, Prinz; und kleiden Sie sich nicht auf der Stelle anders, so verlasse ich Sie für den ganzen Abend. Denn ich möchte meinem Manne keinen Anlaß zu einem Auftritt geben.«

Jetzt wußte Philipp, mit wem er es zu tun hatte. »Sie waren das schöne Rosenmädchen. Sind die Rosen so schnell verblüht?«

»Was ist nicht vergänglich? Besonders Männertreue! Ich sah wohl, wie Sie mit der Karmeliterin davonschlichen. Bekennen Sie nur Ihre Flatterhaftigkeit. Sie können nicht mehr leugnen.«

»Hm!« versetzte Philipp trocken. »Klagen Sie mich nicht an, sonst klag' ich Sie auch an.«

»Zum Beispiel, schöner Schmetterling?«

»Es gibt zum Beispiel doch keinen treueren Mann als den Marschall.«

»Das ist er wohl. Und ich habe unrecht, wahrlich großes Unrecht, Sie zuviel angehört zu haben. Ich mache mir Vorwürfe genug. Er hat leider unser Verhältnis ausgespürt.«

»Seit der letzten Redoute am Hofe, schöne Witwe.«

»Wo Sie zu ausgelassen und unvorsichtig waren, schöner Schmetterling.«

»Machen wir's wieder gut. Trennen wir uns. Ich schätze den Marschall. Ich mag ihn meinetwillen nicht leiden sehen.«

Die Witwe betrachtete ihn eine Weile sprachlos.

»Haben Sie«, fuhr Philipp fort, »wirklich einige Achtung für mich, so reisen Sie mit dem Marschall nach Polen zu ihren Verwandten. Es ist besser, daß wir uns nicht zuviel sehen. Eine schöne Frau ist schön; eine treue, tugendhafte Frau ist aber noch schöner.«

»Prinz!« rief die bestürzte Marschallin. »Ist das Ihr Ernst? Haben Sie mich je geliebt oder belogen?«

»Sehen Sie«, sagte Philipp, »ich bin ein Versucher ganz eigener Art. Ich suche die Tugend und Treue unter den Weibern und finde sie so selten. Die Treueste und Tugendhafteste kann mich allein fesseln – darum fesselt mich keine. Doch, holla, nein, daß ich nicht lüge. Eine hat mich gefesselt. Aber, es tut mir leid, Frau Marschallin, das sind eben Sie gerade nicht.«

»Sie sind in einer abscheulichen Laune, Prinz!« sagte die Witwe, und das Zittern ihrer Stimme und das Auf- und Abwogen ihres Busens verriet, was in ihr vorging.

»Nein«, erwiderte Philipp, »ich bin, so wahr ich lebe, in der ehrlichsten Laune von der Welt. Ich möchte gern einen dummen Streich wiedergutmachen. Ich hab' es Ihrem Mann auch gesagt.«

»Wie?« rief die Witwe erschrocken. »Sie haben dem Marschall alles offenbart?«

»Nicht eben alles, nur was ich wußte.«

Die Witwe wandte sich in heftiger Bewegung rechts und links. Sie rang die Hände. Endlich fragte sie: »Wo ist mein Mann?«

Philipp zeigte auf den Mamelucken, der in dem Augenblick mit langsamen Schritten daherkam.

»Prinz!« sagte die Witwe mit einem Tone voll unaussprechlichen Zorns: »Prinz, verzeihe Ihnen Gott, ich kann Ihnen nie verzeihen. Solcher Abscheulichkeit hielt ich nie das Herz eines Menschen fähig. Sie sind ein Verräter. Mein Mann ist ein Ehrenmann im Mameluckenkleide, Sie sind ein Mameluck im Ehrenkleide. In dieser Welt sehen Sie mich nicht wieder.« – Mit diesen Worten wandte sie ihm schnell und stolz den Rücken, ging auf den Mameluck zu und verlor sich mit ihm, wie man sah, in eine sehr ernste Unterredung.

Philipp lachte heimlich vor sich in den Bart und dachte bei sich: »Mein Substitut, der Nachtwächter, mag sehen, wie er zurechtkommt. Ich spiele meine Rolle in seinem Namen so übel nicht. Wenn er nur morgen so ehrlich fortfährt, wie ich angefangen habe.«

Er trat zu den Tanzenden und erblickte mit Vergnügen die schöne Karmeliterin in den Reihen der Tänzerinnen an der Seite ihres überglücklichen Braminen. Dieser ward den feuer-farbenen Domino kaum gewahr, so warf er ihm eine Kußhand zu und bezeichnete pantomimisch die Höhe seiner Seligkeit. Philipp dachte bei sich: »Schade, daß ich nicht Prinz für Zeitlebens bin. Die Leute sollten bald alle mit mir zufrieden sein. Es ist in der Welt nichts leichter, als ein Prinz zu sein. Mit einem Worte vermag er mehr als der beste Advokat mit einer langen Rede. Er hat das Vorrecht, geradezu zu gehen und frei von der Leber weg zu sprechen. Ja, wenn ich Prinz wäre, dann wäre mein Röschen – für mich verloren. Nein, ich möchte nicht Prinz sein.«

Er sah nach der Uhr, es war erst halb zwölf Uhr. Da kam der Mameluck in Hast auf ihn zu, zog ihn auf die Seite und gab ihm ein Papier. »Prinz«, rief der Mameluck, »ich möchte zu Ihren Füßen fallen und Ihnen im Staube danken. Ich bin versöhnt mit meiner Frau. Sie haben Ihr Herz gebrochen; aber es ist gut, daß es geschah. Sie will noch diese Nacht abreisen. Sie will auf den Gütern in Polen bleiben. Leben Sie wohl. In welcher Stunde es auch sei, ich erwarte Ihre Befehle, wenn es darauf ankommt, für Ihre Königliche Hoheit in den Tod zu gehen. Mein Dank ist ewig. Leben Sie wohl!«

»Halt!« rief Philipp, da der Marschall schnell davonwollte. »Was soll ich mit dem Papier?«

Der Marschall antwortete: »Es ist meine Spielschuld von voriger Woche, die ich fast vergessen hatte und jetzt bei der Abreise nicht vergessen möchte. Ich habe den Wechsel auf Ihre Königliche Hoheit endossiert.« Damit verschwand der Marschall.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03