Erinnerungen aus der Zeit der französischen Fremdherrschaft

aus dem Tagebuch eines Verstorbenen.

Verbot, über Tagespolitik zu reden. — Vetter Schill — Die Elf vom Schill’schen Freicorps — Herabsetzung der Blasserte — Einführung der Napoleonischen Gesetzbücher — Justziconsulton — Einmarsch des zweiten bergischen Infaterieregiements aus Spanien.

Am 1. Juni 1809 wurde in allen Gasthöfen des Großherzogthums Berg ein gedrucktes Decret angeschlagen: »Das jedes Gespräch über Politik in öffentlichen Gesellschaften forthin verboren sei« —

Die Zeitungen hatten des »Räuberhauptmanns Schill Tod und Vernichtung seiner Bande« verkündet. Ein Kaufmann zu Düsseldorf, dessen kaufmännische Geschäfte nicht hatten reussiren wollen, und der deshalb als Commis auf einem Compoir arbeitete, ein lustiger Gesellschafter, der gemeinhin allabendlich seinen Verdienst verzehrte, nannte den Major von Schill seinen Vetter. Nach einer paartägigen Reise erzählte er in einem Weinhause, er sei bei Vetter Schill gewesen und habe ihn wohl und munter angetroffen. Das war eien Blasphemie der bergischen untrüglichen Zeitungen, welche Schill für todt erklärt hatten. Der commis wurde arretirt. Er entschuldigte sich, es sei nur Scherz gewesen, worauf er nach zweitägigem Arreste wieder mit dem Bedeuten entlassen wurde, künftig keinen Spaß mit ernsten Dingen zu treiben.

Am 16. September wurden elf ehemalige preußische Officiere, welche im Schill'schen Freicorps in den Gefechten bei Dodendorf und Stralsund von den Franzosen zu Gefangenen gemacht worden, zu Wesel vor dem Thore erschossen. Die Namen dieser Heldenjünglinge waren:

  1. Leopold Jahn, geb. den 18. Juni 1778 zu Massow in Pommern.
  2. Daniel Schmidt, geb. den 16. Januar 1781 zu Berlin.
  3. Friedrich Kalle, geb. den 16. October 1781 zu Berlin.
  4. Karl Wedell, geb. den 30. Juni 1786 zu Braunsfort in Pommern.
  5. Adolph Keller, geb. den 30. September 1785 zu Strasburg in Preußen.
  6. Konstantin Nathanael Gabain, geb. den 23. Juli 1784 zu preuß. Holland.
  7. Ernst Friedrich Flemming, geb. den 6. April 1790 zu Rheinberg in Preußen.
  8. Friedrich Felgentreu, geb. den 8. Mai 1787 zu Berlin
  9. Karl Keffenbrinck, geb. den 17. November 1782 zu Krien in Pommern.
  10. Friedrich Trackenberg, geb. den 17. September 1784 zu Rathenow.
  11. Albert Wedell, geb. den 16.01.1791 zu Braunsfort.

Französischer Seits trieb man mit diesen Unglücklichen noch das teufliche Gaukel- und Possenspiel, sie unter der Form eines militärischen Kriegsgerichts hinrichten zu lassen, obschon der Wille Bonaparte's längst bestimmt hatte, daß jene Jünglinge ein Opfer ihres hohen Muthes werden sollten. Zu dieser Farce einer militärischen Specialcommission ließen sich brauchen, Grand, Bataillonschef im 94. Linienregiment, als Präsident, der Cohortenchef der in Activität befindlichen Nationalgarde, Henry, Capitain im 21. Regiment leichter Infanterie, Harmois Capitain im kaiserl. Ingenieurcorps, Pitzelet, Adjutant-Major der activen Natonalgarde, Rombuourg, Capitain im 94. Linienregiment, Cavin, Capitain im 21. Regiment leichter Infanterie, als Referent, und Vigouroux, Adjutant im 21. Leichten Infanterieregimente, als Greffier. Diese Subjecte setzten sich am 16. September 1809 zu Wesel hin, nannten höcshtverordnetermaßen die in öffentlicher Fehde Gefangenen

»zur Bande von Schill gehört, die öffentlichen Cassen mit bewaffneter Hand im Königreich Westphalen, im Herzogthum Mecklenburg und in andern Ländern weggenommen, und unter Bedrohung von Todesstrafe die Einwohner besagter Länder gezwungen zu haben, unter den Befehlen Schill's zu dienen.«

also lauter Beschuldigungen, welche auf die anmaßlichen Richterund ihren Chef in dreidoppelten Grade fallen, und für eben diese Thaten, die jene Unglückliche zur Befreiung ihres Vaterlandes wagten, die gedungenen Richter aber durch das Glück der Gewalt, zur Unterdrückung von ganz Europa ausübten, sprachen sie höchsterordnetermaßen am 16. September 1809 den Tod, gaben diesem Gewaltspruch den Namen eines Urtheils, publicirten solches den Verurtheilten am gedachten Tage um halb 12 Uhr in Gegenwart der unter den Waffen versammelten Wache in dem Gefängnisse der Citadelle zu Wesel. Die Theilnahme des weselschen Publicums an diesen Unglücklichen war natürlicherweise außerordentlich groß, und man täuschte daher dasselbe, indem man diese Schlachtopfer heimlich zu einem andern Thore hinausführte, und an einem nicht vermutheten Orte sämmtlich auf einmal erschoß.

Nicht niedergebeugt, sondern stolz und voll hohen Muthes gingen diese zusammengefesselten Jünglinge unter einer starken Bewachung durch die Stadt, theilten hier und da von ihren Kleidungsstücken noch auf der Straße als Geschenke zum Andenken aus, und kamen unter heißen Thränen der wenigen Menschen, welche ihnen auf diesem einsamen Wege begegneten, oder an die Fenster und Thüren traten, vor das Thor, und an den Ort ihrer baldigen Ruhe. Sie gestatteten nicht, daß ihnen die Augen verbunden wurden, knieeten muthig nieder, und einer aus ihrer Mitte comandirte selbst die zur Arquebusade beorderten Henker, und auf einen Schuß fielen sie alle zugleich todt nieder; nur einer war nicht recht getroffen, er umklammerte einige Bajonette der Henker und commandirte, ihn damit zu durchstoßen, welches auch geschah. Ein Grab vereinigte auch im Tode alle Elf. Noch lange nachher fand man dieses Grab jeden Morgen mit frischen Blumen bestreut.

Für das ganze Großherzogthum war die Herabsetzung der Blasserte — einer Münze von drei Stüber an Werth — von drei auf zwei Stüber beschlossen worden. Das Finanzministerium prjectirte, das Herabsetzungsdecret heimlich, jedoch so zeitig drucken zu lassen, daß dasselbe verschlossen an alle Behörden des ganzen Landes versandt, von diesen am 1. Januar 1810 eröffnet und sofort pubicirt werden könne. Allein der Setzer in der Druckerei hatte geplaudert, und dem Wucher und der Prellerei ward Thor und Thür geöffnet. Kaufleute sandten Boten zu Pferde und zu Fuß ab, um in den Orten, wohin das Gerücht noch nicht gelangt war, Blasserte in Masse abzusetzen und so zu gewinnen. Der Tageshandel in der Stadt Düsseldorf nahm dadurch einen ganz sonderbaren Gang. Weinwirthe, Kaufleute, Krämer verkauften gleich um die Hälfte theurer, wenn in Blasserten gezahlt ward; Nahrungstreibende, die unter einer Polizeitaxe standen, z.B. Bierwirthe, mischten Wasser unter das Bier; andere, als Bäcker und Fleischer, die auf diese Weise sich vor Verlust nicht sichern konnten, schlossen ihre Läden und verweigerten den Verkauf. Da Jeder, der noch einen Blassert im Vermögen hatte, sich davon zu befreien trachtete, so waren alle Schenken und Laden überschwemmt von Gästen und Käufern. Es gab Veranlassung zu Zänkereien vollauf, die mit Beschwerden bei der Polizei endeten, weshalb das Polizeiamt von Horden Menschen mit gerechten Klagen belagert wurde und dadurch in die Klemme gereith. Die einbrechende Weihnachtsnacht machte, daß sich die Polizei für diese Nacht noch conservirte; am andern Tage aber würde es unausbleiblich zu gefährlichen Unruhen gekommen sein, wenn man nicht mit einer zweiten raschen und harten Maaßregel zuvorgekommen wäre. Der Präfect des Rheindepartements ließ nämlich noch in dieser Nacht eine Verordnung drucken, wonach schon mit dem 25. December die Blasserte niocht mehr als zwei Stüber gelten sollten. Dieses Decret wurde am frühen Morgen sofort publicirt. Der Präfect des Ruhrdepartements exeunplisicirte sich hiernach.

Die Einführung des Code Napoléon erfolgte am 1. Januar 1810, nicht aber die französische Gerichtsverfassung. Dadurch entstand gewaltige Confusion. Das französiche Gesetzbuch forderte nämlich, daß alle Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur vor Notarien verrichtet werden sollten, was bisher durch die Gerichte gesetzmäßig geschah. Nun hatte man aber noch keine Notarien ernannt, und es wurde daher verordnet, daß, bis die Ernennung erfogte, diese Geschäfte durch die alten Notarien verrichtet werden sollten. Außer in den ehemals preußischen Provinezn, wo nur die Justizcommissarien diese Notarienstellen bekleiden konnten, waren die übrigen Notarien im ganzen Großherzogthum nach der vormaligen reichsgerichtlichen Verfassung ohne vorgängige Prüfung angestellt und aus Schulmeistern, Küstern, Schreibern, Handwerkern hervorgegangen. Diese konnten die vormalige Gerichtsverfassung und die Reichsgesetze nicht einmal, geschweige denn die französischen, und konnten kaum ihre Gedanken faßlich und verständlich zu Papier bringen. Kein Wunder also, daß diese Leute in jeden Contract und Act neue Keime zu neune Processen legten. —

Der Rest des in Spanien theils durch feindliche Kugeln, theils durch Krankheiten bis auf 200 Mann aufgeriebenen zweiten bergischen Infanterieregiments rückte am 8. Sept. 1810 in Düsseldorf ein, um sich daselbst durch Coscription wieder zu completiren. 2000 Mann stark war es vor zwei Jahren nach Spanien marschirt; 400 Mann Ersazmannschaften waren ihm gefolgt, und nur dieser geringe Rest kehrte von 2400 zur Heimath zurück.


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