Das Goldmacherdorf

5. Wie Oswald von seinen Feinden verfolgt wird, und was er dagegen thut.

Oswald hatte seit dem Tage, da er an die Gemeinde geredet, eitel Verdruß und Noth. Böse Buben warfen ihm Nachts die Fenster mit Steinen ein. In einer andern Nacht hatten sie ihm sechs junge Obstbäume abgebrochen, die er im Garten gepflanzt hatte. In einer andern Nacht hatten sie ihm den Salat von den Beeten gestohlen.

Als er zu den Vorgesetzten ging und Klage führte, lachten sie höhnisch und sprachen: »Du hättest wohl mehr Strafe verdient, wenn wir mit dir nach aller Strenge verfahren wollten. Packe dich von hinnen, du Lästermaul!«

Oswald sagte: »Wenn ihr mir gegen Bösewichter weder Recht noch Schutz verleihen wollet, so machet in der Gemeinde bekannt, daß ich mich selber zu beschirmen wissen werde, und sich Jeder vor Schaden hüten solle.«

Die Feinde aber fuhren fort, ihn zu plagen, doch nicht ohne ihren Schaden und Schrecken. Denn als er eines Abends in der Mühle war, und sie es wußten, und sich in seinen Garten schlichen, um ihm alles zu zerstören, geschahen plötzlich aus den Fenstern seines Hauses zwei Schüsse. Da liefen sie mit Entsetzen davon und meinten, er müsse den bösen Geist im Hause zum Wächter haben. Denn während sie noch liefen, begegnete ihnen Oswald, der von der Mühle kam, und er packte einen von ihnen und sprach mit donnernder Stimme: »Warum habt ihr, wie Diebe, in meinem Garten einbrechen wollen?« Doch that er ihnen nichts zu leide. Ein andermal, da schlechte Kerls ihm einen Possen spielen wollten, und nach Mitternacht, vom Branntwein erhitzt, über den Hag stiegen, der sein kleines Gut umfing, wurden sie an den Füßen blutig verwundet, daß sie vor Schmerzen laut aufschrien, und kaum über den Hag zurück konnten.

Diese und andere Geschichten verbreiteten im Dorfe große Furcht, und es wagte sich Keiner mehr des Nachts in die Gegend von Oswalds Haus.

Er aber blieb freundlich gegen Jedermann, wie zuvor; gab dem Einen guten Rath, dem Andern in der Noth ein Stück Geld. Doch that ihm der elende Zustand der Gemeinde leid, und er begab sich eines Tages zum Pfarrer und klagte es.

Der Pfarrer sprach: »Ich bin Pfarrer, und habe hier nicht zu befehlen, und kann mich in eure Händel nicht mischen. Alles Unglück dieses Dorfes kommt daher, daß die Leute im Schlamm und Unflath der Sünden untergehen. Sie fragen dem Worte Gottes nichts nach, und verkürzen aller Orten das Einkommen meiner Pfründe. Es wird aber ein schweres Zorngericht des Herrn über sie kommen, und die Langmuth des Himmels nicht länger ihren Sünden nachschauen.«

Oswald sagte: »Herr Pfarrer, mit Erlaubniß, Ihr könnet doch, wenn ihr wollet, Vieles zur Rettung der Gemeinde thun. Denn das Herz dieser Menschen ist verwildert, weil ihr Verstand verfinstert ist. Wenn Ihr Euch der Schule annehmen und die Jugend in guten Sitten und im christlichen Lebenswandel unterrichten wolltet, daß sie die Tugend lieben und das Laster scheuen lernte: es würden die guten Früchte der Besserung nicht ausbleiben.«

Der Pfarrer antwortete: »Dafür ist der Schulmeister und nicht der Pfarrer. Ich habe bei der Menge meiner wichtigen Amtsgeschäfte keine Zeit dazu übrig. Die Gemeinde selbst ist Schuld, daß sie keinen rechten Schulmeister haben kann, weil sie ihn schlecht besoldet.«

Oswald sagte: »Wohlehrwürdiger Herr Pfarrer, ein guter Hirt, der seine Heerde wohl weidet, bekümmert sich auch um jedes Einzelne in derselben. Die Leute sind unwissend, und verderbe oft bloß aus Unverstand, weil sie nicht wissen, wie sich helfen und ihre Sachen einrichten? Wenn Ihr nun bald zu dieser, bald zu jener Haushaltung in müßigen Stunden ginget, und sähet die Unvernunft der armen Leute, die oft nur zu Grunde gehen, weil sie sich nicht recht zu rathen wissen; ? sähet, wie sich die armen Menschen nach und nach an ihr Verderben gewöhnen, bis sie von Haus und Hof getrieben werden; ? sähet, wie die Kinder, erbärmlich verwahrloset, unmöglich besser werden können, weil sie nur das Schlechteste auf der Welt hören und sehen; ? o, Herr Pfarrer, wenn Ihr nun einmal . . .«

Der Pfarrer unterbrach den Oswald in seiner Rede und schrie: »Was ficht Euch an? Wollet Ihr dem Pfarrer gute Lehren geben und Unterricht, was er als Pfarrer zu thun habe? Hebet Euch weg von mir mit Euern Versuchungen. Ich bin ein geistlicher Hirt, der für die armen Seelen sorgt, und bete täglich für sie. Aber Ihr wollet mich, glaube ich, zum Säutreiber machen.«

Als der Herr Pfarrer so zornig sprach, ging Oswald von dannen und sein Herz war sehr betrübt. Aber er konnte doch nicht ruhen, und dachte: es muß und soll geholfen werden, und Gott wird mir beistehen.

Und er legte Feierkleider an, nahm den Stab, und wanderte in die Hauptstadt des Landes. Da ging er umher zu den obersten Staatsbeamten, von Haus zu Haus, sein schweres Anliegen vorzubringen. Aber der eine von den Herren hatte ein großes Gastmahl und konnte ihn nicht hören; der andere war spazieren gefahren und konnte ihn nicht hören; der dritte saß eben beim Spieltisch mit den Karten in der Hand und konnte ihn nicht hören; der vierte zählte die eingegangenen Zinsen und konnte ihn nicht hören; der fünfte führte ein junges Frauenzimmer zum Tanzhaus und konnte ihn nicht hören. Endlich kam er zu dem letzten, der hörte ihn an. Es war ein steinalter Mann mit einer weißen Haarbeutelperrücke. Vor diesem schüttete Oswald sein Herz aus, sprach vom Elend seines Dorfes, von der Schlechtigkeit der Vorgesetzten, von der Gleichgültigkeit des Pfarrers, von der Unwissenheit des Schulmeisters.

Darauf antwortete der alte Herr in der Haarbeutelperrücke ganz freundlich und sprach zu ihm: »Du Flegel, der du geistliche und weltliche Obrigkeit verlästerst, packe dich und raisonnire nicht weiter, oder ich lasse dich ins Zuchthaus bringen. Euer Herr Pfarrer ist ein vortrefflicher Mann, denn er ist mein eigener Vetter.«

Mit diesem Bescheid verließ Oswald die Hauptstadt. Als er wieder außer dem Stadtthor in die freie Luft kam, brach ihm das Herz, und er weinte laut.


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