Gedichte

von Iwan Andrejewitsch Krylow

Der Adler und der Maulwurf

Wer es auch sei, der einen Rat dir beut -
Ihn ungeprüft verschmähen, wäre' nicht gescheut.

Einst kam aus einem fernen Reiche
Ein Aar mit seinem Weib in einen dichten Wald;
Der lockte sie zu festem Aufenthalt.
Sie wählten eine hochbelaubte Eiche,
Im Gipfel sich ihr Nest zu bauen;
Im Geiste sahen sie die Jungen flügge schon.

Der Maulwurf hört davon,
Er fasst sich Mut, dem Adler zu erzählen,
Der Eiche Wurzeln seien krank,
Ihr sei der Sturz gewiss, und zwar nicht über lang',
Drum möge seine Hoheit sie nicht wählen.

Ei, hat ein Aar zu hören auf den Rat,
Den aus so niedrer Grube er empfahl?
Von einem Maulwurf gar? Wo bliebe da der Ruhm
Des Adlerblickes, der so scharf,
Dass sich kein andrer ihm vergleichen darf!
Und darf ein Tier, so blöd und dumm,
Sich mischen in des Vogelfürsten Tun?
Der Adler lässt die Sache' auf sich beruhen
Und geht ans Werk mit rüstiger Eile,
Den neuen Sitz zu bauen, darin das Weibchen weile.
Und alles ging nach Wunsch. Die Aarin hat auch Junge.
Doch was geschah? Als einst im Morgenlicht
Aus Wolkenhöh' der Aar herniederbricht,
Mit würziger Frühkost für der Seinen Zunge,
Gewahrt er, dass die Eiche fiel,
Im Sturze ihm begrabend Weib und Kind.
Er kennt des Jammers nun nicht Maß noch Ziel.
»Weh mir«, ruft er, »wie blind
War ich, wie grausam muss ich büßen,
Dass ich mich konnte nicht entschließen,
Zu hören auf vernünftigen Rat.
Wer war des aber auch gewärtig,
Dass selbst ein Maulwurf Einsicht hat?«
"Warst du nicht so hoffärtig",
Ruft es von unten her, "so hättest du erwogen,
Dass es mein Los,
Zu wühlen in der Erde Schoß,
Dass ich ja dazu bin erzogen,
Und dass ich, weiland in der Wurzel Nähe,
Ob noch gesund ein Baum, am besten sehe.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03