Das Reisetagebuch der Antoinette von Massow

vom Herbst 1801

Den 26. September; Arnswalde.
Hier sitze ich in einer nach Branntwein riechenden Dorfschenke; hinter mir das prächtige Berlin mit allen Reizen, Lasten, Mühseligkeiten und Plagen, welche die große Welt und das Hofleben dem armen Menschen auferlegen; im Herzen bittere Sehnsucht nach meinem Hans, sorgend über sein Schicksal; ihn dem alliebenden Gott empfehlend, schreite ich zur Fortsetzung der Tagesgeschichten. Um halb 6 Uhr fuhren wir zu dem königlichen Ball; unendliche Wagen kreuzten sich, und es war ein brillanter Wirrwarr. Endlich langten wir im Neuen Schloß an, wurden in den Tanzsaal komplimentiert, der so glatt wie Eis war und von Offizieren und Damen wimmelte. Zu meiner Freude fand ich gleich ein paar Bekannte. Endlich erschien die holde Königin, alles drängte sich hinzu. Ich blieb ruhig und ließ die Menge sich verteilen; aber kaum war dies geschehen, so tanzte auch schon die schöne Monarchin die lange Reihe hinunter; nun ward mir die Wonne, sie zu sehen; immer habe ich bis jetzt die Bestätigung der Wahrheit gefunden, daß der Ruf von Schönheit, wenn er der persönlichen Bekanntschaft vorausgeht, den Gegenstand zurücksetzt. Wie sehr geschäftig war meine Phantasie gewesen, dies Ideal auszumalen, und dennoch blieben meine Erwartungen weit hinter dem reizenden Original zurück.
Sie tanzte mit einer Grazie und liebenswerten Unschuld, daß sie bezauberte. Indem kam die Frau v. Grawert und Gen. Ruchel, fragten, ob ich schon vorgestellt sei. Wie ich das verneinte, ging Frau von Grawert zur Gräfin Vohs und sagte ihr mein Anliegen, welches sie sehr in Bewegung setzte, denn der Hofmarschall Massow hatte ein langes und breites Empfehlungsschreiben vor mir hergesandt; sie kam also mit der größten Freundlichkeit und zog mich durch die Menge mit sich fort, die sich für mich glücklich genug teilte, denn die Öffnung, wo die Gräfin Vohs durchkommen mußte, mit ihrer Bouffante, konnte sich immer wieder etwas zusammenziehen, so blieb dennoch ein bequemer Platz für mich. Die liebe Königin stand nachlässig an einen Tisch gelehnt und ruhte ein wenig von dem Tanze. Da trat die Gräfin Vohs mit einem passenden Air und im Bewußtsein ihrer wichtigen Amtsgeschäfte an sie heran; indem ging die Königin einige Schritte vorwärts und machte eine freundliche Verbeugung; ich einen tiefen Knix, den rechten Handschuh herunter und so eilte ich zum Handkuss, welche Gnade ich nicht genoss; nun fragte sie mich, ob mein Mann auch mit wäre; wie ich dies bejahte und ihr gesagt hatte, daß unser Sohn das Glück hätte, Page bei der Königin - Mutter zu sein, beruhigte sie mich mit rührender Liebenswürdigkeit über die weite Entfernung und versicherte mir, die Pagen wären dort sehr gut aufgehoben. Dann machte sie noch einige gnädige und schmeichelhafte Anmerkungen, am Ende eine Verneigung mit Engelsfreundlichkeit und ich war abgefunden. - Neben den Tanzenden stand unser lieber König, Hut und Stock in der Hand, den Degen an der Seite. Überhaupt habe ich mich gewundert, daß er die ganze Zeit über nicht gesessen hat, selbst beim Soupieren nicht.

Um 10 Uhr wurde zur Tafel gegangen; in dem schönen, wirklich königlichen Marmorsaal, waren sieben Tafeln gedeckt, und die Gesellschaft, welche 600 Personen enthielt, war kaum bemerkbar. Es wurde Bouillon gegeben und übrigens kalt. Am Ende Eis von Ananas, Aprikosen und alle möglichen delikaten Sachen. Um 11 Uhr ging's wieder zum Tanz.
Ich machte viele angenehme Bekanntschaften; unter die rechne ich den redlichen alten Landgrafen von Hessen, Philippsthal, welcher mir versicherte, mein Massow sei sein alter lieber Freund, den er ungemein hochschätzte. Ich hätte ihn prächtig gepflegt, denn er wäre wenig älter geworden; dies klang tröstlicher, wie weiland Conrads Äußerungen.

Freienwalde, den 28.
Gestern kamen wir, nachdem wir in Leimdorf bei dem Oberst Meyerinck Mittag gehalten, glücklich hier an. Die liebe Schwester Dörtchen fanden wir nicht zu Hause, sie war auf dem Schloß bei der Königin Mutter; gegen Abend kam sie, mußte aber wieder hingehen; auch wir sollten diese Gnade genießen, allein wir lehnten sie in Demut ab, des Umkleidens wegen.

Heute früh saßen wir in möglichster Ruhe beim Frühstück; Dörtchen im eleganten Negligee, ich im Schlafrock, drauf geht Massow hinaus; er kommt lachend zurück, indem er - die Thür weit öffnend fragt, ob wir wohl den Besuch von zwei Prinzen annehmen würden? Ich, in der Meinung, er scherze, gehe ihm mit vielen Komplimenten entgegen und suche ihm zu beweisen, welches unschätzbare Vergnügen es uns sein würde, solche Durchlauchtigsten Herrschaften zu empfangen. Indem tritt er ehrerbietig an die Seite, und der Landgraf von Hessen - Philippsthal, Prinz Carl, sein Sohn, und der Prinz von Homburg kommen, sich mäßig verneigend, ins Zimmer, und ich, unmäßig laufend zu demselben heraus in ein Cabinet, welches keinen weiteren Ausgang hatte und keins meiner Kleidungsstücke enthielt. Alles war eingepackt, nur das Staatskleid war draußen, welches heute zum königlichen Diner angezogen werden sollte; nun fingen die vornehmen Gäste an, mich herauszunötigen und wurden von Massow unterstützt, der meine Entschuldigung nicht annahm und am Ende vorschlug, ich solle seinen tuchenen Schanzenläufer anziehen, der im Cabinet hinter der Thür hing. Dies gefiel mir, und ich sah voraus, wie es die Herrschaften amüsieren würde; ich erschien also vor ihnen, nicht elegant, aber gehorsam; es wurde bewundert und der Königin erzählt.

Königsberg, den 30. September.
In Freienwalde blieb mir keine Zeit, noch etwas in dieses unvollkommene Tagebuch einzutragen. Ich knüpfe also in einer Entfernung von 5 Meilen den Faden wieder an, und erzähle weiter. Wie der Durchlauchte Besuch uns verlassen hatte, eilten wir zur Toilette; darauf schickten die Hofdamen und ließen sagen, wir müßten grau oder weiß erscheinen, denn die Königin - Mutter hätte aus Galanterie gegen die Prinzen Philippsthal ( die ihre Mutter betrauerten ) auch Trauer für den Tag angesagt. Die Gesellschaft bestand aus der Königin - Mutter, den drei prinzlichen Herrschaften v. Philippsthal, dem Prinzen von Homburg, deri Hofdamen und Herrn v. Kahlden nebst der edlen Massow'schen Familie.

Es wurde schön und schnell gegessen. Die Unterhaltung war durchaus ungezwungen und angenehm. Nach dem Essen ließ die Königin zwei Wagen anspannen, in denen wir alle uns einpackten; der eine ein großer Wurstwagen, auf dem fuhren wir, die drei Hofdamen und Prinz Homburg...

Gegen 10 Uhr Abendbrot, dann empfahlen sich die landgräflichen Herrschaften, und wir mußten in das Gemach der Königin kommen; hier nahm sie einen äußerst gnädigen Abschied von uns. Vorher hatte sie aber noch geäußert, als mein Mann seine eilige Abreise durch den beschränkten Urlaub entschuldigte, sie wolle sogleich nach Berlin schicken und ihren Sohn ( den König ) um Verlängerung des Urlaubs bitten; wie mein guter Mann dies mit Mühe abgelehnt hatte, küßte sie Dörtchen und mich recht herzlich, steckte mir einen Ring an die Hand, und um sich nicht danken zu lassen, verschwand sie schnell in ein Nebenzimmer. Nun eilten wir zur guten Hill und dann nach Hause zu Bett.

Dopperpant, den 3. September.
Seit dem ersten sind wir hier recht vergnügt, haben gestern an Major Burghagen, einer Frau von Aller (Mutter von 18 Kindern) und einer Frau von Schlegel recht angenehme Bekanntschaft gemacht.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03