Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands

Die neue Romantik

Schluss Teil 1

Wenn wir nun die kurze Laufbahn der Romantik, wie wir sie vorstehend in ihren einzelnen Führern zu bezeichnen versucht, noch einmal im ganzen überschauen, so sind es vorzüglich zwei charakteristische Momente, die sie von andern Literatur-Epochen unterscheiden; erstens die Allgemeinheit des geistigen Umschwungs, der nicht etwa, wie in früheren Perioden, die Poesie allein oder wohl gar nur einzelne Gattungen derselben, sondern den ganzen Ideenkreis erfaßte; und zweitens das religiöse Grundwesen dieses Umschwungs, welcher eben deshalb ein so totaler sein mußte, weil ja die religiösen Gefühle und Überzeugungen überall das geheimnisvolle Senfkorn sind, aus dem die Gesamtbildung einer Nation emportreibt.

Wir haben bereits oben erwähnt, wie die Reformation in ihrem natürlichen Fortgange jene Bildung auf das emanzipierte Subjekt gestellt und dadurch in allen ihren Zweigen gründlich alteriert hatte. Fichtes Anfang in seinem System des absoluten Ichs (1794) bildet nur die Spitze aller wissenschaftlichen Konsequenzen der Reformation. Dieses absolute Ich nämlich, unter Negation aller bestehenden Wirklichkeit, produziert, wie anderswo treffend gesagt wird, selbst erst durch einen Akt der höchsten Freiheit, durch sein erkennendes Handeln, d.i. durch sein Bewußtsein, die wahre Wirklichkeit und ist somit sein eigner Gott und Schöpfer der Welt, die nur in diesem Bewußtsein existiert. – Hier aber war in der Tat der Protestantismus an dem unvermeidlichen Abgrunde angelangt, gegen den kein weiteres Protestieren mehr galt; er mußte sich entweder kopfüber hinabstürzen oder, wider seine Natur und erträumte Omnipotenz, zu dem ursprünglich Göttlichen über dem Ich wieder zurückkehren. Das letztere versuchte Schelling philosophisch zu vermitteln, indem er das Ideale und Reale als Eines begründete im Absoluten, aus dem das Ich und die reale Welt hervorging und das also die Identität von Natur und Geist oder Gott selber ist. Dieser Totalanschauung des Lebens gemäß sind Wissenschaft und Religion Emanationen jenes Absoluten, die Weltgeschichte nur die Selbstentwickelung und Offenbarung desselben, der Staat sein organischer Körper, die Schönheit aber die endliche Darstellung des Unendlichen vermittelst der Kunst, welche mithin eine unmittelbare Offenbarung Gottes im menschlichen Geiste ist.

Man sieht aus diesen wenigen Andeutungen, wie nahe verwandt diese Philosophie der Romantik war, indem sie eigentlich eben nur das wissenschaftlich begründete, was gleichzeitig die Romantik an den einzelnen Erscheinungen des Lebens poetisch nachzuweisen strebte. Auch die Romantik nämlich betätigte, wie wir oben sahen, ihre tiefgehende Opposition gegen die Folgen der Reformation vorzüglich dadurch, daß sie dem allmächtigen Subjekt ein Absolutes, die positive Religion, entgegenstellte. Auch sie begriff das Leben und seine großen historischen Momente nur als Offenbarungen Gottes, und Kirche, Staat und Volk hiernach als eine wenngleich selbständig gegliederte Einheit, wie sie allerdings im Mittelalter sich in Europa, und namentlich in Deutschland, zu einer gesunden Nationalität entfaltet hatte. In der Dichtkunst insbesondere aber bekundete sie diese ihre höhere und durchaus religiöse Weltanschauung durch die dem Christentum eigentümliche, versöhnende Liebe, die kein blind zermalmendes Schicksal anerkennt, nichts Großes und Edles diesseits vernichtend abbricht, sondern auch das Tragische nur als ein verklärendes Märtyrtum auffaßt. Ja, selbst in der Behandlung der Liebe im gewöhnlichen, engeren Sinne zeigt sich jenes Streben nach einer höheren Vermittelung des Realen und Idealen. Denn wenn die Romantik die Natur und deren geistigsten Ausdruck, die menschliche Schönheit, als ein Symbol des Göttlichen betrachtete, so mußte notwendig auch die Liebe, als das tiefere Gefühl dieser Schönheit, dem Göttlichen zugewendet und in den geheimnisvollen Kreis des Ewigen mit aufgenommen werden. Daher sagte Schleiermacher damals in seinen vertrauten Briefen: »Nun aber die wahre himmlische Venus entdeckt ist, sollen nicht die neuen Götter die alten verfolgen, sonst möchten wir verderben auf eine andere Art. Vielmehr sollen wir nun erst recht verstehen die Heiligkeit der Natur und der Sinnlichkeit, deshalb sind uns die schönen Denkmäler der Alten erhalten worden, weil es soll wiederhergestellt werden, in einem weit höheren Sinne als ehedem, wie es der neuen schönen Zeit würdig ist: die alte Lust und Freude und die Vermischung der Körper und des Lebens nicht mehr als das abgesonderte Werk einer eigenen gewaltigen Gottheit, sondern eins mit dem tiefsten und heiligsten Gefühl, mit der Verschmelzung und Vereinigung der Hälfte der Menschheit zu einem mystischen Ganzen. Wer nicht so in das Innere der Gottheit und der Menschheit hineinschauen und die Mysterien dieser Religion nicht fassen kann, der ist nicht würdig, ein Bürger der neuen Welt zu sein.«

Und hier können wir nicht umhin, eines Vorwurfs zu gedenken, den man den Romantikern oft genug gemacht hat, eine laxe Moral nämlich bei Darstellung des Sinnengenusses. Ein solcher Vorwurf hätte nur da Sinn und vollkommene Berechtigung, wo das Gemeinsinnliche im kokett drapierten Gewande einer bloß konventionell idealen Tugendlichkeit in die Salons eingeführt werden soll, wie z.B. bei Wieland; oder wenn es, wie in manchen neuesten Dichtungen, gradezu die Larve abwerfend, sich frech und nackt, als Göttin der Vernunft, zu allgemeiner Anbetung auf den Altar stellen will. Von beiden Todsünden aber müssen wir die Romantik, einige verhältnismäßig seltene Verirrungen aus unbewachter Lust abgerechnet, durchaus freisprechen; und Tieck, den jener Vorwurf vielleicht am häufigsten getroffen, sagt ganz richtig: »Nicht darin besteht das Verderbliche, daß man das Tier im Menschen als Tier darstellt, sondern darin, daß man diese doppelte Natur gänzlich leugnet und mit moralischer Gleisnerei und sophistischer Kunst das Edelste im Menschen zum Wahn macht und Tierheit und Menschheit für gleichbedeutend ausgibt.«

Wir sind gewiß weit davon entfernt, irgendeiner lüderlichen Literatur das Wort reden zu wollen. Aber ebenso entschieden müssen wir, um dem Dichter sein angeborenes Recht zu wahren, gegen das andere Extrem protestieren, daß in dieser religiös aufgeregten Zeit der Poesie um so größere Gefahr droht, als es sich in den Mantel christlicher Liebe hüllt und mit geweihten Waffen zu streiten scheint; wir meinen den unzeitigen Rigorismus kirchlicher Beschränktheit von der einen Seite und anderseits die Prüderie der Pietisten, dieser Pedanten der Sittlichkeit.

Die ersteren möchten am liebsten alles Sinnliche, namentlich alle Darstellung der Liebe, aus der Poesie verbannen, übersittlich und strenger als Christus, der selbst die Geschlechtsliebe durch die Ehe geheiliget hat. Sie wollen, allerdings ehrlich, nur das Überirdische, bemerken aber in ihrem blinden Eifer nicht, daß das Überirdische an sich undarstellbar ist, daß wir ja in aller Kunst nur die Sinnenwelt zum Maßstabe des Übersinnlichen haben, und daß mithin z.B. eine gute Darstellung der heiligen Jungfrau, so wie jedes Heiligenbild, ohne jenes lebendige Gefühl der irdischen Schönheit ganz unmöglich wäre. Es ist überhaupt wider die Weltordnung und hat jederzeit die meiste Verwirrung hervorgebracht, irgendeine nicht zu beseitigende Elementarkraft der Seele, weil sie dem Mißbrauch ausgesetzt, eigensinnig ignorieren zu wollen, anstatt sie vielmehr nach besten Kräften zu veredeln. Ist daher, nach menschlicher Voraussicht, durchaus keine Hoffnung vorhanden, die Liebe jemals gründlich von der Erde vertilgen zu können, so handeln diejenigen ohne Zweifel sehr unverständig, die sie von ihrem natürlichen Boden, von der Poesie, abzutrennen trachten und, also entadelt, nur den niedern Begierden zum Raube vorwerfen. Eben weil die Liebe nur von Poesie lebt, bildet sie auch das unverwüstliche Grundthema aller Dichtungen, dessen höhere oder gemeinere Auffassung von jeher den wahren Dichter von dem unberufenen unterschieden hat.

Der Pietismus dagegen, zaghafter und ohne die entschlossene Begeisterung einer totalen Umkehr, die von keinen Konzessionen weiß, möchte zwischen jener klösterlichen Asketik und der weltlichen Zügellosigkeit sich in Poesie und Leben ein stillfrommes juste milieu zurechtmachen. Er will den Sinnengenuß und die Liebe sich allenfalls gefallen und wohlbekommen lassen, aber zugleich aus Furcht vor der Sünde die Lust neutralisieren. Die Farben sollen nicht brennen, die Blumen erst ängstlich fragen, ob sie nicht etwa zu kräftig duften und vielleicht ein paar Schwachköpfe berauschen könnten; das ganze gewaltige Leben soll in ein sanftes Handbuch der Moral umgeschrieben werden in usum Delphini: jener zerfallenen, wurmstichigen, hysterisch schreckhaften Unschuld, die aus jedem Blütenkelche nur ihr eigenes heimliches Teufelchen aufducken und ihr ein Schnippchen schlagen sieht. Aber die schwüle Langweiligkeit eines solchen englischen Sonntags ist, abgesehen von der dabei kaum zu beseitigenden Heuchelei, ohne Zweifel unheilbrütender als die unbefangene kecke Lust eines gesunden Volkes, das wieder einmal den Arbeitsschmutz der ganzen Woche von sich kehrt und sich innerlich stärkt. Denn rechte Freude ist eine ebenso starke Schwinge und lehrt ebenso herzinnig beten als die Not, weil beide, worauf es doch am Ende ankommt, die Rinde der trägen Gleichgültigkeit brechen, die das Herz vom Himmel scheidet. In jener temperierten, flauen, abgeblaßten Sitten-Diät und Selbst-Verhätschelung aber ist, wie in aller Halbheit, keine Erhebung.

Beide Gegner daher, die herben Asketiker wie die süßlichen Pietisten, würden, wenn das überhaupt tunlich wäre, in ihren Konsequenzen gar bald mit der Poesie fertig werden, die sie ohnedem, weil sie sie nicht verstehen, nur unwillig tolerieren. Denn eine kräftige Sinnenwelt ist das unabweisbare Material aller Kunst, und es ist gleichviel, ob die einen dieses Material ganz vernichten oder die andern es zu einer impotenten Negation verstümmeln wollen. Diese unerquickliche Leere aber, womit weder Gott noch Menschen gedient ist, müßte notwendig wieder zur Lüge führen, d.i. zur falschen Sentimentalität, oder zu dem Surrogat einer abstrakten Unnatur mit körperloser Liebe und rhetorischer Tugend. Grade der frische Blick in die Welt und die tiefere Ahnung ihrer verhüllten geistigen Physiognomie bezeichnet den Dichter, dessen Sache es ist, nicht, wie der Vogel Strauß beim Anblick des Jägers, vor dem bunten Wirrsal feig den Kopf zu verstecken, sondern die sinnliche Erscheinung im Feuer himmlischer Schönheit zu taufen und vom Gemeinen zu erlösen. Nur in der wohlverstandenen, innigen Eintracht von Poesie und Religion also ist für beide Heil; denn die wahre Poesie ist durchaus religiös und die Religion poetisch, und eben diese geheimnisvolle Doppelnatur beider darzustellen, war die große Aufgabe der Romantik.

Allein mit der oben erwähnten Übereinstimmung und Hingabe der Romantik an die Naturphilosophie, so sehr sie auch den wechselseitigen Aufschwung fördern mochte, war doch unleugbar auch eine gefährliche Versuchung gegeben. Denn indem diese Philosophie alles unter dem Absoluten als eines zusammenfaßte, lag der extreme Irrtum nicht gar fern, welcher, wie Gott in der Welt, so die Welt und mithin auch jedes einzelne in jener allschaffenden, sich stets neugebärenden Weltkraft aufgehen läßt; mit einem Wort: jene dem mystisch gesteigerten Naturgefühl überall sehr gewöhnliche pantheistische Ausschweifung, wie wir sie in Werners frühesten Schriften bemerkt haben. Werner ist, nach mannigfachen Irrwegen, zur Kirche zurückgekehrt. Die Romantik aber entfernte sich auf der von ihm eingeschlagenen Bahn immer weiter von ihr, nicht gewahrend oder nicht beachtend, wie ihre ganze Bedeutung und das, was sie von früheren poetischen Schulen unterschied, eben darin lag, daß sie das Positive des Christentums, also die Kirche, in Leben, Kunst und Wissenschaft wieder frei und geltend zu machen übernommen. Nachdem dieser natürliche Boden einmal verschoben war, fing jeder an, anarchisch sich selbst seinen Katholizismus nach eignem poetischen Gelüsten zuzustutzen; und so entstand, gleich wie beim babylonischen Turmbau, allmählich jenes wunderliche Gemisch von Mystizismus, katholischer Symbolik und protestantischer Pietisterei, jener konventionelle Jargon altdeutscher Redensarten, spanischer Konstruktionen und welscher Bilder, der fast an des simplizianisch-deutschen Michels verstümmeltes Sprachgepräng erinnert, und insbesondere bei Loeben (Isidorus Orientalis) unbewußt sich selber parodiert. Da bezieht sich alles mit einer Art von priesterlicher Feierlichkeit auf den Beruf des Dichters und die Göttlichkeit der Poesie, aber die Poesie selbst, das ursprüngliche, freie, tüchtige Leben, das uns ergreift, ehe wir darüber reden, kommt nicht zum Vorschein vor lauter Komplimenten davor und Anstalten dazu. Oder wer könnte wohl eine gelungenere Parodie von Novalis' Idee der Durchdringung und Erlösung der Welt durch die Poesie ersinnen, als Loeben in seinem sehr ernst gemeinten Romane »Guido« wider Wissen und Willen gegeben, wo es am Schlusse heißt:

»Tränen wohnen in den Düften,In den Düften wohnt das Leben,Leichtem Weben, lichtem SchwebenLosgegeben.«

»Die schlimme Zeit ist aus, das Suchen hat ein Ende. Die Asche ist weggeblasen, darunter auf dem Altar der Karfunkel gefunden. – Ein ewiger Tanz mit Träumen und Herzen soll unser Leben sein. – Weiter wurde der Kreis, durcheinander flogen die Tanzenden. Oben in der Luft tanzte der Adler und der Phönix, die Narzisse und die Hyazinthe zusammen; sie beschrieben unaufhörliche Kreise um die Sonne auf des Königs Haupt. – Und die Planeten faßten sich an und rannten um die neue Sonne, und die Sterne faßten sich an und brausten um die Unendlichkeit, und Milchstraßen tanzten mit Milchstraßen, und Ewigkeiten faßten Ewigkeiten an und immer schneller, immer schneller und schneller zuckten sie durcheinander und brannten auf und schlugen empor und stäubten verjüngend in die schmelzende Zeit hinein, und das Weltende jauchzte durch die sprühenden Funken hindurch, und die Walzer flogen um Gott.« – Andere nahmen die Sache schon leichter und tolerierten den Katholizismus, der ihnen nur noch ästhetische Gültigkeit hatte, als bloße Dekoration, wie z.B. Fouqué in seinen Ritterromanen; während andererseits der unpoetische Müllner gar das heidnische Schicksal mit seinem türkischen Fatalismus in katholisch-spanischem Kostüm zu seinem Tragödien-Gott einsetzte.

Wo aber der positive Glaube abhanden gekommen, schwankt das immer bewegliche Zünglein des menschlichen Geistes ratlos zwischen den entgegen gesetztesten Extremen; und so erweckt auch hier die pantheistische Zerstörung der Individualität gar bald wieder alle alten, zärtlichen Mitgefühle für das schnöd verkannte Subjekt. Indem jedoch die Romantik auf solche Weise mit dem Unglauben, dem modernen Aberglauben an die Allmacht des Subjekts, und allen den weltlichen Mächten, gegen die sie ja eben zu Felde lag, so mattherzig zu kapitulieren, ja zu kokettieren begann, hatte sie auch schon sich selbst säkularisiert. Es entstand in dem Feldlager Unsicherheit und Verwirrung und aus dieser Verwirrung, weil sie den Nerv des Ganzen traf, jene innere Zerrissenheit, welche die letzten Stadien der Schule charakterisiert und nichts mehr von der kecken Zuversicht und Morgenfrische weiß, mit der die ersten Romantiker im Vollgefühl des guten Gewissens ausgezogen.

Aber auch noch von einer anderen Seite, auf dem eigentümlich künstlerischen Gebiete der Romantik selbst, lauerte der Feind. In der zweideutigen Richtung, die Tieck mit seiner Ironie angegeben, lag schon der heimliche Abfall. Denn was die Romantik unternommen, konnte, wie wir gesehen, nur aus dem innersten Marke der Gesinnung, aus der tiefsten Wurzel des religiösen Lebens heraufgebaut werden; wir sagten schon früher, ihre Aufgabe war halb eine ethische, die romantischen Poeten aber nahmen sie bloß ästhetisch. Indem sie mit jener ironischen Vornehmheit sich über den Inhalt hinausstellten, ging ihnen dieser allmählich und unvermerkt in der bloßen Form auf. Es konnte daher nicht fehlen, die Form wurde zur Formel, und es entstand eine romantische Manier, wie sie z.B. in Fouqués Recken uns anwidert. Ja, der scharfe Akzent, den sie hiernach einseitig auf die bloße Form legten, und die darin erlangte Meisterschaft mußte, weil hier das Talent willkürlich zu schaffen schien, ihrerseits wiederum zu einer aristokratischen Selbstvergötterung, zu dem Genie-Kultus führen, der in manchen romantischen Dichtungen fast ausschließlich gefeiert wird.

So hatten nun allerdings die Romantiker – und hier erscheinen sie durchaus liebenswürdig – den Rationalismus aus allen seinen verjährten Positionen und Verstecken in Religion, Politik, Haus, Erziehung und Sitte unbarmherzig herausgejagt; vielleicht das ergötzlichste Halali, das jemals durch die Literatur erklungen. Das Feld, das sie damals auch in der öffentlichen Meinung vollständig behauptet, war mit papiernen Lorbeerkränzen und Perücken bedeckt, und die zu Tod erschreckten Kahlköpfe, nachdem die wilde Jagd längst vorübergestürmt und sie selbst sich wieder stattliche Zöpfe angedreht haben, können die unerhörte Keckheit noch immer nicht vergessen, und rufen ihnen noch bis heute ingrimmig das entsetzliche Wort: Jesuiten! nach. Mit Recht nannte daher Goethe die Romantiker fürchterliche Gegner »aller Nichtigkeit, der Parteisucht für das Mittelmäßige, der Augendienerei, der Katzenbuckelgebärden, Leerheit und Lahmheit, in welcher sich damals die wenigen guten Produkte verloren«. – Allein es war bei ihnen mehr oder minder eben auch nur die frische Jagdlust, die sie so weit fortgerissen. Sie hatten sich durch das wuchernde Schlingkraut der rationalistischen Wüste zwar tapfer durchgehauen, stutzten aber, als sie nun plötzlich vor der vergessenen, alten Kirche standen; sie wollten allerdings das Positive, aber nicht aus orthodoxem Eifer, sondern um des Geheimnisvollen und Wunderbaren, um des schönen Heiligenscheins willen, der das Positive umgibt; sie gaben statt der heidnischen Mythologie eine christliche Mythologie; mit einem Wort: sie verfochten einen Glauben, den sie im Grunde selber nicht hatten.

Und das konnte auch füglich nicht anders sein. Wir sahen, der Inhalt der Romantik war wesentlich katholisch, das denkwürdige Zeichen eines fast bewußtlos hervorbrechenden Heimwehs des Protestantismus nach der Kirche. Daher auch die auf den ersten Blick befremdende Erscheinung, daß diese moderne Romantik grade im katholischen Süden nur wenig Anklang gefunden, weil eben hier die Poesie der Religion, die sie heraufbeschwören wollten, wenigstens im Volke noch fortlebte; man erstaunte oder lächelte über solche luxuriöse Anstrengungen für etwas, das sich ja von selbst verstand. Im nördlichen Deutschland dagegen, welchem die Romantiker angehörten, waren diese fast ohne Ausnahme protestantisch geschult und in der außerkirchlichen Wissenschaft und Lebensgewohnheit aufgewachsen. Sie mußten daher gleichsam sich selbst erst ins katholische Idiom übersetzen, das nicht ihre Muttersprache war; sie hatten dort frühzeitig schon vom Baume der Erkenntnis genascht und jene katholische Unbefangenheit und Unschuld verloren, die, weil sie es ganz ist, kaum weiß, daß sie katholisch sei; es fehlte ihnen mithin der natürliche Boden einer katholischen Gesinnung, die allein vermögend war, ihre Überzeugungen zur lebendigen poetischen Erscheinung zu bringen. Daher ihre unsichere Haltung, dieser gemachte, sprunghafte, forcierte Katholizismus, der, stets unbefriedigt, immer über sich selbst hinausgeht.

In Hoffmann sahen wir das letzte aufflackernde Knistern der Flamme, die bereits allen Inhalt verzehrt hatte, und der endliche Sprung aus dieser Phantasterei zu dem neuesten Nihilismus hat hiernach kaum etwas Befremdendes mehr. Erging es doch längst schon den Romantikern ungefähr wie den römischen Auguren, die bei ihren feierlichen Weissagungen einander nicht ohne heimliches Lächeln ins Gesicht sehen konnten. Prozessionsmüde von ihrer Wallfahrt aus dem heiligen Lande zurückgekehrt, fühlten sie eine menschliche Sehnsucht nach den Fleischtöpfen der irdischen Heimat und schämten sich ihrer armen, schäbig gewordenen Pilgertracht vor der daheimgebliebenen Geistreichigkeit, die ihrerseits nicht unterließ, die Zurückgekehrten mit einer Marseillaise großmütig einzuholen. Heinrich Heine, ursprünglich selbst noch Romantiker, macht hierbei die Honneurs, indem er aller Poesie das Teufelchen frivoler Ironie anhängt, das jubelnd ausruft: Seht da, wie hübsch, ihr guten Leute! aber glaubt ja nicht etwa, daß ich selber an das Zeug glaube! Fast jedes seiner schönen Lieder schließt mit solchem Selbstmorde. Die Zeit hatte allgemach den Romantikern hinter die Karte geguckt und insgeheim Ekel und Langeweile vor dem hohlen Spiele überkommen. Das sprach Heine frech und witzig aus, und der alte Zauberbann war gelöst.

So gefährlich ist es, mit dem Heiligen zu spielen. Denn wer hochmütig oder schlau die ewigen Wahrheiten und Geheimnisse als beliebigen Dichtungsstoff zu überschauen vermeint, wer die Religion, die nicht dem Glauben, dem Verstande oder der Poesie allein, sondern allen dreien, dem ganzen Menschen angehört, bloß mit der Phantasie in ihren einzelnen Schönheiten willkürlich zusammenrafft, der wird zuletzt ebensogern an den griechischen Olymp als an das Christentum glauben und eins mit dem andern verwechseln und versetzen, bis der ganze Himmel öde und leer wird. Wahrlich, die rechte Poesie liegt ebensosehr in der Gesinnung als in den lieblichen Talenten, die erst durch die Art ihres Gebrauches groß und bedeutend werden. – Wie wenig aber diese spätere Richtung der Romantik nach dem Sinne ihrer Begründer war, beweist u.a. ein im Morgenblatt veröffentlichter Brief A.W. Schlegels an Fouqué. Hier sagt nämlich der erstere schon im Jahre 1806: »Wie Goethe, als er zuerst auftrat, und seine Zeitgenossen, Klinger, Lenz usw. (diese mit roheren Mißverständnissen), ihre ganze Zuversicht auf Darstellung der Leidenschaften setzten, und zwar mehr ihres äußeren Ungestüms als ihrer inneren Tiefe, so haben, meine ich, die Dichter der letzten Epoche die Phantasie, und zwar die bloß spielende, müßige, träumerische Phantasie, allzusehr zum herrschenden Bestandteil ihrer Dichtungen gemacht. Anfangs mochte dies sehr heilsam und richtig sein, wegen der vorhergegangenen Nüchternheit und Erstorbenheit dieser Seelenkraft. Am Ende aber fordert das Herz seine Rechte wieder, und in der Kunst wie im Leben ist doch das Einfältigste und Nächste wieder das Höchste. – Die Poesie, sagt man, soll ein schönes und freies Spiel sein. Ganz recht, insofern sie keinen untergeordneten, beschränkten Zwecken dienen soll. Allein, wollen wir sie bloß zum Festtagsschmuck des Geistes, zur Gespielin seiner Zerstreuung? oder bedürfen wir ihrer nicht weit mehr als einer erhabenen Trösterin in den innerlichen Drangsalen eines unschlüssigen, zagenden, bekümmerten Gemüts, folglich als der Religion verwandt? Darum ist das Mitleid die höchste und heiligste Muse. Mitleid nenne ich das tiefe Gefühl des menschlichen Schicksals, von jeder selbstischen Regung geläutert und dadurch schon in die religiöse Sphäre erhoben. Darum ist ja auch die Tragödie, und was im Epos ihr verwandt ist, das Höchste der Poesie.«

Nicht in ihren Intentionen also lag der Fall der romantischen Poesie, sondern in ihrem eigenen Abfall von jenen Intentionen, und dieser Abfall wieder weit weniger in einer treulosen Felonie der Dichter als in der Gleichgültigkeit der Zeitgenossen.

Welche lebendige Romantik entfalteten z.B. der abenteuernde Herzog von Braunschweig, Schill und der Tiroler-Aufstand im Jahre 1809! Dennoch hatte der Sturm damals alles wieder verweht. Denn das Maß des Unglücks war noch nicht erfüllt und hatte die Eisdecke des Nationalgefühls noch nicht gebrochen. Aber jene leuchtenden Heldengestalten blieben mahnend im Angedenken der Menschen und waren Vorzeichen und Erwecker des Befreiungskrieges.

Ebenso verhallten die Klänge der romantischen Poesie in der harten Zeit, nur von wenigen innerlichst vernommen; denn sie appellierte an ein katholisches Bewußtsein, das noch kaum erwacht und nirgend reif war. Sie mußte abfallen wie vorzeitige Blüten eines künftigen Frühlings.

Aber, wir sagen es wiederholt, nicht ohne eigene Schuld, wie wir oben gesehen. Der Hochmut des Subjekts, der einst schon die Engel stürzte, hat auch die Romantik gestürzt. Und sofort begann auch die Literatur, als hätte sie nichts vergessen und nichts gelernt, ihr altes, kaum abgebrochenes Geschäft wieder, mit neuen, von der industriellen Zeit gelieferten Kunststücken, aber instinktartig mit demselben fanatischen Haß gegen die Kirche. Rahel, welche in diesem Betracht jene Übergangsperiode am schärfsten repräsentiert, schreibt im Jahre 1811 an Marwitz: »Es gibt nur Lokalwahrheiten, und die Zeit ist nichts als die Bedingung, unter welcher sie sich bewegen, entwickeln, leben, wirken. – Unsere Zeit ist die des sich selbst ins Unendliche, bis zum Schwindel spiegelnden Bewußtseins.« Und im Jahre 1820 ruft sie aus: »Es muß eine neue Erfindung gemacht werden; die alten sind verbraucht. – Die jetzige Gestalt der Religion ist ein beinah zufälliger Moment in der Entwicklung des menschlichen Gemüts und gehört zu seinen Krankheiten. Sie hält zu lange an usw.« – Bettina geht schon munter und praktischer ans Werk. Sie schreibt an die Günderode: »Laß uns eine neue Religion stiften für die Menschheit, bei der's ihr wieder wohl wird.« Sie nennt diese neue Religion »Schwebereligion«. Der Mensch soll sich aus selbstbewußter Eigenmacht und ohne nach Traditionen oder Bildung zu fragen zu leiblicher und geistiger Gesundheit herausgestalten, was ihn doch allein glücklich mache. »Mir deucht«, sagt sie, »mit den fünf Sinnen, die uns Gott gegeben hat, könnten wir alles erreichen, ohne dem Witz durch Bildung zu nahe zu kommen.« – Diese Schwebereligion ist also im Grunde wieder nichts anderes als die alte, nur etwas anders modulierte Glückseligkeitstheorie der Persönlichkeit. Denn ihr Gott ist nicht etwa die absolute Weisheit, wie die Kirchenväter irrtümlich behaupten, sondern »Gott ist die Leidenschaft« in der Menschenbrust, und »wer nit denkt, lernt nit beten«. – Wie aber das solchergestalt freigewordene Subjekt dachte und beten lernte, zeigt Heine, der die neuerfundene Religion, mit ironischer Zerstörung jener weiblich-poetischen Illusionen, aus ihrer Schwebe endlich auf ihre eignen, natürlichen, massiven Beine setzte. Das Christentum nämlich erklärt er gradezu für eine unausführbare Idee, weil es, als bloßer Spiritualismus, die Sinnlichkeit vernichten wolle; eine Prätention, die ihm und seinen Mitbetern außer allem Spaß liegt. Die Wahl ist daher bald getroffen: man schlägt den Geist tot, damit er die arme Materie nicht länger so impertinent inkommodiere, und der Humor des Ganzen ist sonach die möglichst gründliche Ausrottung alles störenden Gottesglaubens, dessen alte »Schweizergarde« das Judentum sei, oder mit anderen Worten: »die Rehabilitation der Materie«.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03