Briefe aus den Befreiungskriegen

Heinrich Dietrich von Grolman an seinen Sohn Karl Wilhelm von Grolman

IX.

vom 28.11.1807.

Berlin 28 November 1807

Dein Schicksal liegt mir, wie Du Dir leicht vorstellen kannst, zu sehr am Herzen, als dass ich darüber ruhig sein könnte. Je mehr ich darüber nachdenke, jemehr überzeuge ich mich, dass Du Dir Dein Unglück vorbereitest. Siehe Dich in Europa um, wohin Du willst, überall siehst Du Erbärmlichkeiten. Du allein kannst doch nicht wider den Strom schwimmen; es bleibt für eine Privatperson nichts anderes übrig, als bessere Zeiten, die nicht ausbleiben werden, abzuwarten, unterdessen seine Talente und Kenntnisse zu erweitern, und alsdann die erste Gelegenheit mit allen Kräften zu ergreifen, wo dem Staat geholfen werden kann. England hat den Franzosen den beständigsten Widerstand geleistet, aber den Krieg hat es doch erbärmlich geführt, und führt ihn noch erbärmlich. Von Konstantinopel ist es mit Schande zurückgegangen. Alexandrien, Buenos Aires hat es verlassen müssen, nur bei Kopenhagen hat es mit einiger Kraft gehandelt, aber auch da seinen Zweck nur halb erreicht. Für Preußen würde es gewiss nie etwas tun, da es die ungerechte Besetzung von Hannover nicht vergessen kann. Wer in englische Dienste tritt, hat nie die Aussicht, unserm Staate aufzuhelfen. Kein Ausländer hat in englischen Diensten je sein Glück gemacht. Die Nation ist zu stolz, zu neidisch, zu argwöhnisch dazu. Fremde Truppen haben sie willkürlich zu ihren Absichten gebraucht, sie aber nach abgeschlossnem Frieden abgedankt, und ihnen höchsten halben Sold gegeben. Wie undankbar haben sie den Herzog Ferdinand behandelt! Der jetzige König ist alt, nach seinem täglich möglichen Tode wird der Prinz von Wales wahrscheinlich einen schimpflichen Frieden machen; was bleibt da für eine Aussicht übrig? Ein Soldat hat eine stärkere Pflicht, sein Vaterland nicht im Unglück zu verlassen, als ein andrer Staatsdiener. Meine Pflicht z. B. ist es nur, dass beim Tribunal Recht gesprochen, Gerechtigkeit ausgeübt werde. Zur Verteidigung des Staates kann ich nichts beitragen, ja, ich darf mich nicht einmal darin mischen. Ganz anders ist es mit einem Soldaten beschaffen, dessen Dienst es ist, den Staat zu verteidigen, zu erhalten, zu unterstützen, zu vermehren. Er darf ihn also zur Zeit des Unglücks nicht verlassen. Überlege Dir das alles genauer, lass nicht Leidenschaft, sondern Vernunft Deine Handlungen entscheiden. Du kannst die französischen Nation nicht mehr verabscheuen, als von mir geschieht. Demohnerachtet, sehe ich kein andres Mittel, als sich vor der Hand in die Zeit zu schicken, und sich zu bessern Zeiten aufzubewahren. Es ist rühmlich, sein Leben für sein Vaterland zu wagen, aber nicht für einen fremden Staat. Lass die Gründe Deines Vaters, der dich liebt, der kaltblütiger als Du ist, der mehr Erfahrungen hat, einigen Einfluss auf Dich haben. Wirf nicht alle Hoffnungen weg, sondern ermuntre Dich mit dem Gedanken, dass Du in Deinem Vaterland, im Schoß Deiner Familie noch viele glückliche Tage erleben kannst. 

Unterlass doch nicht, zu melden, welche Briefe Du von uns erhalten hast. Insbesondere wünsche ich gern, bald zu wissen, ob Du die Vorstellungen des Vetters aus Gießen, worin er um seinen Abschied bittet, erhalten hast, und was darauf verfügt ist, damit ich nach Gießen antworten kann.

Gr.


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