Erinnerungen aus der Zeit der französischen Fremdherrschaft

aus dem Tagebuch eines Verstorbenen.

Kunst- und geschmacklos, aber der Wahrheit getreu vom ersten bis zum letzten Buchstaben und deshalb von Werth und der Erhaltung werth sind die nachfolgenden Blätter aus dem mit Gewissenhaftigkeit geführten Tagebuche eines deutschen Mannes, der, erfüllt von glühendem Haß und voll edlen Grolles gegen den Despotismus, unter welchem das deutsche Vaterland jene verhängnisvolle Reihe von Jahren hindurch geseufzt und gerungen, seinem gepreßten Herzen allabendlich, wenn er seines treuverwalteten Amtes Last und Mühe getragen, in der stillen Einsamkeit seines Kämmerleins durch Aufzeichnung dessen, was er den Tag über erlebt und empfunden hatte, Luft machte, was mündlich in öffentlichen, geselligen Kreisen nicht vergönnt — ja selbst verboten war. Die Mittheilungen sind wirklich aus den hinterlassenen Papieren eines Verstorbenen und keine Fiction, wie so viele unter dieser Bezeichnung, wie sie in unsern Tagen nach dem Vorgange eines genialen Schriftstellers in der Literatur Deutschlands unherspuken. So mögen sie hingenommen, so gewürdigt werden als Aufzeichnungen eines wahrhaft patriotischen, deutschgesinnten Mannes, der recht und schlecht seine Lebensbahn begonnen und beendet. Sie bieten um so größeres Interesse dar, als sie dem Leser die Gelegenheit zu einer Parallele jener verhängnißreichen Zeit mit der Gegenwart an die Hand geben, woran sich für Jeden, besonders für Denjenigen, der jene Zeit mitgelebt hat, zahlreiche REminiscenzen knüpfen.

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Französische Gouverneure in Westphalen. Gründung des Großherzogtums Berg. Vincke, Erdmannsdorf, Schmedding, Natrop, Maaßen, nachmaliger Finanzminister. Anekdoten.

Die Schlacht bei Jena war am 14. October 1806 geschlagen. Die preußischen Truppen hatten sich aus Westphalen gezogen, und der französische General Loison residirte als Gouverneur zu Münster, die Grafschaften Tecklenburg und Mark, sammt dem Fürstenthum Osnabrück. Nachdem dem erstgenannten Fürstenthume eine außerordentliche Contribution von 2 ½ Millionen Franks auferlegt worden, ward eine Nationalgarde errichtet. Mitglieder aus den höhern Classen des Civilstandes drängten sich hinzu. Auf den Straßen jubelte man den Refrain:

Hopp Mariänchen, hopp Mariänchen!
Laß die Püppchen tanzen!
Vorher da waren die Preußen hier
Und jetzt die Herren Franzen.

Diese Gassenhauer verscheuchte die frühere Jubelhymne der mit Klappern versehenen Gassenjungen:

General Haken
Kann nix maken!

die dem preußischen General von Hake gegolten, welcher ein zu Münster damals in Garnison liegendes Infanterieregiment commandirte. Mit diesen poetischen Productionen der Volksmuse correspondirt die Devise, welche an dem zum erste Male gefeierten Geburtstage des Kaisers Napoleon die Fleischhalle der Stadt bei der Statt findenden Illumination schmückte, woselbst unter einem Transparentbilde, einem fetten Mastochsen und ihm zur Seite einen Fleischerknecht mit einem Schlachtbeile in der Hand darstellend, die Worte zu lesen waren:

Wer Dich, Napoleon, thut verachten
Den will ich wie diesen Ochsen schlachten.

Der erste französische Gouverneur war unterdessen abberufen worden. Sein Nachfolger war Simeon Canuel.

Nach dem tilsiter Friedensschlusse ward durch Napoleon's Götterspruch das Großherzogtum Berg geschaffen, und der Reitergeneral Joachim MuratNapoleon's Schwager, unter dem Namen Joachim I.. zum Großherzoge der neugeschaffenen Reichsephemere, die eine Vormauer des Kaiserreichs bilden sollte, auf den Thron gesetzt. Doch nicht lange darauf zum Könige beider Sicilien oder Neapel berufen, trat Joachim durch Vertrag von Bayonne vom 15. Juli 1808 den Kaiser das Großherzogthum wieder ab, der dasselbe »par Decret: Palais des Tuileries« vom 3. März 1809 dem unmündigen Prinzen Ludwig Napoleon, ältestem Sohne seines Bruders, des Königs von Holland, übertrug. Am 13. März erfolgte die Organisation des Landes, welches aus den Landestheilen Münster, Mark, Lingen, Tecklenburg, Rheda, Limburg und der früheren freien Reichsstadt Dortmund zusammengesetzt, während die der Landesverwaltung vor sich ging.

Nach dem neuen Organisationsplane zerfiel das ganze Großherzogthum Berg in vier Departements und wurde eingetheilt in das Rhein-, Ems-, Ruhr- und Lippedepartement. Das erstere war das größte; es umfaßte das ganze vormalige Herzogthum Berg, das Herzogthum Cleve diesseit des Rheins, die Fürstenthümer Essen und Elten und die Abtei Werden. Nach ihm folgte in Rücksicht seiner Größe das Emsdepartement enthaltend das Fürstenthum Münster, die dem Herzoge von Locz-Corswaren zugetheilte, ihm aber wieder genommene Herrschaft Rheina-Wolbeck, das dem Fürsten von Salm-Horstmar widerentrissene Besitzthum Coesfeld, die dem Grafen, späteren Fürsten zu Steinfurt genommenen Grafschaften Steinfurt und BEntheim, das Fürstenthum Lingen und die Grafschaft Tecklenburg. Das Ruhrdepartement war etwas geringeren Umfanges und enthielt die Grafschaften Mark, Rheda und Limburg sammt der Stadt Dortmund. Das Sieg- oder Lippedepartement war das kleinste.

Für jedes Departement ward ein Präfect und ein Generalsecretär ernannt. Die Präfecten zu Düsseldorf und Münster erhielten 12.000 Franks, die zu Dortmund und Dillenburg 10.000 Franks Gehalt; die Präfecturräthe wurden mit nur 1200 Franks besoldet. Diese Stellen wurden von Paris aus besetzt; die Anstellung der übrigen Beamten war ganz der Willkür des Präfecten überlassen, der auch die Angestellten in der Folge nach Willkür wieder entlassen konnte.Es waren den Präfecten zu Düsseldorf und Münster einem jeden 60.000, den beiden andern aber 40.000 Franks Bureaukosten ausgesetzt, woraus sie alle Bedürfnisse, einschließlich der Besoldungen ihrer Beamten bestreiten mußten. Ein knickeriger Präfect konnte auf Kosten des Staates die Besoldungen selbst, sowohl wie die Zahl der Beamten vermindern. Wie nachtheilig eine solche Willkür der Staatsverwaltung war, bedarf keiner näheren Ausführung.

Mit dieser Einrichtung erloschen die Functionen der bisherigen Kriegs- und Domainenkammern zu Hamm und Münster; sie wurden gänzlich aufgelöst, die Mitglieder derselben, so wie ihre Subalternen, die Land- und Steuerräthe sammt ihren Unterbeamten mit einem höflichen, in einem Ministerialrescripte ausgefertigten Danke für ihre bisherigen treuen Dienste entlassen, ohne daß von einem Fortlaufen ihrer Gehälter, oder von Bestimmung einer Pension weiter die Rede war, auch nicht weiter die Rede sein konnte, da in die Budgets und neuen Cassenetats blos die obengedachten Gehälter der Präfecten und deren Bureaukosten, keineswegs aber die Besoldungen jener außer Activität gesetzten Beamten, deren Zahl allein in Münster und Mark mehrere Hunderte betrug, aufgenommen waren, und mithin nicht ferner ausgezahlt werden konnten. Viele der neugegründeten Stellen wurden einzig und allein nach dem Sprichworte: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand, besetzt, und so trug’s sich unter andern Krähwinkler-Streichen auch zu, daß ein gewisser …. Rath bei dem Ministerium ex officcio den Antrag formirte, die Alimentation und Bekleidung der Armen und Waisen öffentlich dem Wenigstfordernden verdingen zu lassen.

Welche Scenen sich im Beginn der Gründung des neuen Großherzogthums zugetragen, möge aus Vielen nachstehendes Begebniß beweisen:

Kurz nachher, als der erste Großherzog Joachim auf Befehl Napoleon's sich gefallen ließ, das Königreich Neapel zu beherrschen, und das Großherzogthum Berg als vacant zu betrachten war, kam ein französischer General, der sich in der Revolutionszeit vom Capitain hinaufgeschwungen hatte, vom Kaiser aber mit Pension entlassen war, nach Düsseldorf als privatisirender Reisender, woselbst er sich eine Zeit lang aufhielt. Von den Generälen Damas und Marr, so wie von dem Finanzminister des Großherzogthums, Agar ward er abwechselnd zur Tafel geladen und hatte bei ihnen freien Zutritt. Nach vierzehntägigem Aufenthalte endeckt er vertraulich den Hofkammerrath ….., daß das ganze Großherzogthum seinem intimen Freunde, dem General …. Geschenkt sei, und er den Auftrag habe, talentvolle Leute aufzusuchen, die an die Spitze der Landesverwaltung gestellt werden sollten. Indem er sich für den designirten General en Chef des Großherzogthums ausgibt, ernennt er unter vier Augen den Hofkammerrath …. Zum Polizeiminister. Alle Umstände waren derartig, daß man keine Ursache hatte, Zweifel zu erheben. Man füllt die Gläser, läsßt den neuen Großherzog, den neuen General en Chef sammt dem neuen Polizeiminister hoch leben; anderen Tages wurde die Freude darüber laut und verbreitete sich im Publikum, um am dritten Tage wieder zu Wasser zu werden; denn der Minister Agar ließ den Pseudo-General en Chef arretiren und unter starker Bedeckung nach Frankreich abführen, womit dieses Posse ein Ende hatte.

Im Märzmonde 1809 gingen die von Paris aus in Requisition gesetzten Deputirten aus allen Theilen des Großherzogthums nach Paris ab, um dem Kindlein Großherzog, nicht wie die heil. drei Könige dem Jesukindlein Geschenke, sondern treue Unterthanenherzen zur Huldigung zu bringen. Inmittelst zeigte die durch starke Conscriptionen mit Nachdruck zum Militärdienst gezwungene junge Mannschaft aus dem Großherzogthume keine absonderlich treuen Herzen, indem sie scharenweise desertirte. Man wandte die äußersten Gegenmittel an, dem epidemischen Ausreißen zu steuern. Die Thore der Städte, jeder Weg und Steg, der Gelegenheit zum Entweichen bot, wurden mit Wachposten besezt; jedem dieser Militärposten ward auch noch eine Gendarmeriewache beigegeben, welche diese Posten wiederum observiren mußte. Dabei patroulirten Gendarmen auf den Landstraßen, in Schleichwegen und Holzungen, um auf Deserteure Jagd zu machen. Von Abends 6 Uhr bis Morgens 6 Uhr fand die strengste Thorsperre Statt; Niemand wurde ohne polizeiliche Legitimationskarte herausgelassen. Weil solch ein Polizeipaß jedesmal, so oft man zum Thore hinausging, abgegeben werden mußte, so war man den größten Plackereien ausgesetzt, indem man stets wiederum einen neuen Paß vom Polizeicommissariate holen mußte. Der Verkehr der Dörfer mit dem Städten wurde dadurch auf die beispielloseste Weise erschwert.

Der dritte April — den ersten hatte man nicht gewählt — war der allgemeine Huldigungstag im ganzen Großherzogthum für den neuen unmündigen Beherrscher par la grace des Kaisers. Kanonendonner und Glockengeläute verkündeten Morgen dieses Tages. Der Provinzialrath mußte eine Rede halten auf dem Rathhause. Dann ging’s im Zuge zur Hauptkirche. Dort gab es Hochamt, Te deum laudamus und Predigt nebst obligatem Kanonendonner und Glockengeläute. Durch die Präfecturblätter war Illumination von polizeiwegen decretirt, und den Beamten besonders zur Pflicht gemacht, sich dabei zu markiren. In Städten und Dörfern, wo die Kanonen fehlten, behalf man sich mit Glocken, Messe und Predigt.


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