Das System der Rechtslehre

von Johann Gottfried Fichte.

Zweiter Teil

Drittes Kapitel

Dritter Teil

Lehre vom Erbe.

Die Rede kann auch hier nur sein vom absoluten Eigentum, d.i. von Geld und Geldwert, dem Wert von Arbeitserzeugnissen im Gelde, Geräte u. dergl., kurz vom Inventario.

Dagegen ist keine Gerechtsame zu vererben, sondern diese wird nach dem Tode durch den Staat vergeben, da er dieselbe nur als relatives Eigentum erhalten hat zur Bearbeitung, welches, sobald er es nicht mehr bearbeiten kann, dem Staate wieder anheim fällt.

Das absolute Eigentum wäre eigentlich auf den Todesfall res nullius, nicht prius occupantis, sondern Aller, Alle müssten davon ihren Teil bekommen, also am Füglichsten fiele es der Obrigkeit, dem Repräsentanten Aller anheim, der durch Verminderung der Abgaben es gleichmäßig unter Allen verteilte.

So wäre die Regel. Nun aber können gewisse Verbindlichkeiten und vorauszusetzende Absichten auf dem absoluten Eigentum eines Verstorbenen ruhen; er hinterlässt unversorgte, d.i. noch nicht in den Stand gesetzte Kinder, sich selbst ein Eigentum zu erwerben; unausgestattete, d.i. noch nicht aus der Familie getretene Töchter, eine Witwe; kurz, eine Familie bleibt, obwohl das Haupt derselben verloren ist. - Wenn dieses Vermögen nicht hinterlassen wäre, was müsste der Staat tun? Sie erhalten. Jetzt kann er das Vermögen einziehen und erhalten. Lasse er Beides, so kommt die Sache ins Gleiche, es entsteht eine natürliche Erbschaft, die Erbschaft ab intestato. Grundsatz: die Familie ist der Eigentümer, nicht das Haupt derselben; so lange diese nicht ausstirbt, ist das Vermögen nicht ohne Herrn. Dies ist durchaus billig und angemessen. Wer kann wissen, wie die ganze Familie durch Arbeit, Sorge, Abdarben beigetragen hat zu der Erwerbung des Vermögens, das sie nun durch den Tod ihres Hauptes verlieren soll? Wer soll sich in diese Dinge mischen, welche absolutes Eigentum betreffen?

Es folgt jedoch, da die Ernährung der Familie, wenn kein hinreichendes Vermögen hinterlassen wird, dem Staate anheim fällt, ein Recht der Aufsicht des Staates. Die Obervormundschaft hat der Staat ohnedies: überlebt die Frau den Mann, so wird sie das Familienhaupt, und tritt in dieselben Rechte des Vaters ein, hat also keine andre Aufsicht des Staates, als der Vater, nur dass ihr der Staat mehr Schutz gegen Rohheit, falls er nötig ist, zusichern muss.

So erhalten wir das Recht der Familie, und ein Gesamt-Eigentum derselben. Doch ist dieser Grundsatz einzuschränken bloß auf die zusammenlebende Familie; darum kann das Vermögen nicht auf Seitenverwandte, und der Strenge nach auch nicht einmal auf die Ausgestatteten übergehen. (Doch da gibt es ein Präservationsrecht des alten Familienverhältnisses).

Etwas Andres ist Erbe durch Testament, oder Schenkung auf den Fall des Todes. Das testamentum ab intestato lässt sich eigentlich keine Schenkung nennen, denn es lässt sich nicht bestimmen, wie viel Anteil die Familie an der Erwerbung gehabt habe; das Vermögen ist Familiengut, außerdem ist der Vater den Kindern Versorgung schuldig. Ein Testament für Fremde aber ist Schenkung.

Es ist hierbei die wichtige Frage: wie kann der Wille eines Verstorbenen die Lebenden verbinden? Der Begriff des Rechts gilt nur von Personen, die im wechselseitigen Einfluss auf einander in der Sinnenwelt stehen können, und wirklich stehen; der Tote hat sonach auf den ersten Anblick keine Rechte. Antwort. Es ist sehr möglich, dass ein Mensch in seinem Leben Wünsche hege für Andre, auf die Zeit nach seinem Tode. Der feste Glaube, dass dieselben werden erfüllt werden, oft ein wirklicher Vorteil, der aus dem festen Glauben der dabei Interessierten entsteht, z.B. bessere Pflege, Anhänglichkeit und Liebe derer, die wir zu Erben einsetzen können, sind ein beträchtliches Gut im Leben. Kurz, die Überzeugung von der Gültigkeit der Testamente ist ein Gut für die Lebendigen; sie wünschen die Gültigkeit ihrer Testamente um ihrer selbst willen; (sie brauchen eigentlich die Meinung ihres Vermögens noch im Leben, es ist eine Art von Wucher mit dem absoluten Eigentumsrechte). Alle wünschen daher den allgemeinen Glauben an Gültigkeit der Testamente, worauf sie also auch wohl ein Recht erlangen können. Nur aus diesem Gesichtspunkte hat man die Sache zu betrachten. Es ist keineswegs vom Rechte der Toten die Rede, sondern nur vom Rechte der Lebendigen.

Wie kann nun aber der Glaube an die Gültigkeit der Testamente Statt finden? Nur indem beim ursprünglichen Eigentumsvertrage auf diese Wünsche der Menschen Rücksicht genommen wird, und alle einander diese Überzeugung garantieren. Aber dieser Vertrag ist, was nicht aus der Acht gelassen werden muss, ein willkürlicher, d.h. es ist ein rechtliches Verhältnis unter den Menschen überhaupt gar wohl möglich, ohne ihn. Es ist nicht notwendig, dass darüber ein Rechtsstreit entstehe, der Staat ist da, die Hinterlassenschaft an sich zu nehmen.

Aber jene Überzeugung kann nicht anders hervorgebracht werden, als dadurch, dass die Testamente ohne Ausnahme, d.i. nach einem Gesetze gelten. So gewiss demnach Alle diese Hoffnung sich garantieren, wollen sie jenes Gesetz; und es wird sonach ein Gesetz des Staates: Testamente sollen gelten . Alle garantieren um ihrer selbst willen dem Sterbenden die Gültigkeit seines letzten Willens, sie garantieren, indem sie dieses tun, sich selbst die Gültigkeit ihres letzten Willens, das Recht des Sterbenden wird an das Recht aller überlebenden Bürger gebunden. Nicht sein Wille, sondern der allgemeine Wille verbindet die dabei interessierten Lebenden, und besonders den Staat, der außerdem das Recht der Erbfolge hätte. Sie haben absolutes Recht, es zu fordern, dass ihr Testament gelte; denn alles Recht erlischt mit dem Tode (nicht, wie sie andre Gesetze fordern können: bemerken Sie dies, die Sache ist wichtig). Der Staat hat aber keinen Grund, es zu verweigern. Hier macht der allgemeine Wunsch das Gesetz.

Dass überhaupt Testamente rechtsgültig sind, ist völlig willkürlich: es ist sonach gleichfalls ganz willkürlich, und hängt lediglich von der Disposition des allgemeinen Willens, d.h. vom Gesetzgeber, ab, wie weit das Recht gehen soll, seine Güter durch Testamente zu vererben. Doch muss darüber Etwas ausdrücklich bestimmt, also es müssen Gesetze gemacht werden. Es hängt vom Gesetzgeber, der auf die besondre Lage des Staates Rücksicht zu nehmen hat, ab, ob die Intestaterbschaft eingeführt werden und wie sie die freie Disposition über das Eigentum, das Legieren, beschränken solle. Es gibt nur eine notwendige Beschränkung a priori, grade dieselbe, welche bei der Schenkung überhaupt Statt fand : die Hinterlassenen, etwa die Witwe, muss leben, und die Kinder müssen erzogen werden, d.i. in den Stand gesetzt werden können, sich selbst ein Eigentum zu erwerben. Diese Möglichkeit darf durch die Freiheit der Testamente nicht aufgehoben werden; denn der Staat muss ja für die Versorgung der Hinterlassenen Bürge sein. Also die Intestaterbschaft (eben die Lebensmöglichkeit) geht über das Testament und beschränkt es. Nur über einen solchen Vermögen hinaus, durch welches Witwe und Kinder leben können, ihrem Stande gemäß, kann legiert werden.

Außer den angezeigten Erwerbsarten kann es keine im Staate zu erlaubende geben. Unsre Untersuchung über den Eigentumsvertrag ist sonach völlig geschlossen.  


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03