Wiederseh’n.

An Damon und Pythias.

(Im Mai 1792).

Aus dem Dunkel der tiefgewölbten Felskluft,
    Nah’ umlispelt von leisen Wasserfällen,
        Schauet mein Geist der Zukunft Lichtgefilde,
            Schauernd vor Wonne.

Von der sonnigen Höh’ des Blumenhügels,
    Sanft vom schmeichelnden Felsenstrom umwallet,
        Schweb’ auf rosigem Fittig leicht, o Psyche!
            Ueber der Erde.

Auf des grünlichen Sees beglänzte Tiefe
    Blick’ ich bebend hinab; vom West umathmet
        Schauert leise die Flut; in jedem Wellchen
            Lächelt der Himmel.

Kühner kreiset der Flug auf goldnem Aether,
    Rings vom schärferen Luftstrom laut umsäuselt;
        Tönend senket er sich am unerstiegenen
            Gipfel der Jungfrau.

Ach! mit hellerem Blicke trinkt des Abends
    Rötheres Gold mein Äug’ am näheren Himmel;
        Silberner stralet der Mond mir hier, und milder
            Hesperus Schimmer.

Was entwallet fernher dort des Lemanns
    Blauem Gedüfte, sanft wie Schwanenfittig?
        Näher schimmert’s empor – O Lichtgebilde
            Seyd mir gegrüsset!

Traulich lächeln sie mir aus Duftgewölken,
    Gleich dem Zwillingsgestirn der Tyndariden,
        Ewig vereint, die edlen nie getrennten
            Seelen der Freunde.

Schneller steigen wir jezt im engen Kreise;
    Trüb entdämmert die Erd’. O Alpenkette,
        Nur dein hoher Reigen, vom Mond beleuchtet,
            Winkt in der Tiefe!

Oeffne den Schooß, o reiner Aetherhimmel!
    Rauschet Palmen, und rieselt, Lebensbäche!
        Feiert, Engel! der treusten Erdenfreundschaft
            Hohe Verklärung.


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