Das System der Rechtslehre

von Johann Gottfried Fichte.

Erster Teil.

[Der Eigentumsvertrag]

Zur Verdeutlichung. Übereinkunft ist soviel als Vertrag, also hier müsste ein Eigentumsvertrag geschlossen werden. Einen solchen verlangt das Recht überhaupt. Nun könnte es sein, dass er geschlossen werde, und dadurch wäre der Form des Rechts überhaupt ein Genüge getan. Wenn aber, wie wir so eben zu verstehen gaben, die Rechtsforderung nicht etwa nur ginge auf die Form, dass ein solcher Vertrag überhaupt geschlossen werde, sondern auch auf einen gewissen Inhalt desselben, auf ein Wie ; so könnte, obwohl die erste Bedingung erfüllt wäre, die zweite dennoch nicht erfüllt sein. Es ist ein Eigentumsvertrag geschlossen, und das ist dem Rechte gemäß; aber er ist nicht geschlossen so, wie er dem Rechte gemäß ist, und so ist denn das Recht durch ihn nicht realisiert.  

Wir haben darum allerdings zu untersuchen, ob das Rechtsgesetz den Inhalt des Eigentumsvertrages, zufrieden, dass er nur überhaupt sei, der Willkür und dem Ungefähr bloßstelle, oder über ihn Etwas postuliere, und im Bejahungsfalle, was?  

Sie sehen, wo die Untersuchung hinfällt. Man denke sich, - (wie man hypothetisch ja wohl kann); wie es bei der Abschließung eines solchen Vertrages wirklich zugehen möge (diese Untersuchung habe ich dermalen ganz von mir abgeschoben): so treten diese, die den Vertrag schließen wollen, ohne Zweifel schon mit Besitztum (nicht Eigentum, denn das Besitztum wird Eigentum erst im Rechtszustande) hinzu. Ist nun der Eigentumsvertrag lediglich ein formaler; (Jeder wird in seinem Besitztume bleiben wollen, und der Vertrag wird ihm nicht schädlich sein sollen): so fügt er bloß die fehlende Form des Rechts und des Eigentums seinem Besitztum hinzu, und der Inhalt des Vertrages wird heißen: jeder soll behalten als Recht, was er jetzt hat. Wer jetzt viel besitze, dem soll dies Viele als sein Recht bleiben; wer aber Nichts besitzt, der soll auch in alle Ewigkeit Nichts bekommen. - Ganz anders dagegen ist es, wenn der Eigentumsvertrag einen rechtlichen Inhalt mit sich bringt. Da könnte der Titel des Besitzes einer Kritik unterworfen und gefragt werden, nicht, was besitzest du? sondern, was besitzest du mit Recht? und eine neue Teilung beginnen.  

Die bisherigen Rechtslehren sind sehr weit entfernt gewesen, in diese Untersuchung hineinzugehen, sondern sie haben immer nur aus der ersten Voraussetzung heraus philosophiert (oft beschönigend, und sophistisierend, und einen Rechtstitel erschleichend). Wir werden auch hier redlich verfahren. So gefährlich sind auch die Folgen nicht, besonders in unseren Zeiten, die haben eine Alles gleich machende Kraft. Man kann jetzt vieles hören, weil man Nichts mehr zu fürchten hat.  

Unsere nächste Beschäftigung wird also die Untersuchung über den Eigentumsvertrag sein.  

Die persönliche Freiheit des Menschen ist dem Inhalte nach nicht ein Gegenstand des Vertragens. Darüber hat die Natur uns geschieden. Aber, wohl gemerkt, und dadurch, dass der Einzelne den Rechtsvertrag überhaupt, und zuförderst den Eigentumsvertrag abschließt, erhält er jene persönliche Freiheit als Recht, Andern sich verbindend, indem er nur durch diese Äußerung seines Willens in ein Rechtssystem tritt. Er hat sie darum in der Rechtsform lediglich durch den Vertrag (ohne diesen Vertrag mag seine persönliche Freiheit schonen, wer da will, etwa aus Pflicht: von Rechts wegen ist Keiner dazu verbunden). Obwohl darum eine Lehre von der Freiheit des Menschen überhaupt und nach allen Seiten hin, in die Anthropologie gehören würde, und nicht in die Rechtslehre, so gehört doch die Lehre von den persönlichen Rechten des Menschen als solchen, inwiefern dadurch Andere verbunden werden, allerdings in die Rechtslehre, und auf ihr muss das, was als Gesetz hierüber in einer rechtlichen Verfassung sein soll, beruhen, und daraus abgeleitet werden. Sie darf darum nicht fehlen, und um so mehr ist ihr in derselben der Platz angewiesen, da durch sie eben der Inhalt des Eigentumsvertrages bestimmt wird, und sie demselben als Prämisse dient. Darum müssen wir sie eben als solche, als Prämisse des Eigentumsvertrages betrachten, und reden: Von den persönlichen Rechten des Menschen, als Basis des Eigentumsvertrages. Um so größere Schuld der Rechtslehren ist es, dass sie jene Untersuchung verabsäumten, da sie das Kapitel vom persönlichen Rechte allerdings haben, und zur Ungebühr - (weil sie es als ein Kapitel aus der Moral ansehen,) es ausdehnen, wo sie denn wohl die Verkettung desselben mit dem Eigentumsvertrage hätten sichten sollen.

Dies wäre sonach der Eine Hauptteil der Rechtslehre, d.i. des als geltend vorausgesetzten Rechtsbegriffes, und was damit zusammen hängt.

I. Dadurch, dass Alle die gemeinschaftliche Wirkungssphäre teilen, und sich gegenseitig versprechen, keiner den Anderen darin zu stören, entsteht noch kein rechtlicher Zustand. Sie erklären zwar ihren Willen als einen rechtlichen durch ein Zeichen; aber es sind dabei zwei Zweifel: 1) ob die Erklärung mit der Wahrheit übereinstimme, und nicht Einer den Andern nur zutraulich machen wolle, um die Sicheren mit desto größerem Vorteil zu überfallen. 2) Sodann, auch dieses abgerechnet; der Wille ist wandelbar: jetzt ist es vielleicht sein Ernst, aber späterhin kann es ihn gereuen; die bloße Erklärung, dass er sich dem Rechte der Anderen unterwerfe, gibt darum kein Recht, denn sie führt überhaupt den Rechtszustand nicht ein.

Überlegen Sie die Sache also: So wie die Freiheit, dadurch, dass sie in einem Momente gesetzt ist, von diesem Momente aus gesetzt wird für alle Zeit; eben so wird das Recht, welches nichts weiter ist, denn eine weitere Bestimmung der Freiheit, für alle Zeit gesetzt, wenn es einmal gesetzt ist. Was jetzt mir zukommt, zu irgend einer Zeit mir aber genommen werden kann, ist nur zufälliger Besitz: nicht aber ist es mein Recht; in diesem liegt, dass es mir zu keiner Zeit genommen werden könne. Das Recht führt bei sich eine ewige Integrität.

Dazu bedarf es nun, dass der im Eigentumsvertrage erklärte Willen Aller gesetzt werde als ernstlich gemeint, und als unveränderlich, nach einem Gesetze, nach einer absoluten Notwendigkeit, d.i. es sei unmöglich, dass irgend Einer einen andern, wenigstens tätigen Willen habe (was er im Herzen wünscht, geht das Recht Nichts an): als denjenigen, den er erklärt hat, und dass es eben so unmöglich sei, diesen Willen zu ändern: (dies ist das Haupterfordernis, wie schon oben auseinander gesetzt wurde, hier aber ex professo gezeigt wird, um die Prämissen der künftigen Schlüsse dadurch zu befestigen).


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