Plan nach welchem bey Ausarbeitung des neuen Gesetzbuchs verfahren werden soll.

vom 27.07.1780

Se. Königliche Majestät von Preussen, Unser Allergnädigster Herr, haben in der unterm 14ten April curr.(entis) an HöchstDero GrossCantzler erlassenen Cabinetts-Ordre zu erklären geruhet,
dass zu der Allerhöchst befohlene Sammlung und Verbesserung der Gesetze einige geschickte und redliche Leute ausgesucht; die verschiedene Arten der Ausarbeitungen unter sie vertheilt;
sie sodann in ein Collegium zusammen gezogen und alles mit gemeinschaftlichem Rath derselben reguliert werden solle.
Da nun gegenwärtig der Sache näher getreten und mit der Arbeit an dem neuen Gesetz-Buche der würkliche Anfang gemacht werden soll; So finden Höchstgedachte Se Königliche Majestät für nöthig, nachstehende allgemeine Grundsätze des Verfahrens bey diesem wichtigen Geschäfte festzusetzen.

1. (Allgemeine Idee bey dem neuen Gesetz-Buche)

Die Intention Sr. Königlichen Majestät geht nicht so wohl dahin, dass neue Gesetze gemacht, als vielmehr nur, dass die bereits vorhandnen gesammlet; in Ordnung gebracht; deutlich und allgemein verständlich vorgetragen; dabey aber auch revidirt, und wo es nöthig, den gegenwärtigen Zeiten, Sitten, Gebräuchen, Religions- und Landes-Verfassungen, so wie dem Recht der Natur und der Billigkeit, gemässer eingerichtet werden sollen.

2. (Das Gesetz-Buch enthält I. Specielle Provinzial- II. Allgemeine Landes-Gesetze)

Das gantze Corps der Gesetze soll bestehen
I. Aus den Sammlungen der speciellen Rechte, welche in jeder der verschiedene Königlichen Provintzen gelten;
II. Aus einem allgemeinen subsidiarischen Gesetz-Buche, welches in allen durch die Provintzialen- Rechte nicht entschiedenen Fällen zur Richtschnur diene.

3. (1. Bey dem allgemeinen Gesetz-Buche wird das Corpus Juris zum Grunde genommen)

Eine Abfassung des allgemeinen Gesetz-Buches soll das Corpus Juris vom Kayser Justinian zum Grunde gelegt werden; weil dasselbe in Sr. Königlichen Majestät Landen als ein subsidiarisches Recht durchgehends angenommen; an und für sich das Vollständigste;
auch in den meisten Seiner Entscheidungen dem Rechte der Natur und der Billigkeit gemäss ist.

4. (Was daraus weg zu lassen ist)

Aus diesem Römischen Gesetz-Buche soll jedoch weggelassen werden:
a.) Alles was auf solche Verhältnüsse und Geschäffte sich bezieht, die nach heutiger Verfassung nicht mehr vorkommen können; Zum Exempel, die Lehre von der
Sklaverey, von den Rechten eines Patrons auf seine Clientel und Freygelassenen pp.
b.) Alles was bloss die alte Römische Staats- Krieg- Religions- und Gerichts-Verfassung betrifft; oder bloss darinn, und in der Denckungs- Art den Meinungen,
Vorurtheilen, Sitten, Gebräuchen und Gewohnheiten der damaligen Zeiten, oder auch in blossen Subtilitäten und Chimären der alten sophistischen oder Mönchs-
Philosophie seinen Grund hat.
c.) Die weitläufigen, unnützen, mehrenteils aus leerem Gewäsch bestehenden Prologen und Eingänge vieler Gesetze und die bey andern angegebene gar nicht passenden
Raisons und Motiven derselben.

5. (Wie die Gesetze des Corpus Juris zu rangiren)

Was alsdann noch übrig bleibt, soll in eine vernünftige und zusammenhängende Ordnung gebracht; aus den im Römischen Gesetz-Buche so häufig vorkommenden Entscheidungen eintzelner Fälle, die Regel der Entscheidung herausgezogen; die bey dieser Gelegenheit wahrgenommenen scheinbaren und würklichen Wiedersprüche berichtigt; alles was zu einer Materie gehört, und in den verschiedenen Büchern und Titeln des Corpus Juris zerstreut ist, unter einem Gesichtspunckte zusammengefasst; bey jeder Materie die allgemeinen Grundsätze und Regeln vorausschickt; und einer jeden ihre Bestimmungen und Ausnahmen mit möglichster Praecision untergeordnet werden.

6. (In was für Stücken solche zu suppliren)

Diesen solchergestallt arrangirten Gesetzen sollen andre beygefügt werden, welche nöthig sind
a.) den Abgang der nach dem 4ten Grundsatze aus dem Corpus Juris wegfallenden Bestimmungen zu ersetzen;
b.) den Verhältnissen, Angelegenheiten und Geschäfften, welche in den Römischen Gesetzen gar nicht vorkommen, sondern unserm gegenwärtigen ZeitAlter
eingenthümlich sind; Z.E. dem Wechsel-Negoce, den meisten HandlungsVerkehren, den Assecuranz-Contracten, dem heutigen Verhältnisse zwischen Herrschafften und
Unterthanen eine gewisse Richtschnur vorzuschreiben.

7. (Woher diese Zusätze zu nehmen sind)

Diese Zusätze sind entweder aus bereits vorhandnen allgemeinen Landes-Gesetzen, in so fern diese dergleichen darbieten, zu nehmen, oder sie müssen nach demjenigen, was eine vernünftige Erwegung der Regierungs-Form, der Gebräuche, der Sitten, der Landes-Religions- Kriegs- und Handlungs- Verfassung unsers gegenwärtigen Zeitalters an die Hand giebt, entworfen, und Sr. Königlichen Majestät vorgeschlagen werden.

8. (Wie der Vortrag beschaffen seyn soll)

Der Vortrag muss in deutscher Sprache, ordentlich, verständlich, natürlich und ungekünstelt mit der einem Gesetzgeber anständigen Würde abgefasst seyn.

9. (Es soll auf Mittel die Processe zu coupiren gedacht werden)

Da auch Sr. Königliche Majestät LandesVäterliche Intention dahin gehet, die Entstehung der Processe zwischen HöchstDero Unterthanen durch diensame Massregeln möglichst zu verhüten, so müssen bey den Materien, welche im gemeinen Leben, Handel und Wandel am häufigsten vorkommen, gewisse allgemeine Vorsichts-Regeln, durch deren Beobachtung solchen Geschäfften die erforderliche Gültigkeit ertheilt, und allen darüber entstehenden Streitigkeiten vorgebeugt werden können; auch wo es thunlich und rathsam, Z.E. bey den gewöhnlichsten Contrackten, letzten Willen- Verordnungen pp. schikliche und passende Formulare beygefügt werden.

10. (Auch das gemeine Lehnrecht soll revidirt werden)

Da in verschiednen Sr. Königlichen Majestät Landen, wo noch würkliche Lehen existiren, die Gerechtsame derselben, in so fern solche nicht in den eignen Lehns-Constitutionen dieser Provintzen bestimmt sind, bisher nach den Vorschrifften des Langobardischen Lehn-Rechts beurtheilt werden, so muss auch dieses bey Verfertigung des allgemeinen Gesetzbuches nicht übergangen, sondern gleichergestallt, jedoch mit sorgfältiger Beobachtung der No. 5. ertheilten Vorschriften extrahirt und eingerückt werden.

11. (II. Wie die Sammlung der Povintzial-Gesetze einzurichten)

Die Sammlung der Povintzial-Gesetze müssen nach eben der Ordnung und Reihe der Materien und Titel abgefasst seyn, wie das allgemeine Gesetzbuch; doch versteht es sich von selbst, dass wenn in einer Provintz durch deren specielle Rechte über ein und andre Materie nichts besonders festgesetzt ist, solche Materie in der für diese Provintz bestimmten Sammlung zu übergehn, und bloss auf das allgemeine Gesetz-Buch zu verweisen sey.

12. (Sie müssen vollständige Extrakte der in jeder Provintz geltenden Rechte enthalten)

Diese Sammlungen müssen vollständige und zusammenhängende Auszüge der in jeder Provintz geltenden besondern Rechte, ingleichen der Statuten, wenigstens von den
wichtigsten, vornehmlich aber der Handlungs-Städten enthalten; und muss dabey von den eignen Worten des Gesetzes, in so fern solche nicht etwa dunckel, unverständlich oder zweydeutig sind, nicht leicht abgegangen werden.

13. (Was daraus wegzulassen, oder darinn abzuändern ist)

Alles was in diesen besondern Provintzial-Gesetzen bloß aus der eigenthümlichen politischen, militairischen, Gottesdienstlichen Verfassung, den Sitten, Gebräuchen und
Gewohnheiten des Zeitalters, in dem sie gemacht, oder der Völckerschafften, für welche sie zunächst gegeben worden, hergenommen; nur auf einen gewissen Grad der Cultur unter ihnen eingerichtet, und daher auf unsere dermaligen Zeiten und Verfassung nicht mehr passend; oder was schon gegenwärtig aus aller Uibung gekommen und in Vergessenheit gerathen; oder auch sonst dem Geiste und er Analogie des Rechts überhaupt gäntzlich zuwider; oder mit den Vorschrifften der gesunden Vernunft und natürlichen Billigkeit nicht zu vereinbaren ist, muß aus diesen Sammlungen gäntzlich wegbleiben.

14. (In wie fern Observanzen in das Gesetz-Buch aufgenommen werden können)

Auch ungeschriebene Gesetze, Gewohnheiten und Observanzen in so fern solche nicht wider Vernunft und Billigkeit laufen, und in den Obersten Gerichten des Landes bey Entscheidung strittiger Rechts- Fragen auf- und angenommen sind, müssen diesen Sammlungen der Provintzial-Gesetze einverleibt werden.

15. (Wo die Provintzial-Gesetze nichts entscheiden, geht es nach dem Gemeinen Rechte)

An Ansehung alles dessen, was diese Provintzial-Gesetze unbestimmt und unentschieden lassen, ist, wie schon gedacht, auf die Vorschriften des Allgemeinen Gesetz-Buches lediglich zu verweisen.

16. (Vorschrift wie die Arbeit zu betreiben)

Womit nun das vorhabende Geschäffte nach obigen Grundsätzen zweckmäßig und ordentlich betrieben werde, so ist wegen des Vorhabens nachstehendes zu beobachten:

17. (Es wird ein Extract aus dem Corpus Juris gemacht)

In Ansehung des Allgemeinen Gesetz-Buches wird zuvörderst ein ordentlicher, getreuer und vollständiger Auszug aus dem Corpus Juris nach beyliegendem Plan und Anweisung verfertigt.

18. (So dann jede Materie speciell durchgearbeitet)

Je nachdem dieser Auszug zu Stande kommt, wird jede einzelne Materie speciell durchgearbeitet; dergestallt, daß

<ol><li>der gelieferte Auszug mit dem Corpus Juris zusammen gehalten und nachgesehen wird: ob solcher der Anweisung gemäß abgefaßt sey; ob etwa weggelassen worden, was beybehalten werden sollen; oder ob etwas stehen geblieben, was wegzulassen gewesen wäre;</li><li>jedes Gesetze wird nach den Grundsätzen N.(umeri) 5 geprüft und beurtheilt: ob solches durchgehends beybehalten, oder anders bestimmt, oder gäntzlich übergangen werden müsse.</li><li>So dann wird dasjenige gesammlet, was über die vorliegende Materie in den neuen allgemeinen Landes-Gesetzen verordnet ist;</li><li>Wo Bestimmungen und Vorschriften fehlen, entweder weil solche im Corpus Juris nicht anzutreffen, oder weil die darinn enthaltnen nicht passend sind, werden solche nach den Grundsätzen N. 7 projectirt und in Vorschlag gebracht;</li><li> Dabey werden die vorhandenen Sammlungen streittiger Rechts-Fälle nachgesehn, und aus denselben Proben angestellt: ob auch bey der vorliegenden Materie überall richtige und passende Grundsätze angenommen, und die Folgerung daraus durchgehends mit zulänglicher Bestimmung, Praecision und Vollständigkeit festgesetzt worden.</li><li>Die solchergestallt zusammengebrachten Materialien ordentlich rangirt und (in) die gehörige SchreibArt eingekleidet.</li></ol>

19. (Alsdann die neuen Landes-Gesetze eben so revidirt; und)

Auf gleiche Art ist es in Ansehung derjenigen Materien zu halten, welche in dem Corpus Juris gar nicht vorkommen; mit dem eintzigen Unterschiede, daß dabey statt des Auszugs aus dem Römischen Gesetz-Buche ein darüber vorhandnes allgemeines Landes-Gesetz, oder wenn dergleichen nicht da wäre, ein in den meisten Königlichen Provintzen bereits angenommenes fremdes Recht zum Grunde zu legen.

20. (in vorkommenden Fällen das Gutachten von sachverständigen Leuten zu Hülfe genommen)

Bey Materien, welche auf eine specielle Classe von Unterthanen des Staats oder auf gewisse besondere Geschäfte und Gewerbe Beziehung haben, oder zu deren gründlichen Beurtheilung eine genaue Kenntniss von dem Innern dieser oder jener Wissenschaft, Kunst oder Profession erforderlich ist, Z.E. in Bau- Wechsel- Handlungs- und Wirtschafts-Sachen soll bey zweifelhaften Fällen die Meinung und das Gutachten von Sachverständigen abgefordert werden.

21. (Die von den Justiz-Collegiis eingesendete Sammlungen der Provintzial-Gesetze werden auf eben diese Art revidirt)

Da den Landes-Justiz-Collegiis die Sammlungen der Speciellen Rechte in ihrer Provintz zu veranstalten bereits aufgegeben, und sie darüber mit vorläufiger Instruction versehen worden, so sind diese Sammlungen je nachdem sie allhier einkommen, auf gleiche Art nach den sub N. 11-14 vorgeschriebnen Grundsätze zu revidiren, zu prüfen und in die gehörige Ordnung zu bringen.

22. (Der erste Entwurf des Gesetz-Buchs wird von gewissen dazu ernannten Personen unter Direction des GrossCantzlers ausgearbeitet; so dann..)

Zur Ausarbeitung dieses ersten vollständigen Entwurfs des neuen Gesetz-Buchs haben Se. Königliche Majestät gewisse HöchstDenenselben vorgeschlagne Personen zu agreiren geruhet, welche sich dieser Verrichtung allhier, unter specieller Direction des GrossCantzlers, fördersamst unterziehen müssen.

23. (die GesetzCommission selbst etablirt; und..)

So bald gedachter Entwurf fertig ist, werden Höchstgedachte Se. Majestät noch einige Subjecta aus den hiesigen und den wichtigsten Provintzial-Justiz-Collegiis ernennen, welche mit den ersten Arbeitern zusammengenommen, die alsdann förmlich zu etablirende Gesetz-Commission ausmachen sollen.

24. (die Concurrenz des Finanz-Departements dabey bestimmt werden)

Bey dieser Gelegenheit wird zugleich die Concurrenz des Finanz-Departements in Ansehung derjenigen Gegenstände, welche in die allgemeine Landes-Policey, oder andre, der Verfassung nach, dem Cammer-Ressort gehörige Materien einschlagen; so wie die Art der, nach Verschiedenheit der Provintzen, den Land-Ständen zu verstattenden gutachtlichen Theilnehmung, bei der Revision ihrer speciellen Landes-Gesetze; von Höchstgedachter Sr. Königlichen Majestät näher bestimmt und festgesetzt werden.

25. (Von dieser Commission wird der Entwurf nochmals geprüft und..)

Solchergestallt etablirte und eingerichtete Gesetz-Commission, soll alsdann den bereits ausgearbeiteten ersten Entwurf nochmals genau durchgehn; Stück für Stück prüfen: ob bey dessen Anfertigung überall nach gegenwärtiger Vorschrift, und der Allerhöchsten Königlichen Intention verfahren worden; die etwa nöthigen Abänderungen, nähere Bestimmungen und Zusätze mit gemeinschaftlichem Rathe und Ueberlegung beschließen; und die vorkommenden zweifelhaften oder bedencklichen Fälle zur Allergnädigsten Decision vorlegen. Uiber welches alles die Commission zu seiner Zeit mit einer umständlichen Anweisung wird versehen werden.

26. (zur Allerhöchsten Vollziehung vorgelegt)

Je nachdem, dieser Anordnung gemäß, eine gewisse Materie, welche für sich ein Gantzes ausmacht, Z.E. die Lehre von Contrackten, von der Erbfolge oder von letztwilligen
Dispositionen vollständig ausgearbeitet ist, so soll dieselbe Sr. Königlichen Majestät zur Allerhöchsten Vollziehung vorgelegt; auch alsdann gewöhnlichermaassen publicirt; jedesmal aber ein gewisser Zeitpunckt bestimmt werden, von welchem an das neue Gesetz-Buch in dieser Materie gelten, und die Bürger des Staats in ihren Handlungen darnach beurtheilt werden sollen.

27. (Die Gesetz-Commission wird auch künftig beybehalten)

Bey der in der Cabinetts-Ordre vom 14ten April c.(urrentis) enthaltnen Allerhöchsten Äußerung:
daß die einmal etablirte Gesetz-Commission auch nach vollendeter Sammlung der Gesetze in gewissem Maasse beybehalten werden solle, um solche in vorkommenden Fällen erklären, verbessern, und vollständiger machen zu können hat es lediglich sein Bewenden. Wie es aber dabey zu halten, in welcher Art die strittig gewordnen Rechts-Fragen der Commission vorzulegen, und von ihr, entweder aus dem Sinn und der Analogie der Gesetze überhaupt zu entscheiden, oder Sr. Königlichen Majestät zur Höchsten Decision zu submittiren, darüber wird bey Publication des Gesetzbuches selbst nähere Anweisung erfolgen.

Signatum Potsdam den 27. Juli 1780

Friedrich

Quelle:
Privatarchiv EPOCHE NAPOLEON


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