An die Vernunft

Vernunft! du bist ein böses Weib,
Und machst mir viel Verdrß.
Du raubst mir manchen Zeitvertreib,
Un manchens süßen Kuss.

Hanns Jakob hatte wahrlich recht,
Wenn er das Urtheil sprach:
»Du bingst den menschnlichen Geschlecht
»Naur lauter Weh und Ach«!

So lang´ ich nichts von dir gewusst,
Wie glücklich war ich da!
Entgegen lachte mir die Lust,
Wohin ich immer sah.

Stäts heiter war mein Angesicht,
Stäts offen war mein Herz,
Mich zupfte noch der Argwohn nicht
Bei Wein, und Tanz und Scherz.

Die Freundschaft – ach! das höste Gut
In dieser Alltagswelt,
Wie hat sie mir dein kaltes Blatt,
Wie hat es sie vergällt!

Sonst küßt´ ich  manche weiche Hand
So herzlich und so traut.
Jezt machst du, und dein Herr Verstand,
Dass mir´s vor Mädchen graut.

So eifersüchtig war, wie du,
Xantippe selber nicht.
Du drückest nie ein Auge zu,
Und sprichst von nichts als Pflicht.

Die alte Frau Erfahrung ist
Die Zofe, die du hörst:
Die macht , daß du so mürrisch bist,
Du alle Freude störst.

Herr Zweifel, dein Gewissensraht
Jagt den Genuss davon.
Bis jener sich besonnen hat,
Ist dieser längst entfloh´n.

Die Scham und Reue folgen dir
Als Henkerinnen nach,
Und exequiren Nachts an mir,
Was ich des Tags verbrach.
Ich sitze jetzt beim Freudenmal
Besorglich und gespannt:
Ganz anders schmeckte der Pokal,
Da ich dich nicht gekannt!

Du filzest mich beständig aus,
Nichts ist dir recht gemacht.
Du spuckst, wie ein Gespenst, im Haus,
Und quälst mich Tag und Nacht.

Und was das allerschlimmste ist,
So besserst du dich nie.
Vielmehr bestärkt mir jeder Frist
Sich deine Despotie.

Du führest mit dem Glauben Krieg,
Und ich soll Richter sein.
Gewinnest du; so macht dein Sieg
Die Orthodoxen schrei´n.

Verlierst du, so heißt es gleich,
Ich sei ein schwacher Tropf.
Und sage ich: »Vergleichet euch«;
So schüttelst du den Kopf.

So plagst du ohne Ende mich,
Mich guten, schwachen Mann.
Denn trotz dem allen lieb´ ich dich,
Und hänge dir noch an.

Was fang´ ich an, ich armer Wicht?
Ist denn kein Mittel mehr?
Mich scheiden lassen mag ich nicht:
Und bei dir sein ist schwer!