Bericht der Hinrichtung von Marie-Antoinette

vom 17.10.1793.

Der hinterlassene Bericht Charles-Henri Sansons über den Tod der Königin ist weniger vollständig als die Schilderung der letzten Stunden des Königs.

Die Einzelheiten, welche ich erzählen werde, sind ebenso wie die verhergehenden mehreren Notizen entnommen, die er zum Zweck einer späteren umständlicheren Erzählung niederschrieb, oder sind die Früchte der Erinnerungen, welche meine Großeltern von diesen Ereignissen bewahrt hatten.

Charles-Henri Sanson ließ den Karren vorfahren und trat mit dem Bürger Gerichtsdiener, den Offizieren, den Gendarmen und meinem Großvater in die Conciergerie.

Die Königin saß im »Saal der Toten« auf einer Bank, den Kopf gegen die Mauer gelehnt; die beiden Gendarmen, welche sie bewachten, standen einige Schritte von ihr mit dem Schließer Bault; die Tochter des letzteren stand weinend vor Marie-Antoinette.

Als die Königin die Eskorte sah, stand sie auf und wollte den Scharfrichtern entgegengehen, alleine eine Bewegung von Baults Tochter verhinderte sie daran; sie blieb stehen und umarmte das Mädchen mit großer Zärtlichkeit.

Sie war weiß gekleidet, ein ebenfalls weißes Umschlagtuch bedeckte ihre Schultern und auf dem Kopf trug sie eine weiße, mit einem schwarzen Bande befestigte Haube. Sie sah außerordentlich blass aus; dies war aber nicht die bleiche Farbe, welche eine vergeblich versteckte Furcht verrät, denn ihre Lippen waren rot geblieben und ihre Augen umgeben von einem breiten Rand, der von ihren schlaflosen Nächten zeugte, glänzten lebhaft.

Mein Großvater und mein Vater hatten das Haupt entblößt; viele der Anwesenden grüßten ebenfalls, nur der Gerichtsdiener Nappier und einige Militärpersonen enthielten sich dieses Zeichens der Hochachtung der großen Unglücklichen gegenüber.

Ehe jemand Zeit hatte, das Wort zu ergreifen trat Marie-Antoinette vor und sprach in einem Ton, der nicht die geringste Aufregung verriet:

»Ich bin fertig Messieurs, wir können aufbrechen.«

Charles-Henri Sanson sagte ihr, dass es nötig sei, einige Vorkehrungen zu treffen, und Marie-Antoinette wandte sich um, indem sie ihm ihren Nacken zeigte, von dem das Haar schon abgeschnitten war.

»Ist es so recht?« fragte sie.

Zu gleicher Zeit streckte sie ihm die Hände hin, um dieselben binden zu lassen.

Während mein Vater dies besorgte, trat ein Priester, der Abbé Lothringer in den »Saal der Toten« und bat um die Erlaubnis, sie begleiten zu dürfen. Der Abbé Lothringer, ein vereidigter Priester wie die Abbés Girrad und Lambert, hatte sich bereits nach dem Abgang jener beiden vorgestellt, war aber ebenfalls abgewiesen worden, denn die Königin beharrte in ihrem Entschluss, den Trost einer mit einem Schisma behafteten Religion von sich zu weisen. Die Zudringlichkeit des Priesters schien der Königin sichtlich unangenehm, und sie antwortete:

»Wie es Ihnen gefällig ist, Monsieur.«

Der Zug setzte sich unmittelbar darauf in Bewegung

Die Gendarmen schritten vor der Königin, an deren Seite der Abbé Lothringer sich mit lebhaften Eifer zu halten suchte; hinter ihr gingen der Gerichtsdiener, der Scharfrichter und andere Gendarmen.

Als Marie-Antoinette in den Hof trat, bemerkte sie den Karren; sie blieb einen Augenblick stehen, und ein Ausdruck des Schreckens zeigte sich in ihren Mienen.

Der Priester erriet welche Gefühle sie bestürmten; in seiner halb deutschen, halb französischen Mundart ermahnte er sie, die Entsagung Christi nachzuahmen, welcher auch sein Kreuz getragen und indem er von der Buße sprach, bediente er sich des Wortes »Verbrechen«.

»Sagen Sie Fehler, Monsieur«, entgegnete die Königin und ging dann, ohne weiter auf ihn zu hören, schnell zum Karren.

Um ihr das Einsteigen zu erleichtern, hatte man einen Schemel hingestellt; dieser Schemel schwankte einen Augenblick, als sie den Fuß darauf setzte; nachher dankte sie denen, welche sie unterstützt hatten.

Die Türen öffneten sich; die Königin erschien in der Mitte der düsteren Geleitschaft. Sogleich begann das auf den Quais und den Brücken angehäufte Volk wie ein unruhiges Meer zu schwanken und ein tausendfaches Geschrei von Verwünschungen und Todesdrohungen auszustoßen.

Die Menge hatte sich so dicht zusammengedrängt, dass der Karren nicht vorwärts zu bewegen war; das erschrockene Pferd bäumte sich in den Schwangbäumen; es entstand ein Augenblick so schrecklicher Verwirrung, dass mein Vater  und Großvater, welche vorne auf den Karren saßen, aufstanden und sich vor Marie-Antoinette stellten. An einigen Punkten drangen die Wütenden durch die Reihe der Eskorte, und die meisten Gendarmen unterstützten ihre Beleidigungen mit eigenen Schimpfwörtern, anstatt die aufgeregte Menge zurückzudrängen und ihren übertriebenen Hass zu besänftigen.

Nourry, Grammonts Sohn,wie sein Vater Offizier in der Revolutionsarmee, war unwürdig genug, die geballte Faust drohend gegen das Gesicht der Königin zu erheben. Der Abbé Lothringer stieß ihn jedoch zurück und warf ihn mit heftigen Worten das Unwürdige seiner Handlung vor.

Dieser Auftritt dauerte zwei oder drei Minuten.

Niemals, dies wiederholte mir mein Vater oft, hat sich Marie-Antoinette ihres hohen Ranges würdiger gezeigt. Sie war eine wahrhafte Königin, diese Frau welche, ohne sich zu entfärben oder die Augen niederzuschlagen, die wilden Blicke des souveränen Volkes aushielt; ohne zu zittern das Brüllen des Löwen hörte, dem man sie zur Beute vorwarf; die wie der römische Cäsar sich aufrecht hielt, ohne die Knie zu beugen; für die der scheußliche Karren noch ein Thron war; der es ihr sogar in der Erniedrigung, zu der man sie gebracht, gelang, durch die Kraft ihrer Seele des Mitleids unfähige Herzen zur Ehrfrucht zu nötigen.

Grammont, der Vater, war mit einigen Reitern vorausgeritten, und es gelang ihm endlich, einen Durchgang für den Zug zu gewinnen. Als sich darauf der Karren wieder in Bewegung setzte, verminderte sich der Lärm, und man hörte nur von Zeit zu Zeit noch den Ruf unter der Menge: »Tod der Österreicherin! Tod der Madame Veto!« Sobald aber der Wagen die Rufenden erreichte, schwiegen sie.

Marie-Antoinette stand aufrecht in der Mitte des Karrens; der Abbé Lothringer, der sich auf die rechte Wagenleiter stützte, sprach zu ihr mit mehr Lebhaftigkeit als Salbung; sie antwortete ihm indes nicht und schien nicht mal auf ihn hören.

In dem Maße, wie die Haltung der Volksmenge, an der sie vorüberkam, ruhiger wurde, verloren auch ihre Augen den leuchtenden Glanz und schweiften gleichgültig über die Menge und ihre Bewegungen.

Als sie am Palast Ègalité vorüber war, schien sie unruhig zu werden und blickte auf die Nummern der Häuser mit einem Ausdruck der mehr als Neugierde verriet.

Die Königin hatte vorausgesehen, dass man keinen Priester der römischen Kirche gestatten würde, ihr den letzten Trost der Religion zu spenden; sie hatte sich darüber beunruhigt, und ein nicht vereidigter Geistlicher, der Abbé Magnien, der zu Richards Zeit in die Conciergerie gelangt war, hatte ihr versprochen, sich an ihren Todestag in einem Haus der Rue Saint-Homoré einzufinden und über ihren Haupt die Absolution in extremis auszusprechen, zu welcher die Kirche auch ihre niedrigsten Diener bevollmächtigt. Die Nummer dieses Hauses war Marie-Antoinette angezeigt, und diese suchte sie; sie fand dieselbe und als sie auf ein Zeichen, das nur ihr verständlich war, den Priester erkannt hatte, neigte sie die Stirn und betete mit großer Sammlung; dann entrang sich ihrer Brust ein Seufzer der Linderung und man sah ein Lächeln auf ihren Lippen.

 Als sie auf der Place de la Révolution ankam, blieb der Karren gerade der große Allee der Tuilerien gegenüber stehen; einige Augenblicke schien die Königin in schmerzliche Betrachtungen versunken; sie wurde um vieles bleicher, ihre Augenlider wurden feucht und man hörte, wie sie sie mit dumpfer Stimme die Worte murmelte:

»Meine Tochter! Meine Kinder.«

Bei dem Lärm, den die Zurichtung des Schafotts machte, schien sie wieder zu sich zu kommen und schickte sich an, vom Karren herabzusteigen, wobei sie von meinem Vater und meinem Großvater unterstützt wurde. In dem Augenblick, als sie den Fuß zur Erde setzte, sagte Charles-Henri Sanson, der sich über sie lehnte, mit leiser Stimme: »Mut, Madame!«

Die Königin wandte sich schnell um und schien erstaunt, Mitleid bei dem Manne zu finden, der sie zum Tode führten sollte.

»Ich danke, Monsieur, ich danke«, sprach sie mit fester Stimme.

Nur wenige Schritte trennten den Karren vom Schafott; als mein Vater sie noch weiter unterstützen wollte, wies sie ihn mit den Worten zurück: »Nein, ich werde, Gott sei Dank, Kraft genug haben, bis dahin zu gehen.«

Sie ging weder hastig noch langsam, mit gleichmäßigen Schritten und stieg die Stufen mit der Majaestät hinauf, als ob es die Stufen der großen Treppe zu Versailles gewesen wären.

Als sie auf der Plattform ankam, entstand ein Augenblick der Verwirrung. Der Abbé Lothringer war ihr bis dorthin gefolgt und setzte seine vergeblichen Ermahnungen fort; mein Vater stieß ihn sanft zurück, um dieser schmerzlichen Qual ein Ende zu machen.

Nun ergriffen die Gehilfen Marie-Antoinette. Während sie die Königin auf das Fallbrett banden, hob sie die Augen gen Himmel empor und rief mit lauter Stimme:

»Lebt wohl, meine Kinder! Ich werde euren Vater wieder sehen!«

Kaum hatte sie diese Worte vollendet, als das Fallbrett an seine Stelle gelegt wurde und das Messer auf ihr Haupt herab fiel.

Bei dem Geräusch des Fallbeils erhob sich der Ruf »Es lebe die Republik«.

Allein dieser Ausruf beschränkte sich auf die nächste Umgebung des Schafotts.

Grammon, der seinen Säbel wie ein Besessener schwang, befahl Charles-Henri zu wiederholten Malen, den Volk den Kopf zu zeigen. Einer seiner Gehilfen trug hierauf die scheußliche Trophähe, deren Augenlider noch krampfhaft zitterten, um das Schafott herum.

Der Körper der Königin wurde in einen schlechten Sarg von rohen Holz eingeschlossen und in eine Kalkgrube des Kirchhofes von Sainte-Madeleine versenkt; ihre Kleider wurden unter die Armen der Hospitäler verteilt.

Quelle:
Sanson, Charles Henri: Tagebuch der Henker von Paris 1685-1847


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