Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands

Die neue Romantik

Schenkendorf

Schenkendorf

Max von Schenkendorf (1784–1817) ist einer der liebenswürdigsten und unschuldigsten Romantiker, der nichts fördert oder modifiziert, aber alle romantischen Elemente getreu und ohne irgendeinen trübenden Hauch von Ironie oder Affektation in reiner Seele noch einmal widerspiegelt. Es ist wie der Nachsommer der scheidenden Romantik, schon etwas herbstlich verblaßt, mehr wehmütig als verheißend. Er gehört zu den Dichtern, die man beziehungsweise die passiven nennen könnte, weil sie weniger erfinden, als das Erfundene innig nachempfinden. Fern von der ursprünglichen Überschwenglichkeit des ausbrechenden poetischen Frühlings, von jenen Wagnissen, Höhen und Abgründen der Seele ist daher der Kreis seiner Anschauungen nur beschränkt, aber um desto intensiver. Es ist die Romantik, auf eine einzige große Tatsache: den Befreiungskrieg, angewendet. Als der eigentliche Sänger dieses Kampfes, tiefer und wahrer als Körner, ließ er alle romantischen Schlaglichter verklärend auf das eine Ereignis fallen; und als es dann wieder stille ward, wurde auch er bald abgerufen.

Mit hohem sittlichen Ernst faßt er zunächst Grund und Zweck des Krieges in ihrer welthistorischen Bedeutung auf. Es gilt nicht eitlen Ruhm, noch Land und Gut, es gilt nichts Geringeres, als das alte, fromme, tapfre, ehrenhafte Deutschland, wie er es treu im Herzen trägt, als eine feste Burg der Christenheit wieder aufzurichten. Denn dieses Deutschland hatte sich selbst vergessen, seine Tugenden und seine Bestimmung; und – mit Bezug auf seine schönste, längstversunkene Erscheinung, den deutschen Ritterorden in Preußen – klagt daher der Dichter:

»Ach, die Ritter sind gefallen,Ihre Tempel sind entweiht,Abgebrochen ihre Hallen –Auf den Särgen liegt ihr Kleid.

Immer nur das Lose, Neue
Nahm die jüngste Zeit zum Ziel,
Alte Kraft und alte Treue
Lebten kaum im Ritterspiel.«

Und in diesem Todesschlafe wurde es überschlichen von der Nemesis, von der Lust am Fremden, von der Knechtschaft und der Schande.

»Wir haben alle schwer gesündigt,Wir mangeln allesamt an Ruhm,Man hat, o Herr! uns oft verkündigtDer Freiheit Evangelium;Wir aber hatten uns entmündigt,Das Salz der Erde wurde dumm;So Fürst als Bürger, so der Adel,Hier ist nicht einer ohne Tadel.

Wir haben an der bunten WangeDer alten Babel uns berauscht,Und ihrem frechen LustgesangeMit keuschem deutschen Ohr gelauscht,Die Kraft entschwand uns vor dem Klange,Im Taumel haben wir vertauschtMit eklem Rotwelsch der GaronneDie Sprache Teuts, der Helden Wonne.

Da kamen über uns gezogen
Die Schmach, die Greuel ohne Zahl,
Wir bauten mit am Siegesbogen,
Wir saßen mit am Götzenmahl;
Die nie das freie Haupt gebogen,
Die Männer stolz und rein wie Stahl,
Sie webten mit am Sklavenbande,
Sie prunkten mit dem Schmuck der Schande.«

Aber in der höchsten Not, und als die Schuld durch schwere Buße gesühnt war, erkannten sie sich selber wieder an dem ewigen Zeichen ihres vergessenen Ordens.

»Denn ein Herr, dem alle weichen,
Hat den Jammer fromm bedacht,
Hat uns unsre Ordenszeichen
Aus der Gruft heraufgebracht.

Wieder schmückt es unsre Fahnen,Wieder deckt es unsre Brust,Und im Himmel noch die AhnenSchauen es mit Heldenlust.

War das alte Kreuz von Wollen,
Eisern ist das neue Bild,
Anzudeuten, was wir sollen,
Was der Männer Herzen füllt.«

Denn in solchem Streit um die höchsten Güter für ganz Europa, war vor allen andern ein tiefsinniges Volk zum Vorkämpfer berufen:

»Das ist das Volk im Herzen
Der heil'gen Christenwelt,
Das fester alle Schmerzen
Und alle Freuden hält.
Das ist ein Volk der Treue,
Der Demut und der Kraft,
Das ist die Gottesweihe
Die Deutschlands Würde schafft.«

Als ein echter Paladin erwählt er daher nun seine schöne Herrin, zu deren Preis er fechten will, an die er immerdar geglaubt, die ein Leuchten aus großen Tagen wie sagenhafter Zauber umschwebt: »sein heiliges, sein deutsches Reich« –, und alle frischen Klänge der Romantik schlagen in dem Liede an:

»Ich zieh ins Feld für meinen Glauben,
Für aller Welten höchstes Gut,
Am Nile schwur der Feind zu rauben
Uns vom Altar des Heilands Blut.

Ich zieh ins Feld für ew'ges Leben,Für Freiheit und uraltes Recht,In frischer Kraft soll sich erhebenDer Mensch, zu lange schon ein Knecht.

Ich zieh ins Feld um HimmelsgüterUnd nicht um Fürstenlohn und Ruhm;Ein Ritter ist geborner HüterVon jedem wahren Heiligtum.

Ich zieh ins Feld für Deutschlands Ehre,
Das Lustspiel alter Heldenwelt;
Daß Lied und Minne wiederkehre
In unser grünes Eichenzelt.

Ich zieh ins Feld mit freien Bauern
Und ehrenwerter Bürgerzunft,
Ein ernster Schlachtruf ist ihr Trauern
Um alter Zeiten Wiederkunft.

Ich zieh ins Feld, daß ferner gelte
Mein Adel, meine Wappenzier,
Daß mich der Ahnen keiner schelte
Einst an des Paradieses Tür.

Ich zieh ins Feld für meine Dame,
Die schönste weit im ganzen Land,
Daß ohne Tadel sei der Name,
Den sie zu tragen würdig fand.

Ich zieh ins Feld, wo tausend sinken
Als Bürgen einer bessern Welt,
Soll mir der Todesengel winken,
Hier bin ich, Herr, ich zieh ins Feld.«

Man fühlt es, aus diesem guten Gewissen seiner Poesie entsprang auch der Todesmut und die herzliche Soldaten-Frömmigkeit, die wie ein Engel-Chor durch seine Kriegeslieder weht:

»Du reicher Gott in Gnaden,
Schau her vom blauen Zelt;
Du selbst hast uns geladen
In dieses Waffenfeld.
Laß uns vor Dir bestehen,
Und gib uns heut den Sieg;
Die Christenbanner wehen,
Dein ist, o Herr! der Krieg. –

Wir haben uns ergeben,
Herr Gott, in Deine Hand;
Nimm hin den Leib, das Leben
Für unser Vaterland. –
Das ist ein leichtes Sterben,
Das ist ein süßer Tod,
Wenn's gilt aus bittrer Not
Die ew'ge Lust zu erben.«

Ja, es ist der Erlöser selbst, der unsichtbar mit dem Kreuzesbanner dem Heere voranzieht:

»Er schwor bei seinem Leben,Er steht an unsrer Seiten,Wenn wir im besten StreitenDie Häupter zu ihm heben. –Der uns vorangeschritten,Ein Herzog in dem Schmerz,Der Herr ist in der MittenUnd spricht an jedes Herz:Die Welt liegt in den KettenDer bösen dunkeln Macht,Die Hölle zürnt und wacht,Wer will die Welt erretten?«

Es konnte nicht fehlen, eine solche Innerlichkeit des positiven Christentums mußte zu ihrer göttlichen Heimat, zur Kirche hinneigen. Und so ruft er denn auch:

»O blickt herab auf unser Heer,Vom Haus der ew'gen Freude,Ihr Heiligen, ihr MärtyrerIm blutbesprengten Kleide,Hier ist das Leben, hier das Blut,O schenket Glauben, schenket Mut!

Was schauest du so hehr und mildUns an von unsern Fahnen,Du teures Muttergottesbild?Dein Antlitz muß uns mahnenAn Demut, Freundlichkeit und Zucht,Des heil'gen Geistes werte Frucht.«

Und in einem anderen Gedichte sagt er, im Rückblick auf die Reformation:

»Als das heil'ge Reich sich trennte,Niedersanken alle VestenBlinder Irrtum zwang die BestenDreißig bange Jahre lang.

Achtend nicht der zarten Kindlein,
Priester halb und halb ein Ritter,
Glaubensfels im Ungewitter,
Stand der fromme Ferdinand.«

Ja, in einem Gedichte, das im J. 1810 in einer Wochenschrift zu Königsberg in Preußen, angeblich als Übersetzung einer alten Kirchenhymne, nebst einem von Franz Karnier dazu verfaßten lateinischen Texte erschienen, betet er für den gefangenen Papst:

»Hör auf deines Volkes Flehen,Heiland, laß vorübergehenDeiner Kirche Todeswehen.

Was ihr deine Huld gespendet,
Ach ihr Kleinod ist entwendet,
König, deine Braut geschändet. –

Tränen rufen dich und Lieder,König, sende Hülfe nieder,Gib ihr ihren Hirten wieder.

Wollest den Gefangnen stärken
Bei des heil'gen Amtes Werken –
Deine Hülf ihn lassen merken.

Paul und Peter, Kirchensäulen,Heil'ge Schirmer, wollet eilenUnsers Vaters Herz zu heilen.

Die mit zornerfüllten Mienen
Einst dem Attila erschienen
Und ihn zwangen, euch zu dienen.

Wollet nun den Frevler lohnen,Der zertreten eure Kronen,Wollet länger sein nicht schonen!«

Und wie hier auf dem religiösen Standpunkte, so sucht er übersall die Gegensätze des Lebens in dem höhren, milden Lichte seines Gemüts zu vermitteln und zu versöhnen. Selbst mitten im Kriegsgetümmel, weil es ihm eben nur Ideen gilt, bleibt er der Rache und dem Franzosenhasse, wie sie damals oft so widerwärtig aufloderten, durchaus fremd und sagt, den tapfern Gegner ehrend, in seinem Soldaten-Abendlied:

»Auch du im Lager drübenMagst ruhig schlafen, Feind,Wir ha'n mit Schuß und HiebenEs ehrlich stets gemeint.«

Mit demselben versöhnlichen Sinne betrachtet er die verschiedenen Stände nur als Glieder einer Familie und erwartet, bei aller aristokratischen Ritterlichkeit, die Verjüngung der letzteren von der frischen, frommen Lebenskraft des Landmanns. »O Bauernstand«, ruft er,

»Du liebster mir von allen,
Zum Erbteil ist ein freies Land
Dir herrlich zugefallen.

Die Hoffart zehrt, ein böser Wurm,
Ein Rost an Ritterschilden;
Zerfallen sind im Zeitensturm
Die reichen Bürgergilden.

Du aber baust ein festes Haus,
Die schöne grüne Erde,
Und streuest goldnen Samen aus
Ohn Argwohn und Gefährde.

Hast Gottesluft und Gottesstrahl,
Um eilig zu genesen,
Wenn sich in deine Hürd einmal
Geschlichen fremdes Wesen.

Die Demut und die DienstbarkeitDer Schönheit und der Stärke,Die Einfalt, die sich kindlich freutAn jedem Gotteswerke. –

Wohl manches Zeichen, manchen Wink
Kann man da draußen sehen,
Wovon wir in dem Mauernring
Die Hälfte nicht verstehen.

Vom Bauernstand, von unten ausSoll sich das neue LebenIn Adels Schloß und Bürgers HausEin frischer Quell erheben.«

Ebenso erscheint der alte eingebildete Streit zwischen Freiheit und Gesetz in ihm geschlichtet; nur im Gesetz sieht er das Bild vollkommener Freiheit verklärt, und diese ist ihm der Aufblick nach den ewigen Höhen, wenn der Mensch sich innerlich besinnt.

»Er fühlt sich Meister jedes DingsUnd kennet sein Geschlecht,Er bildet sich ein heilig RechtUnd blicket rechts und links.Was ihn als Ahnung fern umschwebt,Was schaute die Vernunft,Der Schöpfertrieb, der in ihm lebt,Stellt's dar in Haus und Zunft.«

So auch in der Politik ist es abermals eine höhere Vermittelung der deutschnationalen Gegensätze und Antipathien, die er anstrebt. Er will, so sehr er auch mit Leib und Seele ein Preuße ist, nicht Preußen, Östreich, Bayern, nicht Nord- und Süddeutsche mehr, sondern ein einig Deutschland, und zu dessen Gewähr wieder einen deutschen Kaiser. Deutschland soll sein:

»Ein Haus der Freiheit und des Ruhms,Der Weisheit und der Stärke,Ein' Burg des alten Rittertums,Ein Rüsthaus jedem Werke,Das nach dem rechten Ziele strebt,Ein Haus, in dem der Glaube lebt,Die Liebe, Zucht und Ehre.

Der edlen Stämme sollen viel
In diesem Hause wohnen,
Bei Gottesdienst und Saitenspiel
Ein Herrscher in ihm thronen.
Der Herrlichste der ganzen Welt,
Ein Priester und ein Rittersheld,
Man heißt ihn deutscher Kaiser.«

Doch dieses Haus kann nicht auf dem Trommelfell mit Bajonetten gebaut werden. Das gute Schwert hat zwar Grund und Boden wieder erobert und gesichert, über dem nun die Burg sich erheben soll,

»Aber einmal müßt ihr ringen
Noch in ernster Geisterschlacht,
Und den letzten Feind bezwingen,
Der im Innern drohend wacht.

Haß und Argwohn müßt ihr dämpfen,
Geiz und Neid und böse Lust,
Dann nach langen schweren Kämpfen
Kannst du ruhen, deutsche Brust.
Jeder ist dann reich an Ehren,
Reich an Demut und an Macht;
So nur kann sich recht verklären
Unsers Kaisers heil'ge Pracht.«

Und hier gilt es endlich den höchsten Gegensatz, der das deutsche Leben bis zum Herzblut zerspaltet, die Versöhnung von Religion und Wissenschaft; und so pflanzt er denn in freudigem Gottvertrauen das junge, scharfe Schwert des Wissens als Kreuz in den wiedergewonnenen Boden, daß es, so zum einigen frischen Lebensbaum emporwachsend, den neuen Bau beschirme. Nun gilt es, sagt er,

»Nun gilt's ein neues Bilden;
So komm in deiner Kraft
Aus himmlischen Gefilden
Zur Erde, Wissenschaft.
Man soll dich treulich pflegen,
Du teures Erb und Gut,
Daß noch im Väter-Segen
Der freie Enkel ruht.

O komm in unsre Säle,
In unsre Schulen komm,
Mit rechter Treu und stähle
Und mach uns wieder fromm.
Es haben ja die Alten,
Die weisen, bärt'gen Herrn
Den Glauben auch gehalten
Für alles Wissens Kern.« –

So finden wir den Dichter überall auf der Vorhut der Zeit, unverzagt, treu und wachsam dem allgemeinen Feinde gegenüber, wo und wie er sich auch drohend zeige; und für keinen seiner Zeitgenossen war wohl der Feldruf: Mit Gott für König und Vaterland! so durchaus bezeichnend als für Schenkendorf. Nicht ohne die herzlichste Teilnahme können wir von der reinen, schlichten Seele scheiden, die uns aus allen seinen Liedern so treuherzig anblickt. Um so schmerzlicher aber empfinden wir es, daß eben nicht jeder alles vermag und daß es daher auch diesem reichen, aber weichen Gemüt nicht gegeben war, den frommen Ernst und die tüchtige Gesinnung in umfassenderen, eingreifenderen Bildungen zu gestalten und zu verbreiten. Denn selbst seine Kriegspoesie, bei allem darin aufblitzenden Kampfesmut, mahnt im ganzen doch unwillkürlich an Theobald in Arnims Appelmännern, wo dieser sagt: Ihr habt mich mit eurer Heftigkeit so in den Krieg wie in ein Meer hineingestürzt, und nun ich zur Besinnung komme, find ich nirgend Land, um meinen Fuß zu setzen, und geh in meiner Wehmut unter. [⇐854]


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