Das System der Rechtslehre

von Johann Gottfried Fichte.

Dritter Teil.

Zweiter Abschnitt

Absolute Begründung des Rechts in der Wirklichkeit.

Keiner hat Recht, bis er Allen die Sicherheit ihrer Rechte garantiert hat, ihnen ein mit mechanischer Gewalt gebietendes Gesetz nachgewiesen hat, dass sie gar nicht verletzt werden können. Wir haben diesen Satz bisher nur teilweise und untergeordnet angewendet; nicht aber ihn in seiner ganzen Gültigkeit aufgestellt; wir zogen aus ihm bisher bloß die Notwendigkeit der Unterwerfung seines Willens unter das Gesetz überhaupt, und zur Sicherheit, dass sein Wille nie sich ändern werde in Hinsicht dieser Unterwerfung, der Unterwerfung unter das Strafgesetz. Alles dieses aber ist bedingt dadurch, wenn das gerechte Gesetz da ist, und sicher gehandhabt wird: nur dann erst hat überhaupt Jemand Rechte. Dies geschieht durch einen Willen, der im Allgemeinen (in der Gesetzgebung), so wie in jedem besonderen Falle (in der Anwendung des Gesetzes) gerecht ist, worin wieder Zweierlei liegt:

1) dass das Gesetz in allen Fällen wirklich zur Anwendung komme;

2) dass das rechte für diesen Fall gehörige Gesetz jedesmal angewendet werde.

Die Sicherheit ist darum geleistet nur, wenn ein solcher Wille, durchaus ein solcher aufgestellt ist. Das Recht in einen lebendigen unfehlbaren Willen verwandelt setzt 1) Erkenntnis des Rechts; 2) das unfehlbare, kräftige Wollen des Erkannten: positiv, niemals Nichtwollen: negativ, das niemals etwas Andres Wollen.

Wert der Formel: Die rechte Wahl derselben ist immer wichtig: indem sie den Menschen nötigt, auf irgend Etwas Bedacht zu nehmen, nötigt sie ihn überhaupt, mit Bedacht zu Werke zu gehen. Diese ist ohne Zweifel die richtige. Dieser Wille nun ist die Oberherrschaft, Souveränität. Keiner im Staate kann einen andren Willen haben, als den, welchen der souveräne Wille hat, ohne aller seiner Rechte verlustig zu werden. Dieser Wille, der wie eine übermächtige Naturgewalt herrschen soll, muss mit einer Kraft ausgestattet werden, gegen welche alle andre Kraft in Nichts verschwindet. (I. S.186.).

Es ist sonach die Aufgabe, einen Willen zu finden, von dem es schlechthin unmöglich ist, dass er anders sei, als der gemeinsame, und einen solchen zu errichten. Ist klar, leicht und einfach.

2) Wie soll nun dies geschehen? Ein wirklicher Wille ist nur in Personen; unsre Aufgabe heißt also: den Willen gewisser Personen zu diesem Willen zu machen und als solchen aufzustellen. Zuvörderst gewisser Personen. Es müssen schon nach dem Prinzipe der Teilung der Geschäfte eine oder mehrere, durchaus nichts Andres zu tun haben, und für nichts Andres verantwortlich sein, als für das allgemeine Recht; sie müssen ihre Zeit und Kraft ausschließend darauf wenden, von allen andren Geschäften durchaus losgesprochen sein.

Die Regierung muss übertragen werden an ein Personale aus der Gemeine; eine reine Demokratie ist keine Rechtsverfassung; denn in ihr gälte das Recht nur, wenn die Gemeinde versammelt wäre; der Wille des Rechts muss aber nicht nur von Zeit zu Zeit da sein, sondern immer leben.

3) Diese Personen haben nun ihr persönliches Maß von Erkenntnis; wer leistet uns nun die Bürgschaft, dass diese die des absoluten Rechts sein und dass sie sich nicht irren werden? Und selbst, wenn sie diese hätten und haben könnten, sie haben auch ihren persönlichen Willen, Neigungen, Wünsche: wer leistet die Bürgschaft, dass sie dieses stets und ohne Ausnahme dem erkannten Rechte unterordnen werden?

Doch ist ohne diese Bürgschaft weder das Recht des Einzelnen, noch seine Rechtlichkeit (dass der Regent das Recht Aller wolle) gesichert. Einem Willen unterworfen sind sie wohl. Darauf kam es aber nicht an, sondern darauf, dass dieser der Wille des persönlichen und menschgewordenen Rechtes sei. Nur unter dieser Bedingung ist das Recht begründet; es ist eine Konstitution desselben. Nur unter dieser Bedingung auch ist jener Stellvertreter souverän. Nicht seinem persönlichen Willen, sondern dem in ihm durchgebrochenen Willen des Rechts haben wir die Souveränität beigelegt: rex eris, si recte facies, dem persönlichen Willen des Rechts sei die Oberherrschaft zu verleihen, sagten wir: (die Erkenntnis desselben schließe ich mit ein).

4) Es sind zwei Lösungen dieser Frage möglich: entweder

a) dem persönlichen Willen des Rechts, oder falls dieses nicht möglich sein sollte, dem, der sich ihm am Meisten annähert, die Oberherrschaft zu verleihen: der Beste soll herrschen: oder

b) umgekehrt, den persönlichen Willen, der da faktisch herrscht, zum rechtlichen, oder am Meisten sich ihm annähernden Willen zu machen. Der Herrscher soll der Beste sein.

Die bisherigen Untersuchungen, auch meine eigne frühere (Thl.I. S.192ff.) haben die Aufgabe meist von der zweiten Seite genommen; wir wollen bei derselben anheben.

Das zuerst sich ergebende Mittel, seinen Willen zum rechtlichen zu machen, wäre: sein Wille muss unter ein Zwangsgesetz gebracht werden, wie der Wille jeder Privatperson: durch die, von einer andern freien Intelligenz an die Rechtsverletzung zu knüpfende Strafe muss der rechtliche Wille erzwungen werden. - Es ist jedoch klar, dass dieses nicht geht; denn wie will man sich denn dieser zweiten freien Intelligenz, die nun der wahre höchste Wille wird, versichern? Durch einen dritten, und dieses durch einen vierten, und so ins Unendliche. Wohl werden in dem Personale der Regierung Unterordnungen, Aufsichten und Verantwortlichkeit des Einen von einem Andern Statt finden: aber diese Reihe des Aufsteigens muss irgend einmal geschlossen sein; und wir müssen zu einem Willen kommen, der alle andern zwingt, ohne selbst gezwungen werden zu können; einem auch äußerlich souveränen Willen.

Also offenbarer physischer Zwang, ein Strafgesetz, ist nicht anzuwenden.

Zweiter Weg. Einen sittlichen, durch sittliche Motive: 1) negativ, die äußerlich souveräne Person oder die Personen müssen so gestellt werden, dass sie gar keine Versuchung haben, ungerecht sein zu wollen; sie müssen so viel als möglich ohne persönliche Verhältnisse zu den Bürgern, ohne Verwandtschaften, Verbindungen u. dergl., gleichsam Wesen einer andern Sphäre sein; sie müssen ferner ohne Versuchung durch Eigennutz sein, indem sie ihr rechtliches und sichres Auskommen haben, so dass ihnen keine Privatperson Wohltaten erweisen könne, und dass Alles, was man ihnen anbieten könnte, in Nichts verschwände. Auch ihre Kinder und Angehörigen müssen eben so gesetzt sein in der erblichen Monarchie, die darin, und in der Kraft der Regierung ihre Vorteile hat vor den andern Regierungsformen.

2) Positive Motive: in der Ehre, dem Ruhme, der Liebe der Untertanen; dazu müssen alle Verhandlungen der Staatsgewalt, mit allen Umständen und Gründen der Entscheidung, die höchste Publizität haben, wenigstens nachdem jene geschlossen sind. Dies ist ohnedies ein Teil der Konstitution. Denn es gehört zu den Rechten eines jeden Bürgers, zu fordern, dass der Rechtswille herrsche, und darum die Publizität zu der Rechenschaft, die ihm abgelegt werden kann, unbeschadet des Verhältnisses.

Dies ist alles gut und ehrenwert. Bei der herzlich guten Meinung, die wir nun solchen Erb-Monarchen ohne alle Ausnahme zutrauen wollen, wer sichert uns denn ihre Einsicht des Rechten? Wir wollen ihnen eine vortreffliche Erziehung geben, sagt man. Gut, wer erzieht denn nun die Erzieher, und wer die, welche die Erzieher wählen?


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