Erinnerungen aus der Zeit der französischen Fremdherrschaft

aus dem Tagebuch eines Verstorbenen.

Es war eine starke Beförderung von Westphälingern nach den preußischen Staaten eingetreten. Der Präsident der Kriegs- und Domainenkammer, Freiherr von Vincke; war bereits als Präsident der kurmärkischen Kammer nach Potsdam abgegangen, und der Kriegsrath von Erdmannsdorf als Kammerpräsident nach Golgau befördert. Der Kriegs- und Domainenrath Schmedding zu Münster, ein geborner Münsterländer, ward als vortragender Rath für den katholischen Cultus in das Ministerium der Geistlichen- und Unterrichtsangelegenheiten nach Berlin berufen; der Assessor der Kammer zu Münster, von Thadden, erhielt einen Ruf als Forstrath ebendahin, und der Prediger der lutherischen Gemeinde zu Essen, Natrop, ging als Oberschulrath gleichfalls dahin ab.

Auch der Kriegsrath Maaßen (nachmaliger Finanzminister und Schöpfer des deutschen Zollvereins) ward als Director der kurmärkischen Kammer durch Vermittlung des Freiherrn von Vincke nach Potsdam berufen. Am 19. April reiste er von Düsseldorf mit seiner Familie ab, vorerst nach Cleve und Emmerich, wo sich das bedeutende Fideicommißvermögen seines 1791 verstorbenen Großvaters mütterlicher Seits, des Kreigsraths von Oven befand, welches derselbe auf seine Kinder vermacht hatte. Maaßen hatte im Herbst 1791 die Universität verlassen und trat als Referendar bei der Regierung zu Cleve ein. Als im Jahre 1792 der Fürst zu Neuwied durch einen Reichsschluß suspendirt ward, mußte der König von Preußen als Herzog von Cleve diesen Reichsschluß zur Ausführung bringen und das Land administriren. Diese Administration währte ein Jahr. Der geheime Regierungsrath von Grolmann war zum Commissar ernannt, und ihm ein Militärcommando von 20 Mann Kavallerie und 40 Mann Infanterie beigegeben; Maaßen begleitete ihn als Commissionssecretair. Vom Jahr 1793 bis 1794 arbeitete der Letztere wieder zu Cleve als Regierungsreferendar und zugleich im Archiv der Regierung. Im Jahr 1794, als die französischen Heere ins Herzogthum Cleve vordrangen, wurde das Archiv in die Festung Wesel geschafft, und Maaßen und Maaßen begab sich als Archivar dahin, bis er im Herbst nach dem Bombardement Wesels der Regierung nach Hamm und 1796 nach Emmerich auf den rechten Rheinufer folgte.

Am 3. August 1802 hatte Preußen in Folge des bekannten Reichsdeputationshauptschlusses das Fürstenthum Münster in Besitz genommen. Gerade an Geburtstage des jüngst hingegangenen Königs rückte ein preußisches Corps unter dem Befehle des Generals von Blücher in die Stadt Münster ein, der daselbst als Gouverneur seinen Sitz nahm. Die Regierung wurde im darauffolgenden Jahre von Emmerich dahin verlegt. Maaßen, mittlerweile zugleich zum Criminalrath des zweiten Senats der Regierung ernannt, folgte nach Münster. Da aber die sogenannten Hoheits- und geistlichen Angelegenheiten, also der wesentlichste Theil des Archivs, von der Regierung nach ergangener Ministerialentscheidung der Kammer beigelegt wurden, so ging Maaßen als Kriegs- und Domainenrath zur Kammer nach Hamm über.

Hier begann seine administrative Laufbahn. In J. 1808 wurde er indeß von dem großherzoglich bergischen Minister des Innern Grafen von Nesselrode-Reichenstein, nach Düsseldorf berufen, in dessen Bureau er bis zum April 1809 arbeitete, wo der Ruf als Director der kurmärkischen Kammer zu Potsdam an ihn erging, den er freudig annahm, und wo er im Monat Mai sein neues Amt antrat, von welchem er bis zum Finanzminister stieg. Daß der deutsche Zollverein Maaßen's Werk ist, genügt zu seiner Würdigung. Das Einflußreichste, was für das deutsche Vaterland, ein Band nationaler Einheit, und der Name Maaßen, von dem diese Idee ausgegangen, leuchtet unter den Namen der ersten Staatsmänner und Minister Europas.—

Am 18. April 1809 wurde Frankreichs Kriegserklärung gegen Oesterreich, oder vielmehr ein Aufruf an die französische Armee, daß die Oesterreicher die Feindseligkeiten begonnen hätten, in den üblichen Bülletinstiraden der Welt veröffentlicht. Freilich war so wie die politische Lage der Dinge zu der Zeit in Europa war, an keinen dauerhaften Frieden zu denken gewesen; man mußte wenigstens einen Krieg als nothwendig betrachten, und da dieser nur zu einem festen Frieden führen konnte, so lag in jeder Brust der Wunsch nach Krieg. Und so begann das grause Ungeheuer abermals zu wüthen.

Beim Ausbruche dieses Krieges zwischen Oesterreich und Frankreich lebte in den Zeitungen der Name des Majors Schill auf einmal wieder auf. Im Winter des Jahres 1806 und 1807 hatte derselbe ein Freicorps im Rücken der französischen Armee gesammelt, die Festung Colberg vertheidigt, sich in kurzer Zeit vom Secondelieutenant zum Major hinaufgeschwungen und kühne Streifzüge mit Glück und Umsicht ausgeführt. Er würde noch bedeutendere Unternehmungen bewerkstelligt haben, wenn ihnen nicht der Friedensschluß zu Tilsit ein Ziel gesetzt hätte. Jetzt hatte er sich wiederum mit einer Zahl muthiger Officiere und Soldaten von der preußischen Armee getrennt und war in Sachsen und Westphalen eingedrungen. Die bergischen Zeitungen nannten sein Corps nicht anders als »Bande« und ihn »Räuberhauptmann.«

Am 28. Mai Morgens früh verkündeten Geschütze und Glocken der Stadt Düsseldorf die Einnahme Wiens. Der Abt von Werden, dieser von Frankreich entfürstete Abt, mußte zum Dank wegen dieses Sieges beim Hochamt in der Hauptkirche pontificiren. Ein heftiger Sturm und Platzregen störten die befohlene Illumination; indeß beschrieb die Zeitung, das »Echo der Berge« genannt, anderen Tages diese Illuminationsfinsterniß und diesen Festesbankrott höchst pomphaft in französischem Styl. Nachdem darin die Tagesfeier geschildert, schloß der Zeitungsbericht mit den Worten »Um 11 Uhr Abends verherrlichte der Himmel durch einen erquickenden, wohlthätigen Mairegen die schöne Feier des Tages.«

Die Nachricht von der am 21. und 22. Mai bei Entersdorf unterhalb Wien von den Oesterreichern und Franzosen geschlagenen Schlacht traf am 2. Juni ein. Die bergischen Zeitungen meldeten anfangs: die Franzosen wären, nur 30,000 Mann stark, über die Donau gegangen, worauf die Oesterreicher die Brücke über den Fluß zerstört und darauf 150,000 Mann stark das abgeschnittene französische Corps angegriffen hätten. Nachdem beide Heere noch zwei Tage hindurch geschlagen, habe die unüberwindliche Tapferkeit der französischen Macht Sieg und Schlachtfeld behauptet. Die folgenden Blätter gaben zwar den völligen Rückzug der französischen Armee an, schoben aber die Ursache einzig und allein auf die zerstörten Donaubrücken und die großen Ueberschwemmungen des Stromes, und erzählten nebenbei in Münchhausen’scher Manier einzelne Züge und Anekdoten von der außerordentlichen Bravour einzelner französischer Officiere und Soldaten. Ja, man erröthete nicht, officiell mitzutheilen, daß ein einziger französischer Officier ein ganzes Regiment Oesterreicher zu Gefangenen gemacht habe.

Am 5. November 1809 wurde der zwischen Oesterreich und Frankreich geschlossene Frieden publicirt. Dies geschah durch einen Zug Gendarmen und Polizeisergeanten, die an allen Straßenecken Halt machten. Ein Stadtdiener, den die Zeitungen einen »Herold« nannten, verrichtete die Publication und schloß jedesmalige Friedensbotschaft mit einem Vive Napoleon!

Aus der Zeit des Canuel‘schen Gouvernements mögen hier einige Anekdoten folgen: Es war am 27. October Nachmittags 4 Uhr, als zwölfmaliges Abfeuern der Geschütze die ganze Stadt in Allarm setzte. Im Hui waren alle Häuser leer und alle Straßen voll. Man steckte neugierig die Köpfe zusammen und fragte sich nach der Bedeutung der Kanonade. Vergeblich strengten sich die Politiker durch Nachrecapituliren und Zusammenstellen der neuesten Zeitungsartikel an; jede Möglichkeit eines wirklichn oder Bulletinsieges fehlte, als endlich der Kalender Auskunft gab. Darin stand für den andern Tag der Name des heil. Simeno, und der Geschützdonner verkündete dem Nichteingeweihten, daß der neue Gouverneur getauft sei, und in der heiligen Taufe den Namen Simeon erhalten habe. Zugleich war es ein Wink, was ein Jeder zu thun und zu lassen habe. Der Adel, das Domcapitel und die übrige Geistlichkeit, die Landesdikasterien u.s.w. begriffen den Wink; sie putzen ihre Röcke und fuhren und gingen des andern Tages gehörig constumirt zum Schlosse, die Namensgratulation abzustatten, und im Schauspielhause gab man nach dem mit rother Schrift gedruckten Theaterzettel:

Zur hohen Namensfeier Seiner Excellenz des Herrn Generalgouverneurs:
Allgemeine Freude.
Schauspiel mit Gesang und Tanz in einem Act.
(Dialog und Musik vom Capellmeister Evers.)

Evers war Musikdirektor der Schauspielgesellschaft, keineswegs aber Verfasser und Componist des Festspiels; vielmehr war dasselbe vor Jahren zu Berlin zur Geburtstagsfeier der Königin gegeben. Statt der Königin war im Text überall der Gouverneur eingeklebt, und paßte das Ganze auf die Namensfeier wie die Faust aufs Auge, —

Der katholische Pfarrer zu … wurde bei der geistlichen Obrigkeit von seiner Dorfgemeinde beschuldigt: er halte immer eine und dieselbe Predigt und theile mit seiner Haushälterin das Bett. Die Untersuchung ward wider ihn eingeleitet, und im Termine erschienen Denunciat und Denuncianten persönlich. Kaum ist dem Pfarrer der erste Anklagepunct, daß er sonntäglich immer dasselbe predige, vorgehalten, so dreht er sich rasch zu den Bauern um und fragt: Was habe ich am vorigen Sonntage gepredigt? Die Ankläger verstummen, und der Denunciat beweist daraus die Unstatthaftigkeit der Anklage, indem die Bauern, da sie nicht einmal wüßten, was er am letzten Sonntage gepredigt, unmöglich wissen könnten, daß er nur eine Predigt predige. Den zweiten Vorwurf, daß er bei seiner Köchin schlafe, räumte er ein, verteidigte sich aber gegen den geistlichen Inquisitor dahin: Ich habe von meiner kleinen Pfarre nicht so viel Einkünfte als ein Domherr, oder wie Sie, ehrwürdiger Herr Commissarius, um meine Köchin besonders betten zu können; vielmehr zwingt mich die Oekonomie, mein einziges Schlaflager mit ihr zu teilen. Indeß habe ich in den Bette zwischen uns Beiden ein Bret befestigt — (hier zeigt er dasselbe dem Untersuchungscommissar vor; denn die Untersuchung wurde in Pastorathause geführt.) — Ueber dieses Bret bin ich, so lange ich meine Köchin und Betthälfte habe — und dieses sind schon dreißig Jahre — nicht gekommen. Versuchen Sie dasselbe, Herr Commissarius, und ich wette, Sie müssen Fuß beim Male halten, soll der Teufel Sie nicht über das Bret führen. — Der geistliche Commissarius führte, wie’s sich ziemte, sein Brevier bei sich; das war schmutzig und zerlesen, das Brevier des Pfarrers aber, welche er sich vorzeigen ließ, noch rein und suaber, woraus Ehrencommissarius den Schluß zog, daß der Pfarrer seine Gebetpflicht vernachlässige und das Brevier wenig gebrauchte, weil sonst dasselbe in der nämlichen Verfassung erscheinen müsse wie das des Commissars. Auf diesen beschuldigenden Vorwurf erwiderte der Pfarrer nur die Worte: Säue sind Säue, — und der Untersuchende verließ, da er sah, daß dem Denunciaten nichts anzuhaben war, das Pastorat und berichtete der höheren geistlichen Behörde das klägliche Resultat seiner inquisitorischen Bemühungen.

 

Vincke

von Erdmannsdorf

Schmedding

Natrop

Maaßen

Loison

von Hake

Napoleon

Simeon Canuel

Joachim Murat

Ludwig Napoleon

Damas

Marr

Agar

von Nesselrode-Reichenstein

 von Blücher


Letzte Änderung der Seite: 27. 09. 2021 - 03:09