Das System der Rechtslehre

von Johann Gottfried Fichte.

Erster Teil.

[Staatsgewalt und Staatsmacht]

Es liegen darin eigentlich zwei Sätze, beide von Bedeutung: 1) nur durch eine das Recht wollende Gemeinde kann eine Macht des Rechts, oder nennen wir es sogleich, wie es heißt, eine Staatsgewalt, rechtlich hervorgebracht werden. 2) Durch diese muss sie notwendig, so gewiss sie das Recht will, hervorgebracht werden.

Ad 1. Nur durch eine, das Recht wollende Gemeinde kann eine Staatsgewalt rechtlich hervorgebracht werden. Dieses beruht auf dem Satze, dass nur eine solche Gemeinde das Recht, um des Rechts willen, wollen könne. Das Recht ist ein Gemeinbegriff, der nur durch gemeinschaftliche Einsicht Aller entsteht.

Man könnte sagen, (und ich bereite aus gutem Bedacht schon an dieser Stelle, wo der Einfachheit halber die Sache sich noch sehr klar machen lässt, darauf vor): auch der Einzelne kann das Recht wollen oder auch mehrere, schlechthin um des Rechts willen. Ich antworte, ja: nur nicht um seines Rechts willen. Denn wenn er zu der Einsicht des Rechtes gekommen ist, und die Gewalt hat, eine Rechtsmacht zu errichten; so hat er eben darum auch die Gewalt, nicht nur sein Recht zu schützen, sondern sogar ein Unterdrücker der Rechte Anderer zu sein. Dass er das nun nicht ist, geschieht aus sittlichen Gründen, die da höher liegen, denn das Recht. Um ihres Rechts willen können nur Alle in Vereinigung eine solche Macht wollen, weil Jeder sieht, dass er nur unter dieser Bedingung sicher ist. Der Antrieb des eigenen Rechts kann nur in der Vereinigung Statt finden. Wenn eine Obergewalt auf die erste Weise entsteht, durch einen natürlich Übermächtigen, so wird immer, wenn auch die Materie des Rechts rein heraustritt, dennoch gegen die Form des Rechts gefehlt, indem Einige wider ihren Willen und ohne ihre Einsicht gezwungen werden, in den rechtlichen Zustand sich zu begeben. Sie werden genötigt, nach dem Gesetze frei zu werden. Soll nun dieser Zwang nicht eintreten, so müssen eben Alle ohne Ausnahme das Recht, und um dessentwillen eine Staatsgewalt wollen. Der Sinn unserer Behauptung ist darum der: der Form des Rechts gemäß kann die Staatsgewalt nur durch Alle errichtet werden. Die Errichtung derselben durch Einen, oder mehrerer bedarf höherer, d.i. sittlicher Prinzipien zu ihrer Erklärung, mit denen wir es hier nicht zu tun haben. Wenn Alle nur durch das Recht verbunden sein sollen, können nur Alle diese Macht errichten, außerdem sind Einige nur durch Zwang, Furcht, u.s.w. verbunden. Wie eben gesagt ist. 

Alles, was in der gegenwärtigen Menschheit von Recht ist, ist auf die erste Weise zu Stande gekommen, gegen die Form des Rechts, und nicht auf die zweite. Dieses schadet aber dem Begriffe Nichts, und mag uns hinterher einen Maasstab der Beurteilung der Wirklichkeit gegen die Forderung des Ideals des Rechts geben.

Ad 2. Durch eine solche Gemeinde, die das Recht will, muss eine solche Staatsgewalt notwendig, so gewiss sie das Recht will, hervorgebracht werden. Dieser Satz ist an sich klar, und schon erwiesen; die Macht ist die Bedingung des Rechtes. Ich stelle ihn nur auf um einer wichtigen Folgerung willen.

Wodurch beweist nun ein Individuum seine Rechtlichkeit, und wird der Rechte überhaupt empfänglich? Wird ein Rechtssubjekt? Wir haben vorläufig gesagt: durch Abschließung des Eigentumsvertrages. Aber die bloße Deklaration des Willens, die Freiheit der Andern anzuerkennen, sichert nicht das Recht. Es wird dazu erfordert, dass Jeder sich’s unmöglich mache, einen anderen Willen zu haben, als den bei Abschließung des Eigentumsvertrages erklärten. Diese Unmöglichkeit der Änderung des Willens entsteht erst durch die Errichtung der Staatsgewalt. Also nicht durch Deklaration, dass man seinen Willen in Hinsicht der Freiheit der Übrigen beschränken wolle, wird ein Rechtssubjekt; denn dieser Wille ist nicht unwandelbar, wenigstens müssen nicht Alle von seiner Unwandelbarkeit notwendig überzeugt sein. Sodann, wenn einmal ein übermächtiger Wille besteht, der allein das Recht will, wird dieser wohl selbst die Deklaration des Eigentums übernehmen, und Jeden in seine Grenzen einsetzen. Also er wird ein Rechtssubjekt auch nicht durch die Unterwerfung unter diese Macht; denn wenn dieselbe nur mächtig genug ist, wie sie es sein soll; so wird sie ohne Zweifel Jeden durch sich selbst unterwerfen, und der freie Wille der Einzelnen wird dabei nicht gefragt werden; wohl aber wird Jeder gefragt werden in dem Beitrage eines Jeden zur Errichtung einer solchen Macht. Dieser Beitrag ist der einzige unzweideutige Willensakt, dass er nur nach dem Rechte leben wolle, indem er die Vernichtung jeder Möglichkeit jedes andern Willens ist durch eigene Tätigkeit; die Selbstvernichtung der Möglichkeit eines ungerechten Willens, und die gänzliche Ausrottung desselben. Also:  

Satz.

Nur durch seinen Beitrag zur Errichtung einer Staatsgewalt zeigt sich Jemand unwidersprechlich, als ein rechtliches Subjekt, und erhält Rechte, des Eigentums sowohl, als seine persönlichen. Diese Leistung des Beitrages allein ist die Rechtszueignung. Ohne diese ist auf dem bloßen Gebiete der Rechtslehre Jedweder rechtlos.

Natürlich müssen Alle, die sich zum Rechte vereinigen, diesen Beitrag leisten, und indem Alle auf dieselbe Weise und aus dem gleichen Grunde das Recht wollen, ihn auf die gleiche Weise leisten. Die Staatsgewalt entsteht sonach durch einen Vertrag Aller, der nicht, so wie der Eigentumsvertrag, ein Vertrag bloßer Unterlassung, sondern ein positiver Leistungsvertrag ist. Jeder verpfändet einen Teil seiner Freiheit, um den übrigen als ein Recht zu erhalten, und erhält diese seine Freiheit als Recht und durch jene Verpfändung. Also der Staatsbürgervertrag ist die eigentliche letzte und vollendete Bedingung der Rechtsfähigkeit.

Außer dem Staate ist kein Recht. Niemand hat Recht, denn ein Staatsbürger; ein Staatsbürger aber ist nur der, der seinen Beitrag zur Errichtung der Staatsgewalt leistet. (Es gibt also kein Naturrecht, sondern nur ein Staatsrecht).

Wir hätten darum zu sprechen in einem zweiten Teile von dem Staatsbürgervertrage.

Es versteht sich, dass diesen beiden Untersuchungen vom Eigentumsvertrage und vom Staatsbürgervertrage die über den Vertrag überhaupt und über dessen Verhältnis zum Rechte vorher gehen muss. (Die Lehre von den Verträgen und der Verbindlichkeit derselben auf dem Gebiete des Rechts, oder eigentlich, die Quelle der Verbindlichkeit aus den Verträgen ist oft streitig geworden, und es bedarf eines sehr bestimmten Aussprechens der Wissenschaft hierüber, wozu die Prämissen freilich in dem Bisherigen schon liegen).  

Die Unterabteilungen, besonders in der Lehre vom Staatsbürgervertrage, werden sich an Ort und Stelle ergeben.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03