Ei, so beiß!

Ein Holzhacker hatte die Gewohnheit, dass er bei jedem Hiebe, den er tat, keuchend sagte: »Ei, so beiß!« Das hörte einmal der Graf, in dessen Wald er arbeitete. Der stellte ihn zur Rede, warum er denn immer sage: »Ei, so beiß!« Der Holzhacker antwortete: »Mit Verlaub, gnädiger Herr! Hätte Adam nicht in den Apfel gebissen, so stünde es mit uns armen Leuten besser und ich brauchte nicht im Schweiße meines Angesichts das wenige schwarze Brot zu verdienen, wie ich leider tun muss. Und darum zürne ich billigerweise auf den alten Sünder und sage unwillig: 'Ei, so beiß!'«.

Der Graf, der ein leutseliger Mann war, sagte zum Holzhacker: »Wäret Ihr an Adams Stelle gewesen, Ihr hättet wohl ebenso getan.« – »Strafe mich der Himmel, wenn ich nur daran denken könnte, so etwas zu tun!«, sagte der Holzhacker. »Vollauf zu haben im ganzen, großen, herrlichen Garten und nur sagen dürfen: 'Maul, was willst du?' Nein, Herr, da könnte mir gar nicht einfallen, von dem verbotenen Baume zu kosten!«

»Nun«, sagte der Graf, »weil Ihr denn so ein gar kluger, rechtschaffener Mann seid, so will ich Euch ein besseres Los bereiten, ein so gutes, als Ihr wünschen möget. Kommt mit mir, holt Euer Weib: Ich will Euch von nun an in meinem Schlosse also bewirten, dass Ihr es im Paradiese nicht besser haben möchtet.«

Und so ist es geschehen. Der Holzhacker und sein Weib wurden auf das Kostbarste gekleidet. Es wurden ihnen schön gezierte große Zimmer eingeräumt, wo sie bequem essen, schlafen und wohnen konnten. Und des Mittags setzte ihnen ein Diener, ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs Schüsseln vor voll der feinsten, schmackhaftesten Speisen. Zuletzt, nachdem sie schon lange gesättigt waren, brachte ihnen der Diener noch eine siebente von gediegenem Silber mit schönen, goldenen Zierraten, die mit einem Deckel verschlossen war.

Diese setzte der Diener gleichfalls auf den Tisch, sagte aber, es sei des Herrn strengster Befehl, dass sie diese nicht öffnen, viel weniger davon kosten dürften. Der Mann erwiderte, sie hätten ohnehin schon genug, er solle sie nur gleich wieder forttragen. Das Weib aber wollte sie etwas näher betrachten und konnte nicht genug die Zierrate bewundern, trug aber sonst kein Gelüste – und die Schüssel wurde wieder unberührt weggetragen.

Des andern Mittags wurde wieder die silberne, bedeckte Schüssel vom Diener gebracht und auf dem Tische zurückgelassen. Die Frau betrachtete sie mit noch größerem Wohlgefallen als gestern und auch der Mann schien Vergnügen zu haben an der wunderschönen Gestalt des Gefäßes. »Merkwürdig«, sagte die Frau, »was für eine Absicht doch der Graf damit haben mag? Um das Ding bloß zu unserer Lust zu betrachten, das kann's wohl nicht sein. Denn da dürften wir doch wohl hineinschauen.«

»Lass das Geschwätz«, sagte der Mann, »sei's was es sei. Du rührst's nicht an.« Und mit diesen Worten ging er vom Tische und legte sich aufs Polster. Die Schüssel wurde wieder unberührt abgetragen.

Bei all dieser Herrlichkeit war es kein Wunder, dass der Holzhacker seine Arbeit vergaß und den Adam und das »Ei, so beiß!« Und er war vollkommen zufrieden mit Gott und seinem gnädigen Herrn. Die Frau aber konnte fast die ganze folgende Nacht nicht schlafen. Die Schüssel ging ihr immer im Kopfe herum und sie träumte, es sei darin weiß Gott was Wunderschönes enthalten. Als daher Mittags die verbotene Schüssel wieder auf den Tisch kam, da konnte sie ihr gelüste nicht mehr zurückhalten. Sie erzählte ihrem Manne zuerst den Traum und schilderte ihm die Kostbarkeiten, die sie gesehen.

Dann meinte sie, sehen koste ja nicht und es sei keine Gefahr dabei, dass sie jemand bemerke. Endlich sagte sie, es solle nichts berührt und gar nichts genommen werden. Sie wolle nur den kost baren Inhalt der Schüssel schauen.

Der Mann schüttelte anfangs den Kopf und sagte: »Nein!« Als sie aber wiederum von Neuem anfing und nicht aufhörte zu bitten und zu betteln, um wenigstens zu sehen, was darin sei – da, nachdem er sich überall umgesehen, ob niemand sie belauschte, gab er ihr nach und sagte: »In Kuckucks Namen, so lug, damit ich Ruhe habe!« Sie hob den Deckel und siehe da! Ein Mäuslein sprang heraus und davon und ins nächste Loch hinein.

Die beiden Leute sahen einander ganz erschrocken an – und wie sie noch stumm und still wie leblos dasaßen, kam der Graf herbei und fragte sie, was sie hätten. »Nichts!«, sagte die Frau zitternd. Der Herr, wohl merkend, was geschehen, nahm den Deckel auf und sagte: »Also habt ihr mein Verbot nicht geachtet?« – »Mein Weib da!«, sagte zornig der Mann. »Dein Weib«, versetzte der Herr, »ist eine Eva und du bist ein Adam. Lüsternheit hat Euch wie die Schlange unsere Stammeltern in Versuchung geführt, der ihr nicht habt widerstehen können. Darum sollt ihr büßen und gleich ihnen und wiederum das Brot im Schweiße Eures Angesichts essen.«

Und so mussten denn er und sie sogleich die kostbaren Kleider ablegen und die schöne Wohnung verlassen und zu ihrer Hütte und zu ihrer Arbeit zurückkehren. Seit der Zeit hat der Holzhacker nicht mehr auf den Adam, den alten Sünder, gezürnt und sein Leben lang nicht mehr gesagt: »Ei, so beiß!«


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03