Das Reisetagebuch der Antoinette von Massow

vom Herbst 1801

Cöslin, den 5. abends.
Bis hierher sind wir ohne die geringste Unannehmlichkeit gekommen, nicht aber ohne Bangnis nach dem lieben Hans, den wir in jedem Gasthofe vermissen, wo wir mit ihm vergnügt gewesen sind. In Bahn, einer Garnison des Regts. Bayreuth fand ich eine geliebte Jugendfreundin, die an Hptm. v. Bock verheiratet ist. Diese hatte ich in vielen Jahren nicht gesehen und jetzt fand ich sie im Kreise liebenswürdiger Kinder wieder. Der Probst dieses Ortes, namens Boritz, war mein Lehrer gewesen; den besuchte ich ebenfalls, und er war erstaunend froh, seine Schülerin wiedersehen zu können, die durch ihren Wind manche Wiederholung der Stunden veranlaßt hatte.
Gegen 6 Uhr kamen wir in Pyritz an, fanden daselbst die Dopperphuler Freunde, waren den folgenden Tag in einer zahlreichen Gesellschaft aller Bekannten und trennten uns unter Tränen den zweiten Tag von den theuren Verwandten.
Wir kamen spät nach Stargard, denn der Weg war sehr übel; mußten lange delibriren, ehe der Onkel es zugab, daß wir keinen Ruhetag da machen wollten; Platens und Ostens waren so gütig, uns zu einer solennen Fete einzuladen - allein wir blieben standhaft; denn nun kam die Sehnsucht nach Hans'chen mit der nach dem kränkelnden Wilhelm zusammen, daß uns kein Mensch länger gefesselt hätte. Den 3. reisten wir nach Naugard, den 4. trafen wir in Plate ein; es war am Sonntag. Wir gingen in die Kirche, wurden bei der Frau v. Osten zu Mittag gebeten, deren Mann in Stettin war. Wir brachten in einer äußerst angenehmen, kleinen Gesellschaft einige Stunden vergnügt hin.

Der Hptm. Normann vom Regiment Bork, ein Bruder der Frau v. Osten, gefiel uns erstaunlich, und selten haben Personen die beneidenswerte Gabe, ohne schön zu sein, sich gleich so sehr liebenswürdig zu zeigen und ein vorzügliches Interesse abzugewinnen. Diesre Hptm. Normann sprach mit herzlicher Anhänglichkeit von dem Ferdinand, dessen Freundschaft und angenehmen Umgangs er sich mit Vergnügen erinnerte, so wie er zugleich sehr bedauerte, daß wir seine Frau nicht kennen lernten, damit wir Naudchen sagen könnten, wie große Ursache er habe, sich glücklich zu fühlen. Dann sahen wir da die Schwägerin des Herrn v. Osten, eine allerliebste Frau; ferner einige Herrschaften aus der Nachbarschaft, von denen die Kürze der Zeit etwas interessantes wahrzunehmen nicht erlaubte. Nur der Prediger des Ortes wurde mir merkwürdig dadurch, daß er sich alle Zähne hatte ausziehen lassen, teils des Schmerzes derselben überhoben zu sein, teils jetzt besser das Zahnfleisch abhärten und zum Beißen geschickt machen zu können. Der Mund kam mir wie eine Melieration vor, die durch eine woklgeordnete Radung dem Besitzer viel Vorteil brachte. Der gute Polenz fiel mir dabei ein, denn der hatte schon einmal die Idee geäußert, er wolle sich alle gesunden und kranken Zähne ausnehmen lassen, damit er vor Schmerzen gesichert sei. Ungern verließen wir die angenehme Gesellschaft, um sie gegen die Posthalterei in Pinnow zu vertauschen, welche uns übrigens freundlich aufnahm. Im Neugasthof hielten wir den folgenden Tag Mittag und ärgerten uns über verschiedene soderbare Anmerkungen, die ein reisender über unsern Namen gemacht hatte. Dies nötigt mir den Entschluß ab, mehr noch wie sonst immer den Rat meines Massow zu befolgen, der das Anschreiben mißbilligte und mit prophetischem Geist den Erfolg vorhersagte.

Biziker zu Mittag.
Kaum hatten wir begonnen, daß frugale Mahl einzunehmen, als ein leichter Wagen vor die Tür rollt, von dem ein Diener absprang und hereinkam. Wir fragten ihn nach dem Namen seines Herrn, und wie ich hörte, es sei Herr v. Pauli, machte ich meinen lieben Massow mit diesem gewesenen Nachbarn unserer Eltern bekannt. Der Diener wurde neugierig und bat mit den höflichsten Gebärden und Worten die Gefälligkeit aus, ihm unsern Namen anzuvertrauen; ich wollte ihm gleich von Grund aus diese Ehre gönnen und fing also mit unsern Eltern an; dies vernahm er kaum, so stürzte er hinaus, nahm - ehe er noch eine Silbe gesagt hatte - seinem Herrn die Leine aus der Hand, dann erst machte er ihn mit uns bekannt; dieser folgte seinem Wink, kam zu uns, dicht hinter ihm sein treuer Diener, der dann auch sehr bald das Wort nahm und sagte: "Ihre Eltern kenne ich sehr gut; es sind die bravsten Herrschaften, sie wohnten erst in Gluschen und ich bin eigentlich in Grapitz gebürtig und ärgere mich jedesmal, wie das schöne Gluschen verkannt, wo es mir oft herrlich ergangen ist." Dies sagte der redliche Pommer mit einer so starken, dankbaren Rückerinnerung, daß er sich ein Mittag erwarb, so gut wir es selbst hatten. Kaum waren diese fort, besuchte uns Hptm. Kameke.

 

8. Oktober, Stolp, wo wir uns bei Weiters einlogierten. Nebenan wohnte die Landrätin Puttkammer, die meine gute Schwester lange kennt und deshalb mit mir zur kurzen Visite sich melden ließ. Wir wurden freudig angenommen und fanden daselbst die Generalin Blumenthal und die Majorin Plötz. Kaum hatten wir die Thüre geöffnet, noch nicht sie zugemacht, als schon alle drei Damen zugleich fragten: "Zurück aus Berlin?" - "Na, wie hat's Ihnen gefallen?" - "Was sagt die Königin zu Hans?" - "Hat sie Ihnen auch was geschenkt?" - "Na, reden Sie doch!" - ( konnten wir wohl dazu kommen?) - "Gewiß hat sie Ihnen allen was gegeben?" - Sagen Sie, liebe Machen, was hat sie gegeben?" -"Ja, ja! Geben dut sie gern, wenn sie man viel hätte, die Stumpersche!" - "Na, was trägt man denn jetzt am mehrsten?" -"Haben Sie sich auch der jungen Königin vorstellen lassen?"- "Ist sie noch so schön?" - "Na, die vielen Kinder, welche sie kriegt, werden ihr auch wohl die Schönheit ein bißchen nehmen!" -"Schlecht Wetter haben Sie wohl gehabt?" -
Diese Fragen folgten sich so schnell und zusammengedrängt aufeinander, daß man mit den Antworten füglich hin und wieder so durchschlüpfen konnte. Eine halbe Stund hatten wir Ohren und Mäuler recht angestrengt und empfahlen uns dann - antwortend und hörend - noch auf der Straße, weil so vieles zu berichtendes übrig blieb.

 

Den 9. Oktober erreichten wir das liebe Poganitz und fanden gottlob alles gesund. Mein holder Wilhelm weinte vor Freuden und fand endlich seine Ruhe beim Auspacken der Spielsachen wieder. Nun kam der liebe Schwager Mach mit seinen Kindern und machte die Familiengruppe vollkommen; jetzt sollte gleich erzählt werden, allein die Freude des Wiedersehns störte den Zusammenhang und erst am folgenden Morgen kamen wir zum Zweck. Da stand der kleine blaue Kaffeetisch am freundlichen Kaminfeuer; auf dem gelben Stuhl saß der theure Vater, um die anderen Ehrenplätze war lange complimentiert worden; endlich gebot Vaterchen Ruhe, und die Familie saß geordnet; wir fingen an zu erzählen und am Ende dieses unbedeutende Werkchen zu lesen; da kamen alle vier Kinder; einer bat um Semmel, der andere Kaffee etc., sie wurden mit doppelten Portionen abgefunden und weggeschickt; darauf las ich weiter; kaum war eine Seite heruntergelesen, so kam Martin, hinter ihm drein die geschäftige Erdmuth und die redliche Bolduanen, welche mich schwesterlich küßte und alles wegen Hans'chen befragte; der liebe Vater sagte ihr kurz: "Mi leiw Kind, berauhig Di, Du schalst alles erfahren, wenn sie wära wegwäsa;" sie ging langsam von dannen und begegnete in der Thür dem Gärtner, der in Angelegenheiten zum Vater kam. Dieser wurde eilig entlassen. Er ging, nachdem Kröft hereingeschlichen war. Dies wurde den Eltern zu bunt, und die Uhlen bekam den Auftrag, den Leuten zu sagen, sie sollten für jetzt nicht kommen. Sie wollte nicht gern weit weg gehen, lief also an die Tür, diese in der Hand haltend gebot sie aus der Stube Ruhe, mit heller, lauter Stimme, und kam dann danz grade zur wartenden Gesellschaft zurück. Mütterchen sagte ihr halblaut ins Ohr: "Sie gutes Kind schrien sehr; wenn wir das gewollt hätten, würden wir Sie nicht geschickt haben. Nun setzen Sie sich ruhig auf Ihren Steiß und hören zu."

Uhleken küßte Mütterchen dankbar die Hand und sperrte die Ohren auf. Nun konnten wir ruhig die feierliche Stunde beendigen. Dies war aber auch der einzige Tag, wo wir allein waren. Den 19. fuhren wir zusammen mit den theuren Eltern und den lieben Mach'schen Geschwistern nach Guglow bei Bes. v. Zitzewitz zu Mittag; von da nach Goschen, in derselben angenehmen Gesellschaft. Den folgenden Tag war daselbst ein Diner, wo ich die Bekanntschaft der jungen Frau v. Zitzewitz aus Gansen machte; sie ist ein geborenes Frl. v. Schütz, eine sehr hübsche einnehmende Frau.

 

Den 23. setzten wir von Bütow unsere Reise nach Preußen fort - die wir bisher hier in Kalthof glücklich beendigt haben und Gott für diese Gnade nicht genug danken können, ohne die geringste Unannehmlichkeit alles überstanden zu haben. Er wolle sich ferner unser annehmen und das Herz des geliebten Ferdinand zur Nachsicht stimmen, damit er ohne Verdruss und lange Weile lese das, was er enstehen hieß.

Antoinette.

den 26. Oktober 1801

NACHSCHRIFT

ihrer Tochter Agnes von Mach, geb. von Massow.

Meine heissgeliebete Mutter!

Heute, Dresden, den 28.September 1868 hat Deine Tochter, die erst anno 4 geboren ward, dies gelesen. Wieviel länger kann doch ein so vergängliches Papier existieren, wie manches theure Menschenleben.- Mein geliebter Alexander war damals schon im 2. Jahr und den 26. Oktober anno 20 unser in Volz gefeierter Verlobungstag, den Du, teure Mutter, noch erlebtest.- Den 18. April 1821 mussten wir Dich für dieses leben verlieren.
Gottes Erbarmen wird uns einst alle vereinen. 0 wieviel ist Dir schon nachgefolgt, wieviel mir vom Herzen gerissen!"


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