An den Herrn Reichsdechant Freiherrn von Beroldingen, da ich ihm meine Toleranzpredigt schickte

Hier hast Du, edler Beroldingern,
Die Predigt von der Toleranz.
Sie war so gut, den Derwischkranz
Von meinen Schädel wegzubringen.

Sie war es, die aus Priesterhänden
Zu fliehen, mir die Freiheit gab:
Sie streifete von diesen wunden Lenden
Die schwere Seraphshülle[1] ab.

Sie lös´te den geweihten Strick;
Doch löste sie die innern Bande
Des Mönchtums nicht; und Hildebrande
Bestimmten stäts noch mein Geschick.

Wenn heute Karl[2]mir sagte,
(Und Fürsten sagen mancherlei)
Die Zeit der Freiheit sei vorbei;
So läg ich morgen, eh´ es tagte,
In meiner alten Sklaverei.

Drum Freund, ist nichts auf Erden
Von allen Seiten gut.
Veränderung der Ketten und Beschwerden
Ist Alles, was das Glück in guter Laune thut.

Geh an den Hof, geh in die Zelle,
In Tempel, oder in Bordelle:
Du suchst umsonst der Tugend Reich.
Die Menschen bleiben sich in allen Ständen gleich.

Ich kenne Schurken ohne Zahl
Am Hofe, wie im Kloster:
Und Narren giebt es überall,
Mit Orden, wie mit Paternoster.


 

[1] Man heißt den Orden, zu dem ich gehörte, den Sekaphisguen
[2] Der regierende Herzog von Wirtemberg, mein großmüthiger Retter, der mich für die Zeit, in welcher ich Ihm dienen würde, vom Orden dispensiren ließ.


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