Beisetzung des Felix Anton Blau Bibliothekars zu Mainz

am 6. Nivose des Jahres VII der Französischen Republik.

FELIX BLAU, geboren zu Wallthürn im Jahre 38 vor Gründung der Republik (1754 alt. Styls), ehemals Professor auf der Universitaet zu Mainz bis zum Ersten Jahre, Mitglied der Landesverwaltung und des rheinisch-deutschen Nationalkonvents; Schlachtopfer des deutschen Terrorism´s in der Vestung Koenigstein, vom 2ten bis zum 4ten Jahre, Verfasser des Pariser Zuschauers, und Sekretäre des Justizministers vom 5ten bis zum 6ten Jahrem Richter des preinlichen Gerichts des Departements vom Donnersberg, und zuletzt Bibliothekar der Mainzer Universitaet, starb am 3ten Nivose des 7ten Jahrs, Morgens um 7 Uhr, in den Armen seines Schülers und Freundes Heimberger. So wenig seine Freunde Hoffnung gehabt hatten, ihn laenger unter sich zu sehen, schlug dennoch die Nachricht seines Verlustes ihrem Herzen eine tiefe Wunde. Selbst Leute, welche ihn nicht gekannt hatten, bedauerten den frühzeitigen Tod eines Mannes, der durch seinen moralischen, sanften Karkter selbst die Verlaeumdung entwaffnet hatte, die, als er in Ketten lag, so schmlos an seinem Rufe nagte. Vergebens klagte der Fanatiker, weil er, treu seinen Grundsaetzen, nicht als Heuchler starb; sondern im Hochgefühl seiner Reinheit nur mit dem hoechsten Pharisaeern über seine Handlungen rechnen wollte. Solche Klagen konnte nur dazu dienen, die Wahrheit diesr Grundsätze und die Blindheit ihrer Gegner zu beweisen.

Seine Freunde entschlossen sich, ihm ein Leichenbegaengnis zu feiern, das seinem einfachen, bescheidenen Lebenswandel entspraeche, und wobei die Trauer seiner würdigen Mitbürger, mehr als schnoeder Prunk, die beredeste Verkkündigung seiner Verdienste waere. Man bestimmte den Hof des Universitaetshauses (ehemaligen Seminariums) zum Orte seiner Beerdigung, weil er ehemals in diesem Hause gelehrt hatte, und weil dieser Ort zur Errichtung des ihm bestimmten Denkmals der schiklichste schien. Der Anblik dieses Denkmals ermunterte die vorübergehenden Zoeglinge der Universitaet zur Erwerbung aechter Verdienste um die Menschheit, und überzeuge ihre Feinde, das der Lehrer der Wahrheit auch im Tode nicht aufhoere, ihr warme Vertheidiger und treue Verkünder zu bilden.

Am 6ten Nivose versammelten sich die Freunde des Verstorbenen in seinem Hause. Um 2 Uhr verliessen sie es in folgender Ordnung:

Ein Polizeikommissaire in Amtstracht eroeffnete den Zug. Nach ihm folgen die Akademiker der hiesigen hohen Schule. Von den Professoren der Universitaet wurde die Inschrift getragen, die so sehr auf den Verstorbenen angewendet werden kann: Vitam impendere vero. Vor dem Sarge, der auf einem dreifarbigen, mit Flor umbraemten Leichentuche bedekt war, las man die Inschrift: Durch Grosmuth besiegte er seine Feinde. Zur Seite des Wagens giengen acht junge in in Trauer gekleidete Bürgerinnen mit Cipressenzweigen. Auf dem Sarge lag in einem Eichenkranze BLAUs kritische Geschichte der Unfehlbarkeit der Kirche. Nach dem Sarge folgte die Inschrift: Mit allen Tugenden des Sokrates strebte er nicht nach seinem Ruhm. Nach dieser Kamen seine Freunde Arm in Arm ohne gesuchte Ordnung. Die Kaelte hatte die Trauermusik verhindert, den Zug zu begleiten. Als er im Hoersaale des neuen Universitaetshauses angekommen war, wurde der Sarg auf eine Erhoehung gestellt und aufgedekt. Der edle Todte lag in seiner gewöhnlichen Kleidung mit einem Eichenkranze ganz unentstellt darinn. Seine rechte Hand lag auf seinem menschenfreundlichen Herzen.

B. MULOT, Professor der schoenen Wissenschaften, Regierungskommissaire in Abwesenheit des B. Rudler, bestieg die Bühne und hielt folgende Rede:

Amemus patriam, consulamus bonis, praesentes fructus negligamus, posteritati et gloriae servianus. Id esec optimum putemus, quid erit rectissimum. Speremus quod volumus: sed quod acciderit feramus. Cogitemus denique corpus virorum fortium maginor umque hominum esse mortale: amini vero motus, et virtutis gloriam sempiternam.
CICERO PRO SEST.

»Jeder Schritt in diesem Leben ist ein Schritt zum Grabe – und ich sehe mit gleicher Verwunderung die Menschen sich freuen, bei der Geburt eines Kindes, und seufzen und weinen bei dem Hinscheiden eines ihrer Brüder.«

»Betrachtet man die Sache nur mit philosophischem Blikke – wie unerklaerlich scheint dann diese grundlose Freude bei dem ersten Erscheinen eines Wesens, über dessen künftiger Bestimmung ein dichter Schleier ruht, das dereinst vielleicht die Geisel seiner Mitbürger, die Schande der Menschheit werden wird? Wie unerklaerlich dieser tiefe Schmerz bei einem Ereignisse, das so natürlich und unvermeidlich aus jenem ersten, mit so freudigem Jubel gefeierten Ereignisse fliest?«

»Ich gestehe indess, von diesen beiden Empfindungen scheint mit die leztere eines Philosophen weniger unwürdig, denn sie kann gerade das vom Schiksal gestekte Ziel eines Lebens betreffen, das der Tugend und dem allgemeinen Nuzzen gewidmet war: aber – mit gleichem Freimuth füge ich hinzu – dann sind nicht Thraenen, nicht Seufzer das Opfer, das der erblasste Tugendhafte von uns heischt. Wir sind ihm schuldig, uns zu troesten, über sein Dahinwandern auf immer, durch die Betrachrung seiner Werke, die ihm die Unsterblichkeit errangen in dem Andenken der Welt; wir sind ihm schuldig, sein Dasein zu verewigen, indem wir seinen Beispielen folgen, indem wir sie sammeln, um sie der Jugend als Muster der Nachahmung aufzustellen, und indem wir ihm solche Ehre erzeigen, die zur Ausübung seiner Tugenden entflammt, und zum Streben nach gleich hoher Belohnung.«

»Dank dann Euch, Ihr aufgeklaerten Verwalter des Departements vom Donnersberg, die Ihr im ersten Augenblikke, Da man Euch den Tod des Edlen FELIX BLAU ankündigte, als aechte Würdiger seiner Tugenden und seiner Verdienste ums Vaterland, ihm sogleich der oeffentlichen Dankbarkeit würdig erklaertet und verordnetet, dass sein Name, bei unserm republikanischen Festen, unter dem Namen der Wohltaeter der Menschheit ausdrüklich und besonders genannt werden sollte!«

»Dank auch Euch, seinen Kollegen, die Ihr Euch in diesem Augenblikke Eures erhabenen Berufs dadurch so würdig zeigt, dass Ihr seinen Tugenden huldigt; die Ihr selbst das Gefühl dieses grossen, Zu frühen Verlustes so glükklich zur Befoerderung der oeffentlichen Bildung benuzt!«

»O koennte ich jetzt, da ich als Euer Organ auftrete, seine oeffentlichen und Privattugenden so wahr und so lebendig schildern, dass meine Rede alle Hoerer zur Nacheiferung derselben befeuerte! O, dass ich alle Arbeiten, die BLAU unternahm, um seine Zeitgenossen zu aufgeklaerten und bessern Menschen zu bilden, alle Leiden, die er durldete dieser Arbeiten wegen und weil er so kraeftig zum Triumphe der Freiheit in diesem Gegenden mitwirkte, in ein kraftvolles erschütterndes Gemaelde zusammenfassen konnte, dass seine Verfolger sich schaemen müssten der Schandthaten, die sie auf sein Haupt haeuften; dass seine Freunde sich troesten koennten durch den Ruhm, der ihn ihns Grab begleitet, durch die Ruhe, die der Tod ihm nun gewaehrt vor dem schmaehlichen Behandlungen und den Leiden ohne Zahl, die Neid, Tyrannei und Fanatismus wechselweise über ihn hergossen; dass alle Bewohner dieser Gegenden gezwungen würden, ihre Augen der Wahrheit zu oeffnen, und ihr Herz der Dankbarkeit, und dass dies maechtige Gefühl in die unzweideutigsten Beweise, die Befolgung seiner Lehren und die Nachahmung seiner Tugenden, in ihnen übergienge!«

»Bürger! Einen so hohen Zwek im Auge, widme ich diese Trauerrede dem Andenken eines Mannes, welcher in verschiedenen Lehrstellen auf der Universitaet zu Mainz, und als Mitglied jener muthvollen Versammlung, die die Freiheit an die Ufer des Rheins rief, sich die Liebe und Bewunderung seiner Mitbürger erwarb, eines Mannes, den vor kurzem erst der Regierungskommissaire zum Bibliothekar bei der neu-aufblühenden Universitaet ernannte, um unserm verewigten Forster einen würdigen Nachfolger zu geben.«

»FELIX BLAU wurde im Jahre 1754 in Wallthüren, einem Staedtchen des obern Erzbisthums geboren. Er stammte aus jener Volksklasse, die man, ehe die Gleichheit, die Tochter der Natur und Schwester der Freiheit, in diese Gegenden herabstieg, mit dem Namen des Bürgerstandes bezeichnete. Diese Klasse, von jeher der Schaezbarste und würdigste Theil der Nationen, stand in der glüklichen Mitte zwischen dem versunkenen Poebelhaufen, auf dem die sogenannten Grossen mit Verachtung herabblikten, und jener stolzen Adelskaste, an welcher das Sclavenvolk mit Ehrfurcht hinauf staunte. Eine einfache und unverscrobene Erziehung war die Auszeichnung dieses Standes; Liebe zur Arbeit und Niegung zu Wissenschaften und Kultur seine Vorzüge. Gewoehnlich sezte die Mittelmaesigkeit der Vermoegensumstaende die Menschen dieser Klasse in die glükliche Lage, dass sie frei von dem Drukke des Elends und ungestoert von den Zerstreuungen des Reichthums, sich nach freien Triebe dem Studium und der Ausübung des Tugend widmen konnten, und man muss getehn, dass aus ihrem Schoose die groeste Zahl der Weisen und Gelehrten hervorgegangen ist.«

»Mit allem Eifer benutzte der junge BLAU die Vortheile, die seine Geburt ihm darbot; seine Fortschritte in den Wissenschaften entwikkelten bald die schoensten Hoffnungen.«

»Aber – bei allen Vorzügen hatte der Bürgerstand auch seine Vorurtheile, welche Gewohnheit und der in ihm genaehrte Hang zur Tugend nur noch vermehrte und bestaerkte. Dahin gehoerte, vorzüglich in katholischen Laendern, der Wunsch, unter seinen Kindern einen Priester zu zaehlen: gieng dieser Wunsch in Erfüllung, so betrachtete man ihn als eine Quelle, aus welcher der Seegen des Himmels über die ganze Familie stroemte.«

»Es wird als niemand verwundern, dass der junge BLAU, der nun in Mainz seine wissenschaftliche Laufbahn angetreten hatte, Neigung zum geistlichen Stande fasste, und nach seiner Aufnahme ins bischoefliche Seminar sich ganz dem Studium der Theologie ergab. Gerechte Bewunderung verdient dagegen sein richtiger Verstand und die Gradheit seiner Seele, die ihn aus diesem Studium nur dasjenige schoepfen liessen, was auf das Glük und die Vervollkommnung der Menschheit nuzlichen Einfluss haben kann. Als bald darauf BLAU, in der aufkeimenden Blüthe seines Alters von BENZEL, dem aufgeklaerten Menschenkenner, zu einer philosophischen Lehrstelle an der Universitaet zu Mainz berufen wurde, so bemerkte man bald an dem Geist seiner Vorlesungen, dass dieser Freund der Weisheit, Mitten in den mühsamen und unnebelten Pfaden der Theologie sich nie von seiner Führerin getrrennt hatte; und man erinnert sich noch mit Vergnügen, wie bei Gelegenheit der Einweihungsfeier der von dem Fürsten restaurirten Universitaet, BLAU seine Kenntnisse in einer Schrift enthüllte, worinn er alle Systeme der Alten und Neuen, über die philosophischen Freiheit des Menschen auseinander sezte, und dann sein eigenes auf den überzeugensten und für die Menschheit ehrenvollsten Gründen aufführte.«

»Nur zwei Jahre hatte BLAU die philosophische Lehrstelle bekleidet, als man ihn den Lehrstuhl der dogmatischen Theologie auftrug. In diese neue Laufbahn schien er nur darum geworfen, um sie von den Schlangenkrümmen des Irrthums auf den graden Pfad der Wahrhiet zu leiten. Waehrend er seine Schüler nur dasjenige lehrte, was er nach seinen Grundsaezzen für Wahrheit erkannte[1] verbreiten mehrere Zeitschriften die Resultate seiner gelehrten Forschungen. deren Geist eben so sehr die Aufklaerung verbreiteten, als den Tross der Theologen in Erstaunen sezzen musste. Aber, was ihr Erstaunen auf den hoechsten Gipfel hob, ihre Systeme ganz zu Boden stürzte, war sein denkwürdiges Werk: Über die Unfehlbarkeit der Kirche, in welchem er mit der Fakkel der Kritik in der Hand, unterstüzt von dem trefflichsten Gedaechtnisse und einem unermesslichen Reichthume historischer Kenntnisse, bis in die ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung hinaufsteigt, die allmaehligen Fortschritte dieser Meinung aufdekt und sie gründlich und glüklich bestreitet.«

»Es war ein glüklicher Gedanke, dass seine Freunde, die dies Leichenbegaengniss veranstalteten, dies Werk, die Frucht seiner muthvollen Wahrheitsliebe, im Sarge noch auf sein Herz legten. Mit ungeheucheltem Beifalle stimme ich in diese Huldigung – ein Huldigung, die vergebens die gehaessige Eifersucht durch den Vorwurf zu verkleinern streben wird, dass BLAU, bei Herausgabe des Werks, sich hinter dem Vorhang der Anonymitaet verbarg; als ob das wahre Verdienst in einem schimmernden Namen, und nicht Vielmehr im Verrichten einer grossen muthvollen That bestünde!«

»Der unnatürliche Neid und der tyrannische Fanatismus allein müssen erroethen! Sie waren es, die ihn zwangen, die wohltaethige Hand zu verbergen, mit welcher er es wagte die schimpflicheBinde zu zerreissen, die sie über die Augen des Volks, ihrer Schlachtheerde, zogen.«

»Einzig aus dem reinen Triebe, zum Nuzzen seiner Mitbürger zu wirken, deret vorzüglich, die sich zum Katholicismus bekennen und oefterer mystischen Ceremonien als moralischen Feierlichkeiten beiwohnen, schrieb BLAU jenes andere Werk, worin er, nach seiner genauen Kenntniss des Menschen, deren Sinne man rühren muss, um ihre Herzen zu ergreifen, den glaenzenden Pomp bei kirchlichen Festen vertheidigt und den Wunsch aeussert, dass man durch zwekmaessigere Einrichtung derselben mehr auf die sittlichen Bildung wirken moege.«

»Erhabener, preiswürdiger Zwek eines philosophischen Schriftstellers! Dass sie ihn auffassen und befolgen meogten, die neuen Apostel der aeltesten unter allen Religionen – dieser Religion, deren wesentlichste Lehre es ist, Gott und die Menschen zu lieben, und de, einfach in ihren Dogmen und Geheimnissen, die keine anderer als die der Natur sind, durch ihre Ceremonien die menschen hinleiten muss zur Ausübung moralischer Tugenden, dem einzigen Mittel, sie ihren Mitbürgern nüzlich und der Gottheit angenehm zu machen.«

»Bürger! Ich komme jetzt zu der Reihe von Begebenheiten, welche unserm Kollegen die Unsterblichkeit gaben – Die Franken hatten den Thron ihrer Tyrannen gestürzt. Die Freiheit herrschte auf ihrem Boden, und die Liebe, die sie natürlich einfloest, verbreitete sich zu den anwohnenden Voelkern.«

»Die Erbbestaender usurpirter Thronen fühlten, wie der Scepter ihrer Hand entsank. Sie verschworen sich zu einem Bunde, und athmeten nichts als Krieg, Schlachten und Menschengewürg. Diese sogenannten Vaeter ihrer Unterthanen sannen nur auf Mittel, sie durch einander zu schlachten. Die Grausamsten unter ihnen waren ohne Widerspruch diejenigen, welche die geistliche und weltliche Macht in ihrer Hand vereinigten, und als Fürsten und Priester eine deoppelt furchtbare Despotie ausübten. Der kurfürstliche Pallast zu Mainz wurde die Mordgrube, wo alle diese Verwüster der Menschheit ihre schwarzen Plane ausbrüteten, beschlossen, und die bewaffnete Ausführung derselben betrieben.«

»Aber zum Glükke scheiterten sie. Die Franken raffen sich auf; die Feindeshorden fliehen. Der naemliche Pallast umschliest nun eine Gesellschaft von Freiheitsfreunden, die den Schlupfwinkel Tyrannei sauebern. Der siegende Custine beeschützt ihre wohltaetige Verbindung. Noch mehr – er schraenkt sich nicht auf diese Maasregel der Freiheitsverbreitung ein; er sorgt auch für die Regierung des Landes und geehrt durch seine Wahl, die den Waehlenden selbst zur Ehre gereicht, wird FELIX BLAU ein Mitglied der allgemeinen Landesverwaltung.«

»So trat der edle Mann aus dem Staube der Schule in die Laufbahn der Verwaltung und Politik. Er betrat sie mit reinem Herzen; so durchlief, so verlies er sie. Keiner kann in seinen letzten Augenblikke ihm Verbrechen vorwerfen, oder jene Reichthümer, womit so viel andere im Laufe unsrer Staatsumwaelzung ihre Haende beflekten. Nur die Befreiung seines Vaterlands vom Joche der Sklaverei war das erhabene Ziel seines Strebens. Deinen Schatten rufe ich zu Zeugen, verewigter Forster! Beide wachtet ihr mit eurem würdigen Mitarbeitern, nur für das Glük eurer Mitbürger, und gerührt müssen diese bekennen, dass sie euren Bemühungen, vereint mit den Bemühungen der fraenkischen VolksvertreterRewbel, Merlin, Hausmann das Dekret verdanken, welches sie zu Republikanern schuf.«

»Als Mitglied der rhenogermanischen Convention, welche sich in diesen gefaehrlichen Augenblikken bildete, was für Beweise gab nicht BLAU von Weisheit, Klugheit, Menschenkenntnis, und von dem festen Streben zum Wohl seines Vaterlandes und der Menschheit! Und immer begleitete Muth seine gemeinnüzzigen Rathschlaege.«

»Es war nicht aus Mangel an dieser Tugend, dass BLAU, noch ehe Preussen Mainz einschlossen, um die Erlaubnis ansuchte, sich nach Strasburg zu begeben, und sie erhielt; gerade das Gegentheil, die ganze Kraft, seines Muthes leuchtet aus dem Betragen hervor, das er von dem Augenblikke an zeigte, da er auf der Reise nach dem Orte seiner Bestimmung, zwischen Oppenheim und Guntersblum in die Haende der Feinde gerieth.

Hier, Bürger, beginnt die grausamste Prüfung, die der Mensch bestehen kann, eine Kette der bittersten Leiden und Widerwaertigkeiten. BLAU, so liebenswürdig in seinem Privatleben, so ehrwürdig in seinen oeffentlichen Tugenden, enthüllt im Unglük die ganze Groesse seiner Seele.«

»In Begleitung des Bürgers Arensberger von Kassel wird er von einer preussischen Kohorte ergriffen, ausgeplündert, und mit Ketten belastet, nach Frankfurt geschleppt. In dieser, wegen ihrer politischen Meinungen so lange zweideutigen, Stadt erleidet BLAU von einem blinden, durch Mainzer Flüchtlinge angehetzten, Poebel die empoerendste Mishandlung. Man führt ihn hierauf nach der Vestung Koenigstein, und um die Barbarei auf dem hoechsten Grad zu treiben, zwingt man ihn, den vierstündigen Weg von jener Stadt nach seinem Kerker in anderthalb Stunden[2] zu Fusse zurück zu legen.«

»Tretet herzu, die ihr ihn einst mishandelt habt, ihr verruchten Werkzeuge der Tyrannei! Schaendlicher vielleicht, durch euer knechtisches Kriechen, als die Ungeheuer selbst, deren befehle ihr vollzogt! Tretet her und weidet euch hier an der Frucht eurer Verbrechen. Die Krankheit, die den Edlen uns entrissen hat, ist euer Werk; sie ist die Folge der Mishandlungen, die ich izt schildere. Doch – mit Vergnügen wird amn es hoeren, wie einer wenigstens von diesen Verfolgern der Unschuld, durch das Gefühl des eignen Unglüks getreiben, reumüthig der Tugend huldigte. Es war ein preussischer Major, der in der Blokade von Landau ein Bein verlohren hatte, und sein Schiksal als eine gerechte Strafe des Himmels betrachtete. Unter der Folter der Gewissensbisse flehte er nun das Schlachtopfer seiner Grausamkeiten um Verzeihung, und grosmüthig in seinen Fesseln, zoegerte der tugendhafte BLAU keinen Augenblik sie ihm zu gewaehren.«

»Nach diesem Zuge der Grosmuth unsers Kollegen gegen einen seiner Henker, der eignes Gefühl zur Erkenntnis seines Unrecht gebracht hatte, halte ichs für überflüssg, Euch die ganze Reihe von Leiden zu schildern, die die Barbarei des Kurfürsten ihn, mit sieben Unglüksgefaehrten noch in ein Zimmer von 16 Schuh Laenge und 12 Schuh Breite eingesperrt, dulden liess. Niedrige Rache gegen einen Unterthan, der sich frei erklaert, gegen einen Priester, der die Grundsaeulen der Praelatur angetastet hatte!«

»Viel lieber entwerfe ich Euch das Gemaehlde der Menschlichkeit in seinen Kerkerknechten, wie sie gerührt durch seine edle Resignation, die grausame Haerte des Fürstbischofs taeuschend, dem Leidenden alle Erleichterung verschaffen, die in ihrer Macht liegt; wie sie gleichsam erfüllen, was die Juden von ihrem Daniel erzaehlen, welcher von einem Koenigsbarbaren in eine Loewengrube geworfen, nur zaertliche Liebkosungen von diesen wilden Thieren empfing.«

»Durch Hülfe dieser wohtltaetigen Gefangenwaerter erhielt BLAU nicht nur Zeitschriften, die ihm die Siege der Franken und durch sie seine nahe Befreiung ankündigten, sie erleichterten ihm auch die Mittel mit seinen ihm treu gebliebenen Freunden Briefe zu wechseln. Dieses Glück, so fühlbar schon dem freien Manne den Schmerz der Trennung mildert, ist noch groesser und rührender, wenn es die Leiden der Gefangenschaft versüsst. Wer so glüklich ist, einige von diesen theuren Briefen, diesen Pfaendern der Freundschaft und Tugend des ehrwürdigen Mannes zu besitzzen, der bewahre sie mit heiliger Sorgfalt! Sie werden den Muth staehlen, wenn er in den Kümmernissen des Lebens zu wanken droht. Welchen Geist müssen sie athmen! Welchen Muth müssen sie einfloessen! Da sie von einem Manne kommen, der selbst in dem Aufenthalte des Dunkels und Schrekkens, unter den Dünsten einer Ungluksgenossen verpesteten Luft, unter dem Klaggewinsel, das ihr Elend ihnen entpresst, einen so heitern, so ruhigen Geist behielt, dass er ein interessantes Werk: Ueber die moralische Bildung des Menschen schrieb, welches die frankfurter Pressen, als ob sie die Schmach haetten tilgen wollen, die ihm in den Mauern dieser Stadt wiederfahren war, in schnellen Umlauf brachten.« »Moralische Bildung des Menschen / Welch ein Gegenstand, um die Neugierde aufzuregen und die Verfolgungen der Knechte des Aberglaubens und des Fanatismus noch hoeher zu reizen! Ach! wie haetten sie sein Elend noch haeufen koennen! Aber - sie wurden besiegt durch seine unerschütterliche Standhaftigkeit, und – ich darf es hier laut sagen – die Stelle, die ich bei dem Regierungskommissair bekleide[3], hat mir Gelegenheit gegeben, in einem an denselben gerichteten Memoire das schmeichelhafteste Zeugnis zu lesen, das ein Mann über die Unwandelbarkeit seiner Grundsaezze selbst im Munde derjenigen erhalten kann, die er in ihren eigenen Grundsaezzen angegriffen hat.«

»Endlich erschien das ersehnte Ende seiner Gefangenschaft. Es war natürlich dass derjenige, welcher – ohne hier die Verdienste seiner Leidensgefaehrten in mindesten schmaelern zu wollen – diese Wohlthat am meisten zu verdienen schien, mit dem Auftrage beehrt wurde, ihren Dank bei der National-Convention abzustatten. Die Volksvertreter bei der Rheinarmee ernannten wirklich BLAU zu dieser ehrenvollen Sendung. Mit welchem Eifer er sich dieses Auftrags entledigte, kann am besten Winkelmann von Worms, sein Begleiter bei dieser rühmlichen Veranlassung, bezeugen. Wie die Würde des freien Mannes in allem, was er sprach, mit der Waerme der Dankbarkeit sich vereinte! Einen beredtern Dollmetscher ihrer Empfindungen haetten die Patrioten von Mainz nicht wünschen koennen.«

»Blau hatte jetzt das Geburtsland der europaeischen Freiheit betreten; er wünschte einige Zeit darin zu verweilen. Diese Empfindung war natürlich; man athmet so gern Lebensluft. Ueberdies war Mainz von preussischen Truppen besezt; dorthin konnte er nicht zurückkehren. – Unmoeglich konnte ein Mann, der selbst im Kerkern die nützlichsten Werke entwarf, in Paris, diesem Mittelpunkte der Wissenschaften und Menschen, die sich ihnen widmen, sein Leben in unthaetige Ruhe begraben, wenn auch die lange Kette der schmerzhaftesten Leiden diese Ruhe entschuldigt haben würde.«

»Er arbeitete in dieser Zeit[4] an dem Pariser Zuschauer, einer Zeitschrift, vermittelst welcher die Regierung die Bewohner derjenigen Departemente, in welchen die deutsche Sprache mehr im Gebrauch ist, über ihr wahres Interesse aufzuklaeren suchte. Auch schrieb er damals jenes lichtvolle Werk, worinn er alle seit der Revolution in Frankreich über Religionssachen gegebenen gesezze auf der Wagschale der Kritik wog, worinn er mit bewundernswürdigem Muthe die Graenzen bezeichnete, in welchen die Gesetzgeber sich haetten halten müssen, um nicht auf der einen Seite das Ansehen der Gesezze in Gefahr zu stellen, oder auf der andern die Gemüther zu erbittern. In Wahrheit das Werk eines Weisen, der nichts sieht und nichts will, als was die von Leidenschaften und Verurtheilen entfesselte Vernunft befiehlt! Mit welchem reinen Vergnügen muste unser Kollege in den letzten Monaten seines Lebens sehen, dass dasjenige, was er von den Gesezgebern verlangte, von dem Regierungskommissair in unsern Gegenden wirklich ausgeführt wurde! dass dieser jedem die vollkommenste Freiheit seiner Gottesverehrungen liess, und sie nur in die Tempel einschraenkte, wohin sie gehoeren; dass er die Gesezze über diesen Gegenstand nur stufenweise, in Verhaeltnis, wie die Gemüther zu ihrer Annahme vorbereitet waren, in Ausübung brachte; und dass er endlich durch dies philosophische und weise Verfahren die neuen Departemente vor der Flamme des Aufruhrs bewahrte, welche der Fanatismus, aufgereizt von unsern unversoehnlichen Feinden, in den benachbarten Departementen entzündet hatte.«

»Diese Sympathie der Weisheis und Klugheit leitete auch ohne Zweifel die Wahl des Regierungskommissairs auf den Bürger BLAU, bei der Besetzung der Staatsaemter, indem er ihn anfangs zum Richter, und nachher, bei der Organisation der oeffentlichen Schulen zum Bibliothekar in Mainz ernannte.«

»Euch rufe ich auf, Ihr Mitglieder des Tribunals dieses Departements, uns zu sagen, mit welcher Rechtschaffenheit er das erstere Amt verwaltete, mit welchem Treffenden hellen Blikke er zur Abfassung Eurer Urtheilssprüche mitwirkte!«

»In Ansehung seiner Stelle als Bibliothekar, gaben seine ausgebreiteten mannichfaltigen Kenntnisse, der Anfang, den er schon in Paris in dieser Art von Beschaeftigung in der Zeit gemacht hatte, da man die litterarischen Schaezze, die die Revolution in die Hanede der Nation gos, sammlete und ordnete[5], die gegründetste Hofnung, dass er sich in dieser neuen Laufbahn ausgezeichnet haben würde. Aber sein durch so manche Leiden zerrütteter Koerper schien seine nahe Aufloesung anzukündigen; und wirklich wurde durch eine sehr schmerzhafte Krankheit, die Folge sener ausgestandenen Mishandlungen, der Edle selbst und diese schoenen Hofnungen uns zu früh entraft. Der Tod des tugendhaften und gelehrten Mannes ist immer ein Raub an der Gesellschaft, die er verschoenerte.«

»Kein Zeitpunkt im ganzen Leben giebt richtigere und sicherere Aufschlüsse über die Tugenden der Sterblichen, als die entscheidende Epoche der letzten Augenblike; dann erwachen bei schwachen Menschen die alten Vorurtheile, in ihrer ganzen Staerke, und nur zuoft verlieren sie durch einen schimpflichen Rückfall in dieselben den Ruhm, den sie durch eine Reihe von Jahren sich erwarben.«

»FELIX BLAU war über diese kindische, entehrende Wandelbarkeit erhaben. Vergebens wurde er durch mancherlei Künste versucht, die philosophischen Grundsäzze, die er gelehrt hatte, durch irgend eine Privathandlung zu widerlegen. Unerschütterlich in seinem System wankte er keine Augenblik; er verlangte im Steren keinen anderen Trost, als das FELIX BLAU war über diese kindische, entehrende Wandelbarkeit erhaben. Vergebens wurde er durch mancherlei Künste versucht, die philosophischen Grundsäzze, die er gelehrt hatte, durch irgend eine Privathandlung zu widerlegen. Unerschütterlich in seinem System wankte er keine Augenblik; er verlangte im Steren keinen anderen Trost, als das Bewustsein eines vorwurfsfreien Gewissens, und kein anderes Glück, als in den Armen der Freundschaft zu entschlummern.«

»An Euch wende ich mich jetzt, die Ihr seine lezten Seufzer aufhengt, an deren Brust sein ermattendes, sinkendes Haupt sich lehnte, die Ihr mit heilender Kunst sein nüzliches Dasein zu verlaengern Euch bemühtet, die Ihr taeglich mit erleichternder Hilfe ihm nahret! Ihr koemmt die himmlische Geduld uns schildern, die er unter den folterndsten Schmerzen

einer qualvollen Krankheit noch zeigte. Kommt und vollenedet hier das Gemaehlde seiner Tugenden durch Züge, die ich nicht so treu und so lebendig hinzufügen kann, als Ihr!«

»Mein Zwek ist erfüllt. Ich schilderte Euch FELIX BLAU im Tugendkranze der Kindheit, der Jugend, des Maennlichen Alters. Die Zierde jeder Stelle, die er im Laufe seines Lebens bekleidete, gross unter den Streichen des Unglücks, groesser noch bei der Annaeherung des Todes hinterlaesst er der Welt die erhabensten Lehren, das schoenste Vorbild der Tugend und Weisheit. Ewig leben wird er im Andenken der Menschen; und dreimal glücklich, wenn er aus dem Schose der Gottheit, wo der Tugendhafte ausruht von den Mühen des Lebens, auf dem Boden, den er verschoenerte, die Tugenden wieder aufblühen sieht, von welchen der Tod, indem er ihn uns entriss, einen Stamm nur zerknikken konnte.«

Als der Redner geendet hatte, begann eine Trauersymphoniem B. Neeb, Professor der Philosophie und Moral, trat auf die Rdnerbühne, und sprach folgendes:

Bürger!

Erhabenen Geistern, denen das Schiksal für ihre Thatkraft einen weiten Wirkungskreis bestimmt hat, errichtet die Geschichte eine Pyramide der Unsterblichkeit. Dem Manne, der in engeren Bezirke bürgerlicher Verhältnisse seinen Brüdern durch Wort, That und Beispiel nuzte, streuet die dankbare Freundschaft einige Thraenen benezte Blumen auf sein Grab, waelzt einen Denkstein darauf, gehet schweigend davon; und bewahrt das Bild des Tugendhaften im Heiligthume ihres Herzens.

Das Leben des Mannes, gegen den diese traurige Pflicht der Freundschaft zu erfüllen, wir eben versammelt sind, war von dieser Art; ohne Geraeusch und Glanz; aber durchaus der Wahrheit und Tugend geweiht.

Um das Andenken seines Todes würdig zu feiern, haben wir einige hervorstechende Züge aus dem Gemaelde seines Lebens heraus, ein einfacher schmukloser Blumenkranz auf seinen Todtenhügen!

»FELIX BLAU war zu Wallthüren, einem churmainzischen Stadtchen, im Jahre 1754 geboren. Seine Eltern waren bürgerlichen Standes, doch vermoegend genug, ihrem Sohne eine Erziehung zu geben, die der Anlage seines Geistes angemessen war. Seine hoeheren Studien begann und vollendete er auf hiesiger Universitaet, und der Saamen der Wissenschaft, der in seinem Kopfe einen so ergiebigen Boden fand, brachte wenige Jahre darauf an demselben Orte tausendfaeltige Frucht. BLAU war zu seiner Zeit die Blume der akademischen Jugend, bald darauf eine ausgezeichnete Zierde im Kreise oeffentlicher Lehrer.«

»Seine erste bürgerliche Bestimmung erfüllte er zu Aschaffenburg als Diener der Religion; er bildete das Volk auf dem Wege des Evangeliums zur Moralitaet, und lehrte durch sein Beispiel; er gewann die Herzen seiner Gemeinde, und empfand an der guten Wirkung seiner Lehre die Freude einer edlen Selbstbelohnung.«

»Damals hatte sich der würdige Benzel, als Kurator der hiesigen Universitaet zum eigenen Interesse gemacht, aus allen Gegenden Maenner hierher zu berufen, von deren Talent, Aufklaerung, und Eifer für die Wissenschaften sich vieles zur Aufnahme der hohen Schule erwarten liess. Für die Philosophie brauchte er einen Mann, der an die Stelle sinnleerer Formueln, gehaltloser Begriffe, hyperphysischer Grübeleien, mit einem Worte an die Stelle des alten scholastischen Sauerteiges, ein gelaeutertes Vernunft-System einführen würde. BLAU entging auch auf seinem niedern Standorte nicht der Aufmerksamkeit dieses grossen Befoerderers der Wissenschaft, er war der Mann zu diesem Zwekke, und wurde berufen.

Hier treffen wir in dem Gemaelde seines Lebens auf eine dunkle Stelle, die in Ferne wie ein Schatten erscheint, der meheren ansicht aber eine Tiefe seines Karakters eroeffnet, die nur ein schaerferes Auge durchdringen kann. BLAU vertauschte naemlich in kurzer Zeit darauf den philosophischen Lehrstuhl mit einem theologischen. Der Priester der ewigen Vernunft erniedrigte sich zum gedungenen Nachsprecher falscher Auslegungen des goettlichen Wortes (wir sprechen hier aus dem Standpunkte seiner Ueberzeugung). Man sagt: er brachte dieses Opfer der Freundschaft.« In der That ein theures Opfer, aber wer überzeugt, das Tugend das festeste Band der Freundschaft ist, wollte so BLAU´s sympathetiches Gefühl auf Kosten seines moralischen Sinnes retten wollen. Bei diesem seltenen Mann einem so reinen Wahrheitssinne, und einem so unbefangenen Forschgeist müssen wir uns aus einer hoeheren Maxime als dem Interesse der Freundschaft dieses Schritt erklaeren, um ihn gegen den so oft wiederhallenden Vorwurf der Heuchelei zu rechtfertigen.

BLAU sah ein, dass die wieder auflebende Philosophie unterstützt durch den Geist der Zeit, in der Fülle ihrer Jugendkraft, ihre Bahn viel zu rasch laufen würde, als dass die Theologie mit Ketten und Lasten aller Art gedrückt, ihr nur in der Ferne folgen koennte; er erkannte, dass die Vernunft von dem Gebiete des Glaubens durch einen so weiten Raum getrennt, bis dahin nur ein mattes Daemmerlicht bringen koennte; dieses würde die Erscheinung allerlei Nebelgestalten begünstigen, dadurch das Gewissen der Glaeubigen beunruhigen, ohne ihre Vernunft aufzuklaeren. BLAU entschloss sich daher aus Liebe zur Wahrheit sich mit ihrem

Phantome, dem Irrthume vertraut zu machen. Um ihn aus seinen dunklen Gemaechern zum freieren Sonnenstrale zu entführen, und damit auch das Luftgebild zu zerstoeren, gab er selbst in gewisser Beziehung seinen Forschgeist gefangen.

Grosse Geister finden eben da eine passende Gelegenheit einer hoeheren Pflicht Genüge zu thun, wo gemeine Seelen wegen einer unübersteiglichen Hindernis verzweifeln, ihr taegliches Amt zu erfüllen. Ohne Zweifel bedurfte es der ganzen festen Weisheit unseres Freundes, um auf dem schlüpfrigen Wege sicheren Schrittes zu wandeln. Denn wir kann ich dem, was ich für falsch halte, den Schein der Wahrheit geben, ohne diese zu verrathen? wie kann ich fremde Meinungen, deren Gegentheil ich glaube, vortragen, ohne zu heucheln? Du Maertyrer deines Gewissens! Reinigt doch deine in der Folge deiner Uiberzeugung bewiesene Treue von diesem Verdachte? Oder sind deine nachherigen Leiden nur die Soehnopfer einer wirklich schuld? Hier in diesem Saale, wo so oft, fremde Lehren nur von deinen Lippen, nicht aus deinem Herzen flossen, halten deine Schüler und Freunde vor deiner Leiche über dich Todtengericht. Auch uns ist Wahrheit hoeher, als Freundschaft und Dank. Wenn an deiner Seele hier eine Makel haengen bleibt, so bedauern wir dich und uns. Unser Glaube an eine edlere Menschheit so oft durch Erfahrung wankend gemacht, richtete sich an dir wieder auf, hielt sich an dir fest, und waere nun ach! getaeuscht!

Noch ehe der Weise von Koenigsberg[6] eine doppelte Pflicht unterschieden hatte, die eines oeffentlichen Lehrers als Beamten des Staats, und die eines Schriftstellers, als eines Bürgers der Welt, hatte BLAU die Graenze beider Pflichten genau bestimmt, und jede aus ihrem rechten Standpunkte getreu erfüllt. Als oeffentlicher Lehrer der Staatsreligion hatte er sich verbunden, die katholische Dogmatik mit der Reinheit, mit den festen Gründen, als sie faehig ist, vorzutragen. Er war hier das Organ des oeffentlichen Glaubens; und als die Waechter des oeffentlichen Glaubens, aus Misstrauen gegen seine Orthodoxie die geschriebenen Hefte

seiner Vorlesungen heimlich durchsuchten, erfüllten sie ihrer Seits ihre Pflicht. Sie fanden, dass er den Glaubenslehren einen philosophischen Sinn beigelegt hatte, ohne der Auslegung der Kirch zu widersprechen, dass er die Schranken der freien Untersuchung bis hart an die Graenze der tridentinischen Entscheidungen erweitert hatte, ohne sie über diese hinauszurükken. An der gothischen Form des Kirchengebaeudes entdekte er manche Uiberladungen, tadelte er manche unnüzze Windungen, wünschte er manche geschmaklose Verzierungen weggenommen, sprach er laut dagegen, dass durch die wenigen und überdies bemahlten Fenster zu wenige Sonnenstrahlen, und keiner rein, eindringen koennte. – Aber, dass er für sich überzeugt seie, dieses ganze Gebaeude, in dem so Viele Heil und Schutz suchen, ruhe auf verwitterten Saeulen; und diese auf beweglichem Sande; das auf dem Katheder zu sagen, hielt er wider die Pflicht seines Amtes.

BLAU aber der Schriftsteller konnte als Weltbürger an den Eid seines Berufes nicht gebunden seyn. Auf diesem Standpunkte mahnte ihn eine hoehere Pflicht; das, was er nach mühesamem Forschen für wahr und gut fand, der Welt mitzutheilen. Er that es in seinem Werke Kritische Gesichte der kirchlichen Unfehlbarkeit[7]. Mit Vorurtheil freiem Geiste, sein Gedaechniss ausgerüstet mit einem Schazze historischer Kenntnisse, seinen Verstand bewafnet mit der Schaerfe einer gründlichen Beurtheilung, seine Vernunft, gestellt auf eine Hoehe, von der sie eine Thatsache mit ihren mannigfaltigen Beziehungen zusammen hielt, beleuchtend die grosse Tafel der Kirchengeschichte mit der Fakel der Kritik begann er das Meisterwerk. Das Resultat der Untersuchung für seine Uiberzeugung fiel dahin; die Uranfaenge des Glaubens an die Untrüglichkeit einer sichtbaren Kirche, verloere sich in den Zeiten des vierten und dritten Jahrhunderts, da habe dieses Senftkorn ein ergiebiges Erdreich gefunden, sei denn in dem finstern und eisernen Zeitalter der Wissenschaft zu einem unermesslichen Baume aufgeschossen, der mit der Woelbung seines Gipfels das Licht des Himmels auffieng, und mit seinem toedtenden Schatten eine grosse Flaeche der Erde bedekte.

Haette man diese Schrift, anstatt sie strenge zu verbieten, gründlich widerlegt, man haette den Dank des Verfassers verdient, der nur Wahrheit suchte; man haette den Dank der Kirche verdient, die unmoeglich kann das Recht haben wollen, Schriften gegen sie auf eine andere Art in ihrer Geburt zu widerlegen, als durch bessere Belehrung ihrer Urheber.

BLAU war mehrere Jahre oeffentlicher Erzieher junger Geistlichen. Noch ist die Richtung des Geistes unverkennbar, die er seinen Eleven gab. Der Name BLAUIANER bezeichnet eine Klasse junger Geistlichen, die den Geist des Evangeliums bsizzen, den Kern der Religion von ihrer Schale unterscheiden, den belebenden Geist des christlichen Grundgesezzes dem toedtenden Buchstaben des Ceremoniendienstes vorziehen, und dahin arbeiten, Religion und Sittlichkeit in dem praktischen Leben ihrer Gemeinden so enge zu verbinden, als sie in der Theorie unzertrennlich sind.

Wir naeheren uns nun der Epoche seiner Leiden. Geist des samftmüthigen Dulders! erlaube, dass wir von deinen Martern reden, von denen du nie sprachest, ausser wenn du eines geringen Dienstes, einer kleinen Wohlthat, die dir von einer mitleidigen Hand ward, erwaehnen wolltest. Wir wollen an dem Frevelmuthe seiner Peiniger nur die Feuerprobe seiner Tugend sehen, und durch diese Ansicht uns von aller Regung der Rache bewahren, die dem Herzen dieses Opfers der Wahrheit so fremde war.

Zur naemlichen Zeit, als BLAU durch seine gerühmte Schrift eine Reformation im Gebiete der katholischen Glaubenslehre vorbereitete, war die politische Revolution in Frankreich ausgebrochen; sie triumphirte überall. Bald weheten die Fahnen der Freiheit an den Ufern des Rheins, und unsere Stadt oefnete ihre Thore den siegenden Franken. BLAU that das aus innerem Pflichttrieb, was einst Solon durch ein Strafgesetz erzwingen wollte[8]. Bei der gaenzlichen Aufloesung der alten Verfassung blieb er nicht in Unthaetigkeit unschlüssig, bis das Glück entschied, er ergreift muthig Parthei, weise die bessere, gefasst auf misslichen Ausschlag. Es lag im Schiksale, dass BLAU die Freiheit, dieses Palladium der Menschheit in laengerem, haerterem Kampfe erringen sollte. BLAU fiel in die Haende seiner Feinde. Die Misshandlungen, die ihm wiederfuhren, empoeren allesMenschengefühl. Er ward endlich ins Gefaengniss geworfen, und sein Name nur selten ohne Verwünschungen gehoert. Auch nur den unpartheiischen Zuschauer der kannibalischen Wuth gegen ihn musste eine geheime Empfindung von Menschenhass anwandeln, und der Gedanke, dass auch er zu diesem Geschlechte gehoere, musste ihn mit Scham bedeken. Aber in einen Herzen des Leidenden war die Quelle der menschlichen Gesellschaft geworfen, arbeitete er an ihrer Besserung. Was Sokrates seinen Freunden war, war BLAU seinen Mitgefangenen. Lehrer und Troester. Und so wie jener Weise, um auch auf sein Verdorbenes Vaterland nach seinem Tode wohlthaetig zu wirken, ein aelteres moralisches Buch in leichte Verse zu bringen suchte[9], so schrieb dieser aus demselben Zwekke sein Werk; über moralische Bildung[10]. Gleiche Groese Des Geistes, aber nicht gleiche Haerte des Schiksals. Sokrates fand doch noch um sich herum ungetheilte Liebe und Theilnahme. Selbst der Kerkermeister, der ihm den Giftrank reichte, weinte bittere Thraenen, und hat um Verzeihung. BLAU erblikte nichts um sich herum als traurige Jammerbilder, unglükliche Schlachtopfer der Tyrannei, und einen Barbaren als Kerkermeister, der ihn fortstiess, als er wegen Kraenklichkeit einen eben hingekommenen Arzt berathen wollte. O Herr von Winkelmann, glaubst Du wohl, dass dein ganzes adeliches Blut, die faule Quelle deines barbarischen Stolzes, auch nur eine einzige Thraene jenes gemeinen Atheniensers aufwiegt, auf der Wage des Werthes.

Wir fügen noch einen Zug jenem Paralelismus bei. Als Sokrates ausschlug sich des von

seinen Freunden ihm angebotenen Geldes zu bedienen, die Waechter zu bestechen und zu entfliehen, erfüllte er nur eine strenge Pflicht: da aber BLAU, die ihn von seinen Vertrauten zugedachte Unterstützung dürftigeren Mitgefangenen zuwandte, und nur in der aeussersten Noth vier von Hundert zu Frankfurt für ihn niedergelegten Louisd’ors annahm, und zwar nur dann, als er in dem ungenannten Wohlthaeter, einen Busenfreund, muthmasste, trieb er die Zaertlichkeit seines Gewissens fast bis zur Haerte gegen seine Freunde. So eine Festigkeit, so eine Ruhe, so einen hellen Himmel in der Seele, bei dem Wüthen des Sturmes moegen wenige kosten. Er stand da, unbewegt beim Ungewitter, wie die Berge Gottes. Sie zogen endlich vorbei die Donnerwolken. BLAU wurde aus seinem Kerker erloest, lebte einige Jahre in Paris als Beamter des Staates und als Schriftsteller[11] und kann wieder auf vaterlaendischen Boden. Seine Feinde zittern, sie fürchten seine Rache. Denn man muss selbst Tugend haben, um an sie zu glauben. Schwer drükte sie das Bewustsein, dass ihnen der Verlust seiner Gesundheit, die Beraubung seiner geistlichen Pründen zu schulden, und die unpartheiische Pflege der Gerechtigkeit zu schlechtem Troste kaeme. BLAU verzieh: »ich bin nun sicher gegen eure Griffe, nicht aber mein Bruder, er ist bereits 10 Jahre Kaplan, verschaft ihm eine Pfarrei, und beweist dadurch dass ihr in ihm meine Person nicht verfolgen wollt.«

Wer war der bessere Christ? sie, die einen Mann hassen, weil er anderst denkt, oder er, der denen verzeiht, die darum boese an ihm handlen? Er, der verzeiht, weil er nach dem Geiste des Evangeliums auch an verirrten Menschen die Menschheit ehrt, über die nakte Bosheit den Mantel der Liebe dekt, und in dem Verfolgungsgeiste nur die Wirkung eines Irrwahnes findet, den er lieber belehren, als bestrafen moechte.

Langsam an seinem Leben. – Der hoechte Triumph des Gedankens über die Materie ist die gewisse Erwartung des Todes. Auch diese Feuerprobe des hoechsten Muthes hatte die Gottheit dem Tugendhaften bereitet. BLAU fühlte, wie allmaehlig das Oel seines Lebens versiegte, noch blieb ihm die Hofnung. Wer entlaest gern diese so süse, treue Freundin des Lebens? Doch endlich 8 Taege vor seinem Hinscheiden entsagte er ihr, und sank ohne Furcht und ohne Klage in die kalten Arme des Todes.

Meine Brüder! es ist etwas sehr zweideutiges um die menschliche Tugend, so lange sie auf dem Wege des Glükes wandelt, aber wann sie verlassen von allen Lieben, und Wehrten sich an sich haelt, mit der Bosheit kaempft, und siegend durch Selbstthaetigkeitsich zu jener Hoehe schwingt, wo ihr alles ausser ihr klein und veraechtlich erscheint; wann sie, sich immer gleich, beim Wechsel des Sturmes und des Sonnenscheins unaufhaltbar das hoechste Interesse der Menschheit verfolgt; nur denn dürften wir glauben die Tochter des Himmels habe sich in Fleisch und Blut geoffenbaret. Unser moralisches Gefühl nimmt eine religioese Stimmungan; ein heiliger Schauer verkündet uns die Naehe der Gottheit, und die Ahnung goettlicher Abkunft ermuntert uns zu goettlichen Thaten.

Die Laufbahne unseres Freundes war kurz, sein Lauf schnell, und der Krone werth. Diese Zeichnung seines bürgerlichen Lebens ist sehr unvollständig, doch hinreichend aus dem, was er that, zu erkennen, wer er war. Diesem seinen innern Karakter zu enthüllen, aus seinem aeuseren Thun, war unser Zwek. Wer wollte, wer koennte darum alle seine Handlungen würdigen. Sind doch bei dem Tugendhaften seine schoenste Thaten, auch, so weit es von ihm abhaengt, die Verborgensten.

Ich moegte gerne dieser unvollkommnen Karakteristik durch einige bestimmtere Züge, nachhelfen. Verzeihung meiner ungeübten Hand! dass sie ohne Ordnung, nur hingeworfen sind, und meine Absicht, in dem Andenken derer, denen er theuer ist, sein Bild auszurunden, nicht entsprechen.

Unser verblichener Freund war eine schoene Seele in einem schoenen Koerper, ein schlankes Gebild in einer einnehmenden Gestalt. Würde und Anmuth, (eine seltne Vereinigung) war der physiognomische Ausdruk seines Gesichtes. Würde kündigte an die erhabene Stirne, (der Siz des ernsten Gedankens) – der griechische Schnitt seines Profiles, (der Ausdruk einer selbststaendigen Grosheit) – und selbst die Blaesse seiner Wangen, (die Farbe der Ueberlegung). Anmuth strahlte aus dem milden Feuer seines Auges, und schwebte über der schoenen Form seiner Lippen. Sein Blik war voll Ausdruk und Empfindung. Ueber sein ganzes Wesen war ein unnennbarer Zauber verbreitet, der jeden, der ihn zum erstenmal sah, fesselte. Seine Sprache hatte den gesezten Gang der Weisheit, und war sanft wie seine Sitten. Zuweilen hatte seine Miene den Schein einer Strenge, in welchem sich das bedaechtige Nachdenken nachbildete. Seine Manieren waren einfach und gefaellig, und brachten in seinen maennlichen Ernst, jenen Reiz, ohne welchen Zusatz der feste Karakter ein herbes zurükstossendes Aussehen annimmt. Seine ernste Weisheit vertrug sich nicht sehr mit dem leichtsinnigen Wizze. Die muntere Laune, oder der Stachel des lachenden Spottes, waren es nicht, die seine Gespraeche so unterhaltend machten, sondern ihr innerer Gehalt, die reife Frucht des Nachdenkens. Sein Urtheil war immer bescheiden, und hatte nicht den scheidenden Ton derer, die über etwas sprechen, worüber sie noch nicht gedacht haben.

BLAU war kein philosophisches Genie, dazu fehlte ihm jene kühne Einbildungskraft, die mit einem Flügelschlage sich über das ganze Feld der Ideen hebt, die von einander entfernteste Begriffe untereinander würfelt, ihre Beziehungen auffasst, und dem Verstande zur Beurtheilung vorlegt. Aber er hatte das Talent der Kritik; den Geist der kalten Betrachtung. Daher würdigte er mit gleicher Natur und Wahrheit, von Kunst und Blendwerk. Herrschend war an ihm die Neigung zur deutlichen Erkenntnis. Darum hatten alle seine Begriffe mathematische Bestimmtheit und einen Umriss, aber ihr Geist hatte wenig Koerper; dieser keine sanfte Formen, und ein mattes Kororit. Der Vortrag in seinen Schriften war daher etwas trokken, aber die logische Deutlichkeit ihres Inhalts entschaedigt uns für den Mangel an aesthetischer Eleganz des Styles.

Indessen war bei BLAU die moralische Seite bei weitem die bessere, und mehr ausgebildete. Seine Tugend erschien immer in der Gestalt jenes Mittelmasses, das Aristoteles[12] für ihr Wesen haelt. Er war gefaellig gegen jedermann, ohne zu schmeicheln; grosmüthig, gegen Beleidiger ohne Stolz, freimüthig ohne Haerte und Spott, duldend ohne den Schein der Schwaeche. In seiner Seele war nicht ein Schatten von jener falschen Hoeflichkeit, die nie dienstwillig, von jener gleisenden Menschenliebe, die nie wohlthätig ist. Seine Religiosistaet war ohne Andaechtelei, und sein Glaube war aus seiner Tugend hervorgegangen; darum erwartete er die Zukunft ohne Furcht, und entsagte in seinem letzten Tagen seinem Eigenthume mit der heiteren Resignation, die nur aus dem Bewustsein eines besseren Besitzes entspringt, den der Tod nicht streitig macht.

Ich entdekke hier mit Freude, dass, indem ich einen Menschen nach dem Leben zeichne, ich ein treues Bild der Tugend entwerfe. So ist denn Tugend mehr als ein leeres Trostbild, War-

heit mehr als ein schoener Traum, und für gewisse Seelen giebt es einen hoeheren Genuss, als den thierischen Daseins. Die Tugend ist ewig, die Warheit unwandelbar, aber ach! dieser Tugendhafte, dieser Freund der Warheit ist nicht mehr. Diese lebendige Quelle menschlicher Groesse, die durch eigene Kraft in so reichem, reinem Strale empor schos, ist vertroknet. Diese Liebe, an der wir unser Herz so oft erwaermten, ist erloschen; diese Weisheit, die uns so oft leitete, ist verstummt. Und von diesem herrlichen Bilde hoeherer Menschheit, sehen wir nichts mehr, als hier die traurigen Ruinen einer Form, die der Natur so selten gelingt, und dann so leicht zerbricht.

Ist diese kalchichte Knochenmasse, diese Erde, die wir nun zur Erde sammeln, der ganze herrliche Mensch, den wir bewunderten? machte seinem rastlosen Streben nach dem Ideale der Menschheit der lezte Sprung des Blutes ein Ende? ist dieser Geist, der das Unendliche dachte, nach dem Unendlichen gelangte, mit dem lezten Othem verflüchtigt? und ist dieser Wille, der recht that, und den Tod verachtet, doch von diesem vernichtet? o dann lügst du Vernunft, und du Warheit! bst nur eine betrügerische Larve des Scheins!

Nein! du bist, du lebst, Verklaerter! Vollendeter! in einer Welt, die deiner würdiger ist. Du geniessest den Lohn der Tugend, die du so uneigennützig übtest. Du bist naeher der Urquelle der Warheit, nach der du dürstest. Auch bei uns lebst du fort, durch dein Beispiel, durch die Wirkung deiner Tugend, unvergesslich in dem Andenken deiner verwaisten Freunde, und aller Guten, die dich kannten.

Nach Endigung dieser Rede, gab B. Wedekind, Professor der Klinik und Arzt des Verstorbenen, folgende Nachricht von dessen Krankheit:

Republikaner!

BLAU als Bürger, Sohn, Bruder und Freund, als Lehrer und als Reformator, als Revoluzionair und als Staatsmann, hinterlässt der Unvergesslichkeit so viele schoene und edle Züge, dass auch ich Euch deren mehrere zeichnen koennte, weil zehnjaehrige enge Freundschaft und weil meine aerztlichen Verrichtungen mir Gelegenheit genug darboten, diesen seltenen Mann naeher kennen zu lernen. Da mir aber meine Mitredner das traurige Geschaeft überlassen haben, über des Verewigten Krankheit und Tod hier Nachricht zu geben, so muss ich mich im übrigen auf einige Resultate meiner Bemerkungen einschraenken, und auch bei diesen mich denn Standpunkte des Arztes bald wieder naehern.

BLAU genos bei dem Publikum – das heist hier, allenthalben, wo er bekannt war, einer so allgemeinen ausgezeichneten Achtung, dass es eben darum, wie man will, sehr leicht, oder auch sehr schwer ist, sein Lobredner zu werden. Dieser allgemeine Beifall ist allerdings als eine der ersten Glükseligkeiten zu betrachten, deren ein Mensch sich freuen kann; aber ich musste den Werth meines Freundes verkennen, wenn ich hier von seinem aeussern Glükke reden wollte, wohin die allgemeine Achtung beim Publikum eben so gut zu zaehlen ist, wie der Reichtum, weil sie eben so oft wie dieser gestohlen, erbettelt, gefunden oder geschenkt wird. Wer in unserm bei weitem nicht genug aufgeklaerten und gesitteten Zeitalter zu weit über andere hervorragt, geraeth so leicht in den Fall, die Eitelkeit und die Vorurtheile der Menschen zu beleidigen, und den Neid anderer, denen er durch den Drang der Umstaende in den Weg tritt, rege zu machen, dass er bald vom grossen Haufen schief beurtheilt wird, und eine Menge erklaerter Feinde gegen sich auftreten sieht. Ein sehr allgemeiner Beifall, wenn er auch einen in der That verdienstvollen Mann trift, ist darum doch im Ganzen mehr eine Folge seiner Schlauigkeit, als des wahren innern Verdienstes seiner Handlungen selbst.

So gestehe ich denn aufrichtig, dass der allgemeine Beifall, dessen mein verewigter Freund genoss, mir mehr als einmal eine Art von Unruhe einfloesste, und dass ich mich selbst fragte: solltest auch wohl du den Mann durch die Brille des Vorurtheils der Allgemeinheit, oder durch die der persoenlichen Freundschaft beurtheilen? Dazu kam, dass als ich einst den Karakter von Melanchton, welcher mir so viele aehnliche Züge mit dem unsers BLAU darzubieten geschienen hatte, in einem Buche etwas genauer studierte, die Vorwürfe von Furchtsamkeit, von Intrike, und von haeufiger Vermischung der Konvenienz mit der Wahrheit und der Pflicht, welche der Autor diesem so allgemein verehrten Mann machte, meine Unruhe nur zu vermehren dienten, so ungegründet auch dieses über Melanchton ausgesprochene Urtheil seyn mag.

Aber wie erstaunte ich, als ich bei unserm seligen BLAU, alle seine schoene Karaktertugenden, ohne das Gefolg derjenigen Fehler erblikte, die fast immer ihre Gefaehrten zu seyn pflegen! – Was auf dieser Rednerbühne schon von andern gesagt worden ist, und welchem ich gern die Erzaehlung einer Menge beweisender Handlungen beifügen moegte, wenn die Zeit es gestattete, zeiget zur Genüge, dass seine Sanftmuth ohne Heuchelei, dass seine Gefaelligkeit ohne Eitelkeit und geheime Absichten, dass seine Duldsamkeit ohne Indifferentismus, dass seine Versoehnlichkeit ohne Schwaeche oder Intrike, dass seine Nachgiebigkeit ohne Wankelmuth, dass seine Behutsamkeit ohne Furchtsamkeit, und dass der Optimismus, zu welchem er sch oft in seinen Urtheilen über oeffentliche und Privatsachen zu zeigen schien, nichts weniger als Mangel an richtiger Urtheilskraft verrieht, oder eine Folge von hoefischer Schlauigkeit war; und wenn BLAU sich keine Angelegenheit daraus machte, mit seiner Konsequenz im Handeln zu schimmern, so bewies dieser anmasungslose Mann die Festigkeit seiner Grundsäzze da, wo es darum galt.

So wenig ich übrigens besorge, dass Jemand auftreten koenne, um das Gegentheil von dem, was ich über BLAUS Karakter gesagt habe, zu beweisen, so kehrt doch immer noch die Frage des Grübelns zurück: Wie erwarb sich unser verewigter Freund die Volksgunst und die allgemeine Achtung, deren er genos?

BLAU hatte das Glük ein überaus angenehmes Aeuseres zu besizzen, er hatte eine sehr gute Anlage für gesellige Tugenden, er hatte es sich zum festen Grundsazze gemacht, zu schweigen und sich passiv zu verhalten, wo jede Art von Thaetigkeit schaden konnte; Gefaelligkeit und Dienstfertigkeit waren ihm in hohem Grade eigen, und da er aeussere Ehre und was man zeitliche Güter nennt, in ihren wahren Werthe zu würdigen wuste; so entgieng er vielen Kolisionsfaellen; auch hatte die Subordination im geistlichen Stande, wie seine Schwaechlichkeit, seiner Vernunft die Herrschaft über seine Affekten so sehr erleichtert, dass ich mich nie erinnere, ihn in aufbrausender Hizze gesehen zu haben. Dazu rechne man noch, dass er weise genug war, die kritische Stelle eines Aufsehers im hiesigen Seminarium bald aufzugeben, weil er einsahe, dass unüberwindliche Schwierigkeiten sich ihm in den Weg warfen, und darum denn ruhigen Professorenstande sich allein zu widmen, worinn er in einer von der Regierung selbst herbeigeführten Reformationsepoche mit seiner Amtsklugheit auslangen konnte.

So hatte er sich schon, als weiser und rechtschaffender Mann, in grose Achtung gesezt, wie er hier an der Revolution thaetigen Antheil nahm, und wenn der Antheil ihm hiernaechst viele Menschen zu Feinden machte, so wurden diese nachher durch die grosen Mishandlungen, welche ihn bei und nach seiner Gefangennehmung trafen, wiederrum gewissermassen mit ihm ausgesoehnt. Seine Gesundheitsumstaende dienten ihm nachher noch mehr zur Schuzwehr gegen die Verfolgungen des Neides, und er sagte mir einst »Meine Krankheit ist mir doch zu etwas nüzze; weil man glaubt, das ich bald sterben moegte, so haelt man es nicht mehr der Mühe werth mich zu verfolgen.«

Genug um zu erweisen, dass die Allgemeinheit der Achtung, die man unserm BLAU zollte, grosentheils auf Rechnung seines inneren Verdienstes kam, und ganz und gar nicht erschlichen war.

Auf welchen physischen Anlagen mag denn wohl sein moralischer Karakter gegründet seyn? dachte ich oft, wenn mich der seltene Mann in Erstaunen sezte, dessen Vorzüge, dem gewoehnlichen Laufe der moralischen Natur entgegen, wie Licht ohne Schatten waren.

Aber meine Bemühungen, sein Temperament auszuspaehen, waren ebenso fruchtlos als meine Nachforschungen über seine herrschende Leidenschaft edler Neigung – denn auch keine Neigung fand ich bei ihm herrschend, wenn es nicht die war, jede Sache auf dem Probierstein der Wahrheit zu untersuchen, eine Neigung aber, die ihn nichts weniger als stoerrisch, einbildnerisch oder rechthaberisch machte, sondern nur die etwaigen Ausbrüche der Waerme seines feinen moralischen Gefühls durch einen Zusaz von philosophischer Kaelte milderte.

BLAU glaubte schon lange, dass er an der Lungensucht sterben würde[13], weil seine Eltern an dieser Krankheit gestorben waren, weil er eine enge Brust hatte und weil ein im Sommer 1792 überstandenes Faulfieber mit Lungenentzündung eine Verdoppelung seiner Aufmerksamkeit auf seine Gesundheit nachher erforderte; aber diese Aufmerksamkeit fiel mir nie ins kleinliche oder aengstliche, und als in eben diesem Jahre! nach Einzuge der Franken in Mainz, die heilige Sache der Freiheit zu einer rastlosen Thaetigkeit ihn aufrief, so überlies er sich seiner Bürgerpflicht ohne in seinen Gesundheitsumstaenden den schiklichen Vorwand zu suchen, der ihn auf einen sichern Weg haette führen koennen, um es mit keiner Parthei zu verderben. Die Perspektive zur Bischofsmütze auf der einen und die die der ihm drohenden Revolutionsbegebenheiten auf der andern Seite, vermogten ihn eben so wenig zurükzuhalten, als sein Hang für ein ruhiges spekulatives Leben, und eine Menge anderer Beweggründe mehr; denn moralische Pflicht gieng bei ihm über alles.

Indessen schadete die Anstrengung, deren er sich in seinen politischen Arbeiten überlies, seiner Gesundheit sehr merklich, so dass ihm darum die fürchterlichen Mishandlungen, die ihm nach seiner Gefangennehmung im Frühjahr 1793 mehrerer Orten, vorzüglich in der freien Reichsstadt Frankfurt, zu theil wurden, um so mehr nachtheilig werden mussten[14], und die Lungensucht wirklich bei ihm zum Ausbruche brachten, die schon zu einem betraechtlichen Grad von Hoehe gestiegen war, als ich ihn zu Strasburg im Jahre 1795 wieder sahe.

Alle Nachrichten, welche ich in der Folge von Paris aus über seinen Gesundheitszustand erhielt, waren nur sichere Bestaetigungen vom Fortgang seines Uibels.

Hier in Mainz hoffte er indessen seine Gesundheit wieder zu finden, auch besserte sich wirklich im vorigen Sommer sein Zustand um ein Merkliches. Aber sein ziemlich gutes Aussehen, seine nicht betraechtliche Abmagerung, seine nicht schlechte Verdauung im Gegensatz mit seiner ausnehmend starken Engbrüstigkeit, mit seinem unordentlichen oft ausgezerrten Pulse, und mit den andern Zufaellen seines eingentlichen Lungenübels. – Die Vereinigung aller übrigen hier nicht bemerkbaren Zufaelle – liessen mich auf ein zusammengesetztes Uibel schliessen, dessen Heilung mir, unmöglich schien.

Als das letzte Thauwetter eintrat, wurde er gaehlings am 26ten v. M. von einer heftigen Lungenentzündung befallen, und seine Leiden waren fürchterlich jedem, der ihn athmen sah und hoerte. Nur ich vernahm von ihm die mir noethige Beschreibung seines Leidens, klagen hoerte ihn Niemand, vielmehr suchte er auf alle Weise den Kummer der Umstehenden zu lindern. Am achten Tage machte diese neue Krankheit, wobei er übrigens sich bis auf den lezten Augenblik gleich blieb, seinen Quaalen ein Ende. – O meine Freunde, noch nie sah ich einen Menschen auf dem Sterbebette, dessen moralisches, so unabhaengig vom physischen Einflus des Koerpers geblieben war.

Bei der Eroeffnung des todten Koerpers fand man alles, was an der Brust beweglicher Knorpel seyn soll, in feste Knochensubstanz veraendert, die Lungen waren genau mit dem Brustfell verwachsen, der Herzbeutel und die innern Brusthoelungen waren voll Wasser, die Lungenblaesgen aber theils mit einer dikken (kaesigten) Substanz ausgestopft, welche mehreren Lungenentzündungen zugeschrieben werden kann, und vielleicht zu seiner Engbrüstigkeit noch mehr beitrug, als die verknoecherten Rippenknorpel.

Unvergesslicher Freund! durchwandle im Frieden das Unermesliche der Ewigkeit; aber Heil und Sieg allen Republikanern, die, wie du, nach Wahrheit forschen, und die ihre Leidenschaften zu baendigen wissen!

Bürger REBMANN, Richter des Civilgerichts vom Departement des Donnersbergs, hielt mit Rührung folgende Rede:

Ich komme, um auf das Grab des würdigen BLAU im Namen seiner Kollegen einige Blumen zu streuen.

Mag sein künftiger Biograph mit gerechtem Unwillen die Grausamkeiten einiger blinden Schwaermer, und einiger herzlosen Boesewichter schildern, welche durch kannibalische Mishandlungen dem Grund zu seinem Tode legten! Wer koennte hier an dieser Staette, bei der Leiche eines Mannes, der nie Groll heegte, dessen Sanftmuth jedem Gedanken an Rache widerstrebte, eines Mannes, der noch in seinen lezten Tagen, mitten unter den heftigsten Schmerzen mit himmlischer Verzeihung sich für die Familie eines seiner Verfolger verwandte, wer koennte bei dieser Leiche andern, als sanften Empfindungen Raum geben? Wer koennte an dem Sarge, welcher die Uiberreste unsers Freundes in sich schliesst, der nie um Verschiedenheit der Meinungen willen Jemanden hasste, dessen granzes Leben eine Reihe von edlen, stillwohlthaetigen, prunklosen Handlungen der Menschenliebe darbietet, der so gerne jedes erlittene Unrecht vergass, bittre, heftige Leidenschaften aufregen wollen? Kein Ausbruch des Unwillens darf diese heilige Luft erschüttern. Stille Wehmut sei unsre einzige Empfindung.

Allgemein und gerecht ist diese Wehmuth am Grabe unsers erblassten Freundes, der nicht nur als Mensch, als Bürger, und als Staatsbeamter jede seiner Pflichten mit der strengsten Gewissenhaftigkeit erfüllte, der nicht nur stets nach Grundsaezzen und nach Uiberzeugung handelte, der nicht nur nichts wollte, als was recht, edel und gut war, sondern dem auch kein Opfer zu gros schien, sobald es darauf ankam, Sittlichkeit und Menschenglük zu befoerdern. Die allgemeine Rührung, die dankbaren Thraenen seiner Mitbürger, der Eifer, womit sich Menschen von allen Staenden, Menschen, sonst durch verschiedene Meinungen sich fremd, einmüthig und freiwillig herzudraengen, um Ihm die letzte Ehre zu erzeigen, sprechen lauter, als es der feurigste Lobredner koennte. Wenn die ehrwürdige Anstalt der todtengerichte noch bei uns Sitte wäre, so würde man das versammelte Volk fragen koennen: »wen hat dieser Mann je gekraenkt!« Und selbst seine, jedes edleren Gefühls unfaehige Moerder aus der entmenschten Hefe des vornehmen Poebels würden verstummen müssen. Sollte man aber fragen; »Wem hat er genützt?« »Wem war er Lehrer und Beispiel der Weisheit und Tugend?« »Wen beschützte er gegen Ungerechtigkeit? Wem vergalt er Boeses mit Gutem?« O so würden hundert Stimmen sich erheben, um ihn zu preisen. Nicht deine Freunde, unvergesslicher Verstorbener! Nein! Deine Gegner selbst müssten deine Grabschrift entwerfen; und sie würde heißen: Hier liegt ein bescheidener, edler Mann der Wahrheit und des Rechts. Und wir, seine Freunde, mit ihm naeher verbunden durch Grundsaezze, denen er bis zum Tod treu blieb, würden hinzusezzen: Hier liegt ein moralisch freier Mann, der ohne Selbstsucht auch seines Vaterlandes Freiheit zu gründen suchte.

So ruhe denn sanft, du biedrer, unerschütterlicher Freund und Maertyrer der Freiheit und der Tugend! Nimm mit dem allgemeinen Danke deiner Mitbürger, auch den besondern deiner Mitstreiter hin, mit denen du so treu die Last der oft undankbaren Geschaefte theiltest, und deren Vorbild du noch lange bleiben wirst. Nimm auch insbesondere meinen Dank und meine Thraenen hin! Ich war Zeuge deiner stillen Tugend, deiner Entfernung von aller Intrike in dieser Hauptstadt, wo du deinen Einfluss nie für dich, nur zum allgemeinen Wohl und zum Besten deiner Freunde benuztest; mit dir in Gefahren, daempfte oft deine Ergebung, deine gleichmüthige Ruhe, meine aufbrausende Hizze; ein ehrenvoller Ruf machte dich zu meinem Gefaehrten auf der Reise und im Amte; als die Verlaeumdung ihren giftigen Pfeil gegen mich schoss, bewaehrtest du dich als ein muthvoller Freund in der Noth; eine neue Laufbahn winkte dir; du würdest sie eben so ehrenvoll erfüllt haben; aber im Buche des Schiksals war es geschrieben, dass du die so ersehnte, die so verdiente Belohnung deiner Rechtschaffenheit nicht lange geniessen solltest, du solltest sterben, um uns durch die Art, wie du deinen lezten Augenblikken entgegen giengst, ein neues Beispiel der Sanftmuth, der edelsten Fassung zu geben. So ruhe denn sanft, du biedrer, unerschütterlicher Freund. Und Maertyrer des Rechts und der Tugend! Du hinterlaesst deiner Vaterstadt die troestliche Aussicht auf Glük und Freiheit, und deinen Mitbürgern das Andenken deine Tugenden!

Nach dieser Trauersimphonie las Bürger COSSON, Kommissaire des Vollziehungs-Direktoriums bei der Generalverwaltung folgendes Gedicht zum Lobe des edlen Todten ab.

Auf einem Bett aus Zypressen, von einem Lorbeer beschattet,
Trug man eines Tages einen berühmten Krieger.
Ein Soldat erkannte im Vorbeigehen seine Waffen,
Bei diesem unheilvollen Anblick fühlte er seine Tränen rinnen.
Augenblicklich rief er laut: ich bin es, ich allein,
dem die Ehre zuteil werden sollte, diesen großen Mann zu preisen,
wirklich, ich habe diese Tugenden, die man nun aufzählt, aus nächster Nähe erlebt.
Er war tapfer doch nicht ohne zugleich Mensch zu sein.
Verhaßt waren ihm der Krieg und sein mörderisches Handwerk;
Erhaben über die Furcht, erhaben auch über die Mißgunst,
rettete zweimal er in Schlachten mir das Leben …,

Wenn all jene, die diesem erhabenen Toten verpflichtet sind,
in einem plötzlichen Schwange und in gemeinsamer Anstrengung
es gewagt hätten, seinen Leichenzug auch nur anzuhalten,
um die Trauer, die allein die Zeit zu lindern vermag, in Bilder zu fassen,
müßten wir den Moment weit hinausschieben,
der ihn [=in dem man ihn] hinabsteigen sähe zu seiner letzten Ruhestatt.

Ich verdanke ihm, würde der eine sagen, den Segen meines Sehens [= Aufklärung, Vernunft].

Seine Fürsorge entsiegelte meine blinden Lider,

ein Anderer: in allem Unheil und in allem Kummer

Ergoß er über mein Herz seinen Trost.

Und ganz besonders ein dritter, mit bebender Stimme,

der das Übermaß seiner verletzenden Hand stets geleugnet hat,

würde den erstaunten Anwesenden wieder und wieder wiederholen:

Ah! Noch seine letzten Blicke verziehen mir…

Was mich betrifft, der ich dieses würdige und werte Objekt eurer langen

Erinnerung erst im Augenblick seines Todes kennengelernt habe,

Auch ich komme herbei um meine Stimme unter eure Klagen zu mischen,

und traurig einige Verse in seinen Grabstein zu meißeln:

Junger Mann, erinnere dich hier des ersten Schriftstellers,

der in diesen Mauern die Ehrungen des Geistes

und der, durch sein Vorbild und seine Philosophie,

hier die Keimzelle republikanischen Geistes schuf.[15]

Der Sarg ward verschlossen, und in die Mitte des Hofes gebracht, wo unter den Baeumen eine Grube bereit war, ihn zu empfangen.

Bürger LENNÉ tritt an das Grab, und hielt folgende Rede:

Bürger!

Ich les es in euren Blikken, die Stunde des Abschieds von unserm edlen Freunde, ist eine traurige Stunde. – Wir sollen Dich also nicht wiedersehen, sanfter Mann? – Dein Kampf gegen Vorurtheil und Tyrannei ist also ausgestritten? Du hast sie errungen die rühmliche Palme der Tugend, und willst sie gewis nicht für den Lorbeer des Eroberers vertauschen.

O des schoenen Siegs, der der Menschheit kein Blut, als das Deinige, keine Thraenen, als die Deinigen, gekostet hat. – Der erhabene Geist, dessen Darseyn wir ahnden, nahm deine reine Seele zurük, die Mutter Erde fordert ihre verwelkte Hülle, und auch diesen heiligen Rest koennen wir nicht vorenthalten. Bald bist Du ganz für uns verloren. – Aber nein! Du bleibst unter uns, Du lebst, denn der Tugendhafte stirbt ja nicht, lebst in der Brust deiner Freunde, in dem Andenken aller guten Menschen, in dem Danke der Nachwelt.

Wir trauern nicht um Dich, um uns trauern wir, um die Menschheit trauern wird, um das Vaterland trauern wir; denn uns war dein sanftes Herz; ihr waren alle Kraefte deines Geistes, ihm deine Standhaftigkeit in Gefahren und Verfolgung, deine weiten Lehren, dein Beispiel gewidmet. Wie ein lenkender Genius soll künftig dieses sokratishe Beispiel vor uns herwandeln; wenn der Sturm der Leidenschaften unsre Vernunft betaeubt, soll er uns zuflüstern; wie würde BLAU gehandelt haben? und sie wird erwachen.

O koennt´ ich seine Moerder an diese Grube führen! Koennt´ ich sie fragen: »warum habt ihr diesen schuldlosen Mann gepeinigt? Zeit mir die Familie, deren Ruhe er gestoert, deren Glük er zertrümmert hat, zeigt mir auch nur das Kind, dem er eine Thraene entpresste.« - Aber er dachte nicht wie ihr? – Gerechter Himmel! Wer haette er seyn müssen, um zu denken wie ihr; würde ein Redlicher an seinem Grabe weinen, hatte´ er gedacht wie ihr? – Aber er that, er heuchelte nicht einmal, wie ihr wolltet? – War das sein Verbrechen? – Wohlan! So straft euch das sanftmüthige Lamm, weil es nicht die Krallen des Wolfes hat, so mordet auch das edlere Pferd, weil es nicht die Hoerner des Stieres traegt.

Aber weg mit der Erinnerung an jene Verworfene! Am Grabe dieses Menschenfreundes darf nur die Stimme des Friedens und der Maessigung sprechen, denn er selbst kannte keine andere Sprache.

Hütet euch ihnen gleich zu werden, sagte er oft, wenn der Unwille der Gefaehrten seiner Leiden zu laut ward. Das wollen wir! Hoer´ es, Geist des Edlen! wenn Du über uns schwesbst, wir wollen uns hüten vor dem Gefühl der Rache, das uns deiner unwürdig machte.

Wir senken deine Hülle nicht in geweihte Erde, aber Du weihest die Erde, in die wir sie senken; wir besprengen diesen Sarg nicht mit kaltem gesegnetem Wasser, aber das Gefühl deiner Tugend heiligt die heisen Thraenen deiner Freunde.

So scheide denn hin!!! Der Arm des Schiksals ist staerker als unsre Kraft; er riss dich von unsrer Brust, und waffenlos und besiegt müssen wir selbst ihm seine Beute bringen.

Doch ehe wir Dich verlassen, erfüllen wir noch eine heilige Pflicht.

Bürger! Reicht euch über dem Sarge unsers scheidenden Freundes die Hand, und gelobt ihm; seinen Grundsaezzen treu zu bleiben, sein Andenken gegen die Schlange der Verlaeumdung zu vertheidigen, seinen Moerdern zu verzeihen, zu leben, und zu sterben wie Er, als Freunde Gottes und der Menschen, als Freunde der Wahrheit und Freiheit, als Retter des Hilflosen, und Beschützer des Redlichen, aber auch als Feinde des Trugs und der Willkühr, des Aberglaubens und der Heuchelei.

Ich schwoer´ es in eurem und meinem Namen… -

Und nun Mutter Erde! empfange mit Dank die gebliebene Hülle zurük, und du ewiges Wesen! ist es nicht den Gesezzen der Natur entgegen, o so lass seinen Geist, wenn auch in einer fernen, aber glüklichen Region eine andre Hülle bewohnen, dass die Menschheit nicht bei dem Verluste ihrer Lehrer an Tugend und Aufklaerung verarme.

Nach Endigung dieser Rede warf Bürger COSSON Erde auf den Sarg, und überall nahmen thraenende Augen Abschied von dem edlen Freunde der Menschheit, den man unter der Melodie des Marseiller Lieds, welche die Trauermusik mit gedaempftem Tone spielte, in den vaterlaendischen Boden verscharrte.

Friede sei mit der Asche des friedlichen Mannes!

Vers
zu singen bei der Beerdigung
des Bürgers
Felix Blau

Wenn der Mensch seinen Lebensweg beendet,
sagt ein jeder: „Dieser Mensch lebt nicht mehr…“
Doch wenn das auch wahr sein mag im Hinblick auf seinen Staub (= seinen sterblichen Leib),
ist es das nicht im Hinblick auf seine Tugenden. (2x)

Denn durch sie kann er weiterleben,
und die Nacht des Grabes durchbrechen
und so den edlen Soldaten anregen,
sie zu lieben und ihnen nachzueifern.

CHOR

Derjenige, um den wir trauern, lebt ewig in unseren Herzen,
er lebt; er lebt, vermittels seiner Tugenden, seiner Vaterlandsliebe und seines Wesens. (2x)

LEMBERT.

BEITRAG

ZU DEN ANFÄLLEN DER LEIDENDEN MENSCHHEIT.[16]

Die Rükerinnerung an BLAU muss allen seinen Freunden immer theuer seyn! Die Erzaehlung seiner Leiden reisst bei ihnen zwar alle Wunden wieder auf, die ihnen seit mehreren Jahren Wuth und Rachgier geschlagen hatte. Aber hat man davon üble Folgen bei Maennern zu befürchten, die in ihrer Moralitaet, wie sie es oft, aber am staerksten seit einen Jahre bewiesen, das beste Heilmittel gefunden haben!

Er ist nicht mehr, unser Freund! Durch seinen Tod hat nicht allein die wissenschaftliche Welt, sondern haben auch alle seine Mitbürger einen unschaezzbaren Verlust erlitten. Er war das Muster eines moralischen Menschen. Was nüzte er nicht durch sein untadelhaftes Beispiel seinen ihn ungebenden Freunden? – Dieses Beispiel wurde sogar auch von denen, die ihn im Tode noch hassten, anerkannt. Seine Seele athmete nur Vergebung! Er kannte die Rache nicht! Er ermunterte viele seiner Unglüksgefaehrten zu eben der Handlungsweise.

Erinnert euch hier, ihr Unbesonnenen, die ihr aufgereizt durch schaendliche Menschen eure eignen Leidenschaften befriediget; ihr, die ihr vor mehreren Jahren eure Füstritte mit dem Blute eurer Mitbürger bezeichnetet; ihr, die nicht verfolgt, nicht gepeinigt, nur waehnet, kalten Gesezzen dafür Dank schuldig zu seyn; ihr, die ihr euch noch jezt oft so vergesst, - oder vielmer euch noch so gleich seid – die ihr, wiewohl ohnmaechtig, eurer alten Wuth, durch neue Drohungen Luft macht; erinnert euch, dass ihr groestentheils in der Tugend der von euch mishandelten Rettung fandet!

Ich war eine Zeitlang selbst Augenzeuge, und Theilnehmer an BLAUS unbeschreiblichen Leiden, die er mit der musterhaftesten Standhaftigkeit ertrug. Am 8ten April 1793 kam in Frankfurt der Befehl an, die gefangenen Patrioten nach Koenigstein zu führen. Ich sass mit B. Dassel von Woerstatt, so wie mit B.Mader und mehreren andern auf der Hauptwache gefangen. Gegen Mittag stellte man uns neben die Hauptwache zur Schau dem rasenden Poebel – unter welchem eine grose Menge sehr gut gekleideter Herrn waren – aus. BLAU mit Ketten an B. Scheuer geschlossen, und neben ihm B. Arensberger, ebenfalls in Ketten, standen an der Spitze. Mader´n war eine Chaise zugestanden worden, die ihn transportiren sollte. Der preussische Kommandant Lucadow, ein achtungswürdiger Mann, hatte mir auf Verwendung einiger gefühlvoller Maenner, unter welchen ich vorzüglich den Reichsfiscal Werner von Wezlar! den Kanzleirath Boehmer und Hofrath Dr. Koch in Frankfurt, so wie den Domherrn Stadion von Mainz nennen muss, erlaubt, mich zu Mader´n sezzen zu dürfen. Auch Dassel blieb bei uns. Die übrigen Gefangene waren groestetheils unglückliche Bauern, von denen manche weder auf den Namen Patriot Anspruch machen wollten, noch konnten, sondern die durch Rachgier und Bosheit, bei der schaendlichen Gelegenheit, die Szekuli und sein Raeuber-Corps dazu darbot, auf eine laengere oder kürzere Zeit, allem nur erdenklichen Jammer, Schmach und Elend PReiss gegeben worden waren.

Meine Schilderung würde nicht hinreichen, die Scene zu beschreiben, mit der sich damals Frankfurts Poebel brandmarkte. Unsre Bedekkung - oder vielmehr die darmstaedtischen Soldaten die uns bedekken sollten, aber nur das Gegentheil davon thaten, gehoerten zum Regiment des Obrist Schmalkalden. Sie und viele ihrer Offiziere reizten zu noch groesern Zügellosigkeiten die vereinte Volksmenge an. »Wir wollen euch zeigen, dass wir Hessen sind« war ihr rümliches Feldgeschrei. Ein Offizier zerschlug unsere Chaisenfenster und rief dem Volke zu, uns mit Koth zu bewerfen, weil, wie er behauptete »der Praesident von Mainzer Klubb, Metternich, darinn befindlich waere.« Die Soldaten hielten uns einmal über das andre die Flinten auf die Brust, und drohten uns zu erschiessen. Aber gegen niemand wurde die Wuth so weit getrieben, als gegen BLAU, Scheuer, und Arensberger. Wir alle, aber besonders sie musten stundenlang einen Regen von Steinen, Koth, und geflissentlich herbeigebrachten Eiern auszuhalten.

Der preussische Plazmajor, ich nenne den Namen dieses harten Mannes, der nie als spottend zu uns kam, mit Entsetzen - Raden - war der, dem diese Anordnung vorzüglich zur Last fallen muss. Lucadow´s Karakter ist zu bekannt, als dass man ihm unnoethige, geflissentliche Haerte zur Last legen darf. Raden war der Executor seiner Befehle, denen er manichfaltige Modificationen zu geben wusste. Er war der, der den frankfurter Kerkermeister die Treppe hinunter warf, als dieser ihm meldete, dass eine betraechtliche Anzahl gefangener Patrioten, nun dem Tode nahe waeren, weil sie seit mehreren Tagen die 8 Kr. zu ihrem Unterhalt nicht bekommen haetten, die Raden ausbezahlen musste. Dies erzaehlte uns unter andern, der brach Echtzeler, Lieutenant des frankfurter Kontingents; und er war es, der den armen Gefangenen einen grosen Thaler von mir zustekte, durch welchen sie aufs neue ihr Leben fristen konnten. Sie haben, wie Ehtzeler sagte, Gott auf den Knien für ihre Rettung gedankt, und sich sogleich Brandewein und Brod durch den Kerkermeister kaufen lassen. B. Krebs von Donnersheim war mit unter dieser Zahl.

Endlich gieng der Zug langsam zum Bokkenheimer Thore hinaus. Vor der Stadt eroeffnete sich nun eine andre kam nibalische Szene. Jeder Soldat, mit einem Hasselstok bewaffnet, schlug auf die armen Gefangenen mit der unbeschreiblichst-schaendlichsten Wuth zu. Jeder zerschlagene Stok wurde im naechsten besten Zaune ergaenzt. An der Spizze dieser Moerder-Schaar zeichnete sich vorzugsweise der kommandirende Lieutenant aus - und ihn begleitete, um isch eine kleine Zerstreuung zu machen, einer seiner Herrn Kameraden. Beide zerschlugen ihre spanischen Roehre auf BLAUEN und seinen beiden Begleitern. Endlich zog aus Aerger darüber letzterer den Degen, und nahm noch fuchtelnd damit den Abschied nach der Stadt zu. Wir in der Chaise waren freilich vor den Schlaegen gesichert; der frankfurter Poebel begleitete uns nur bis in die Gegend von Bokkenheim, sich erinnernd, dass er ja solcher herzergoezzender Schaspiele wegen, nicht weit zu gehen noethig habe. Aber konnten wohl damit unsre Herzen beruhigt seyn? Wir sahen ja Jammer ohne Vergleichung, BLAU trat jeden Schritt mit Scheuer und Arensberger in ihr eigenes Blut. Man denke sich den sanften tugendhaften BLAU! Nicht ein Wort des Schmerzens, noch weniger ein Laut der Unwillen zeigte, entfuhr ihm! »Gott vergieb ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun!« mochte sein einziger Gedanke seyn. Seine Standhaftigkeit war unerschütterlich; er selbst so schwach, er munterte noch durch seinen Zuspruch seine armen Brüder.

So kam der Zug nach Schwalbach, einem Dorfe zwei Stunden von Frankfurt. Hier hielten die ermüdeten Soldaten still, und liessen sich mit Wein von ihren armen Schlachtopfern, von denen manche noch Geld haben mochten, traktiren. Ich benuzte mit Mader´n und Dassel die Gelegenheit auch Wein holen zu lassen. Wir bewirtheten den Offizier und die beiden uns zugegebenen Soldaten. - Ich weiss nicht, ob ich es nicht eine Art von Besinnung nennen darf, wenn ich annehme, dass der Offizier, - nicht unsrer - sondern vielleicht der Chaise wgen, - auf uns Rüksicht zu nehmen anfieng. Wir bemerkten dieses, und baten instaendig um Erleichterung des Schiksals der Gefangenen, und insonderheit, für BLAU, Scheuer und Arensberger. Wir baten um Erlaubnis bis Koenigstein gehen zu dürfen, und dass man sie statt unserer moechte fahren lassen. Leider erhielten wir nichts weiter, als dass sie sich vorn auf das Kofferbret sezzen durften, wo sie doch wenigstens von den koerperlichen Miss-handlungen, die die ürbiren zwei Stunden - troz des genossenen Weins - über die andern Gefangenen fortdauerten, befreiet waren. In Schwalbach bemerkte ich, dass sich der dortige Pfarrer ganz ordentlich gegen BLAU betrug, und ihm Wein und Erfrischungen brachte.

BLAU und ich sprachen bis Koenigstein zusammen. Es war den Tag das erstemal, das ich ihn gesehen hatte. Er aeusserte auch nun, wo ihn kein Soldat hoeren konnte, nicht die mindeste Erbitterung über seine Peiniger - aber man bemerkte auch keine Niederdrükkung des Gemüths an ihm. Er fühlte und bedauerte nur ganz allein den Schimpf und die Schande, die sich Geschoepfe in menschlicher Gestalt, selbst, durch die Schmach ihrer Brüder, anthun konnten.

Wir kamen endlich nach Koenigstein. Alle Gesichter der braven Einwohner des Staedtchens aeusserten Mitleiden mit unsrer Lage. Niemand hoehnte. Wir wurden auf der Veste von mainzer Soldaten, welche der Husaren-Lieutenant Blaviere kommandirte, empfangen.

»Herr Kamerad, sagte Blaviere, sind das die, die sie haben bedekken sollen?« - Der Darmstaedter schwieg; - Konnte er eine staerkre Antwort geben? »Fürchtet nicht, sagte Blaviere, von meinen Leuten mishandelt zu werden - wir sind eure Richter nicht.«

Hier schalte ich ein, dass dieser gefülvolle Mann, bald mit Winkelmann verwechselt wurde, so wie auch Stadion durch Bibra ersezt worden war.

Wir wurden gezaehlt. Einer war mehr da, als die Uiberlieferungsliste enthielt. Wie geht das zu? sagte Blaviere, Der Darmstaedter wusste es nicht!!! Und kein Gefangner sprach. - Ein alter Jude, wie man mir sagte, von Frankenthal gebürtig, stand nicht mit auf der Liste. Sein Koerper war voller Beulen, und braun und blau geschlagen. Er hatte seine Schuhe mit silbernen Schnallen verloren, und hatte sie nicht wieder aufheben dürfen. Seine Füsse waren vom Gehen auf Steinen und Sand schroeklich verwundet.

Blaviere fragte ihn, warum er nicht auf der Liste stehe? Und er erwiederte »dass er nicht - zu den Gefangenen gehoere; dass er unter den bokkenheimer Thore von dem wüthenen Poebel unter sei gedraengt worden sei; dass die Soldaten, seiner Bitten und Vorstellungen ohngeachtet, ihn die vier Stunden von Frankfurt bis Koenigstein hergeprügelt haetten; und dass er glaube, er würde sterben müssen.« !!!

Blaviere lies ihn auf einen Karren laden, und noch denselben Tag zurük nach Frankfurt fahren, wo er, noch denselben Abend - an seinen Wunden starb.

Zweifelt man nun noch, an dem, was alle übrigen Gefangene, aber insbesonderheit BLAU den Tag erdulden mussten? Sollte es wohl Menschen geben, die nach Lesung dieser wahren Thatsache glauben koennten »ich habe vergroessert?« Nein das that ich nicht, aber ich wollte auch eben so wenig die Wahrheit verschweigen - nur die Feder versgte mir diesen traurigen Dienst.

Aber traure auch nicht stets, o Menschheit, weil du schon so manchen Braven verloren hast; weil so mancher deiner treuen Soehne um dich litt und - Brüder sie verleugnen konnten! Sei auch froh, denn du hast noch der Guten viele unter dir! Selbst Frankfurt, in dessen Mauern solche Unmenschlichkeiten geschahen, lieferte mir davon erfreuende Beispiele. Wir trafen in Koenigstein den biedern Boehmer, der manchem half, und vielen durch B. Liebeskind Geld austheilen liess, an.

Damals endete BLAU seine Leiden noch nicht. Nein, nach einer schroeklichen Verlaengerung derselben wurde er noch belohnt, durch Erfüllung seines heissesten Wunsches. Er erlebte, zwar mit siechendem Koerper, als Folge der überstandenen Qualen, noch Zeiten, in denen er seinen Feinden verzeihen, und mit Recht für die Menschheit glüklichern Zeiten entgegen-sehen konnte.

Koeler

Anhang über BLAU´S Krankheit

Noch einige Bemerkungen über die Krankheit des verstorbenen Br. BLAU, will ich dem Leser hier mittheilen, weil ich sie des Aufhebens werth finde.

Die Eröefnung des Leichnams geschah in meinem Beisein durch meinen Kollegen Prof. Akermann und durch Bürger Renard, 32 Stunden nach dem erfolgten Ableben des Verstorbenen.

Der Koerper war nicht sonderlich abgezehrt. Sowohl in der durchschnittenen Fetthaut, als in dem Zellgewebe zwischen den Muskeln sahe man die gewoehnliche Menge Fett. Das Muskelfleisch hatte ein dichtes Gewebe, die Fasernbaende waren noch ziemlich stark, und hatten eine hochrothe Farbe.

Als die Leiche zum Untersuchen auf eine wagrechte Tafel gelegt wurde, floss aus dem Munde ein gelbliches Wasser in großer Menge aus, das ohngefaehr 3 Schoppen betragen mogte.

Bei Eroefnung der von Natur zu platten Brust, konnten die Rippenknorpel nicht durchschnitten werden; genau angesehen schienen sie mit einer knöchernen Borke überzogen. Die Lunge war in ihrem ganzen Umfange, durch widernatürliche Baender mit dem Rippenfell fest verwachsen, so dass auch der dreiseitige leere Raum (mediastinum anterius) voellig getilgt war. Die Lunge war etwas ausgedehnt, und enthielt viele Luft in ihrem Gewebe. Der groeste Theil derselben war mit einer kaesigen Materie, welche hart und gelblicht war, angefüllet. Diese Materie schien durch das organische Gewebe, wie in besondere Zellgen ausgegossen zu sein. – Die Lunge wurde nach alen Richtungen durchschnitten, und nirgends fand sich eine Spur eines Eitersaks. Der Herzbeutel war voll Wasser.

Ein umstaendliche Krankheitsgeschichte darf ich hier des Raumes halber nicht mittheilen; aber einige Bemerkungen will ich doch dem, was bereits (S. 60) eroertert worden ist, beifügen, um meine Meinung über die eigentliche Natur dieser sonderbaren Krankheit zu sagen, und um dem medizinischen Leser Gelegenheit zu geben, sich etwas anders aus den Umstaenden zu folgern, wenn er mir nicht Beifall geben kann.

Manche haben daran zweifeln wollen, ob BLAU lungensüchtig waere? andere glaubten dagen seit seiner Rükkunft von Paris, vor etwa 10 Monaten, er koennte nur noch wenige Tage zu leben haben.

Wer Vormittags zu BLAU kam, wenn er gemaechlich auf seinem Kanape sas, und mit seinem Morgenauswurfe zu Ende war, konnte leicht auf den Gedanken kommen, dass es mit seiner Krankheit wenig zu bedeuten haben moegte, weil er ein ziemlich frisches Aussehen hatte, weil er eben nicht magerer war, wie ehedem, und weil sich auch unter obigen Umstaenden keine Engbrüstigkeit zeigte.

Wer hingegen auf die große Menge des Auswurfs und dessen eiteraehnliche Beschaffenheit, und auf die große Engbrüstigkeit, welche auf jede geringe Anstrengung der Kraefte, z.B. nach einer Ausleerung, nach dem Treppensteigen etc. sogleich folgte, und den Kranken noethigte, eine Zeitlang still zu sizzen, bis er wieder reden konnte, Rüksicht nahm, und wer ausserdem noch wusste, dass BLAU mehrmals Blut gehustet, mit seinem Auswurfe schon Jahre lang behaftet war, und Lungenentzündungen gehabt hatte, der musste freilig ein anderes Urtheil faellen.

Indessen nahm ich nie ein hektisches Fieber bei ihm wahr, wie es sonst bei Lungensuchten von Lungengeschwüren die Einsaugung des Eiters hervorbringt, auch war der Kranke ohne Nachtschweisse, konnte auf beiden Seiten der Brust, auch (ausgenommen in der letzten Krankheit) ziemlich niedrig mit dem Kopfe liegen, empfand nirgend einen Schmerz oder Druk in der Brust, und hatte auch nie Geschwulst an den Haenden, oder an den Füssen. Wenn er recht ruhig sas, und wenig redete, schlug sein Puls nur wenig geschwinder und wenig schwaecher, als er haette schlagen sollen, und auch am Abend war die Beschleunigung des Pulsschlages nicht betraechtlich. Unordentlich, ungleich und aussezzend war aber der Pulsschlag stets, wann der Kranke sich etwas angestrengt bewegte, auch nach dem Essen, wo er um vieles engbrüstiger, schlaefrig und etwas roth im Gesichte war. Der Harn war immer gesund, waehrend seiner letzten Lungenentzündung ausgenommen. Eine blos vegetabilische Diaet und gaenzliche Enthaltung des Weins konnte BLAU nie auf die Dauer vertragen, weil er immer zu schwach darauf wurde. Verschiedentlich hatte er mit dem Stuhl etwas weniges Blut ausgeleert, auch hatte er ein Jukken im Perinaeum, welches ihm vor etwa sechs Monaten die Nacht manchmal am Schlaf hinderte, aber Haemorrhoidalknoepfe und Rukkenschmerzen waren nicht vorhanden, und überhaupt sein Haemorrhoidalübel von keiner Betraechtlichkeit. Die Oefnung war meistens natürlich, obwohl er leicht etwas Abweichen bekam. Dieses Haemorrhoiden schienen als symptomatsich zu seyn, und von dem erschwerten Laufe des Bluts durch die Lungen veranlasst zu werden.

Wer Lungenentzündung hatte, einige Male Blut spie, und einen seiner physischen Beschaffenheit nach eiterhaften Auswurf in Menge auswirft – bei dem vermuthet man Lungengeschwüre – aber dem magert auch der Koerper ab, wird schwach, und es zeigt sich hektisches Fieber und eine Veraenderung im Harne. Wie viele Lungengeschwüre kann einer nicht haben, ohne sonderlich engbrüstig zu seyn?

Also wagte ich es nicht bei meinem Kranken über das Dasein von Lungengeschwüren abzusprechen, aber ich war gewis, dass seiner Engbrüstigkeit eine andere verborgene Ursache zum Grunde liegen musste. Die Leichenoefnung entdekte mir dieselbe in der Verknoecherung der Rippenknorpel, in der Verwachsung der Lungen mit dem Rippenfell und in der Ausfüllung eines grossen Theils der Lungen mit einer kaesigen Substanz, welche nichts anders, als eine geronnene Lymphe seyn konnte, und wie sich aus dem Augenschein vermuthen lies, mehr eine eine Folge vorhergegangener als wie der lezten Entzündung, seyn mogte. Daher denn auch die Sympthome des Pulses, die sich aus dem Respirationshindernisse durch Verknoecherung der Rippenknorpel, allein nicht wohl hinreichend erklaeren lassen. Das Wasser, welches in dem Herzbeutel sich fand, konnte nicht ange daselbst angehaeuft gewesen seyn, sonst haette der Kranke wohl andere Zufaelle haben müsen.

Aber BLAU´s Lungeübel war auch keine Schleimschwindsucht (phtisis pituitosa), weil auch dieser Krankheit gewoehnlicher Verlauf nicht mit dem der seinigen überein kommt, weil BLAU keinen schlaffen Koerperbau hatte, weil auch bei der Leichenoefnung die Muskelfasern ein sehr frisches Ansehen hatten, auch das Zellgewebe allenthalben eine gehoerige Menge guten Fettes enthielt. Katarhe hatten auch seinem Uibel die Entsteheung nicht gegeben.

Und gleichwohl warf er in überaus grosser Menge eine eiterhafte Feuchtigkeit aus, besonders früh Morgens, ohne das bei ihm sich irgendwo Zeichen eines Geschwüres geaeusert gehabt haetten – Wie soll man denn dieses Lungenübel nennen?

Das die eiterhafte Materie, welche er auswarf, als eine lymphatische Feuchtigkeit in die Lunge abgeschieden, und dass sie denn durch Stokkung, Waerme und Absorbtion verdikt und veraendert wurde, leidet keinen Zweifel; denn auf den ersten eiterartigen Auswurf folgte ein rozartiger, und diesem ein speichelartiger. Der Unterschied von der Schleimschwindsucht scheint nur darinn zu liegen, dass hier oertliche Ursachen die starke Absonderung verursacheten, naemlich die erschwerte Bewegung des Bluts durch die Lungengefaesse, wegen der verengerten Brusthoehle, und die Erweiterung der Gefaesse von vorhergegangenen Entzündungen.

Nun erhellet auch, warum seine lezte Lungenentzündung toedtlich wurde, und zwar am achten Tage der Krankheit, und als die Heftigkeit der Zufaelle schon um ein Betraechtliches nachgelassen hatte. Die überaus grosse Menge von roethlichtem Wasser, welche in der Lunge und im Herzbeutel befindlich war, giebt zu erkennen, dass hier die Entzündung den Ausgang genommen habe, auf welchen Kullen so aufmerksam macht, naemlich durch Ausschwizzung des Blutwassers und der Lymphe in die Lungenroehren und Lungenblaesgen, wodurch eine Erstikkung nothwendig werden musste. Da in der Lunge einmal diese oertliche Schwaeche vorhanden war, so konnte die Sache auch keine andere Wendung nehmen.

Nun noch eine medizinisch-psychologische Bemerkung – Ich habe beobachtet, dass man unter engbrüstigen Leuten mehr praktische Philosophen, ich will eigentlich sagen, mehr gelassene Menschen findet, die selten Leidenschaft blikken lassen. Woher das? Alle Leidenschaften aeussern einen schnellen Einfluss auf die Bewegung des Bluts durch die Lungen und aufs Athmen.

Kein Wunder also, wenn solche Leute gleichsam aus Instinkt, jede ankommende Leidenschaft oder Gemüthsbewegung unterdrükken, weil sie dabei gleich eine Vorempfindung der Beschwerden haben, welche bei ihnen der Gemüthseffekt nach sich zie


 

[1] Man kann in der Rede des Bürgers Neeb sehen, mit welcher Kunst dieser seinen Freund BLAU in Ansehung seiner theologischen Vorlesungen vertheidigt hat.

[2] Man hatte den Anführer der hessische Eskorte mit Geld gedungen, den Marsch so zu beschleunigen. Man wird in der Rede des Bürgers Wedekind die rümliche Anekdote lesen, dass Bürger Koeler durch Geld und Vermittelung des Raths Boehmer, welcher eben auf dieser Reise begriffen war, so viel bewirkte, dass BLAU sich vornen auf einen Wagen sezzen durfte. Ohne diese Erleichterung haetter er unkommen müssen.

[3] Als Privat-Sekretaire des Kommissairs.

[4]BLAU war bei den Bureau´s des Justizministers angestellt.

[5] Ich war damals Aufseher über ein litterarisches Deport, und BLAU arbeitete an der Zusammentragung der Büchernotizen, die aus den Departementen eingeschickt wurden.

[6] Kants Religion innerhalb der Graenzen der blosen Vernunft, Koenigsberg 179. Vorrede.

[7] Frankfurt 1791.

[8] Plutarch, in Solone.

[9] Aesophs Fabeln

[10] Am Ende der Vorrede zu dieser Schrift schreibt BLAU: »Wenn ich übrigens meine Absicht zur Befoerderung des wichtigsten Zwekkes der Menschheit etwas beizutragen nicht verfehlt habe, so darf mich dieses um so mehr erfreuen, weil ich dieses Schrift in einer Lage, wo ich von aller Gemeinschaft mit Menschen abgeschnitten war, verfestigt habe.« Koenigstein, den 4. Mai 1794.

[11] Die damals ausgearbeitete Schrift: Kritik der waehrend der franzoesischen Revolution erschienenen Religions-Dekrete sind ein bleibendes Denkmal seiner Toleranz und Freimüthigkeit, und wenn er einige Grundsäzze zu weit trieb, so weis ich aus einer Unterredung mit ihm, dass er seine Ueberzeugung willig gegen bessere Belehrung hingab.

[12] Aristot. Ethica I., II c. VI.

[13]BLAU hinterlies eine schriftliche Note dem Professor NEEB, worinn er seinen todten Koerper der Anatomie vermachte, um so nach seinem Tode zu nützen.

[14]BLAU waere auf dem Wege von Frankfurt nach Koenigstein durch Ermattung und durch Blutsturz ungekommen; wenn nicht Bürger L. Koehler aus Woerstadt, sein Mitgefangener, endlich die Erlaubnis zu erhalten gewust haette, ihm einem Plaz aussen auf seinem Wagen geben zu dürfen. – In Koenigstein besorgte TERBELLEM, mein ehemaliger Schüler und Freund, seinen Mitgefangenen mit der groesten Sorgfalt, aber es fehlte an gehoerigen Mitteln, besonders an Pflege, - denn Hr. General v. Winkelmann kommandirte die Gefangenen.

[15] Sur un lit de cyprès, ombragé d’un laurier,
On tranporte un jour, un célèbre guerrier.
Un soldat qui passait a reconnu ses armes,
[der Satzbau verlangt transporte (oder notfalls transportait)]
A cet aspect lugubre, il sent couler ses larmes.
Aussitót il s’écriait – il, c’est à moi, c’est à moi
Qu’appartiendrait l’honneur de louer ce grand homme,
Oui, j#ai vù de plus près ses vertrus qu’om renomme; [l. vertus]
Il était valeureux, mais encor plus kumain;
Il détestait la guerre, et son art assassin;
Au dessus de la crainte, au dessus de l’envie,
Deux fois dans les combats il ma sauvé la vie….,
Si tous les obligés de cet illustre Mort,
Par un élan subit et d’um commun effort,
Avaient osé de méme arréter son cortège,
Pour peindre des regrés que le temps seul allège,
Il nous faudrait beaucoup reculer le moment,
Qui va le voir descendre au dernier monument.

Je lui dois, di
Ses soins ont dessillé mes aveugles paupières,
Un autre: dans les ters et dans l’afflicition
Il versa sur mon cour la consolation.
[wäre hier evtl. auch coeur o.ä. zu lesen?, cour wäre Hof oder Lauf]

Un troisièntroisième]

Désavoundésavouant]

Répéterait sans cesse au public étonne:
Ah! ses derniers regards m’ont encor pardounné…
Pour moi qui n’ai connu qu’au moment qu’il succombe,
Ce digne et cher objet de vos longs souvenirs,
Je vien aussi mêler ma voix à vos soupirs,
Et graver tristement quelques vers sur sa tombe:
JEUNE HOMME, souviens-ici du premier écrivain
Qui reqût dans ces murs les honneurs du Génie
Et qui, par son exemple et sa philosophie,
A fait germer ici l’esprit republicain.

[16] COUPLETE

A CHANTER A LINHUMATION
DU CITOYEN
FELIX BLAU

Quand l’homme finit sa Carrière,

Chacun en dit: L’HOMME N’EST PLUS…

Si c’est vrai quant à la Poussière,
Ce ne l’est pas quant aux vertus: (bis)

Il peut par elles se survivre,
Et franchir la nuit du cercueil,
En inspirant le noble orgueil,
De les chérir et de les suivre.

CHORUS

Celui que nous pleurons, vit toujours dans nous cours,
Il vit; il vit, par ses vertus, son civisme et ses moeurs. (bis)

Quelle:
Anonym: Beerdigung des Bürgers Felix Anton Blau Bibliothekars der Universität zu Mainz am VI. Nivose VII. Jahrs der Französischen Republik, Mainz 1799

Das Werk wurde freundlicherweise durch die StadtBibliothek Koblenz (http://www.stb.koblenz.de) zur Verfügung gestellt. Die Übersetzungen der französischen Gedichte wurden freundlicherweise durch die Firma beo Gesellschaft für Sprachen und Technologie mbH, Kupferstraße 36, 70565 Stuttgart (http://www.beo-doc.de) realisiert.


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