Die Wissenschaftslehre, in ihrem allgemeinen Umrisse

von Johann Gottlieb Fichte

§ 13

In diesem beschriebenen Denken denke ich bloss das Wissen, als Schema des göttlichen Lebens seyn könnend, und da dieses Können der Ausdruck Gottes ist, der auf das Seyn geht, als dasselbe seyn sollend; keinesweges aber bin ich es. Es wirklich zu seyn, kann keine Gewalt mich nöthigen; wie denn auch früher keine mich nöthigen konnte, auch nur die Anschauung der wahren sinnlichen Welt zu vollziehen, oder zum reinen Denken, und dadurch zur wirklichen, aber leeren Einsicht des absolut-formalen Soll, mich zu erheben. Dies steht in meinem Vermögen; aber nun, da alle factische Bedingungen schon vollzogen sind, steht es auch unmittelbar in meinem Vermögen.

Wenn ich nun, von einer Seite fallen lassend das nichtige Anschauen, von der anderen das leere Intelligiren, mit absoluter Freiheit und Unabhängigkeit davon, mein Vermögen vollziehe, was wird erfolgen? Ein Schema; ein Wissen demnach, das durch das Intelligiren ich schon kenne, als das Schema Gottes, das aber in dem jetzt vollzogenen Wissen unmittelbar mir erscheint als das, was ich schlechtweg soll. Ein Wissen, dessen Inhalt weder hervorgeht aus der Sinnenwelt, denn diese ist vernichtet, noch aus der Betrachtung der leeren Form des Wissens, denn auch diese habe ich fallen lassen; sondern das da ist durch sich selbst, schlechtweg, wie es ist, sowie das göttliche Leben, dessen Schema es ist, schlechtweg durch sich selbst ist, wie es ist.

Ich weiss nun, was ich soll. Aber alles wirkliche Wissen Fuhrt durch sein formales Wesen seinen schematischen Beisatz mit sich; ohnerachtet ich also nun weiss von dem Schema Gottes, so bin ich dennoch noch nicht unmittelbar dieses Schema, sondern ich bin nur Schema des Schema. Das geforderte Seyn ist noch immer nicht vollzogen.

Ich soll seyn? Wer ist dieser Ich? Offenbar der seyende, der in der Anschauung gegebene Ich, das Individuum. Dieser soll seyn.

Was bedeutet sein Seyn? Als Princip in der Sinnenwelt ist er gegeben. Der blinde Trieb zwar ist vernichtet, und statt dessen steht nun da das hell ersehene Soll. Aber die Kraft, die erst den Trieb in Bewegung setzte, bleibt, dass nun das Soll sie in Bewegung setze, und ihr höheres bestimmendes Princip werde. Durch diese Kraft soll ich daher darstellen in der Sphäre dieser Kraft, der Sinnenwelt, und in ihr anschaubar machen, was ich als mein wahres Wesen anschaue in der übersinnlichen Welt.

Die Kraft ist gegeben als ein Unendliches; was daher in der Einen Welt des Gedankens schlechthin Eins ist, das was ich soll, – wird in der Welt der Anschauung für meine Kraft eine unendliche Aufgabe, an der ich zu lösen habe in alle Ewigkeit.

Nur in der Anschauung kann diese Unendlichkeit, die eigentlich eine Unbestimmtheit ist, stattfinden, keinesweges in meinem wahren einfachen Seyn, das, als Schema Gottes, so einfach und so unwandelbar ist, wie er selbst. Wie kann, innerhalb der doch fortdauernden, und durch das absolute Soll, als gerichtet an mich Individuum, ausdrücklich geheiligten Unendlichkeit, diese Einfachheit hervorgebracht worden?

Wenn in dem Ablaufe der Zeit in jedem neueintretenden Momente das Ich durch den Begriff dessen, was es soll, in einem besonderen Acte sich bestimmen müsste, so wäre es in seiner ursprünglichen Einheit allerdings unbestimmt, und lediglich in der unendlichen Zeit immerfort bestimmbar. Es könnte aber ein solcher bestimmender Act in der Zeit möglich werden nur im Gegensatze mit einem Widerstande. Dieses Widerstehende aber, und durch den Act der Bestimmung zu Bezwingende, könnte nichts Anderes seyn, denn der sinnliche Trieb; es wäre darum die Nothwendigkeit einer solchen fortzusetzenden Selbstbestimmung in der Zeit der sichere Beweis, dass der Trieb nicht durchaus ertödtet worden, wie wir dies doch bei der Erhebung zum Leben in Gott vorausgesetzt haben.

Durch die wirkliche und gänzliche Ertödtung des Triebes ist jene unendliche Bestimmbarkeit selbst vernichtet, und in eine einzige absolute Bestimmung aufgenommen. Diese Bestimmung ist der absolut einfache Wille, der das ebenso einfache Soll zum treibenden Princip der Kraft erhebt. Lasst diese Kraft nun ablaufen ins Unendliche, wie sie muss; der Wandel ist nur in ihren Producten, keinesweges in ihr selbst, sie ist einfach, und ihre Richtung ist Eine, und diese ist mit einemmale vollendet.

Und so ist denn der Wille derjenige Punct, in welchem Intelligiren und Anschauen oder Realität sich innig durchdringen. Er ist ein reales Princip, denn er ist absolut, und unwiderstehlich bestimmend die Kraft, haltend aber und tragend sich selbst; er ist ein intelligirendes Princip, er durchschaut sich, und er schaut an das Soll. In ihm ist das Vermögen vollständig erschöpft, und das Schema des göttlichen Lebens zur Wirklichkeit erhoben.

Das unendliche Wirken der Kraft selbst ist nicht um seiner selbst willen, und als Zweck; sondern es ist nur, um das Seyn des Willens in der Anschauung zu documentiren.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03