Schill´s Zug nach Stralsund und sein Ende: Tagebuch eines Vertrauten.

Anonymer Verfasser

Nachdem der Major von Schill schon einige mal mir seinem unterhabenden Regiment des Nachmittags exercirt, ja verbreitet hatte, er werde nächstens bei Gelegenheit eines Manövers die Nacht wegbleiben, und zu diesem Ende Bivouak-Holz gekauft, führte er uns, die baldigen Ereignisse nicht ahnend, am 28sten April 1809, um 3 Uhr, aus Berlin heraus und exercirte einige Stunden, worauf er wahrscheinlich, um die vielen Zuschauer los zu werden, eine halbe Meile die Straße nach Potsdam entlang forttraben ließ. Eine Ordonnanz überreichte ihm einen Brief, worauf der Major das Regiment einen Kreis schließen ließ und es, eine Schreibtafel in die Höhe haltend, folgendermaßen anredete: „Kameraden, diese Schreibtafel ist ein Geschenk unserer verehrten Königin. Ich habe mich derselben noch nicht werth machen können, jetzt aber ist der große Augenblick erschienen. Alles schläft in Fesseln, ich will sie brechen, wollt ihr mir helfen?“Folge des allgemeinen Zutrauens, welches er sich erworben, der Gewalt über die Gemüther, die er besaß, weder das Ungewisse dieser Worte berücksichtigend, noch das zurückgelassene Eigenthum achtend, rief Alles einstimmig: „Ja, wir folgen, führen Sie uns an!“ Wir eilten durch Potsdam, wo ein gewisser Keller einige hundert Gewehre und Büchsen aus der Gewehrfabrik holte, und erreichten des immerwährenden Regens nicht achtend, der uns ohne Mantel desto empfindlicher wurde, indem wir viel trabten

den 29 Zehlsdorf seitwärts Brandenburg, welches 8 Meilen von Berlin entfernt ist.

Den 30sten. Noch lebten wir in der vollkommensten Ungewißheit; doch die Ankunft des vom Gouverneur uns nachgeschickten Majors von Zeplin, der nachdem er sich allein mit unserm Chef unterhalten, abreiste, wie auch das Erscheinen mehrerer Offiziere, die, um dem Regiment zu folgen, Pässe vom Commandanten Grafen Chasot erhalten, bestätigten die Meinung, unser Unternehmen, wenn zur Zeit auch noch nicht öffentlich, werde doch insgeheim gebilligt. Die erhaltene Nachricht, daß längs der westphälischen Grenzen zur Verhinderung des Ueberganges über die Elbe die besten Maßregeln getroffen, und alle Fähren versenkt worden, bewog den Major, das sächsische Gebiet zu berühren. Wir passirten im Dunkelwerden die sächsische Stadt Brück.

Der 1ste Mai fand uns bivouakirend. Doch mit den ersten Strahlen der Morgensonne wurde aufgebrochen, oft getrabt, eine Meile gegen Wittenberg, die Heerstraße verlassen, und nun durch Büsche, Schlünde und unwegsame Pfade Trab und Galop geritten, so daß wir vor Wittenberg ganz unerwartet anlangten, indem ein auf die Straße abgeschickter Offizier uns nicht bemerkte. Zwei Escadrons wurden zurückgelassen am Ausgange des Waldes, die andern mit den Jägern passierten im Galop einen engen Damm und marschirten jenseits auf. Nachdem ein Parlamentair den Ort aufgefordert, kam der Commandant selbst heraus; wir ritten ihm entgegen, der Major unterhielt sich lange mit ihm. Doch da er als Mann von Ehre alle Anträge ausschlug, so trennten sie sich und ich mußte ihm anzeigen, es werde gestürmt werden. Schon waren die beiden ersten Escadrons freiwillig abgesessen; in Reih‘ und Glied getreten, erwarteten sie nur die Ankunft der Gewehre, die aber falsch gefahren erst später ankamen. Unterdeß hatte der Major von Commandanten die Zusicherung erhalten, die Elbe die von den Kanonen bestrichen werden kann, ungehindert zu passieren, worauf er die Offiziere zusammennahm und sie mit der Offerte des Commandanten, die seinem Zweck entsprach, bekannt machte und um unsere Meinung fragte.

Die Meisten von Enthusiasmus beseelt, auf den Muth der Leute vertrauend und von dem großen2 Millionen starken Kassenbestand gelockt, stimmten für den Sturm. Der Major beruhigte diese heroischen Gemüther durch die Vorstellung, daß er aus politischen Gründen mit Sachsen nicht zerfallen möchte, daß auch er diese 2 Millionen, die zur Beförderung seiner Absichten ihm sehr nützlich sein würden, gern besitzen möchte. Zugleich kenne er aber das Schicksal im Sturm eroberter Städte; der Soldat sei dann nicht zu zügeln, und er, der als Befreier der Deutschen aufgetreten, dürfe das allgemeine Zutrauen nicht verlieren, und in einem deutschen Lande seinen ersten Schritt mit Plünderung, Feuer, Raub und Mord bezeichnen. Die Gewalt dieser Gründe siegte; doch die Gemeinen, trotz der Vorstellungen, daß es beinahe unmöglich sei, mit bloßer Cavallerie einen mit 500 Mann besetzten, durch mehrere Kanonen vertheidigten und mit Wällen, Pallisaden und einem tiefen Graben umgebenen Ort ohne alle Hülfsmittel zu nehmen, konnten nur durch ausdrücklichen Befehl zur Ruhe gebracht werden. Er ließ aufsitzen und so passirten wir im Angesicht der unter Gewehr stehenden Garnision und einer unzähligen Menge von Zuschauern die Elb-Brücke und blieben ½ Meile weiter in Plesern über Nacht. Weil der Commandant in der Nacht wider das Abkommen die Brücke abbrechen ließ, mußte ich noch zu ihm hinüber; meine Mission aber war nicht furchtbringend, wogegen die längst der Elbe brennenden Wachfeuer einen sehr schönen Anblick gewährten.

Den 2ten Mai rückten wir in Dessau unter den Freudenbezeigungen einer Menge Menschen ein. Der alte Fürst kam uns entgegen geritten, und beim Erbprinzen nahmen wir, unsern Führer ausgenommen, der es aus guten Gründen ausschlug, ein Diner ein. Während der Nacht mußte Alles munter bleiben.

Ein Detachement wurde nach Köthen beordert. Der Fürst war entflohn. Man erbeutete 706 Gewehre, andere Militärgeräthschaften und einige Pferde.

Am 3ten um 10 Uhr, marschirtedas Regiment weiter, und ich wurde mit einem Zuge betrachtet, d’accord mit Stolz längs der Elbe hinzugehen, alle Kähne mitzunehmen, und uns bei Rosenburg oder Saalhorn den Uebergang über die Saale zu versichern. In Acken nahm ich die Kassen weg, und kam Abends in Rosenburg an, da ich aber den

4ten in der Nacht erfuhr, der Major sei schon in Bernburg eingerückt, so kam ich gegen Mittag auch dort an. Beim Major fand ich beinahe alle Offiziere versammelt, die der 4ten Escadron ausgenommen, welche über Halle gegangen waren und dort wie in Halberstadt eine Menge Gefangene gemacht, Geld und Gewehre aufgetrieben hatten. Im ganzen Kreise herrschte eine bedeutungsvolle Stille; endlich nahm der Major das Wort und sagte uns:

Jetzt gebiete er noch beiden Flüssen, der Elbe und der Saale; alle Fähren befänden sich in seiner Gewalt; in diesem Augenblick könne er noch herüber und hinüber, wie es ihm gefalle; im nächstfolgenden vielleicht nicht mehr. Wir alle ständen jetzt noch am Scheideweg; deshalb wolle er nicht dictatorisch bestimmen, sondern, die Stimme eines jeden Einzelnen berücksichtigend, die Mehrzahl als entscheidend betrachten. Ein Schritt vorwärts könne nie zurückgenommen werden, indem wir dann die Verbindung mit der Elbe verlören. Sein vorsichtiger Rath als Feldherr wäre, sich jetzt über die Elbe zurückzuziehen, sich mit den Oestreichern zu verbinden und so lange zu laviren, bis ein günstiger Zeitraum für uns erschiene. Ahnend setzte Schill hinzu: „Ich fürchte durch Rapporte aus Westphalen getäuscht worden zu sein; das Volk ist nicht so enthusiastisch, als es mir geschildert worden. Meine Herren, sie alle waren Zeugen meines heutigen hiesigen Empfanges, des Gedränges, welches entstand, um mich zu sehen. Tausende, glaubte ich, würden mir folgen; die Ausbeute dieser Tage sind 20 elende Vagabonden. Ich hoffe, Sie alle vertrauen mir, da ich meine geheime Instruction nicht vorzeigen darf; daß ich aber dergleichen empfangen, versichere ich mit meinem Ehrenwort, und so wahr ein Gott über uns ist.“

Welche traurige Regierungsform eine Republik sei, bestätigte sich hier. Unter den 20 Versammelten herrschte eine Menge verschiedener Meinungen, die zum Theil mit wenig Mäßigung, ja mit Bitterkeit und Hitze verfochten wurden. Endlich nahm ein gewisser Stock das Wort; er sprach mit Feuer, Einsicht und Kraft, indem er ungefähr folgendes sagte:

„Als General in gewöhnlichen Fällen genehmige ich die Maßregeln unsers Chefs, hinter die Elbe ziurückzuziehen, vollkommen. Wir aber sind in einer ganz verschiedenen Lage; wir haben ein ungeheures Unternehmen begonnen, die Augen der Welt sind auf uns gerichtet, wir können daher unsere Operationen mit keiner Retraite eröffnen, ohne das Zutrauen des Publikums zu schwächen. Wir müssen vorwärts nach Westphalen, dem Volke Gelegenheit geben, das Joch, das uns drückt, abzuschütteln; macht es uns keine gemeinschaftliche Sache, ziehet es diesen Druck der Freiheit vor, dann haben wir das Unsrige gethan und uns bleibt nichts übrig, als so groß zu enden wie wir angefangen.“

Ein allgemeines „Vorwärts! Vorwärts!“ begleitete den Schluß dieser kraftvollen Rede. Der Kriegsrath war hiermit beendigt; es wurde um 4 Uhr Nachmittags aufgebrochen, und gegen Abend erreichten wir das westphälische, früher preußische Gebiet, das Herzogthum Magdeburg und marschirten durch Staßfurth, ein kleines Städtchen. Unsere rege Einbildungskraft und falsche erhaltene Nachrichten hatten den Glauben erzeugt, wir brauchten uns nur diesen vor kurzen noch preußischen Provinzen zu zeigen, um einen ungeheuren Zulauf zu erhalten. Die nackte Wirklichkeit hingegen ließ diese schon ausgemalten Bilder unausgefüllt. Die von Kattsche Geschichte war kurz vorhergegangen, verunglückt und mehrere Theilnehmer an verschiedenen Orten erschossen worden. Dies Beispiel der Strenge schreckte die Furchtsamen; mir wurden zwar theilweise mit Freuden empfangen, man scheute sich aber, diese Gefühle laut werden zu lassen. Obgleich wir uns als Befreier verkündigten, Proclamationen austheilten und die Zuschauer ermahnten, thätig Theil zu nehmen, gelang es uns doch nicht, diese trägen deutschen Gemüther zu entflammen; denn die Meisten äußerten gerade heraus, sie wollten erst sehen, wie es ablaufen würde. Ja, als der Major beim Durchmarsch durch ein großes Dorf die versammelte Gemeine selbst anredete, ihnen mit lebhaften Farben die großen Bilder der Spanier, der Tyroler malte und sie zur Nachfolge aufrief, gab ein Bauer zur Antwort: „Sie haben recht, es muß anders werden; lassen Sie uns nur noch abwarten, bis die Ernte vorbei ist!“ Nichts Gutes erwartend, setzten wir unsern Weg fort, bivouakirten um Borne, wo wir sanft schliefen, nicht ahnend, daß künftigen Morgen viele der unsrigen den ewigen Schlaf schlafen würden.

Den 5ten Mai. An frühen Morgen bestimmte Schill Mehrere, die umliegende Gegend zu insurgiren, die gedruckten Anzeigen der gewonnenen Schlacht bei Regensburg wegzunehmen und folgende Proclamation vorzulesen.

An die Deutschen.

Meine in den Ketten eines fremden Volkes schmachtenden Brüder! Der Augenblick ist erschienen, wo Ihr die Fesseln abwerfen und eine Verfassung wiedererhalten könnt, unter welcher ihr seit Jahrhunderten glücklich lebtet, bis der unbegrenzte Ehrgeiz eines kühnen Eroberers unermeßliches Elend über das Vaterland verbreitete. Ermannt Euch, folgt meinem Winke, und wir sind was wir ehemals waren! Ziehet die Sturmglocken! Dieses schreckliche Zeichen des Brandes fache in Euren Herzen die reine Flamme der Vaterlandsliebe an und sey für Eure Unterdrücker das Zeichen des Unterganges. Alles greife zu den Waffen; - Sensen und Piken mögen die Stelle der Gewehre vertreten. Bald werden englische Waffen sie ersetzen, die schon angekommen sind. Mit kräftiger Hand geführt, wird auch die friedliche Sense zur tödtenden  Waffe. Jeder greife zu den Waffen, nehme Theil an dem Ruhme der Befreier des Vaterlandes, erkämpfe für sich und seine Enkel Ruhe und Zufriedenheit! Wer feige genug ist, sich der ehrenvollen Aufforderung zu entziehen, den treffe Schmach und Verachtung, der sey zeitlebens gebrandmarkt! Ein edles deutsches Mädchen reiche nie die Hand einem solchen Verräther! Fasset Mut! Gott ist mit uns und unserer gerechten Sache. Das Gebet der Greise möge Segen für uns erflehen. Siegreich rücken Österreichs Heere vor, trotz den großprahlerischen Versicherungen Frankreichs; die Tiroler haben schon rühmlich die Fesseln zerbrochen; die braven Hessen haben sich gesammelt; an der Spitze geprüfter, im Kampfe geübter Krieger eile ich zu Euch. Bald wird die gerechte Sache siegen, der alte Ruhm des Vaterlandes wiederhergestellt seyn. Auf zu den Waffen!

Schill.

Überall ließen wir die Gemeinden zusammenkommen; sobald die Sturmglocken ertönten und Fanale auf den Bergen brannten, sollten sie sich sammeln; wir hielten Reden, die eines Demosthenes würdig gewesen wären, und langten auf den Rendez-vous an.

Schill rückte, vielleicht in der Hoffnung durch Einverständnisse einen Aufstand zu erregen, auf der Straße nach Magdeburg vor, wo jedoch, wie wir wußten, starke Besatzung war. Schon vor Dodendorf stießen wir auf französische Husaren, von denen einige gefangen und die andern zersprengt wurden. Wiewohl das Dorf mit Tirailleurs besetzt war, passten wir es dennoch train de chasse, das feindliche Feuer nicht achtend, und nahmen sofort 2 auf der Straße aufgefahrene Kanonen, die wir aber nicht fortbringen konnten, weil keine Pferde vorhanden. Jenseit des Dorfes wurden sogleich die Escadrons formirt, und ohne viel Zeitverlust auf 4 auf Anhöhen postirte Quarrés eingehauen, wovon nach einem hartnäckigen Gefecht 3 gesprengt wurden. Das 4te, welches aus National-Franzosen bestand, hatte eine beinahe mit Pferden nicht zu erklimmende Höhe gewählt, nachdem wir daher, wiewohl vergeblich, mit der größten Unerschrockenheit mehrere Mal eingehauen, konnten wir nicht verhindern, daß ein Theil, wiewohl sie von unsern Jägern sehr gelitten, das Dorf erreichte. Die Unsrigen fochten mit beispiellosem Muthe; eine Menge Feinde wurden niedergehauen, 11 Offiziere, 300 Gemeine gefangen und 3 Fahnen wie auch 2 Munitionswagen erbeutet. Jedoch war dieser Sieg zu theuer erkauft, denn eine Drittel des Regiments und 6 unserer vorzüglichsten Offiziere, der Rittmeister Kettenburg, wie Lieutenants Diezelsky, Lüdecke, Vogt, Hösel und Stock, der als Parlamentair erschossen wurde, blieben todt auf dem Platze. Blessirt wurden 4 Offiziere; der Major Lützow und die Lieutenants Hellwig, Wedell, Kessel. Wiewohl 2 Offiziere der neuen, aus 60 Mann bestehenden Infanterie, Zaremba und Stanka, blieben und der dritte Wedell, blessirt war, so zeichnete sie sich doch nicht vorzüglich aus. Die Husaren fochten mit einem Muthe, den nur das Gefühl für das Große hervorbringen kann; ehe ich daher in meinem Bericht fortfahre, kann ich nicht umhin, hier Einige aufzuzeichnen.

Der Rittmeister Kettenburg, der vor dem einen Quarré von mehrern Schüssen getödtet herabfiel, rief, mit schwacher Stimme einigen Husaren, die ihn auf heben wollten, wie Kaiser Rudolph von Habsburg während der Schlacht Ottokars, Königs in Böhmen, auf der jetzt neuerdings berühmten Wahlstatt zu „Laßt mich liegen, um eure Kameraden in der Blutarbeit zu unterstützen!“

Dem Husar Sommerfeld wurde drei Schritte vor einem andern Quarré das Pferd unter dem Leibe erschossen. Ohne sich weiter zu besinnen springt Sommerfeld auf, haut zu Fuß in das Quarré ein, reißt einem Soldaten das Gewehr aus der Hand, und schlägt damit so lange um sich, bis durch die ihn folgenden Husaren die entstandene Lücke benutzt und das Quarré gesprengt wird. Der Major ernannte diesen preußischen Winkelried auf der Stelle zum Unteroffizier. Als in der Folge beim Sturm von Stralsund eben dieser Sommerfeld erfuhr, der Major sei geblieben, gerieht er in Verzweiflung, sprang vom Pferde und stürzte sich mit den Worten in den Feind: „Nun so muß ich auch sterben!“

Der Husar Witte, mitten durch den Leib geschossen, rief auf der Erde liegend seinen Kameraden zu, sich tapfer zu halten.

Der Unteroffizier Keilmann, der früher bei Schill schon sieben Blessuren erhalten und, weil die linke Hand verstümmelt wr, die Zügel um den Arm winden mußte, stürzte indem sein Pferd beim Einhauen getödtet, durch sechs Schüsse selbst blessirte, herab , dennoch rafft er sich wieder auf, schleppt sechs Infanteriegewehre zusammen und trägt sie mit den Worten zurück: „Die können wir auch brauchen.“

Ein gewisser Mund, junger Mensch von 15 Jahren, hatte sich im Gefecht an unsere Infanterie angeschlossen. Nur mit einer alten Pistole bewaffnet läuft dieser Jüngling im größten Feuer zu unsern Jägern, borgt sich von diesen einige Patronen, geht dicht zwei Mal an das französische Quarré heran und erschießt zwei Offiziere. Der Major ernannte ihn sogleich zum Feldwebel, später wurde er (der sogenannte Herzog von Dodendorf) Offizier und erhielt eine Compagnie Pikenträger.

Den 6ten, nachdem wir die Nacht während des schrecklichen Wetters bei Wanzleben bivouakirt hatten, verließen wir es mit den anbrechenden Morgen. Die sonstige Fröhlichkeit war verschwunden, ernste Stille herrschte überall; denn so mancher treue Freund, den das Auge unwillkührlich am gewohnten Platze suchte, war nicht mehr. Die wohlthätig erwärmenden Strahlen der Sonne, die uns arme Durchnäßte wieder trocknete, erzeugte mit dem Wohlbefinden des Körpers zugleich erneute Heiterkeit des Geistes. Heroische Melodien wurden angestimmt und stumm die Gebliebenen würdig betrauert. Als Beispiel der außerordentlichen Stimmung muß ich hier folgendes Ereignis erwähnen. Die Husaren der 2ten Escadron riefen den Husaren Sondermann auf, sich zu rechtfertigen, wo er bei dem zweimaligen Einhauen gewesen; wiewohl nun der Graf Molk bestätigte, er habe das erste Mal an seiner Seite gefochten, entschuldigte er seine spätere Abwesenheit dadurch, daß er bei der Beute eines Offiziers, den er gefangen genommen, sich verspätet habe. Sie sagten ihm nun: es zieme sich nicht, während die Kameraden dem Tode entgegengingen, sich mit Beute zu beschäftigen; er sei nicht ferner würdig, mit ihnen zu dienen, und solle das Regiment sogleich verlassen. Nur auf das heilige Versprechen, er wolle diesen Fehler wieder gut machen und nächstens der Erste sein, erhielt er Nachsicht; er erfüllte sein Versprechen und blieb in der Folge.

Nach einem beschwerlichen Marsche von 8 Meilen erreichten wir Neuhaldersleben, ein kleines Städtchen.

Den 7ten kamen wir ziemlich spät in Tangermünde an, von wo Hr. du Pain, Schwager des Marschalls Augerau als Geißel mitgenommen wurde. In dieser Zwischenzeit wurde die Cavallerie durch ehemalige Cavalleristen und requirirte Pferde complettirt.

Zugleich wurde einem Courier folgende Depesche des Gouverneurs zu Magdeburg an den General Gratien abgenommen.

Le téméraire Schill invase nos pays. J’avois pris avec la plus grande partie de ma garnison une position forte, pour metre fin à ses progrets et pour observer le grand chemin de Magdebourg. Ses husards ne se batten pas comme des soldats ordinaries, mais comme des enrages; ayant rompu et sabré mes carrés, firent le reste prisonnier. Venez à mon secour le plutôt que possible.

Michaud.

Vom 8ten bis 12ten Mai blieben wir in Arneburg und in der Umgegend. In der Stadt sah es schon ziemlich kriegerisch aus; alle Straßen wimmelten von Soldaten, die aber theils Gewehre und Patronentaschen abgerechnet, sehr friedlich aussahen. Schon 6 Compagnien waren aus nichts geschaffen, die in den nöthigsten militärischen Evolutionen geübt wurden. Die Leibcompagnie des leichten Bataillons Schill, vom Lieutenant Quistorp geführt, kam an. Diese Braven wurden mit lautem, unbegrenzten Jubel empfangen, der ganz den Gefahren gemäß war, die diese Helden überstanden hatten, um ihren alten Führer zu folgen. Ein rührendes Schauspiel bot dieses ungeheuchelte Freundschaft zwischen Husar und Infanterist dar; beide nun eng vereint glauben sich unüberwindlich. Schill selbst zog den Säbel, setzte sich an die Spitze dieser Kühnen, umarmte mehrere Einzelne, ließ ihnen Erfrischungen reichen und hielt von edlem, überirdischem Feuer beseelt eine Rede an das versammelte Volk, worin er zur Ergreifung der Waffen für die gute Sache ermahnte, die Lauterkeit und Reinheit seiner Absichten in das Licht stellte und zur Bekräftigung derselben feierlich gelobte, wenn sein heiliger Zweck erreicht, wenn er dem Könige das letzte verlorne Dorf wieder übergeben, dann woll er vom Schauplatz abtreten und sein Leben in stiller Eingezogenheit beschließen.


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