Die Wissenschaftslehre, in ihrem allgemeinen Umrisse

von Johann Gottlieb Fichte

§ 11

Ehe wir dies weiter verfolgen, müssen wir von diesem Mittelpuncte aus der erst dargelegten Sphäre der Anschauung eine ihr noch ermangelnde Bestimmung hinzufügen. – Lediglich durch den blinden Trieb, der der einzig möglichen Richtung des Soll ermangelt, wird das Vermögen in der Anschauung zu einem unbestimmten, wo es als absolut schematisirt wird, unendlichen, wo es als bestimmtes, wie als Princip, gegeben wird, wenigstens zu einem mannigfaltigen. Von diesem Triebe reisst nun durch den eben angegebenen Act des Intelligirens das Vermögen sich los, um sich zu richten auf Eins. So gewiss es nun zur Hervorbringung dieser Einheit, und zwar zuvörderst innerlich und unmittelbar im Vermögen selbst, weil nur unter dieser Bedingung sie auch äusserlich im Schema erblickt werden konnte, eines besonderen Actes bedurfte, so gewiss war in der Sphäre der Anschauung das Vermögen nicht als Eins angeschaut, sondern als ein Mannigfaltiges; dieses Vermögen, das nun durch die Selbstanschauung zum Ich geworden ist, war in dieser Sphäre nicht Ein Ich, sondern es zerfiel nothwendig in eine Welt von Ichen.

Dies zwar nicht in der Form der Anschauung selbst. Das ursprünglich schematisirende, und das dieses Schema unmittelbar und in der That seines Werdens als Schema erkennende Princip sind nothwendig numerisch Eins, nicht zwei; und so ist denn auch auf dem Gebiete der Anschauung das unmittelbar sein Anschauen Anschauende nur ein einziges, in sich verschlossenes, gesondertes, in dieser Rücksicht jedem anderen unzugängliches: das Individuum eines jedweden, deren aus diesem Grunde jedweder nur Eins haben kann. Wohl aber muss diese Trennung der Iche einfallen in derjenigen Form, in welcher allein auch die Einheit hervorgebracht wird, in der des Denkens: dass daher das beschriebene Individuum, so einzeln es auch in der unmittelbaren Selbstanschauung bleibt, wenn es sich im Denken auffasst, in diesem Denken sich finden würde als ein Einzelnes, in einer Welt ihm gleicher Individuen; welche letztere, da es dieselben nicht als freie Principe, so wie sich selbst, unmittelbar anschauen könnte, es als solche nur durch einen Schluss aus ihrer Wirkungsweise auf die Sinnenwelt erkennen könnte.

Aus dieser weiteren Bestimmung der Sphäre der Anschauung, dass in ihr das durch sein Seyn aus Gott einige Princip in mehrere zerfalle, folgt noch eine andere. Dieses Zerfallen selbst in dem Einen Denken, und die dabei dennoch stattfinden müssende gegenseitige Anerkennung wäre nicht möglich, wenn nicht das Object der Anschauung und des Wirkens aller Eine und die selbige, ihnen Allen gleiche Welt wäre. Die Anschauung einer Sinnenwelt war nur dazu da, dass an dieser Welt das Ich, als absolut sollendes, sich sichtbar würde. Dazu bedarf es nicht mehr, als dass eben die Anschauung einer solchen Welt nur schlechtweg sey; wie sie sey, darauf kommt durchaus nichts an, indem zu jenem Zwecke jede Gestalt derselben gut ist. Aber, das Ich soll noch überdies sich als Eines in einer gegebenen Vielheit von Ichen erkennen, und dazu gehört, ausser den schon angegebenen allgemeinen Bestimmungen der Sinnenwelt, auch noch diese, dass sie für jedes anschauende Individuum dieselbe sey. Derselbe Raum, und dieselbe Erfüllung desselben für alle; ohnerachtet es der individuellen Freiheit überlassen bleibt, diese gemeinsame Erfüllung in einer eigenthümlichen Zeitfolge aufzufassen. Dieselbige Zeit und ihre Ausfüllung durch sinnliche Begebenheiten für alle; ohnerachtet in seinem eigenen Denken und Wirken es jedem freisteht, sie auf seine eigene Weise auszufüllen. Das Soll der Sichtbarkeit des Soll (§. 8.), wie es aus Gott ausgeht, ist ja an das Eine Princip gestellt, wie denn aus Gott nur Ein Princip ausgeht; und so ist es denn, zufolge der Einheil des Vermögens, jedem Individuum schlechthin möglich, zu schematisiren, – und es muss jedes, unter der Bedingung, dass es auf dem Wege der Erblickung des Soll befindlich sey, schematisiren – seine Sinnenwelt nach dem Gesetze jener ursprünglichen Uebereinstimmung. Ich könnte sagen: es kann schlechtweg und es muss, unter der angegebenen Bedingung, construiren die wahre Sinnenwelt; diese nemlich hat, ausser den oben abgeleiteten allgemeinen und formalen Gesetzen gar keine andere Wahrheit und Realität, als diese allgemeine Uebereinstimmbarkeit.


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